
(Rom) Seit dem 15. April ist im Vatikan die neue Beobachtungsstelle für Erscheinungen und mystische Phänomene im Zusammenhang mit der Jungfrau und Gottesmutter Maria aktiv. Sie ist bei der Internationalen Marianischen Päpstlichen Akademie (PAMI) angesiedelt und wird von dem Franziskaner Pater Stefano Cecchin geleitet. Dessen Öffentlichkeitsarbeit ist seither sehr intensiv. Das Positive: Orientierungshilfen, um „Falschmeldungen“ und „falsche und betrügerische ‚Erscheinungen‘“ zu erkennen, sind angemessen und notwendig. Das Negative: Kritiker sprechen davon, daß eine kirchliche Cancel Culture etabliert werden könnte, die sich gegen Erscheinungsphänomene richtet.
Ende April erklärte P. Cecchin in einem Interview mit dem Internetmedium Alfa y Omega:
„Es gibt Warnzeichen: Will eine Mutter ihre Kinder bestrafen, indem sie ihnen Krankheiten, den Tod… schickt? Auf keinen Fall. Die Erscheinungen, die von Strafen Gottes sprechen, sind also absolut falsch.“
Drei Wochen später betonte er in einer Sendung von Trece (13TV), daß es eine Hauptaufgabe der Beobachtungsstelle ist, echte von falschen Erscheinungen zu unterscheiden, ebenso wie gesunde Marienfrömmigkeit von ungesunder.
Am 17. Juni veröffentlichte der Avvenire, die Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz, online, am 18. Juni in seiner gedruckten Ausgabe den Artikel von Riccardo Maccioni: „Wahre oder falsche Marienerscheinungen, hier sind ‚die Kriterien‘, um sie zu unterscheiden“, der auf einem Interview mit P. Cecchin beruht.
Wie bereits in seinem Mai-Interview präzisierte der Franziskaner-Mariologe:
„Wir sind eine Studienkommission. Wir wollen die Diözesen nicht ersetzen, sondern ihnen helfen, sie in ihrem Engagement unterstützen.“
„Sie wurde eigentlich schon 2018 ins Leben gerufen, aber wegen des Covid verzögerte sich die Offizialisierung. Die Aufgabe unserer Akademie ist es, eine fundierte mariologische Ausbildung im Hinblick auf eine ebenso fundierte Volksfrömmigkeit anzubieten.“
„Wir haben nichts mit dem Phänomen selbst zu tun. Wir sind eine interdisziplinäre Einrichtung, die Studien durchführt, Material sammelt und es für die Ausbildung derjenigen zur Verfügung stellt, die an diesen lokalen Kommissionen teilnehmen. Es ist ein bißchen so wie an den medizinischen Universitäten: Die Fakultät lehrt, aber die Behandlung erfolgt im Krankenhaus. Wir sind die Fakultät, die Diözesen sind die Krankenhäuser.“
Allein in Italien soll es derzeit etwa einhundert Marienerscheinungen geben.
„Wir arbeiten daran, den Menschen zu helfen, ein kritisches Gewissen gegenüber diesen Phänomenen zu entwickeln, damit sie wissen, wie sie sich gegen diejenigen verteidigen können, die ihren Glauben manipulieren wollen.“
Die Gefahr sei sehr real, so der Franziskaner-Mariologe:
„Vor allem in der letzten Zeit sind wir in der Welt mit mystischen Phänomenen konfrontiert, die sich mit Themen befassen, die nicht streng mit der Botschaft des Evangeliums verbunden sind, die eine Verkündigung der Freude ist, d. h. anzuerkennen, daß Gott die Menschheit so sehr liebt, daß er seinen Sohn geopfert hat.“
„Von Marienerscheinungen wird erwartet, daß sie sich mit ‚heiligen‘ Themen befassen. In diesem Sinne versuchen wir, die Dinge logisch zu analysieren, ausgehend von dem, was das Evangelium lehrt. Und so untersuchen wir, was in diesen Erscheinungen gesagt wird, welche möglichen politischen oder wirtschaftlichen Spiele sich hinter diesen Formen von Erscheinungen verbergen könnten.“
Dann bekommen die Ausführungen von P. Cecchin eine besondere Wendung:
„Warum wollen Menschen heute den Papst, die Kirche, die zivilen Institutionen untergraben? Maria ist die Trägerin des Friedens, sie kommt, um uns zu einer Begegnung mit Gott zu führen, weil Gott mich liebt, sie opfert ihren Sohn für die Sünder, nicht um die Welt zu züchtigen.“
Der Übergang erfolgt sehr abrupt und läßt erkennen, daß es sich dabei offenbar um ein zentrales Aufgabenfeld der neuen Beobachtungsstelle handelt, Phänomenen entgegenzuwirken, die „den Papst, die Kirche, die zivilen Institutionen untergraben“ wollen.
