Bischof Chow: „Das Geheimabkommen ist nicht tot“

Bilanz der Reise nach Peking


Bischof Stephen Chow SJ (Bischof von Hongkong, mit Brustkreuz) mit Erzbischof Li Shan (Peking) im April 2023 in Peking. Erzbischof Li Shan (2. v. r.) trägt kein Brustkreuz, weil es das Regime nicht wünscht.
Bischof Stephen Chow SJ (Bischof von Hongkong, mit Brustkreuz) mit Erzbischof Li Shan (Peking) im April 2023 in Peking. Erzbischof Li Shan (2. v. r.) trägt kein Brustkreuz, weil es das Regime nicht wünscht.

(Rom) Laut Bischof Ste­phen Chow Sau-yan SJ ist das vati­ka­nisch-chi­ne­si­sche Geheim­ab­kom­men von 2018 „nicht tot“. Dies erklär­te der seit 2021 amtie­ren­de Bischof von Hong­kong in einem Inter­view mit der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca. Das Inter­view führ­te deren Papst Fran­zis­kus sehr nahe­ste­hen­der Schrift­lei­ter P. Anto­nio Spa­da­ro SJ. Da alle ver­öf­fent­lich­ten Bei­trä­ge der Vor­zen­sur des Hei­li­gen Stuhls unter­lie­gen, spie­gelt sich dar­in des­sen Posi­ti­on wider. Dies kommt in der genann­ten Aus­sa­ge, aber auch in der gewähl­ten Über­schrift zum Aus­druck: „Eine begeh­ba­re Brücke“ sein zu wol­len. Das ist der Auf­trag, der mit der Ernen­nung des Jesui­ten zum Bischof von Hong­kong ver­knüpft ist, jenem „gal­li­schen Dorf“ im chi­ne­si­schen Groß­reich. Mit­te April stat­te­te Msgr. Chow als erster Bischof Hong­kongs nach fast 30 Jah­ren den ersten Besuch in Peking ab. In dem Inter­view zieht er Bilanz. Und die lau­tet, ganz im Sin­ne von San­ta Mar­ta, daß die Ver­let­zun­gen des Geheim­ab­kom­mens und die Ver­fol­gun­gen chi­ne­si­scher Katho­li­ken durch das kom­mu­ni­sti­sche Regime für den Vati­kan kei­ne beson­de­re Rele­vanz haben. Hören wir jedoch Bischof Chow selbst:

Eine begehbare Brücke

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Spa­da­ro: Vom 17. bis 21. April rei­sten Sie auf Ein­la­dung von Bischof Joseph Li Shan, der auch Vor­sit­zen­der der [regi­me­hö­ri­gen, schis­ma­ti­schen, Anm. GN] Chi­ne­si­schen Katho­li­schen Patrio­ti­schen Ver­ei­ni­gung ist, nach Peking. Die Ein­la­dung war bereits 2022 an Sie gerich­tet wor­den, aber die Rei­se muß­te war­ten, bis die Anti-Covid-19-Restrik­tio­nen auf­ge­ho­ben wur­den. Wie kam es zu die­ser Ein­la­dung? Gab es einen bestimm­ten Grund?

Bischof Chow: Die Ein­la­dung aus Peking kam über einen Mit­tels­mann von der Diö­ze­se zu mir. Wir brauch­ten eini­ge Zeit, um uns zu ent­schei­den. Ich brauch­te Zeit, um mich mit der Diö­ze­se Hong­kong ver­traut zu machen, denn 2022 war mein erstes Jahr als Bischof. Die bei­den Diö­ze­sen hat­ten jedoch bereits in der Ver­gan­gen­heit Kon­tak­te: So waren bei­spiels­wei­se eini­ge ihrer Semi­na­ri­sten zum Theo­lo­gie­stu­di­um nach Hong­kong ent­sandt wor­den, und ein Prie­ster der Diö­ze­se Hong­kong war geist­li­cher Assi­stent der Semi­na­ri­sten in der Diö­ze­se Peking gewe­sen. Die Bit­te, den Kon­takt nach der Pan­de­mie wie­der auf­zu­neh­men, kam also nicht überraschend.

