
(Managua) Gestern erhielten Gerüchte neues Gewicht, der Apostolische Nuntius in Nicaragua sei des Landes verwiesen worden. Da freie Medien in dem sandinistisch regierten Land zur Seltenheit geworden sind, ist auch die Informationslage prekär.
Es gibt nur mehr wenige Medienorgane, die sich in dem mittelamerikanischen Land für wirkliche Meinungsfreiheit stark machen und dafür auch bereit sind, der Zensur und Sanktionen zu trotzen. Tatsache ist, daß der Apostolische Nuntius Erzbischof Waldemar Sommertag sich derzeit in der Nuntiatur in El Salvador aufhält. Die Geschäfte führt in seiner Abwesenheit Nuntiatursekretär Msgr. Marcel Mbaye, wie die Nuntiatur gestern in einem Kommuniqué bekanntgab. Am selben Tag veröffentlichte La Gaceta, die offizielle Tageszeitung der nicaraguanischen Regierung, die Nachricht, der Apostolische Nuntius solle ersetzt werden.
Auf Presseanfragen reagierte das Botschaftspersonal reserviert. Die auflagenstärkste Zeitung des Landes, La Prensa, die der Familie Chamorro gehört, konnte lediglich in Erfahrung bringen, daß die Nuntiatur „nicht mehr zu sagen hat, als ohnehin bereits im Kommuniqué berichtet wurde“. Selbst für diese Auskunft weigerte sich der kontaktierte Botschaftsmitarbeiter sich zu identifizieren. Der Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Land ist gespannt und die mögliche Abberufung des Nuntius ein heikler Moment. Wie lange der Nuntius außer Landes bleiben werde, war jedenfalls nicht zu erfahren.
Da sich die Bischöfe des Landes bisher nicht zu der ungewöhnlichen Situation äußerten, erhielten die Gerüchte über eine Ausweisung von Nuntius Sommertag umso größeres Gewicht.
Msgr. Waldemar Sommertag ist ein polnischer Vatikandiplomat aus dem westpreußischen Więcbork (Vandsburg), der 1993 für das Bistum Pelplin zum Priester geweiht wurde. Anschließend absolvierte er ein Studium des Kanonischen Rechts, wurde in die Päpstliche Diplomatenakademie aufgenommen und trat anschließend in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls ein. Von 2003 bis 2005 war er bereits als Nuntiatursekretär in Nicaragua tätig. Nach Etappen in Tansania, Bosnien-Herzegowina und Israel sowie einigen Jahren im vatikanischen Staatssekretariat ernannte ihn Papst Franziskus 2018 zum Apostolischen Nuntius in Nicaragua und zum Titularerzbischof pro hac vice von Traiectum ad Mosam, der Stadt Maastricht in der römischen Provinz Germania inferior.
Als solcher kehrte Msgr. Sommertag nach Managua zurück, wo seit 2007 Daniel Ortega und seine Sandinistische Befreiungsfront regieren. Am vergangenen 10. Januar ließ sich Ortega für seine fünfte Amtszeit vereidigen, während das Verhältnis zur katholischen Kirche mehr als unterkühlt ist. Die Beziehungen zwischen der sandinistischen Staatsführung und Papst Franziskus ist hingegen, folgt man den offiziellen Beteuerungem, „herzlich“. Die Kirche in Nicaragua wird von Freunden des Papstes verfolgt. Keine leichte Aufgabe also für den Nuntius zwischen diesen Gegensätzen zu agieren.
Obwohl das Kapitel der marxistischen Befreiungstheologen in Nicaragua, die in den 70er und 80er Jahren führende Positionen in der ersten Junta Ortega einnahmen, noch gar nicht aufgerarbeitet ist, rehabilitierte Papst Franziskus mehrere Exponenten der ersten Riege, darunter den suspendierten Priester und Revolutionär Miguel D’Escoto und den Revolutionär und Barden der Befreiungstheologie Ernesto Cardenal (siehe auch zu dessen Bruder Fernando Cardenal gestorben – Jesuit, Befreiungstheologe und Sandinist).
Papst Franziskus war erst im Sommer des vergangenen Jahres der Regierung Ortega entgegengekommen, indem er einen ihrer schärfsten Kritiker in der Bischofskonferenz, Msgr. Juan Abelardo Mata Guevara SDB, Bischof von Estelí und Generalsekretär der Nicaraguanischen Bischofskonferenz, emeritierte.
Zur selben Zeit trat Nuntius Sommertag mehrere Monate lang nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Am 30. November bekräftigte er dann, daß der Heilige Stuhl weiterhin für die Freilassung aller politischen Gefangenen im Land eintritt, aber bisher von der nicaraguanischen Staatsführung keine Antwort erhalten habe.
„Der Heilige Stuhl und natürlich die Apostolische Nuntiatur haben sich vom ersten Moment meiner Mission in Nicaragua an für die Schwächsten eingesetzt, einschließlich der Gefangenen aller Kategorien, auch der politischen Gefangenen“, hatte Sommertag in einem Interview mit der AP gesagt.
Nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) gibt es derzeit mehr als 160 politische Gefangene. Mehr als 40 wurden in den vergangenen sechs Monaten inhaftiert, darunter sieben Präsidentschaftskandidaten, von denen die meisten bereits verurteilt wurden.
Der Nuntius erklärte damals auch, er stehe in Kontakt mit den Angehörigen politischer Gefangener in Nicaragua und daß „mehrere Angehörige mich persönlich kontaktieren und mich über die Lage der politischen Gefangenen in Nicaragua informieren“.
Als sicher gilt, daß das Ortega-Regime die Abberufung von Nuntius Sommertag betreibt. Es gilt daher als denkbar, daß der Nuntius einer Ausweisung zuvorgekommen ist und sich selbst außer Landes begab, um die Position des Heiligen Stuhls nicht zu kompromittieren.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL