
(Rom) Im Vatikan laufen die Vorbereitungen für die Karwoche und für Ostern. Wie das vatikanische Presseamt bekanntgab, wird die Via Crucis am Karfreitag beim Kolosseum ganz im Zeichen der Familie stehen. Welches Bild der Familie wird Papst Franziskus der Welt aber präsentieren? Allein, daß sich eine solche Frage aufdrängt, läßt eine Achsenverschiebung erkennen, die von Franziskus in den vergangenen neun Jahren vollzogen wurde.
Im April 2016 veröffentlichte Franziskus das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia. Es ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels, da damit faktisch Ehescheidung und Wiederverheiratung, aber auch homosexuelle Verbindungen anerkannt werden, indem ihnen der Zugang zur Kommunion geöffnet wird. Die Sache ist in Wirklichkeit etwas verworrener und verschleierter, doch im Prinzip genau so.
Von Franziskus wurde kein allgemeines Gesetz erlassen, mit dem er die „Öffnungen“ einführte, sondern die Tür zu diesen aufgestoßen. Damit ihn kein Vorwurf trifft, überläßt er es jedem einzelnen Diözesanbischof, ob er von den neuen „Möglichkeiten“ Gebrauch machen will oder nicht. Der Wechsel vollzieht sich somit nicht abrupt und radikal, sondern schleichend und kaum greifbar.
Um die Bedeutung dieser Veränderung in Erinnerung zu rufen, proklamierte Franziskus zum fünften Jahrestag von Amoris laetitia ein „Jahr der Familie“ Es begann am 19. März 2021, dem Gedenktag des heiligen Josef, und endet am 26. Juni 2022. Bemerken konnte man davon im deutschen Sprachraum nur wenig. Die Mehrzahl der deutschen Bischöfe machte von den genannten Amoris-laetitia-Neuerungen, die vom Papst angeboten wurden, regen Gebrauch. 2018 wurde die Zulassung zur Kommunion zusätzlich eigenmächtig erweitert. Die Eigenmächtigkeit stieß in Rom allerdings auf keinen erkennbaren Widerstand. Die Mehrheit der deutschen Bischöfe und Santa Marta sind sich weitgehend einig. Aus der Familie, deren Vorbild die Heilige Familie ist, sind „Familien“ im Plural geworden. Damit ist nicht die Macht des Faktischen der Witwen, Waisen und Verlassenen gemeint, sondern ein verzerrtes Bild von Familie, eine gewollte Degeneration derselben durch Anpassung an eine glaubensferne Welt.
Franziskus mag aber nicht, das stört ihn an Bätzing, Bode, Marx und Co., wenn ihm andere das Tempo aufzwingen wollen. Im öffentlichen, politischen Raum ist er auffallend konfliktscheu, weshalb ihm die deutschen Modernisten-Panzer mißbehagen, die ohne Rücksicht auf Verluste alles plattwalzen wollen. Franziskus ist Politiker, ein Taktiker, wo er auf Widerstände stößt, weicht er aus und sucht einen anderen Weg, um das gesteckte Ziel zu erreichen.
Zur Via Crucis heißt es in der Erklärung des vatikanischen Presseamtes:
„Anläßlich des Jahres der Familie, in dem die Kirche den fünften Jahrestag des apostolischen Schreibens ‚Amoris Laetitia‘ begeht, hat Papst Franziskus mit der Vorbereitung der Texte der Meditationen und der Gebete für die Kreuzwegstationen des Karfreitags am Kolosseum einige Familien betraut, die mit katholischen Gemeinschaften und ehrenamtlichen Hilfsorganisationen verbunden sind. Je nach den gewählten Themen werden immer einige Familien das Kreuz von einer Station zur nächsten tragen.“
Der Familie wird am diesjährigen Karfreitag besondere Aufmerksamkeit zuteil. Nicht alle in Rom trauen dieser Ankündigung allerdings. Daran wird deutlich, wie sehr das Vertrauen in den Heiligen Stuhl nach neun Jahren des derzeitigen Pontifikats erschüttert ist. Bei manchen sind Sorge und Mißtrauen an die Stelle des Vertrauens getreten. Die Frage ist nämlich, welche Familie am Kolosseum der Welt als Vorbild gezeigt wird. Unter Franziskus sind die Grenzen durch eine Reihe kleinerer und größerer Gesten verschwommen, deren wichtigste Etappen sich eingeprägt haben:
- Lange weigerte sich Franziskus Vertreter von Manif pour tous, einer französischen Massenbewegung für die Familienrechte und gegen die „Homo-Ehe“, zu empfangen. Erst im Juni 2014 kam es zu einer kurzen, geradezu flüchtigen Blitz-Begegnung am Rande einer morgendlichen Messe in Santa Marta, für die man die Vorsitzende von Manif pour tous vorließ. Nichts sollte jedoch, das war das einzige Interesse von Santa Marta daran, als Unterstützung ausgelegt werden können, obwohl sich Millionen Franzosen genau diese vom Papst gewünscht und erhofft hätten.
- Im Januar 2015 empfing Franziskus in Santa Marta eine Transgender-Spanierin in Privataudienz, die heute nach einer Geschlechtsumwandlung von sich behauptet, ein Mann zu sein – mit ihrer Freundin. Im selben Jahr kürte das EU-Parlament einen Transsexuellen zur „Person des Jahres“.
- Im September 2015 empfing Franziskus bei seinem USA-Besuch in Washington ein Homo-Paar. Es handelte sich um einen ehemaligen Schüler Bergoglios aus Argentinien – mit seinem homosexuellen Freund. Im selben Jahr hatte der Oberste Gerichtshof der USA allen 50 Staaten die „Homo-Ehe“ aufgezwungen, obwohl sie von den meisten Staaten abgelehnt wurde.
Franziskus erteilte in beiden Fällen seinen Segen dazu. Als taktierender „Papst der Gesten“ tat er es auf eine Weise, damit ihm die Katholiken „kein Casino“ (Wirbel) machen, das Signal aber an gewünschter Stelle vernommen wird.
- 2016 ließ Franziskus den italienischen Family Day, eine Millionenveranstaltung für die Familie und gegen „Homo-Ehe“, Gender-Ideologie an den Schulen und Abtreibung, im Regen stehen, wie er es zuvor schon mit Manif pour tous getan hatte.
- 2017 empfing Franziskus wider alle protokollarischen Gepflogenheiten den liberalen Ministerpräsidenten von Luxemburg – samt „Ehemann“.
- 2018 öffnete Franziskus das Weltfamilientreffen, das damals in Dublin stattfand, für die Homosexualität. Der Name Weltfamilientreffen, wie Kritiker anmerkten, steht seither nicht mehr für die Zusammenkunft vieler Familien, sondern für ein Festival verschiedener Familien-Typen. So hatte sich Johannes Paul II. das Treffen, das er zur Stärkung der Familie ins Leben rief, nicht gedacht.
Die Signale von Franziskus in Richtung Homosexualität ohne unmittelbaren Bezug zum Themenkreis Familie sind noch viel zahlreicher.
- 2019 veröffentlichte der Vatikanverlag unter dem Titel „Was ist der Mensch?“ eine Studie, die Franziskus unter Ausschluß der Öffentlichkeit bei der Päpstlichen Bibelkommission in Auftrag gegeben hatte. Das Ergebnis: In der Beurteilung der Homosexualität brauche es eine „intelligente Interpretation“ der Bibel. Das bedeutet: Die von Papst Franziskus gewünschte Neuinterpretation sei möglich – nicht etwa, weil es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, sondern weil die Kirche ihr 68 nachholen möchte.
Dann kam Corona und brachte den Zeitplan durcheinander.
Die irritierende Realität des Jahres 2022 ist, daß keine Sicherheit mehr besteht, welche Familie am Karfreitag im Namen des Papstes beim Kolosseum präsentiert werden wird. Oder werden es „Familien“ sein?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshot)
Ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, wie vor vielen Jahren von klugen Leuten die kommunistischen Aktivitäten als Salamitaktik bezeichnet wurden.
Heute sehe ich, daß diese Taktik von allen Ideologien angewendet wird. Eine Teilwahrheit wird zu einer „Lehre“ ausgebaut.
Wir brauchen keine „historisch-kritische Interpretation“ und keine „intelligente Interpretation“ – jeder, der einen Krug Lampenöl dabei hat und auf den Bräutigam wartet, versteht alles mit gläubigem, ehrfurchtsvollem Herzen.