(Abu Dhabi) Das Haus der Abrahamitischen Familie, ein umstrittenes Bauprojekt, das mit der Schaffung einer Welteinheitsreligion in Zusammenhang gebracht wird, wurde am 16. Februar seiner Bestimmung übergeben. Das interreligiöse Projekt besteht aus drei völlig gleichwertig gestalteten kubischen Gebäuden: einer Moschee, einer Synagoge und einer Kirche, die durch einen Park und ein unterirdisches interreligiöses Zentrum miteinander verbunden sind. Das Projekt soll eine „abrahamitische“ Einheit der drei Weltreligionen zum Ausdruck bringen. Es ist „das Ergebnis“ des sogenannten Abu-Dhabi-Dokuments von Papst Franziskus, wie es auf der Internetseite des Apostolischen Vikariats Südliches Arabien heißt.
Das „Haus der Abrahamitischen Familie“ ist ein interreligiöses Zentrum im Kulturbezirk Saadiyat in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate), das in einem direkten Zusammenhang mit dem Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen steht, das am 4. Februar 2019 von Papst Franziskus und Ahmad Mohammed al-Tayyeb, dem Großimam von Al-Azhar (Kairo), in Abu Dhabi unterzeichnet wurde.
Dieses Dokument und das Bauprojekt sind Ausdruck des sogenannten „Geistes von Abu Dhabi“ für die Brüderlichkeit aller Menschen. Die Finanzierung erfolgte durch das Wüstenemirat, doch zu den treibenden Kräften hinter dem „Geist von Abu Dhabi“ gehört Papst Franziskus. Die Initiativen für die „Brüderlichkeit aller Menschen“ sollen laut Initiatoren „das friedliche Zusammenleben der Völker fördern und den Extremismus bekämpfen“.
Das Gesamtprojekt vertritt eine gemeinsame Abstammung von Judentum, Christentum und Islam von Abraham. Christus bleibt dabei der Ungenannte. Nach der Unterzeichnung des Dokuments über die Brüderlichkeit aller Menschen, das der österreichische Philosoph Josef Seifert, die „Häresie aller Häresien“ nannte, errichtete Papst Franziskus im August 2019 ein Hohes Komitee für die Brüderlichkeit aller Menschen zur Umsetzung des Dokuments.
Dieses Komitee stellte im Herbst 2019 ein gigantisches Bauprojekt vor, zu dem der erste Spatenstich gleich darauf erfolgte. Die Initiative dazu ging von der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate aus. Das führende Emirat Abu Dhabi stellte den Baugrund zur Verfügung und sichert die Finanzierung.
Am 3. Oktober 2020 unterzeichnete Papst Franziskus in Assisi seine dritte Enzyklika Fratelli tutti (Alles Brüder), die als eine Art politisches Testament des derzeitigen Pontifikats zu verstehen ist.
Die Reichweite des Gesamtprojekts namens „Brüderlichkeit aller Menschen“ zeigte sich, als im Dezember 2020 die UNO-Generalversammlung den 4. Februar, den Tag der Unterzeichnung des Abu-Dhabi-Dokuments, zum Internationalen Tag der Brüderlichkeit aller Menschen erklärte. Der Antrag dazu war die erste Initiative des Hohen Komitees für die Brüderlichkeit aller Menschen gleich nach seiner Konstituierung. Am 4. Februar 2021 wurde der Internationale Tag der Brüderlichkeit aller Menschen zum ersten Mal begangen.
Am Donnerstag, dem 16. Februar 2023, wurde der inzwischen fertiggestellte Gebäudekomplex von Scheich Saif bin Zayid al-Nahyan, stellvertretender Premierminister und Innenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, und Scheich Nahyan bin Mubarak al-Nahyan, Minister für Toleranz und Zusammenleben, offiziell eröffnet. Beide gehören der Herrscherfamilie des Emirats Abu Dhabi an, die auch das Staatsoberhaupt in den Vereinigten Arabischen Emiraten stellt. Der amtierende Emir von Abu Dhabi und Staatspräsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayid al-Nahyan, gilt als maßgeblicher Kopf hinter dem Gesamtprojekt. Er hatte schon 2019, damals noch als Kronprinz, die Vorbereitungen zum Bauprojekt und zur Unterzeichnung des Dokuments von Abu Dhabi durch Papst Franziskus und Großimam al-Tayyeb geleitet.
