Dubia dubitati – Zweifel über Zweifel zu der von Rom behaupteten „Weiterentwicklung“ der Offenbarung

Utilitarismus-Lehre in der Kirche?


Zweifel über Zweifel über die jüngsten Thesen von Santa Marta über die sich nach gesellschaftlichen, politischen, kulturellen Veränderungen "weiterentwickelnde" göttliche Offenbarung.
Zweifel über Zweifel über die jüngsten Thesen von Santa Marta über die sich nach gesellschaftlichen, politischen, kulturellen Veränderungen "weiterentwickelnde" göttliche Offenbarung.

Der Finanz­ethi­ker und ehe­ma­li­ge Prä­si­dent der Vatik­an­bank IOR Etto­re Got­ti Tede­schi greift das Apo­sto­li­sche Schrei­ben Lau­da­te Deum und die römi­schen Ant­wor­ten auf die jüng­sten Dubia der fünf Kar­di­nä­le Brand­mül­ler, Bur­ke, San­d­oval, Sarah und Zen auf, um nach den sich dar­aus erge­ben­den Kon­se­quen­zen zu fra­gen und ganz kon­kret, wel­che Fol­gen das für den Wirt­schafts­be­reich und für ihn als Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler hat. Dabei kommt ihm ein gro­ßer Zweifel.

Dubia dubitati

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Von Etto­re Got­ti Tedeschi

Als beschei­de­ner Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler, aber natür­lich kein Theo­lo­ge (auch wenn mein beruf­li­cher Ansatz streng ari­sto­te­lisch ist und ich vom hei­li­gen Tho­mas von Aquin und von Bene­dikt XVI. gelernt habe, daß man bei Pro­ble­men die Ursa­chen ken­nen muß, bevor man die Aus­wir­kun­gen behe­ben kann), habe ich mir beim Lesen der Dubia II und beson­ders der maß­geb­li­chen Ant­wor­ten dar­auf ein wenig Sor­gen gemacht.

Aber, welch‘ Über­ra­schung, ich habe mir mehr Sor­gen um mei­ne Arbeit gemacht als um alles ande­re. Wel­chen Sinn soll ich nun eigent­lich mei­ner Arbeit geben?

Auf mei­nem iPho­ne gibt es kei­ne App zur Selbst-Unter­schei­dung mei­nes Han­delns je nach den Umstän­den, und das Gewis­sen kann in die Irre füh­ren, selbst jene, die sich mit Wirt­schaft befassen …

Wenn ich näm­lich die römi­schen Ant­wor­ten auf die Dubia lese und auch ver­su­che (wie dar­in vor­ge­schla­gen), sie zu kon­tex­tua­li­sie­ren und zu inter­pre­tie­ren, gelan­ge ich zu der Ein­sicht, daß es (ich habe sie auch auf Wirt­schafts­fra­gen aus­ge­dehnt) kei­ne abso­lu­ten mora­li­schen Nor­men oder in sich ver­werf­li­che Hand­lun­gen gibt, da letzt­lich alles durch Umstän­de und Absich­ten erklärt wer­den kön­ne. Alle even­tu­el­len Aus­nah­men von den Nor­men wer­den dann durch das Gewis­sen legitimiert…

Das Gewis­sen wird dadurch ent­schul­digt, daß es Ver­su­chun­gen geben kann, die mei­ne Kräf­te über­stei­gen. Leu­te! Ich kann Euch ver­si­chern: Jeder Geschäfts­mann träumt davon, genau das zu hören…

Da ich aber nur ein armer Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler mit begrenz­ten logi­schen und phi­lo­so­phi­schen Fähig­kei­ten bin, habe ich mich sofort gefragt, wel­chen Wert dann also heu­te mein „Wil­le“ bei der Bil­dung mei­nes Gewis­sens, bei der kor­rek­ten Aus­übung mei­nes frei­en Wil­lens und bei dem Bemü­hen hat, mei­ne Ver­su­chun­gen mit aller Kraft zu überwinden.

Dank der geist­li­chen Übun­gen des hei­li­gen Igna­ti­us von Loyo­la, die ich jah­re­lang gemacht habe, habe ich für mein Leben ver­sucht, genau die­sen mei­nen „Wil­len“ in die­sem Sinn zu stär­ken, aber jetzt fra­ge ich mich: Habe ich mei­ne Zeit vergeudet?

Da ich mich auch ein wenig mit Wirt­schafts­ge­schich­te befaßt habe, wur­de ich auf Jere­my Bent­ham (1748–1832) auf­merk­sam, einen eng­li­schen Phi­lo­so­phen und Öko­no­men (Schü­ler von Locke und Hob­bes) und bekann­te­sten Ver­tre­ter des Uti­li­ta­ris­mus, einer (für die Indu­stri­el­le Revo­lu­ti­on maß­geb­li­chen) Leh­re, die besagt, daß bei der Bewer­tung des mensch­li­chen Ver­hal­tens das mora­li­sche Prin­zip „Nut­zen“ anzu­wen­den sei.

Dem­nach hängt die Fra­ge, ob eine Hand­lung recht­mä­ßig ist oder nicht, je nach­dem davon ab, wie nütz­lich sie ist. Gut ist das, was nütz­lich ist. Der Markt ver­lan­ge es so. Aus der Sicht des prak­ti­schen Ver­hal­tens erklärt die­se uti­li­ta­ri­sti­sche Dok­trin, daß es kei­ne Ein­schrän­kun­gen für den Bei­trag geben soll­te, den jeder lei­sten kann, und die mora­li­schen Ver­pflich­tun­gen zu redu­zie­ren und an die Umstän­de anzu­pas­sen sei­en, indem die mora­li­sche Bewer­tung rela­ti­viert wird.

Die­se Dok­trin impli­ziert auch, daß ein nega­ti­ves Urteil über Ver­hal­tens­wei­sen oder Hand­lun­gen inak­zep­ta­bel ist, die vor allem von der mora­li­schen Auto­ri­tät als in sich schlecht ange­se­hen wer­den, weil sie in Wirk­lich­keit nütz­lich sein könnten…

Dar­aus fol­ge näm­lich der Feh­ler, nicht umsetz­ba­re mora­li­sche Stan­dards auf­zu­er­le­gen, was zu einer Ver­schwen­dung von Res­sour­cen füh­re. Ethisch ist dem­nach das zu tun, was nütz­lich ist, und nicht das, was man für gut hält. Das Gute muß auch nütz­lich sein. Im Dia­log ist es vor allem nütz­lich, dies glau­ben zu machen.

Ich möch­te Hei­li­ge und Theo­lo­gen nicht mit Abschwei­fun­gen lang­wei­len, die als her­bei­ge­re­det und unpas­send emp­fun­den wer­den könn­ten, aber ich habe so mei­ne Zwei­fel, daß ich in der Lage bin zu ver­ste­hen, daß die gött­li­che Offen­ba­rung, an der ich (mit gro­ßer Anstren­gung und zuge­ge­be­ner­ma­ßen beschei­de­nen Ergeb­nis­sen) ver­sucht habe, mein Ver­hal­ten aus­zu­rich­ten, dank des Kli­ma­wan­dels für „not­wen­di­ge“ kul­tu­rel­le, sozia­le, wirt­schaft­li­che und mora­li­sche Ver­än­de­run­gen „umge­deu­tet“ wer­den kann.

Wenn über­haupt, hät­te ich mir eher das Gegen­teil vor­ge­stellt: eine Bekräf­ti­gung der Offen­ba­rung, anstatt sie neu zu inter­pre­tie­ren. Aber stur, wie ich bin, fällt es mir schwer, zu ver­ste­hen, daß man als Fol­ge gro­ßer kul­tu­rel­ler Ver­än­de­run­gen auch Ver­hal­tens­wei­sen als gut zu akzep­tie­ren habe, von denen bis­her abge­ra­ten wur­de (viel­leicht sogar zu wenig, wenn man das Ergeb­nis bedenkt), oder daß man Hand­lun­gen nach einer undenk­ba­ren Anstren­gung der Unter­schei­dung gut­hei­ßen soll. Wer weiß denn schon, wie man die­se kon­tex­tua­li­sier­te Unter­schei­dung vornimmt?

Und schließ­lich fin­de ich es als mora­li­sie­ren­der Öko­nom ver­wir­rend, zu ver­ste­hen, daß ich, wenn jemand einen Feh­ler macht und einen (wirt­schaft­li­chen) Scha­den ver­ur­sacht, ihn (fast wie ein Beicht­va­ter) „frei­spre­chen“ muß, damit ihm kei­ne Skru­pel kom­men, er nicht geta­delt wird, und ich nicht grau­sam zu ihm bin.

Ich möch­te aber jenen, die sich mit den Dubia beschäf­ti­gen, in aller Beschei­den­heit emp­feh­len, dar­über nach­zu­den­ken, daß, wenn „Gut und Böse“ ver­wech­selt wer­den und nur das, was nütz­lich erscheint, auch gut und rich­tig ist, man Gefahr läuft, zu spät zu erken­nen, daß das Tun von Bösem-Nütz­li­chem (alles natür­lich nach ent­spre­chen­der Unter­schei­dung…) wirt­schaft­lich mehr ein­bringt als das Tun von Gutem. Und wenn man das ent­deckt, dann besteht die Gefahr, daß man sich fragt, war­um in aller Welt man Gutes tun soll­te (wenn sich ohne­hin die Offen­ba­rung „wei­ter­ent­wickelt“ und sich viel­leicht mor­gen auf­grund von gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen her­aus­stellt, daß es Beloh­nung oder Stra­fe gar nicht gibt).

Die­ser Zwei­fel ist mir gekom­men. Des­halb bean­spru­che ich für Öko­no­men die Mög­lich­keit zur mora­li­schen „Ver­wei­ge­rung aus Gewissensgründen“.

Oder lie­ge ich da falsch?

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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