Spa­da­ro: Wenn ich mich nicht irre, ist dies der erste Besuch des Hong­kon­ger Bischofs in Peking seit der Rück­kehr der ehe­ma­li­gen bri­ti­schen Kolo­nie zu Chi­na im Jahr 1997. Die [eng­lisch­spra­chi­ge Tages­zei­tung der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Chi­nas] Glo­bal Times bezeich­ne­te ihn als „histo­risch“. Was haben Sie dabei emp­fun­den, und was sind die wich­tig­sten Ergeb­nis­se des Besuchs?

Bischof Chow: Es war nicht mei­ne erste Rei­se nach Peking, aber es war mei­ne erste als Bischof von Hong­kong. Als Mit­glied des Pro­vin­zi­al­ats und dann als Pro­vin­zi­al der Jesui­ten­pro­vinz Chi­na habe ich das Bei­jing Cen­ter [ein 1998 von Jesui­ten gegrün­de­tes Zen­trum für Chi­na-Stu­di­en zur För­de­rung des gegen­sei­ti­gen Ver­ständ­nis­ses zwi­schen Chi­na und den ande­ren Kul­tu­ren] min­de­stens ein­mal im Jahr besucht.
Ehr­lich gesagt, den­ke ich nicht, daß mei­ne Rei­se „histo­risch“ war, son­dern eine Fort­set­zung der Rei­se von Kar­di­nal John Bap­tist Wu nach Peking im Jahr 1994. Damals war er Bischof von Hong­kong. Wie ich bereits mehr­fach erwähnt habe, hat unse­re Diö­ze­se von Papst Johan­nes Paul II. den Auf­trag erhal­ten, eine „Brücken­kir­che“ zu sein. Die­ser Gedan­ke der Brücken­funk­ti­on wur­de erst­mals vom ehr­wür­di­gen Matteo Ric­ci erwähnt.
Obwohl seit dem Abschluß des pro­vi­so­ri­schen Abkom­mens ein offi­zi­el­ler Kanal zwi­schen den jewei­li­gen Staats­mi­ni­ste­ri­en des Hei­li­gen Stuhls und Chi­nas ein­ge­rich­tet wur­de, betrach­ten wir unse­re Rei­se vom 17. April als eine Brücke auf Diö­ze­sa­ne­be­ne zwi­schen Peking und Hong­kong. Zu den bemer­kens­wer­te­sten Ergeb­nis­sen die­ses Besuchs gehö­ren der per­sön­li­che Kon­takt zwi­schen den Prä­la­ten der bei­den Diö­ze­sen und die Wie­der­auf­nah­me der Zusam­men­ar­beit in einer Rei­he von Berei­chen. Die Zusam­men­ar­beit, auf die wir uns geei­nigt haben und die von bei­den Sei­ten sehr gewünscht wird, gibt uns Hoff­nung und Ent­schlos­sen­heit, zusammenzuarbeiten.

Spa­da­ro: Seit 2018 gibt es, wie Sie andeu­te­ten, ein „pro­vi­so­ri­sches Abkom­men“ zwi­schen dem Hei­li­gen Stuhl und der Volks­re­pu­blik Chi­na über die Bischofs­er­nen­nun­gen. Doch nicht alle Diö­ze­sen haben ihre Bischöfe.

Bischof Chow: Etwa ein Drit­tel der Diö­ze­sen auf dem chi­ne­si­schen Fest­land war­tet noch auf die jewei­li­gen Bischofsernennungen.

Spa­da­ro: Die Ver­set­zung von Bischof Shen Bin von Hai­men nach Shang­hai und zuvor die Ernen­nung von Bischof John Peng Weiz­hao von Yujiang zum Weih­bi­schof von Jian­gxi haben Befürch­tun­gen geweckt, daß das Abkom­men von chi­ne­si­scher Sei­te auf­ge­ge­ben wur­de. Was den­ken Sie ?

