
(Rom) Papst Franziskus bezeichnete beim gestrigen Angelus die morgen beginnende Reise zum Kongreß der Führer der Weltreligionen in Nur-Sultan als „Pilgerreise des Friedens“. Zuvor hatte er bereits seinen Kanada-Besuch als „Wallfahrt der Sühne“ bezeichnet. Vatikanisten spekulieren darüber, ob nun jede Reise des Papstes, eine besondere „Etikettierung“ erfahren wird. Fraglicher ist die Bezeichnung aller jüngsten Papstbesuche als „Pilgerreisen“. Noch mehr Fragen aber wirft die Teilnahme des Kirchenoberhaupts am Congress of Leaders of World and Traditional Religions auf.
Der Heilige Stuhl selbst spricht offiziell konsequent von „Apostolischen Reisen“. Aus diplomatischen Gründen wird meist von „Pastoralreisen“ gesprochen, um den Vorrang des pastoralen Charakters zu unterstreichen, denn die Reisen führen den Papst, der auch Staatsoberhaupt ist, völkerrechtlich gesehen ins Ausland, was protokollarisch Staatsbesuchen entspricht.
Die Kanada-Reise führte Franziskus zum bedeutendsten Wallfahrtsort der kanadischen Ureinwohner, „First Nations“ genannt, am Lac Ste. Anne im Staat Alberta. Ein vergleichbares Wallfahrtsziel fehlt im Programm der Kasachstan-Reise. Eine Kirche wird Franziskus nur am Donnerstag, dem 15. September, aufsuchen, wenn er sich mit den „Bischöfen, Priestern, Diakonen, Geweihten, Seminaristen und pastoralen Mitarbeitern“ in der Kathedrale der Mutter der immerwährenden Hilfe in Astana (Nur-Sultan) treffen wird. Bei dieser Gelegenheit ist jedoch keine liturgische Handlung vorgesehen.
Metropolit von Astana ist der aus Polen stammende Erzbischof Tomasz Peta. Sein Weihbischof ist Msgr. Athanasius Schneider, ein Rußlanddeutscher, der zu den herausragendsten Gestalten unserer Zeit und zu den akzentuiertesten Kritikern der umstrittenen Agenda des regierenden Papstes zählt. Insgesamt gelten die Bischöfe Kasachstans als Hochburg der Glaubenstreue. 1,5 Prozent der Einwohnerschaft sind römisch-katholisch und werden von 40 Priestern betreut. Die Zahl der lateinischen Christen ist aufgrund von Auswanderung stark rückläufig. Die römischen Katholiken sind fast ausnahmslos Nachkommen der unter Stalin nach Zentralasien deportierten Polen und Deutschen. Seit dem Ende der Sowjetunion findet eine Kasachisierung des Landes statt, die vor allem zu Lasten der Russen und der orthodoxen Kirche geht, insgesamt aber die Europäer und Christen betrifft.
Kongreß der Religionsführer
Grund der Papstreise ist jedoch nicht ein Besuch Kasachstans, sondern die Teilnahme am Congress of Leaders of World and Traditional Religions (Kongreß der Führer der Welt- und traditionellen Religionen). Dieser Kongreß wurde erstmals 2003 ausgerichtet und geht auf eine Initiative des damaligen kasachischen Präsidenten, des autoritär regierenden Nursultan Nasarbajew, zurück. Erstmals wird in den kommenden Tagen ein Papst daran teilnehmen und damit dem Kongreß die höchsten „Weihen“ erteilen. Nasarbajew ließ eigens für den Kongreß eine große Pyramide als Austragungsort errichten. Sie soll ein Symbol der Einheit aller Religionen darstellen. Teilt Papst Franziskus das dahinterstehende Einheitsdenken, das in letzter Konsequenz eine Welteinheitsreligion anstrebt? Vieles spricht dafür:
- Franziskus zeigte sich 2021 „glücklich“ über die Errichtung des Pachamama-Religionsparks in Argentinien;
- betonte mit Nachdruck die „universelle Brüderlichkeit“ aller Menschen, wie sie sich die Freimaurerei seit dem 18. Jahrhundert auf die Fahnen geschrieben hat;
- unterstützt den Bau einer gemeinsamen Tempelanlage der „abrahamitischen“ Religionen in Abu Dhabi;
- beharrt auf der Aussage, daß die Vielfalt der Religionen ein gottgewollter „Reichtum“ sei;
- erklärte, daß „alle“ Kinder Gottes sind und auch Atheisten in den Himmel kommen;
- lehrte, daß mit Blick auf „Mutter Erde“ die Religionszugehörigkeit „nicht wichtig“ sei;
- und den Auftakt dazu machte ein Video vom Papst, das die verschiedenen Religionen durch die Degradierung von Jesus Christus auf eine Stufe stellte.
