
(Moskau) Metropolit Hilarion von Wolokolamsk, der „Außenminister“ der russisch-orthodoxen Kirche, wurde seines Amtes entbunden. Die Hintergründe sind noch unklar. Damit werden die Vorbereitungen zu einem zweiten Treffen zwischen dem Moskauer Patriarchen und Papst Franziskus ungewisser.
Moskaus Patriarch Kyrill I. löste überraschend Hilarion Alfajew, Metropolit und Bischof von Wolokolamsk, als Vorsitzenden des Außenamtes des Patriarchats ab. Die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtete gestern:
„Der Heilige Synod der Russisch-Orthodoxen Kirche hat Metropolit Hilarion von Wolokolamsk von seinen Pflichten als Vorsitzender der Abteilung für Auslandskirchenbeziehungen des Moskauer Patriarchats entbunden, heißt es in einem Bulletin der Versammlung des Heiligen Synods in Moskau am Dienstag.“
Aus der Meldung des Heiligen Synods:
„Seine Eminenz Hilarion, Metropolit von Wolokolamsk, wird zum Vorsteher der Diözese Budapest und Ungarn und zum Metropoliten von Budapest und Ungarn ernannt und gleichzeitig von seinen Pflichten als Vorsitzender der Abteilung für Auslandskirchenbeziehungen, ständiges Mitglied des Heiligen Synods der Russisch-Orthodoxen Kirche und Rektor des Theologischen Instituts für Postgraduierten-Studien der heiligen Kyrill und Method entbunden.“
„Meine Mutter führte mich zum Glauben“
Der 1966 in Moskau geborene Hilarion entstammt einer Klerikerfamilie. Sein Ururgroßvater war bereits Diakon der Diözese Samara, sein Urgroßvater an der Kathedrale von Samara. Er fiel in den frühen 20er Jahren der kommunistischen Politik zum Opfer. Durch die Sowjetherrschaft wurde der Kirchendienst in der Familie Alfajew unterbrochen. Hilarions Großvater wurde Historiker an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Der Autor mehrerer Bücher ist 1944 im Zweiten Weltkrieg gefallen. Hilarions Vater war promovierter Physiker, seine noch lebende Mutter studierte Journalistik an der Universität Moskau und ist Schriftstellerin und Dichterin. Zuletzt veröffentlichte sie 2015 den Gedichteband „Hosianna“. Die Mutter kam „zuerst zum Glauben“ und führte auch den Sohn dorthin, wie Hilarion selbst sagte:
„Als Schriftstellerin von Beruf führte sie mich in die intellektuelle Arbeit ein, lehrte mich, das Buch zu lieben, öffnete mir die Welt der klassischen russischen Literatur und dann die Welt der religiösen Literatur. Zusammen mit ihr begann ich im Alter von 11 Jahren, die heiligen Väter zu lesen.“
Ab dem dritten Lebensjahr spielte er Klavier, ab dem sechsten Lebensjahr auch Geige. Im Alter von elf Jahren wurde er getauft.
„Ich weiß nicht mehr, wovon ich als Kind geträumt habe, aber ich erinnere mich gut, daß ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr nur daran dachte, Priester zu sein und der Kirche zu dienen.“
Vom Novizen zum Vikar des Patriarchen
Nach dem Besuch eines Musikgymnasiums studierte er Komposition am Moskauer Konservatorium. 1983 wurde er zum Subdiakon der russisch-orthodoxen Kirche geweiht, anschließend leistete er seinen Militärdienst ab. 1987 trat Hilarion als Novize in das Heiliggeistkloster von Wilna in Litauen (damals UdSSR) ein, wo er zum Hierodiakon und dann zum Priester geweiht wurde. Er studierte am Theologischen Seminar Moskau, anschließend an der Theologischen Akademie Moskau. Ab 1988 wirkte er zugleich in der Pfarrseelsorge und wurde 1990 Rektor der orthodoxen Kathedrale von Kaunas in Litauen. 1995 erwarb er an der Universität Oxford das Doktorat der Philosophie und 1999 am Orthodoxen Theologischen Institut St. Sergius Paris das Doktorat der Theologie. Im selben Jahr trat er in den Dienst der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, des sogenannten Außenamts der russisch-orthodoxen Kirche. Nebenbei lehrte er an verschiedenen theologischen Seminaren, darunter in New York und Cambridge, Homiletik, Dogmatik und vor allem Patristik. In dieser Zeit wurde er auch publizistisch tätig und gestaltete eine erste eigene Fernsehsendung zu Glaubensfragen.
2001 erhob ihn der Heilige Synod der russisch-orthodoxen Kirche in den Rang eines Archimandriten und ernannte ihn zum Bischof von Kertsch. 2002 erfolgte in der wiederaufgebauten Christ-Erlöser-Kathedrale von Moskau seine Bischofsweihe durch den damaligen Patriarchen Alexius II.
Im selben Jahr wurde Hilarion Vertreter des Moskauer Patriarchats bei den internationalen Institutionen, darunter der EU in Brüssel, wo er kritisierte, daß man im westlichen Europa zwar Islamophobie und Antisemitismus beklage, dabei aber die Christenverfolgung vergesse, für die er auch einen „aggressiven Laizismus“ verantwortlich machte.
Bündnis von Orthodoxen und Katholiken „gegen den militanten Liberalismus“
2003 erfolgte seine Ernennung zum russisch-orthodoxen Bischof von Wien und Österreich. Von dort aus verwaltete er zeitweise das Bistum Budapest und Ungarn, dessen Bischof er nun wurde. In dieser Zeit plädierte er für eine teilweise Einführung der russischen Volkssprache anstelle des Kirchenslawischen in der Liturgie. Eine vollständige Ersetzung durch die Volkssprache sei „inakzeptabel“, doch für die Psalmen und Lesungen sei sie denkbar.
In dieser Zeit regte er auch die Bildung eines Bündnisses zwischen Orthodoxen und Katholiken „zum Schutz des traditionellen Christentums gegen den militanten Liberalismus und Atheismus“ an.
2009 wurde Hilarion zum Bischof von Wolokolamsk und Vorsitzenden des Außenamtes des Moskauer Patriarchats ernannt. Seither war er Vikar des Moskauer Patriarchen Kyrill im Rang eines Metropoliten (Erzbischof). Hilarion verteidigte als solcher unter anderem die Moskauer Position im Streit mit dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel, dem vorgeworfen wurde, seinen Ehrenprimat erweitern und in eine reale hierarchische Erhöhung über die anderen Patriarchen und Metropoliten umwandeln zu wollen.
Hilarion veröffentlichte über tausend Publikationen und gestaltet seit 2009 die wöchentliche Fernsehsendung „Die Kirche und die Welt“. Sie dient dazu, aktuelle Fragen zu erörtern und zu kommentieren. Daneben trat er auch als Komponist von Kirchenmusik in Erscheinung. Aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten galt Hilarion frühzeitig als Ausnahmeerscheinung.
Aus Hilarion von Wolokolamsk wird Hilarion von Budapest
Wenige Wochen vor Beginn der russischen Militärintervention in der Ukraine wurde Hilarion vom russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin mit dem Alexander-Newski-Orden ausgezeichnet.
Gestern wurde er von seinen Verpflichtungen an der Seite von Patriarch Kyrill I. entbunden und zum Bischof von Budapest und Ungarn ernannt. Aus Hilarion von Wolokolamsk wird dadurch nach orthodoxer Tradition Hilarion von Budapest. Die Hintergründe für seine Entfernung aus Moskau sind nicht bekannt. In westlichen Medien wird über mögliche „Meinungsverschiedenheiten“ zum Ukrainekonflikt spekuliert, wonach Hilarion Kritik an der russischen Militäroperation geübt haben könnte. Eine Bestätigung aus Moskau, wo es heißt, das sei „westliches Wunschdenken“, liegt nicht vor.
Als „Außenminister“ der russisch-orthodoxen Kirche gestaltete Hilarion in den vergangenen dreizehn Jahren die Beziehungen zur katholischen Kirche mit. Er war maßgeblich an der Vorbereitung des ersten Treffens zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill auf Kuba beteiligt. Ebenso an den Planungen für ein zweites Treffen, das ursprünglich kommendes Wochenende im Libanon stattfinden hätte sollen.
Wie sich seine Entfernung aus Moskau auf dieses zweite Treffen auswirken wird, ist noch nicht absehbar. Hilarion galt bisher sogar als möglicher Anwärter auf die Nachfolge von Kyrill als Patriarch von Moskau.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia/orthedu.ru/Wikicommons (Screenshots)
Hilarion habe ich innerhalb der (katholischen + orthodoxen) als einer der ganz Großen angesehen und dachte immer wieder, hätten wir
in der römischen Kirche Bischöfe von solchem Format. Aber er scheint in der orthodoxen Kirche nicht alleine zu sein. Ich denke dabei an den Bischof Tichon Schewkunow (geb. 1958). Er ist heute Metropolit von Pskow und Porchow. Er wird oft als persönlicher Beichtvater des russischen Präsidenten Putin bezeichnet. Diese Generation von Bischöfen lässt folgende Gemeinsamkeiten erkennen: Sie haben innerhalb von 30 Jahren der Orthodoxie innerhalb Russlands ein neues Gesicht gegeben. Sie sind mehrzahlig nicht durch Kindestaufe Christen geworden, sondern sie haben als Erwachsene den Glauben angenommen. Ihre Überzeugungskraft ist die im Vergleich zur katholischen eine viel tiefere Spiritualität. Sie haben damit erfolgreich große Teile des russischen Volkes rechristianisiert. Vor diesem Hintergrund kann man in der primär erschreckenden Meldung durchaus auch etwas Positives erkennen und im Sinne von Julius Caesar sagen: Lieber in Ungarn der Erste als in Moskau der Zweite. Hilarion ist damit auch näher an Europa.
Moskau der Zweite.