(Rom) Offizielle Bemühungen um eine Annäherung zwischen Kirche und Loge gibt es seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Manchen gehen sie zu wenig weit, andere sehen die Grenze zum Unsittlichen längst überschritten. Ein Beispiel für diese Grenzüberschreitung lieferte Msgr. Francesco Soddu, Bischof von Terni, der am 27. September an der Eröffnung des Freimaurerhauses des Großorients von Italien teilnahm.
Der aus Sardinien stammende Soddu wurde 1985 für das Erzbistum Sassari zum Priester geweiht. Er wurde Regens des erzbischöflichen Priesterseminars, diözesaner Caritas-Direktor und 2012 schließlich Direktor der Caritas Italien.
Am 29. Oktober 2021 wurde Msgr. Soddu von Papst Franziskus zum Bischof von Terni-Narni-Amelia ernannt und empfing am 5. Januar die Bischofsweihe.
Die Freimaurerei gliedert sich in zwei große Strömungen, die reguläre oder englische Freimaurerei und die irreguläre oder romanische Freimaurerei. Letztere entstand 1773 durch die Gründung des Großorients von Frankreich. Formal besteht der wesentliche Unterschied darin, daß die englische Freimaurerei in ihren Konstitutionen noch ein christliches Bekenntnis voraussetzt (das allerdings 1929 zu einem theistischen und 1989 gar nur mehr zu einem deistischen Bekenntnis abgeschwächt wurde), während die romanische Freimaurerei jede Form eines Gottesbezuges ablehnt.
Konkret bedeutete das, daß die romanische Freimaurerei, die in den katholischen Staaten entstand, radikal kirchenfeindlich war. Ihr Kampf zur Verdrängung der Kirche aus dem öffentlichen Leben zieht sich als roter Faden durch ihre Geschichte – bis zum heutigen Tag. Die englische Freimaurerei vermittelt daneben einen nobleren Eindruck, da ihr die antiklerikale Spitze zu fehlen scheint. Dem ist aber nur so, weil die katholische Kirche in Britannien bereits im 16. Jahrhundert beseitigt worden war, es also keine Notwendigkeit einer antiklerikalen Spitze mehr gab. Daraus folgt, daß es in Wirklichkeit nicht zwei oder mehrere Freimaurereien gibt, sondern nur eine, der dasselbe Denken entspricht, das dem der Kirche widerspricht.
Alles nur ein Mißverständnis?
Am 27. September fand in der Via Roma von Terni die Eröffnung des neuen Freimaurerhauses des Großorients von Italien statt. Aus diesem Anlaß wurde ein Tag der offenen Tür veranstaltet, zu dem sich neben den Freimaurern der Stadt auch Großmeister Stefano Bisi einfand, um das Band zu durchschneiden, mit dem die Eröffnung zelebriert wurde. Bisi wurde in Terni von den höchsten Vertretern begrüßt, vom Bürgermeister, als erstem Bürger der Stadt, vom Präfekten, als höchstem Repräsentanten des Staates, und … vom Bischof als Vertreter der Kirche. Der Bischof von Terni, Msgr. Francesco Soddu, war zweifelsfrei der Bedeutendste unter den Ehrengästen. Er bedankte sich in seinen Grußworten überschwenglich für die Einladung und brachte seine besten Wünsche zum Ausdruck, daß Initiativen wie diese den „Dialog und den Austausch zwischen unterschiedlichen Realitäten befördern und die Vorurteile besiegen mögen“.
Alle Annäherungsversuche zwischen Kirche und Loge seit Ende der 60er Jahre lassen sich in der Begründung zusammenfassen, die kirchliche Verurteilung der Freimaurerei seit deren Gründung im Jahr 1717 sei nur die Folge von Mißverständnissen gewesen. Der Historiker und Franziskanerpater Paolo Maria Siano, einer der besten Kenner der Freimaurerei, liefert hingegen unermüdlich Belege für die Unvereinbarkeit von Kirche und Loge und stützt sich dabei ausschließlich auf freimaurerische Quellen. Die Freimaurerei wurde zum Hort eines alten Feindes der Kirche, der Gnosis. In ihr finden sich von Anfang an starke Elemente der Esoterik und auch des Satanismus. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Entsprechend groß war die Genugtuung der Logenbrüder, Bischof Soddu im neuen Freimaurerhaus begrüßen zu können.