Da es weltweit kein dem Papst vergleichbares Amt gibt und der Papst die mit bald 1,4 Milliarden Gläubigen weitaus größte Religionsgemeinschaft der Welt anführt, scheinen die Mächtigen seine Führungsfunktion unter den Religionsführern anzuerkennen – und er scheint diese zu akzeptieren. Doch, was bedeutet das?
Die Polemiken rund um die Tatsache, daß der Papst „in die Pyramide gehen“ könnte, führte zu einer Programmänderung. Der Kongreß der Religionsführer wird nicht in der „Pyramide des Friedens und der Eintracht“ stattfinden, sondern im „Palast der Unabhängigkeit“, einem anderen unter Nursultan Nasarbajew erbauten Gebäude der von ihm neu errichteten Hauptstadt. Die Verlegung des Tagungsortes sei „Platzgründen“ geschuldet, die auf die erstmalige Teilnahme des Papstes und das dadurch erhöhte internationale Interesse zurückgehen würden.
Die Zeiten, in denen die Religion durch den atheistischen Furor ausgerottet werden sollte, scheinen vorbei. Allerdings wird Religion von den Mächtigen der supranationalen Agenda nur in einem sehr eingeschränkten und spezifischen Maß anerkannt. Gibt sich Franziskus mit dem Minimalismus einer den Mächtigen nützlichen religiösen Umrahmung zufrieden?
Am Mittwoch, 14. September, werden die versammelten Religionsführer ein „Gebet in Stille“ verrichten. Anschließend wird die Eröffnung des Kongresses folgen. Um die Mittagszeit sind „private Begegnungen mit einigen Religionsführern“ vorgesehen. In den vergangenen Wochen wurde viel darüber spekuliert, ob es bei dieser Gelegenheit zu einem Treffen zwischen Franziskus und dem russisch-orthodoxen Moskauer Patriarchen Kyrill I. kommen wird. In den vergangenen Tagen kamen noch Spekulationen über eine Begegnung zwischen dem Papst und dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping hinzu, der sich am 14. September zu einem Staatsbesuch in Kasachstan aufhalten wird.
Beide Treffen werden jedoch nicht stattfinden. Ende August meldeten russische Medien, daß am Treffen der Religionsführer zwar eine Delegation der russisch-orthodoxen Kirche teilnehmen, aber Patriarch Kyrill I. nicht nach Nur-Sultan reisen wird. „Das lang erwartete Treffen des Patriarchen mit dem Papst findet nicht statt“, berichtete Interfax.
Das Kongreßsekretariat in Nur-Sultan zeigte „Verständnis“, denn eine Begegnung zwischen dem Patriarchen und dem Papst betreffe „nur die Verhandlungen zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche“. Der Kongreß der Religionsführer sei „ein anderes Debattenformat“. Es biete „auch die direkte Beteiligung an Angelegenheiten jenseits des christlichen Glaubens“.
Chinas kommunistischer Machthaber Xi Jinping wird vom vatikanischen Staatssekretariat im Zuge der neuen „Ostpolitik“ umworben. Bereits 2019 war versucht worden, eine Begegnung von „Kaiser Xi“ mit dem Papst herbeizureden. Gleiches gilt auch jetzt. Von chinesischer Seite gibt es keinen vergleichbaren Hinweis.
Schlußerklärung der Religionsführer
Am späteren Nachmittag des 14. Septembers wird Papst Franziskus auf dem Platz der Expo 2017, der Weltausstellung in der damals noch Astana heißenden kasachischen Hauptstadt, eine Messe zelebrieren.
Am Donnerstag, dem zweiten Tag des Kongresses der Religionsführer, wird sich Franziskus am Morgen mit den Jesuiten des Landes treffen, anschließend – wie bereits erwähnt – mit dem Klerus in der Kathedrale. Hauptprogrammpunkt wird um 15 Uhr die Verlesung der Schlußerklärung des Kongresses der Religionsführer sein.
Diese Erklärung wird Aufschluß geben, welchen Konsens die Religionsführer untereinander zu welchen Themen finden, wie sie sich gegenüber der Welt positionieren, und wieviel Spielraum sie sich gegenüber den Mächtigen sichern, oder wie sehr sie sich deren globaler Agenda unterordnen werden. Die Schlußerklärung ist in ihrer Bedeutung nicht überzubewerten, wird jedoch Anhaltspunkte im „großen Spiel“ bieten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikipedia/Vatican.va (Screenshots)