Mohammed bin Zayid al-Nahyan wurde beim Tod seines Vaters 2004 zum Kronprinzen des Emirats. Seit Mai 2022 ist er Emir von Abu Dhabi und Staatsoberhaupt der Vereinigten Arabischen Emirate, die sieben Golfemirate umfassen. Faktisch hatte er aber bereits seit 2014 für seinen Halbbruder die Amtsgeschäfte geführt, nachdem dieser einen Schlaganfall erlitten hatte. Nach dessen Tod im Vorjahr trat er offiziell die Nachfolge an. Zur Eröffnung des Hauses der Abrahamitischen Religionen vergangene Woche, an der er nicht persönlich teilnahm, schrieb der Emir auf Twitter, daß Abu Dhabi „eine stolze Geschichte von Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften ist, die zusammenarbeiten, um neue Möglichkeiten zu schaffen“.
Das errichtete Zentrum, das künftig im Kulturbezirk neben Ablegern des Guggenheim-Museums und des Pariser Louvre zu den Attraktionen in den Golfemiraten zählen soll, beherbergt eine Kirche, die gemäß den Vorstellungen der Herrscherfamilie Papst Franziskus gewidmet ist. Neben der Ahmad-al-Tayyeb-Moschee und der Moses-Maimonides-Synagoge gibt es offiziell die Papst-Franziskus-Kirche („His Holiness Francis Church“). Da eine solche Widmung für die katholische Kirche nicht denkbar ist, hat das kubische Gotteshaus kirchlicherseits den heiligen Franz von Assisi zum Patron bekommen. Die Moschee ist hingegen nach dem anderen Unterzeichner des Abu-Dhabi-Dokuments Großimam Ahmad al-Tayyeb benannt, die Synagoge nach dem berühmten mittelalterlichen Rabbi Moses Maimonides (1138–1204). Die Straße, an der sich die Gesamtanlage befindet, trägt den Namen des früheren französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac.
Nach der Eröffnung am 16. Februar fand gleich am nächsten Tag in der Moschee das erste islamische Freitagsgebet statt, am Samstag wurde in der Synagoge der Sabbat gefeiert und am Sonntag, dem 19. Februar, erfolgte in der Kirche ein Wortgottesdienst, worüber das Apostolische Vikariat Südliches Arabien berichtete. Bei diesem wurde Papst Franziskus durch Kardinal Michael L. Fitzgerald, den ehemaligen Vorsitzenden des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, vertreten. Laut der Emirates News Agency lobte der Kardinal den interreligiösen Baukomplex als „ein konkretes Beispiel für Menschen verschiedener Religionen, Kulturen, Traditionen und Überzeugungen, um zum Wesentlichen zurückzukehren: der Nächstenliebe“.
Anwesend war auch Bischof Paolo Martinelli, der Apostolische Vikar für Südarabien. Msgr. Martinelli sagte die bemerkenswerten Worte:
„Wir sind in eine neue Phase in der Geschichte der Religionen eingetreten.“
Und weiter:
„Mit dem Dokument von Abu Dhabi über die Brüderlichkeit aller Menschen, einem prophetischen und weitsichtigen Dokument, werden die Religionen in ihrer ursprünglichen Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zum gemeinsamen Beitrag zur Bildung einer humaneren Welt, in der wir uns alle als Brüder und Schwestern anerkennen, dargestellt. Wir sind aufgerufen zur Brüderlichkeit, zur Koexistenz und Toleranz, zur gegenseitigen Akzeptanz und zur Förderung von Gerechtigkeit und Frieden.“
Die Kirche bezeichnete Msgr. Martinelli als „Geschenk an Papst Franziskus“. Zugleich nannte er den heiligen Franz von Assisi als „Heiligen der Brüderlichkeit aller Menschen, des Friedens und der Versöhnung“ und als „Heiligen der Bewahrung der Schöpfung“.
Martinelli ging soweit, zu erklären:
„Seine Heiligkeit Papst Franziskus wollte den Namen dieses großen Heiligen annehmen, um gerade an den Wert der Brüderlichkeit, des Friedens und der Schöpfung zu erinnern.“
Wollte er damit sagen, das Abu-Dhabi-Projekt sei nicht erst im Vorfeld der Unterzeichnung des gleichnamigen Dokuments 2019, sondern bereits im Vorfeld der Papstwahl entstanden?
In der Tat startete Papst Franziskus die Video-Initiative „Das Video vom Papst“ zu den päpstlichen Gebetsanliegen im Januar 2016 mit einem Video, das ihm den Vorwurf einbrachte, den Synkretismus zu fördern. Wenige Monate später, im April 2016, erklärte Franziskus beim Earth Day der Fokolarbewegung in Rom, es sei „nicht wichtig“, welcher Religion man angehöre. Wichtig sei, daß alle zusammenarbeiten und sich gegenseitig respektieren.
