(Rom) Kardinal George Pell forderte die Glaubenskongregation auf, gegen die Äußerungen zu Sexualität und Homosexualität von Kardinal Jean-Claude Hollerich, Vorsitzender der Bischofskonferenzen in der EU (COMECE), und von Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, „einzugreifen und ein Urteil zu fällen“. Zunächst berichtete der Vatikanist Edward Pentin auf seinem Blog darüber. Inzwischen griff Associated Press (AP), eine der drei großen internationalen Presseagenturen, die Meldung auf. Damit erhielt die Forderung des australischen Kardinals schlagartig großes Gewicht.
In einer am Dienstag, dem 15. März, veröffentlichten Erklärung forderte Kardinal Pell, emeritierter Erzbischof von Sydney und auf skandalöse Weise entsorgter ehemaliger Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariats, ein Einschreiten der römischen Glaubenskongregation, um zwei führende europäische Kirchenmänner zurechtzuweisen.
In einem Interview, das Kardinal Pell in Rom am 11. März dem katholischen deutschen Fernsehsender K‑TV gegeben hatte, forderte der Purpurträger ein Einschreiten der Glaubenskongregation gegen die „pauschale und ausdrückliche Ablehnung der Lehre der katholischen Kirche zur Sexualethik durch Kardinal Jean-Claude Hollerich SJ von Luxemburg und Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz“.
Hollerich, Erzbischof von Luxemburg, COMECE-Vorsitzender und von Papst Franziskus, seinem Mitbruder im Jesuitenorden, ernannter Generalberichterstatter bei der Bischofssynode über die Synodalität, erklärte in einem KNA-Interview, daß die Lehre der Kirche zur Homosexualität „nicht mehr stimmt“, weil ihre soziologisch-wissenschaftliche Grundlage nicht mehr stimme. Er forderte daher, „daß wir hier in der Lehre weiterdenken“ und „eine Grundrevision der Lehre machen“. Die Haltung von Papst Franziskus gegenüber der Homosexualität könne, so Hollerich, „zu einer Veränderung in der Lehre führen“.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sagte der Illustrierten Bunte, das katholische Lehramt müsse sich in bezug auf Sexualität und vorehelichen Geschlechtsverkehr ändern, weil es von niemandem mehr angewandt werde. Auf die Frage, ob homosexuelle Beziehungen erlaubt seien, antwortete der Bischof von Limburg: Ja, das sei „okay“, wenn es in Treue und Verantwortung geschehe. „Das berührt nicht die Gottesbeziehung“. Zudem sprach sich Bätzing für die Abschaffung des priesterlichen Zölibats und die Weihe von Frauen aus, „zwei Dinge, die der Vatikan strikt ablehnt, die aber im deutschen Synodenprozeß befürwortet wurden“ so AP. Wörtlich meinte Bätzing, was jemand sexuell mache, „geht mich nichts an“.
Beide Interviews standen in einem direkten Bezug mit dem von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken durchgeführten „Synodalen Weg“.
Kardinal Pell fordert ein Eingreifen Roms
Darauf reagierte Kardinal Pell. Er verstehe zwar die „schwierige Situation“ in den Ortskirchen des deutschen Sprachraums, wo sich die Kirchen leeren, doch sei der einzig mögliche Weg, „die Verheißungen Jesu neu zu entdecken“, das „ungeschmälerte Glaubensgut“ stärker zu verinnerlichen und dem Glauben treu zu bleiben, „und nicht dem wechselnden Diktat der zeitgenössischen säkularen Kultur zu folgen.“
„Wie Papst Paul VI. schon vor vielen Jahren betonte, ist das ein Weg zur Selbstzerstörung für die Kirche.“
Der australische Kardinal prangerte an, daß „diese irrige Lehre“, jene von Hollerich und Bätzing, „nicht nur die alte jüdische und christliche Lehre gegen homosexuelle Handlungen verwirft, sondern auch die Lehre von der monogamen Ehe, die ausschließlich Mann und Frau vorbehalten ist und in der ausschließlich die Verbindung von Mann und Frau stattfindet.
„Der ausgezeichnete Brief der Nordischen Bischofskonferenz vom 9. März 2022 ist ein Beispiel für die fast einhellige Ablehnung dieser Neuerungen durch die Bischöfe in aller Welt, aber eine klare
römische Rüge, nach einem ordnungsgemäßen Verfahren, ist notwendig. Die katholische Kirche ist keine lose Föderation, in der verschiedene nationale Synoden oder Versammlungen und prominente Führer in der Lage sind, wesentliche Elemente der apostolischen Tradition zu verwerfen und ungestört zu bleiben.“
Das dürfe weder zur Normalität werden noch geduldet werden, denn die katholische Einheit in Christus und seiner Lehre „erfordert Einigkeit über die wichtigsten Elemente in der Hierarchie der Wahrheiten“. Die Ablehnung dieser Lehre, wie sie in den Äußerungen von Kardinal Hollerich und Bischof Bätzing zum Ausdruck kommen, „stellt einen Bruch dar, der mit der überlieferten Lehre der Schrift und des Lehramtes nicht vereinbar ist und der mit keiner legitimen lehrmäßigen Entwicklung vereinbar ist.“ Daher ersuche er „um ein Eingreifen Roms“.
„Keines der Zehn Gebote ist fakultativ. Alle sind dazu da, befolgt zu werden, und zwar von Sündern. Wir können keine spezielle australische oder deutsche Version der Zehn Gebote haben. Wir können auch nicht Bertrand Russell, dem englischen atheistischen Philosophen, folgen, der vorgeschlagen hatte, die Zehn Gebote wie eine Prüfung zu sehen – bei der nur sechs von zehn Fragen beantwortet werden müssen, um positiv zu sein.“
Am 16. März griff AP die Forderung des Kardinals auf im Bericht: „Kardinal fordert Zurechtweisung durch den Vatikan wegen Äußerungen zur Sexualität“. Damit erhielt seine Forderung nach einem Eingreifen Roms ein ganz anderes Gewicht. Die Forderung nach einer Rüge anderer Bischöfe und sogar eines Kardinals ist in der Kirche sehr ungewöhnlich. Sie zeigt die Empörung in anderen Teilen der Kirche über den deutschen Sonderweg.
Gestern, am 17. März, wurde Glaubenspräfekt Kardinal Luis Ladaria Ferrer, auch er ist ein Jesuit wie der Papst und Kardinal Hollerich, von Franziskus zu einer routinemäßigen Audienz empfangen. Es ist nicht bekannt, ob die Äußerungen der beiden führenden Bischöfe aus dem deutschen Sprachraum bzw. die Forderung von Kardinal Pell ein Thema bei der Audienz war. Ausgeschlossen ist es nicht, weil die öffentliche Aufforderung eines Kardinals, Rom solle einen anderen Kardinal rügen, doch eine Seltenheit ist. Die Wahrscheinlichkeit ist sogar rapide gestiegen, seit das Thema von AP aufgegriffen wurde.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL