Ukrainische Fahnen auf dem Petersplatz

Papst bemüht sich um Frieden – Italien wechselt in den permanenten Ausnahmezustand


Ukrainische Fahnen beim Angelus auf dem Petersplatz.
Ukrainische Fahnen beim Angelus auf dem Petersplatz.

(Rom) Auf dem Peters­platz in Rom waren gestern beim Ange­lus mit dem Papst zahl­rei­che ukrai­ni­sche Fah­nen zu sehen. Bereits am Sams­tag hat­te Fran­zis­kus ein Tele­fon­ge­spräch mit dem ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wolo­dym­yr Selen­skyj geführt und am Tag zuvor mit dem Groß­erz­bi­schof von Kiew-Halytsch.

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Seit den frü­hen Mor­gen­stun­den des 24. Febru­ar befin­det sich die Ukrai­ne im Kriegs­zu­stand, nach­dem rus­si­sche Trup­pen die Gren­zen über­schrit­ten hat­ten. Wie immer, wenn die Waf­fen spre­chen, ist die Wahr­heit ihr erstes Opfer. Die Lügen der Besieg­ten wer­den nach Kriegs­en­de als sol­che ent­larvt, die Lügen der Sie­ger wer­den zur offi­zi­el­len Geschichts­schrei­bung. Die Infan­ti­li­sie­rung zur Show-Poli­tik, die in West­eu­ro­pa in den ver­gan­ge­nen Jah­ren statt­fand, bringt sei­ne Län­der selbst an den Rand eines Flä­chen­bran­des. Ber­lin lie­fert ent­ge­gen der seit dem Zwei­ten Welt­krieg gel­ten­den Zurück­hal­tung Waf­fen an die Ukrai­ne. In Wien wur­de sogar ein ope­ret­ten­haf­tes „Kriegs­ka­bi­nett“ ein­be­ru­fen. Kaum jemand auch im Westen will die histo­ri­schen, eth­ni­schen und reli­giö­sen Zusam­men­hän­ge in der Ukrai­ne zur Kennt­nis neh­men. Immer­hin, heu­te soll zwi­schen Mos­kau und Kiew ver­han­delt werden.

Der Angelus in Rom

Den Ange­lus mit Papst Fran­zis­kus nütz­ten gestern Ukrai­ner, die in Ita­li­en leben, um auf das Schick­sal ihrer Hei­mat auf­merk­sam zu machen. Etwa 15 Pro­zent der Ukrai­ner sind katho­lisch. Vier Fünf­tel davon gehö­ren der mit Rom unier­ten ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che mit byzan­ti­ni­schem Ritus an. Ein Fünf­tel ist römisch-katho­lisch mit latei­ni­schem Ritus, vor allem Polen und Slo­wa­ken bzw. deren Nach­kom­men. Die Katho­li­ken in der Ukrai­ne kon­zen­trie­ren sich im Westen des Lan­des. Aus histo­ri­schen Grün­den, der Inva­si­on der Mon­go­len im Hoch­mit­tel­al­ter, ihrer Herr­schaft und lang­sa­men Zurück­drän­gung, wur­de das Gebiet der heu­ti­gen Ukrai­ne geteilt. Nur wer die­se Zwei­tei­lung ver­steht, wird den Schlüs­sel haben, um die aktu­el­len Pro­ble­me einer akzep­ta­blen Lösung zuzu­füh­ren – gera­de auch für den katho­li­schen Westen des Landes.

Die katho­li­schen Ukrai­ner, tra­di­tio­nell anti­rus­sisch ein­ge­stellt, scha­ren sich um die Kir­che. Die zahl­rei­chen ukrai­ni­schen Fah­nen, Zei­chen einer poli­ti­schen Kund­ge­bung, wur­den vom Hei­li­gen Stuhl gedul­det. Im ver­gan­ge­nen Okto­ber war Kuba­nern, die auf das Schick­sal ihrer Insel auf­merk­sam machen woll­ten, der Zutritt zum Peters­platz ver­wei­gert wor­den. Einem jun­gen Kuba­ner, dem es den­noch gelang, auf den Platz zu kom­men, und der dort wäh­rend der Anspra­che von Papst Fran­zis­kus die kuba­ni­sche Fah­ne zeig­te, wur­de sie von Sicher­heits­kräf­ten des Kir­chen­staa­tes abge­nom­men. Die Fah­ne war unerwünscht.

Die anwe­sen­den Ukrai­ner wur­den gestern von Fran­zis­kus aus­drück­lich begrüßt:

„Ich grü­ße die hier anwe­sen­den Völ­ker. Ich sehe vie­le ukrai­ni­sche Flag­gen. (Auf Ukrai­nisch): Geprie­sen sei Jesus Christus!“

In sei­ner Anspra­che hielt sich Fran­zis­kus wei­ter­hin zurück. Er erwähn­te Ruß­land nie und sprach auch nicht von einer „rus­si­schen Inva­si­on“, wie es die west­li­chen Regie­run­gen und Medi­en tun. Der Papst veur­teil­te den Krieg und die „Logik der Waffen“:

Lie­be Brü­der und Schwe­stern!