Hinter „Abu Dhabi“ ist demnach ein roter Faden erkennbar, der sich durch das derzeitige Pontifikat hindurchzieht. Dieser Faden hat seinen Ausgangspunkt, wie die Historikerin Cristina Siccardi 2019 in einer Analyse betonte, im Dokument Nostra aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Ursprünglich sollte die Fertigstellung des Tempelkomplexes bereits 2022 erfolgen, dauerte durch unvorhergesehene Verzögerungen aber länger als geplant.
Kritiker, wie der genannte Philosoph Josef Seifert und die Historikerin Cristina Siccardi, sehen einen bedenklichen Zusammenhang mit der schlechtesten Form des umstrittenen „Geistes von Assisi“ und dem nunmehrigen „Geist von Abu Dhabi“. 1986 war auf Initiative der katholischen Gemeinschaft von Sant’Egidio zu einem interreligiösen Gebetstreffen nach Assisi geladen worden, an dem neben Vertretern zahlreicher Religionen auch Papst Johannes Paul II. teilnahm. Die unausgegorene Sache endete in einem synkretistischen und sakrilegischen Greuel. Dennoch wurde am „Geist von Assisi“ festgehalten. Laut Cristina Siccardi führt der Weg nach Abu Dhabi über Assisi. Dabei gehe es aber nicht um den Geist des heiligen Franz von Assisi. Dieser Heilige werde lediglich als Aushängeschild mißbraucht für die synkretistische Idee einer Welteinheitsreligion. Damit handle es sich bei der ganzen Sache weniger um Religion, sondern vielmehr um ein politisches Projekt.
Die neue Franziskuskirche auf der Insel Saadiyat findet sich auf der Internetseite des von Msgr. Martinelli geleiteten Apostolischen Vikariats Südliches Arabien nicht, untersteht also nicht diesem, sondern dem Träger des muslimisch-jüdisch-christlichen Gesamtkomplexes. Die Internetseite listet für die Vereinigten Emirate neun Kirchen auf, darunter die St.-Josephs-Kathedrale als Bischofskirche in Abu Dhabi. Die Weihe der neuen Kubus-Kirche steht noch aus. Sie findet „später statt, danach können die Sakramente in der Kirche gespendet werden“, so das Apostolische Vikariat Südliches Arabien.
90 Prozent der Einwohner der Vereinigten Arabischen Emirate sind Ausländer. Das hängt damit zusammen, daß die Emire die Petrodollars in anderen Geschäftszweigen wie Tourismus, Finanz- und IT-Branche investiert haben. Der Großteil der Gastarbeiter stammt zwar aus anderen arabischen Staaten, eine sehr starke Gruppe aber auch aus Süd- und Südostasien. Die Emire stehen damit einer wachsenden Zahl von Menschen gegenüber, die aus anderen islamischen Traditionen stammen oder überhaupt anderen Religionen angehören, darunter zahlreiche Katholiken von den Philippinen.
Die unter den sieben Emiraten führende Herrscherfamilie al-Nahyan reagiert auf diese ungewöhnliche Bevölkerungssituation mit einer zur Schau getragenen Toleranz, um die innere Stabilität des Landes und ihrer Herrschaft nicht zu gefährden. Die ideologische Grundlage, die sie dieser Toleranz zu geben versucht, reicht jedoch weit über die Duldung der Religion ihrer Gastarbeiter hinaus. In diesem Zusammenhang wird wiederholt darauf hingewiesen, daß die Idee einer Welteinheitsreligion durch Relativierung der Religionen auf die Freimaurerei zurückgeht. Der Tempelkomplex von Abu Dhabi ist ein großer Schritt in diese Richtung, dessen Eröffnung Bischof Martinelli als Eintritt in eine „neue Phase in der Geschichte der Religionen“ bezeichnete.
Das nächste Projekt der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate wird der Bau eines hinduistischen Tempels sein. Jüngst lobte das US-Außenministerium in einem Bericht, daß islamische Imame in den Vereinigten Emiraten „streng überwacht“ und ihre Predigten beim Freitagsgebet „streng kontrolliert“ werden. Der Versuch, Muslime zu missionieren, wird zugleich mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: forhumanfraternity.org/Corrispondenza Romana/avosa.org (Screenshots)