Bischof Chow: Mei­ner Mei­nung nach ist das Abkom­men nicht tot, wie eini­ge zu behaup­ten schei­nen. Aber die unter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen bei­der Sei­ten über die Ent­sen­dung von Bischö­fen in ande­re Diö­ze­sen könn­ten ein Fak­tor sein, der Gegen­stand einer bes­se­ren Ver­stän­di­gung sein könn­te. Wenn also in Zukunft regel­mä­ßi­ge­re und ein­ge­hen­de­re Gesprä­che statt­fin­den wür­den, könn­te viel­leicht eine Klä­rung her­bei­ge­führt werden.

Spa­da­ro: Gibt es noch die Erin­ne­rung an Bischof Aloy­si­us Jin Luxi­an? Ist sein Andenken noch von Bedeu­tung, und kann sei­ne pasto­ra­le Leh­re das Leben der Kir­che heu­te inspirieren?

Bischof Chow: Die Diö­ze­se Shang­hai hat am 27. April des zehn­ten Todes­ta­ges von Bischof Jin Luxi­an gedacht und dabei ihre Dank­bar­keit für den enor­men Bei­trag und Ein­fluß zum Aus­druck gebracht, den er für die Kir­che in Chi­na gelei­stet hat. An der Mes­se nah­men über 60 Kon­ze­le­bran­ten, mehr als 70 Ordens­leu­te und fast 1.000 Lai­en teil. Dies scheint mir – 10 Jah­re nach sei­nem Tod – ein deut­li­ches Zei­chen für die Bedeu­tung von Bischof Jin für die Kir­che in Chi­na zu sein.
Bischof Jin wur­de auch von der chi­ne­si­schen Regie­rung hoch geach­tet. Dank sei­ner Bereit­schaft, mit der Regie­rung zusam­men­zu­ar­bei­ten, sei­ner viel­fäl­ti­gen Sprach­kennt­nis­se und sei­ner Kon­tak­te außer­halb Chi­nas war er in der Lage, die von der Regie­rung aner­kann­te [regi­me­hö­ri­ge schis­ma­ti­sche] Kir­che mit der Welt­kir­che und der Welt zu ver­bin­den. Sei­ne pasto­ra­le Prä­senz in die­ser Zeit war auch ein Impuls für die Kir­che in Chi­na, der ihr half, sich zu ent­wickeln und zu gedeihen.

Spa­da­ro: Wie ist die „Sini­sie­rung“ der Kir­che zu verstehen?

Bischof Chow: Ich habe den Ein­druck, daß die Kir­che auf dem chi­ne­si­schen Fest­land immer noch ver­sucht zu ver­ste­hen, was Sini­sie­rung für sie bedeu­tet. Bis­her ist sie noch nicht zu einem end­gül­ti­gen Schluß gekom­men. Des­halb wäre es für uns sinn­voll, mit ihnen im Rah­men der Semi­nar­tref­fen ins Gespräch zu kom­men, damit wir uns gemein­sam auch über die Bedeu­tung und die Impli­ka­tio­nen der „Inkul­tu­ra­ti­on“ aus­tau­schen kön­nen, die sicher­lich eini­ge ihrer Sor­gen über die Sini­sie­rung anspricht. Und im Gegen­zug ler­nen wir von ihnen, was Sini­sie­rung aus ihrer Sicht bedeu­ten kann.
Einem der Beam­ten, die wir auf der Rei­se getrof­fen haben, zufol­ge ist die Sini­sie­rung mit unse­rem Kon­zept der Inkul­tu­ra­ti­on ver­gleich­bar. Daher hal­te ich es für das beste, zum jet­zi­gen Zeit­punkt kei­ne vor­ei­li­gen Schlüs­se über Sini­sie­rung zu zie­hen. Ein wei­te­rer Dia­log zu die­sem The­ma wäre sinnvoller.