Was genau ist damit gemeint?
P. Cecchin führt diesen erstaunlichen Einschub nicht weiter aus, sondern erklärt, daß es Kriterien gebe, um die Echtheit von Erscheinungen festzustellen.
„Das erste, grundlegende Kriterium ist das Wort Gottes. Keine Botschaft der sogenannten privaten Erscheinungen darf im Widerspruch zu der in der Bibel, in der Heiligen Schrift, enthaltenen Offenbarung stehen.“
Ein weiteres Bewertungselement ist die Frage, wer die Botschaften empfängt.
„Die Figur des Sehers muß von großer Demut geprägt sein. ‚Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut‘, heißt es im Magnificat“. Und stattdessen? Es fällt mir auf, daß es moderne Seher gibt, die einen Anwalt brauchen. Wenn ich gläubig bin, wenn mir Maria wirklich erscheint, brauche ich keine zivilen Behörden, die mich verteidigen.“
„In der Geschichte der Erscheinungen und mystischen Phänomene haben sich die Menschen, die diese Gaben erhalten haben, nie gegen die Kirche gewandt. Die Muttergottes kommt nicht, um zu plaudern oder gegen den Papst und den Bischof zu sprechen, sondern um mich zu leiten, Jesus zu folgen: Tut, was er sagt, fordert sie bei der Hochzeit zu Kana.“
Und erneut rücken „Erscheinungen“ in den Fokus, die „gegen den Papst sprechen“.
Es mache grundsätzlich keinen Sinn, „nur“ auf Maria zu schauen:
„Wie man sagt, führt Maria immer zu Jesus, wenn sich alles in ihr erschöpft, sind wir bei der Abgötterei. In der franziskanischen Ikonographie der Unbefleckten Empfängnis hat Maria das Kind in ihren Armen und hält den Fuß auf der Schlange, aber es ist das Kind, das diese mit einer Lanze in Form eines Kreuzes zertritt. Christus ist das Zentrum.“
Der Kern der Botschaft ändere sich nicht, doch passe sich der Stil, in dem sie präsentiert werde, der Zeit an:
„In den Erscheinungen schaut Gott durch Maria auf die Bedürfnisse der Zeit, die Mentalität, die aktuelle Kultur. In der Vergangenheit gab es zum Beispiel vor allem Angst vor Gott und seiner Züchtigung.“
Der Kern des Evangeliums sei jedoch nicht die Angst vor der Hölle.
„Die Botschaft des Evangeliums ist vor allem eine Verkündigung der Freude. Der Engel sagt zu Maria: ‚Fürchte dich nicht’.“
Das sei kein Bild der Angst.
„Das Problem ist, daß der Teufel die Kirche spalten will. Und um das zu erreichen, bedient er sich auch der Pseudo-Offenbarungen.“
Die Beobachtungsstelle sei geschaffen geworden, um diese zu erkennen.
„Wir arbeiten daran, den Schwachen vor allem zu helfen, ein kritisches Gewissen zu haben, zu wissen, wie sie sich vor Betrügern schützen können, vor der Masche derer, die wirtschaftliche, geistige und körperliche Schwierigkeiten ausnutzen wollen, um sie zu manipulieren. Papst Franziskus möchte ein gemeinsames Haus schaffen, in dem die Menschen autonom und unabhängig sind, ohne Konditionierung.“
Papst Franziskus sagte es in einer am 4. Juni ausgestrahlten Fernsehsendung anders und direkter. Er forderte dazu auf, Erscheinungsphänomene grundsätzlich zu ignorieren, da sie „nicht immer wahr“ seien. Wörtlich sagte er:
„Nicht dort suchen, denn dort suchen ist ein Instrument der Marienfrömmigkeit, das nicht immer wahr ist.“
Will Papst Franziskus das Phänomen von Marienerscheinungen demnach vom gläubigen Volk fernhalten und auslöschen und ist die neue Beobachtungsstelle ein Instrument dafür, jedenfalls um – laut P. Cecchin – Kritik am regierenden Papst zu unterbinden?
Dabei sollte es durchaus von Interesse sein, der Frage nachzugehen, warum und wie es zu Erscheinungsphänomenen kommt, die Kritik am regierenden Papst üben, und wie diese Entwicklung einzuordnen ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Avvenire (Screenshot)