Widersprüchliche Positionen
Diese Annäherung wird von höchster kirchlicher Stelle unterstützt. Es war Kardinal Gianfranco Ravasi, der Vorsitzende des Päpstlichen Kulturrates, der sich am 14. Februar 2016 mit einem offenen Brief an die „Lieben Brüder Freimaurer“ wandte. Der Brief wurde, großzügigerweise, von der führenden italienischen Wirtschaftszeitung Il Sole 24Ore vollinhaltlich abgedruckt. Aus dem Vatikan erfolgte keine Klarstellung, kein Hinweis auf die Präzisierung der Glaubenskongregation von 1983 unter ihrem damaligen Präfekten Joseph Kardinal Ratzinger, daß es Katholiken verboten ist, einer Loge beizutreten. Wer es dennoch tut, verfällt der Exkommunikation.
Mehr noch: Papst Johannes Paul II. ließ 1981 den damaligen Glaubenspräfekten Franjo Kardinal Šeper und dann dessen Nachfolger Joseph Kardinal Ratzinger auf die Frage, ob die Exkommunikation durch das Zweite Vatikanische Konzil und den neuen Codex des Kirchenrechts hinfällig geworden sei, antworten:
„Autoritäten der Ortskirche steht es nicht zu, sich über das Wesen freimaurerischer Vereinigungen in einem Urteil zu äußern, das das oben Bestimmte außer Kraft setzt, und zwar in Übereinstimmung mit der Erklärung dieser Kongregation vom 17. Februar 1981.“
Kardinal Ravasi überging in seinem offenen Brief diese Stellungnahmen der Glaubenskongregation, während er auf das Zweite Vatikanische Konzil und den Codex des Kirchenrechts verwies. Damit folgte er jenen freimaurerfreundlichen Kirchenkreisen, die unverdrossen behaupten, es gebe heute weder ein Verbot, Logenmitglied zu werden, noch ziehe die Mitgliedschaft die Exkommunikation nach sich. Ein bekannter Vertreter dieser Richtung ist der Wiener Dompfarrer Toni Faber.
1983 stellte Kardinal Ratzinger als Glaubenspräfekt mit der Autorität von Johannes Paul II. fest:
„Das negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen bleibt also unverändert, weil ihre Prinzipien immer als unvereinbar mit der Lehre der Kirche betrachtet wurden und deshalb der Beitritt zu ihnen verboten bleibt. Die Gläubigen, die freimaurerischen Vereinigungen angehören, befinden sich also im Stand der schweren Sünde und können nicht die heilige Kommunion empfangen.“
Nachdem in der ersten Nachkonzilszeit freimaurerfreundliche Kirchenmänner auf der einen und Freimaurer auf der anderen Seite sich bereits Hoffnungen gemacht hatten, daß der epochale Gegensatz demnächst überwunden werden könne, erfolgte mit der Wahl von Papst Johannes Paul II. und der Berufung von Kardinal Ratzinger zum Glaubenspräfekten eine abrupte Wende, die diese Pläne zunichte machte.
Gewünschte Annäherung
Der Vorfall von Terni ist zwar nicht der erste seiner Art, stellt aber einen neuen Tabubruch dar. 2011 war es zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen, als die Großloge von Frankreich ein neues Logenhaus in Lyon errichtete, und zur Freude der Freimaurer und zum Entsetzen der Katholiken Bischofsvikar Emmanuel Payen daran teilnahm – in Vertretung von Philippe Kardinal Barbarin, dem damaligen Erzbischof von Lyon.
Alain-Noël Dubard, der Großmeister der Großloge von Frankreich, rühmte zunächst Lyon als „nicht-dogmatische, offene Stadt“, um dann die Anwesenheit von Msgr. Payen auszunutzen für die Behauptung, diese widerlege „den Mythos vom Mißtrauen, das zwischen Freimaurerei und Kirche herrsche“.
In Italien war der offene Brief von Kardinal Ravasi die Initialzündung für eine Annäherungs-Eskalation, nachdem wenige Tage vor der Veröffentlichung des Ravasi-Briefes La Croix, die Tageszeitung der französischen Bischöfe, gefordert hatte, daß es keine Exkommunikation mehr für Freimaurer geben solle.
Am 12. November 2017 fand anläßlich der 300-Jahrfeiern der Freimaurerei in Syrakus eine vom Großorient von Italien ausgerichtete Tagung „Kirche und Freimaurerei – so nahe, so fern?“ statt. Hauptredner war Msgr. Antonio Staglianò, der Bischof von Noto. Die Frage, warum diese Tagung mit der aufwertenden Teilnahme eines Bischofs stattfand, blieb jenseits allgemeiner Appelle zum Dialog unbeantwortet.