Spa­da­ro: Der dama­li­ge Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger frag­te im Vor­wort zur chi­ne­si­schen Über­set­zung sei­nes Gesprächs­bu­ches „Das Salz der Erde“: „Wird eines Tages ein asia­ti­sches oder chi­ne­si­sches Chri­sten­tum ent­ste­hen, so wie ein grie­chi­sches und latei­ni­sches Chri­sten­tum beim Über­gang vom Juden­tum zum Hei­den­tum ent­stan­den ist? Was mei­nen Sie dazu? Mit wel­chem spe­zi­fi­schen Bei­trag des chi­ne­si­schen Den­kens und der chi­ne­si­schen Kul­tur könn­te das Chri­sten­tum im uni­ver­sel­len Katho­li­zis­mus ver­kör­pert werden?

Bischof Chow: Statt von „Rech­ten“ zu spre­chen, zie­hen wir es vor, die Kul­ti­vie­rung der „Wür­de“ und ein gesun­des Gefühl der „Pflicht“ gegen­über Gemein­schaft, Gesell­schaft und Land zu beto­nen. Es ist unse­re Pflicht, die Wür­de der ande­ren zu för­dern und zu sichern, nicht nur unse­re eige­ne. Davon abge­se­hen muß Chi­na, wie der Rest der Welt, ler­nen, die Wür­de aller Men­schen im In- und Aus­land bes­ser zu för­dern, auch wenn man dem Land zugu­te hal­ten muß, daß es bei der Besei­ti­gung von mate­ri­el­ler Armut und Analpha­be­tis­mus im eige­nen Land bemer­kens­wer­te Arbeit gelei­stet hat.

Spa­da­ro: Die der­zei­ti­ge geo­po­li­ti­sche Sicht­wei­se und ins­be­son­de­re die Bezie­hun­gen zwi­schen dem Westen und Chi­na schei­nen eine dicho­to­me Auf­tei­lung der Welt in „die Guten und die Bösen“ auf­zu­zwin­gen. Und die Ein­heit in der Viel­falt? Und der von Papst Fran­zis­kus geför­der­te „Dia­log“?

Bischof Chow: Ich wür­de es wagen zu sagen, daß es einen Dia­log über das gegen­sei­ti­ge Ver­ständ­nis und die Vor­aus­set­zun­gen geben soll­te, die den Dia­log­pro­zeß zwi­schen den betei­lig­ten Par­tei­en bestim­men soll­ten. Die Fäl­le von Jian­gxi und Shang­hai wür­den einen sol­chen Dia­log über den Dia­log recht­fer­ti­gen.
Ein wei­te­rer den Chi­ne­sen wich­ti­ger Wert ist die „Har­mo­nie“. Har­mo­nie zwi­schen ver­schie­de­nen Inter­es­sen, Par­tei­en und Akteu­ren, die sie zu einer Gemein­schaft der fried­li­chen Koexi­stenz und gegen­sei­ti­gen Unter­stüt­zung machen. Dies unter­schei­det sich etwas von unse­rem Ver­ständ­nis der Ein­heit in der Viel­falt, das ein gewis­ses Maß an Ein­zig­ar­tig­keit und Unab­hän­gig­keit ver­schie­de­ner Ein­hei­ten zuläßt, die jedoch durch gemein­sa­me Inter­es­sen oder Anlie­gen ver­eint sind. Aber sowohl Har­mo­nie als auch Ein­heit ste­hen sicher­lich im Wider­spruch zu der Kul­tur der Herr­schaft und Selbst­herr­lich­keit, die die heu­ti­ge poli­ti­sche Welt zu begün­sti­gen scheint.

Spa­da­ro: Bei der Ankunft in Peking fand in der Kathe­dra­le des Aller­hei­lig­sten Erlö­sers eine Gebets­stun­de mit Bischof Li Shan statt. Vor dem Altar stand ein Bild des Jesui­ten­pa­ters Matteo Ric­ci, der im 16. und 17. Jahr­hun­dert in Chi­na mis­sio­nier­te. Ist sein Andenken in Chi­na leben­dig? Was kann sei­ne Leh­re für die Kir­che in Chi­na heu­te sein?

Bischof Chow: Matteo Ric­ci ist in Chi­na immer noch bekannt und geach­tet, sowohl inner­halb als auch außer­halb der Kir­che. Er wird von den Katho­li­ken in Chi­na hoch geach­tet, und auch unter den chi­ne­si­schen Intel­lek­tu­el­len genießt er hohes Anse­hen. Selbst Prä­si­dent Xi hat Ric­ci in einer sei­ner Reden vor der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft gewür­digt. Die Ernen­nung von Matteo Ric­ci zum ehr­wür­di­gen Die­ner Got­tes wur­de sehr gün­stig auf­ge­nom­men. Und wir beten für sei­ne Selig- und Hei­lig­spre­chung, die in Chi­na zwei­fel­los freu­di­gen Bei­fall fin­den wird.
Noch heu­te erin­nert man sich in Chi­na ger­ne an Matteo Ric­cis Leh­ren über Freund­schaft, Inkul­tu­ra­ti­on des Chri­sten­tums, Dia­log zwi­schen Part­nern und Über­brückung zwei­er Kulturen.

Spa­da­ro: Kann man gleich­zei­tig ein guter Bür­ger und ein guter Christ sein, und soll­ten Chri­sten patrio­tisch sein und ihr Land lieben?

Bischof Chow: Wie ich kürz­lich in einem Arti­kel mit dem Titel „Unser Land lie­ben oder was?“ geschrie­ben habe, ist die Lie­be zu unse­rem Land Teil der Leh­re der katho­li­schen Kir­che. Aus­gangs­punkt ist die bekann­te Aus­sa­ge Jesu: „Gebt dem Kai­ser, was dem Kai­ser gehört, und Gott, was Gott gehört“ (Mk 12,17). Dies impli­ziert, daß für uns, Bür­ger und Chri­sten, bei­de Berei­che not­wen­dig sind und sich nicht gegen­sei­tig aus­schlie­ßen. Im Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che heißt es in Absatz 2239: „Pflicht der Bür­ger ist es, gemein­sam mit den Behör­den im Geist der Wahr­heit, Gerech­tig­keit, Soli­da­ri­tät und Frei­heit zum Wohl der Gesell­schaft bei­zu­tra­gen. Die Hei­mat­lie­be und der Ein­satz für das Vater­land sind Dan­kes­pflich­ten und ent­spre­chen der Ord­nung der Lie­be. Gehor­sam gegen­über den recht­mä­ßi­gen Auto­ri­tä­ten und Ein­satz­be­reit­schaft für das Gemein­wohl ver­lan­gen von den Bür­gern, ihre Auf­ga­be im Leben der staat­li­chen Gemein­schaft zu erfül­len“.
Was ist der größ­te Reich­tum eines Lan­des? Zwei­fels­oh­ne sei­ne Men­schen. Sein Land zu lie­ben bedeu­tet daher, die Men­schen zu lie­ben, die in ihm leben, ins­be­son­de­re sei­ne Bür­ger und Ein­woh­ner. Was die Kir­che betrifft, so soll­ten ihr größ­ter Reich­tum in die­ser Welt nicht die kirch­li­chen Gebäu­de sein, son­dern das Volk Got­tes. Die Lie­be erfor­dert kon­kre­te Sub­jek­te, sie kann sich nicht mit Begrif­fen begnü­gen. Unser Land zu lie­ben bedeu­tet daher, daß die Wür­de der Men­schen an erster Stel­le ste­hen muß. Ich glau­be, daß jede ver­ant­wor­tungs­be­wuß­te Regie­rung die­sen Auf­trag im Auge behal­ten muß, auch wenn die gewähl­ten Ansät­ze auf­grund ver­schie­de­ner äuße­rer Fak­to­ren vari­ie­ren kön­nen.
Das heißt, die Men­schen kön­nen ein „gutes“ Leben füh­ren, wenn ihre Regie­rung ihren Auf­trag erfüllt. Tut sie das nicht, ist das Gegen­teil der Fall. Eine Offen­heit für den Dia­log zwi­schen Regie­rung und Kir­che ist daher wün­schens­wert. Um des Lan­des wil­len müs­sen wir der Regie­rung hel­fen, bes­ser zu werden.

Spa­da­ro: Vor wel­chen Her­aus­for­de­run­gen steht die Kir­che in Hong­kong? Sie und Kar­di­nal Pie­tro Paro­lin haben sie als eine „Brücken­kir­che“ bezeich­net. In wel­chem Sinne?

Bischof Chow: Ich habe bei meh­re­ren Gele­gen­hei­ten gesagt, daß es nichts Roman­ti­sches hat, eine Brücke zu sein. Damit eine Brücke ihren Zweck erfüllt, müs­sen die Men­schen über sie gehen, und auch die Autos müs­sen über sie fah­ren. Andern­falls wür­de der Bau einer Brücke über­haupt kei­nen Sinn machen. Die Her­aus­for­de­rung besteht also dar­in, daß wir uns Angrif­fen und Kri­tik von vie­len Sei­ten stel­len müs­sen. Es gibt die­je­ni­gen, die ihre Inter­es­sen und Anlie­gen durch die Über­brückungs­ab­sich­ten beein­träch­tigt sehen. Ich ver­ste­he die­se Befürch­tun­gen und füh­le mit denen mit, die sie wahr­neh­men. Die Alter­na­ti­ve wäre, nichts zu tun und den Sta­tus quo bei­zu­be­hal­ten, ohne die Mög­lich­keit, zuzu­hö­ren und zu ver­ste­hen. Das aber impli­ziert tie­fes Miß­trau­en und offen­si­ve Hand­lun­gen gegen die­je­ni­gen, die als „böse“ wahr­ge­nom­men wer­den.
Die größ­te Her­aus­for­de­rung für eine „brücken­schla­gen­de Kir­che“ besteht daher dar­in, die unter­schied­li­chen und gegen­sätz­li­chen Par­tei­en mit­ein­an­der zu ver­bin­den und ihnen zu hel­fen, sich selbst als Men­schen zu sehen, die bereit sind, gehört und ver­stan­den zu wer­den. Ihnen zu hel­fen, der ande­ren Sei­te mit Respekt und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen zuzu­hö­ren, in der Hoff­nung, daß dies ihr Unbe­ha­gen mil­dert und/​oder die Zusam­men­ar­beit fördert.

Spa­da­ro: Papst Fran­zis­kus hat wie­der­holt sei­ne Lie­be zu Chi­na bekun­det und auch den Wunsch geäu­ßert, dort­hin zu rei­sen. Wie wird er in dem Land wahrgenommen?

Bischof Chow: Vie­le Katho­li­ken emp­fin­den Ehr­furcht vor dem Hei­li­gen Vater und schät­zen, was er für die Kir­che in Chi­na tut. Die Bischö­fe, die ich wäh­rend die­ser Rei­se getrof­fen habe, sind ihm gegen­über posi­tiv ein­ge­stellt. Aber die­je­ni­gen, die gegen das pro­vi­so­ri­sche Abkom­men sind, schei­nen gegen­über Papst Fran­zis­kus ziem­lich vor­ein­ge­nom­men zu sein.
Es gibt kei­ne Sta­ti­sti­ken über das Ver­hält­nis von Bewun­de­rern und Geg­nern. Aber von dem, was ich gese­hen und gele­sen habe, sowie von der Hal­tung der Katho­li­ken, die ich wäh­rend der Rei­se getrof­fen habe, wür­de ich sagen, daß eine gro­ße Mehr­heit der Katho­li­ken in Chi­na Papst Fran­zis­kus gegen­über loy­al ist und hofft, daß das pro­vi­so­ri­sche Abkom­men wün­schens­wer­te Ver­än­de­run­gen für ihre Kir­che brin­gen wird, ein­schließ­lich eines Tref­fens zwi­schen Papst Fran­zis­kus und Prä­si­dent Xi.
Auch die chi­ne­si­sche Regie­rung hat gro­ßen Respekt vor Papst Fran­zis­kus. Ihre Mit­glie­der schät­zen vor allem sei­ne Auf­ge­schlos­sen­heit und Inklu­si­vi­tät. Sei­ne Lie­be für die Mensch­heit als Gan­zes steht im Ein­klang mit den Wer­ten, die Prä­si­dent Xi ver­tritt, wenn er den Wunsch äußert, die Mensch­heit möge eine „Gemein­schaft mit einer gemein­sa­men Zukunft“ sein. Ange­sichts der Tat­sa­che, daß Papst Fran­zis­kus sei­ne Lie­be zum chi­ne­si­schen Volk und sei­ne Hoff­nung auf einen Besuch in Chi­na zum Aus­druck gebracht hat, wäre es nicht ver­wun­der­lich, wenn die chi­ne­si­sche Regie­rung die­sen Wunsch auch in die Tat umset­zen möch­te. Beten wir dafür, daß das gesche­hen wird, nicht nur für Papst Fran­zis­kus oder für Chi­na, son­dern für die gan­ze Welt.

Spa­da­ro: Papst Fran­zis­kus för­dert einen Weg der Syn­oda­li­tät in der Kir­che und lädt alle ihre Mit­glie­der ein, auf­ein­an­der zu hören und dar­über hin­aus zu ler­nen, auf den Hei­li­gen Geist zu hören, der uns auf unse­rem Weg führt. In Ihrer Pre­digt in der Kathe­dra­le des Aller­hei­lig­sten Erlö­sers sag­ten Sie, daß der Hei­li­ge Geist der Gott der Ein­heit und nicht der Spal­tung ist. Wie kann die­se Intui­ti­on die Zusam­men­ar­beit und einen inten­si­ve­ren Aus­tausch in der Gemein­schaft der Lie­be inner­halb der Kir­che in Chi­na fördern?

Bischof Chow: Es bleibt abzu­war­ten, ob mei­ne Pre­digt die Zusam­men­ar­beit und einen inten­si­ve­ren Aus­tausch in der Lie­bes­ge­mein­schaft inner­halb der Kir­che in Chi­na anre­gen wird. Aber das The­ma Syn­oda­li­tät wur­de bei den Tref­fen mit ver­schie­de­nen Kir­chen­lei­tern und Insti­tu­tio­nen wäh­rend unse­rer Rei­se deut­lich ange­spro­chen und schien gut auf­ge­nom­men zu wer­den. Wie sie prak­ti­ziert wird, hängt jedoch vom loka­len Kon­text ab. Wir alle müs­sen ler­nen und ver­ste­hen, was Syn­oda­li­tät für uns in unse­rem kul­tu­rel­len und sozio­po­li­ti­schen Kon­text bedeu­tet.
Eines kann ich jedoch mit Sicher­heit sagen: Die Zusam­men­ar­beit und der Aus­tausch zwi­schen den Diö­ze­sen Peking und Hong­kong wer­den fort­ge­setzt und ver­tieft. Da sowohl die Bischö­fe als auch die Regie­rung mich ermu­ti­gen, ande­re Diö­ze­sen auf dem chi­ne­si­schen Fest­land zu besu­chen, sehe ich dies als eine Ein­la­dung, unse­re Syn­oda­li­tät mit der Kir­che in Chi­na wei­ter auszubauen.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Bis­tum Hong­kong über La Civil­tà Cat­to­li­ca (Screen­shot)

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