Am 18. Mai 2019 feierte die Loge Nr. 119 „Benedetto Cairoli“ des Großorients von Italien ihr 150jähriges Bestehen. Überraschender Ehrengast war Erzbischof Riccardo Fontana von Arezzo. Das Bild, wie sich Freimaurer-Großmeister Stefano Bisi und der Erzbischof umarmen, begeisterte in Logenkreisen.
Terni bedeutet die vorerst letzte Steigerungsstufe: Erstmals war ein Diözesanbischof bei der Eröffnung eines Freimaurertempels anwesend, wenn auch nur an der äußeren Feier. Die Eröffnung der beiden im Freimaurerhaus untergebrachten Logentempel wird von den Freimaurern durch ein eigenes Ritual hinter verschlossenen Türen vollzogen, indem durch die Großloge „das Licht eingebracht“ wird, das den Beginn der „rituellen Arbeiten“ der Logenbrüder anzeigt.
Die Apostasie der Bischöfe
Im Zusammenhang mit Terni erinnerte der Historiker Roberto de Mattei in einem Beitrag für Radio Roma libera (Radio Freies Rom) an das 1968 erschienene Buch von Jean Madiran: „L’hérésie du XXe siècle“ („Die Häresie des 20. Jahrhunderts“). Madiran meinte damit die Bischöfe, nämlich die häretischen oder häretisierenden Positionen, die von Bischöfen, besonders den französischen, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vertreten wurden. Sie gaben dem Denken der Welt nach, weil sie der Überzeugung waren, so Madiran, sich der Moderne öffnen und den überlieferten Glauben hinter sich lassen zu müssen, denn die gesellschaftliche Entwicklung mache auch eine Änderung des Verständnisses des von Christus gebrachten Heils notwendig.
Madirans Analyse, so de Mattei, habe nach über einem halben Jahrhundert nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Allerdings sei heute „nicht mehr so sehr von einer Häresie, sondern von einer Apostasie der Bischöfe, einer umfassenden Leugnung des katholischen Glaubens“ zu sprechen. Das zeige sich nicht nur durch Häresien und Irrtümer, die unter den Bischöfen verbreitet sind, sondern auch in einer grundsätzlichen Haltung der Gesten und Worte von starker symbolischer Bedeutung.
„Eine der ersten Handlungen des neuen Bischofs von Terni bestand also darin, einen Sitz der Freimaurerei zu besuchen, einer in unzähligen Dokumenten von der Kirche verurteilten Geheimorganisation, die eine Weltsicht vertritt, die jener der Kirche diametral entgegengesetzt ist.“
De Mattei verdeutlicht den Widerspruch:
„Das soeben eröffnete Freimaurerhaus von Terni wird ein Ort sein, an dem der Freimaureranwärter die katholische Kirche aufgeben wird, um in eine antichristliche Sekte aufgenommen zu werden, in der er seine Seele verlieren wird.“
Alle Menschen sind „Brüder“, sogar „Kinder Gottes“, denn es ist „nicht wichtig“, welcher Religion man angehört, denn schließlich ist sogar die Verurteilung der Freimaurerei nur ein historisches Mißverständnis, das durch das Zweite Vatikanische Konzil und den neuen Codex des Kirchenrechts überwunden wurde. Oder doch nicht? Es ist dieser Relativismus, der sich durch das derzeitige Pontifikat zieht, der Vorfälle wie den in Terni möglich macht. Diese Haltung ist nicht weit entfernt von den ersten Konstitutionen der Freimaurerei von 1717, die sich seit ihrem Ursprung als eine Ideologie präsentiert, die jede religiöse und moralische Wahrheit ausschließt, indem sie die traditionellen Religionen auf subjektive Meinungen reduziert.
Was sich im übrigen die Logenbrüder wünschen, brachten sie in der 1818 verfaßten Instruktion der Alta Vendita zu Papier:
„Wir haben nicht vor, die Päpste für unsere Sache zu gewinnen, sie zu Neueingeweihten unserer Prinzipien, zu Verbreitern unserer Ideen zu machen. Das wäre ein lächerlicher Traum (…). Was wir verlangen, was wir suchen und erwarten müssen, wie die Juden den Messias erwarten, ist ein Papst nach unseren Bedürfnissen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Il Sussidiario (Screenshots)