In die­sen Tagen wer­den wir von etwas Tra­gi­schem erschüt­tert: dem Krieg. Immer wie­der haben wir dafür gebe­tet, daß die­ser Weg nicht ein­ge­schla­gen wird. Und wir hören nicht auf zu beten, son­dern bit­ten Gott noch inten­si­ver. Des­halb erneue­re ich die Ein­la­dung an alle, den 2. März, den Ascher­mitt­woch, zu einem Tag des Gebets und des Fastens für den Frie­den in der Ukrai­ne zu machen. Ein Tag, an dem wir dem Lei­den des ukrai­ni­schen Vol­kes nahe sind, an dem wir spü­ren, daß wir alle Brü­der und Schwe­stern sind, und an dem wir Gott anfle­hen, den Krieg zu been­den.

Jene, die Krieg füh­ren, ver­ges­sen die Mensch­lich­keit. Sie gehen nicht von den Men­schen aus, sie schau­en nicht auf das kon­kre­te Leben der Men­schen, son­dern stel­len par­tei­po­li­ti­sche Inter­es­sen und Macht über alles. Sie ver­las­sen sich auf die teuf­li­sche und per­ver­se Logik der Waf­fen, die am wei­te­sten vom Wil­len Got­tes ent­fernt ist. Und sie distan­ziert sich von den ein­fa­chen Men­schen, die den Frie­den wol­len und die in jedem Kon­flikt die wah­ren Opfer sind, die für die Tor­hei­ten des Krie­ges mit ihrer eige­nen Haut bezah­len. Ich den­ke an die älte­ren Men­schen, an die­je­ni­gen, die in die­ser Zeit Zuflucht suchen, an Müt­ter, die mit ihren Kin­dern auf der Flucht sind… Das sind Brü­der und Schwe­stern, für die drin­gend huma­ni­tä­re Kor­ri­do­re geöff­net wer­den müs­sen und die auf­ge­nom­men wer­den müs­sen.

Mit gebro­che­nem Her­zen ange­sichts der Gescheh­nis­se in der Ukrai­ne – und ver­ges­sen wir nicht die Krie­ge in ande­ren Tei­len der Welt, wie Jemen, Syri­en, Äthio­pi­en… – wie­der­ho­le ich: Legt eure Waf­fen nie­der! Gott ist mit den Frie­dens­stif­tern, nicht mit denen, die Gewalt anwen­den. Denn wer den Frie­den liebt, lehnt, wie es in der ita­lie­ni­schen Ver­fas­sung heißt, „den Krieg als Mit­tel der Aggres­si­on gegen die Frei­heit ande­rer Völ­ker und als Mit­tel zur Bei­le­gung inter­na­tio­na­ler Strei­tig­kei­ten ab (Art. 11)“.

Permanenter Ausnahmezustand in Italien?

Unklar ist, ob Fran­zis­kus mit dem letz­ten Satz die Aus­ru­fung des Aus­nah­me­zu­stan­des in Ita­li­en miß­bil­lig­te. Ita­li­ens Mini­ster­prä­si­dent Mario Draghi hat­te am ver­gan­ge­nen Mitt­woch ange­kün­digt, den seit vie­len Mona­ten andau­ern­den Aus­nah­me­zu­stand wegen Coro­na nicht mehr ver­län­gern zu wol­len. Doch nur zwei Tage spä­ter, am Frei­tag, erklär­te er einen neu­en Aus­nah­me­zu­stand wegen der Ukrai­ne­kri­se. Nie zuvor war es in der Nach­kriegs­zeit zu einem sol­chen Schritt gekom­men, nicht ein­mal 1991–1995, als beim Zer­fall Jugo­sla­wi­ens direkt an der Ost­gren­ze Ita­li­ens Krieg herrsch­te. Kri­ti­ker spre­chen von einem „per­ma­nen­ten Aus­nah­me­zu­stand“, der die Ver­fas­sungs­ord­nung durch­ein­an­der­bringt und der Regie­rung Macht­be­fug­nis­se gibt, die ihr nicht zukom­men. Hat sich die Regie­rung in den Coro­na-Mona­ten zu sehr an die­se Macht gewöhnt?

Die Telefongespräche des Papstes

Am Sams­tag hat­te Papst Fran­zis­kus mit dem ukrai­ni­schen Staats­prä­si­den­ten Wolo­dym­yr Selen­skyj tele­fo­niert. Selen­skyj, ein Jude, hat­te es 2019 bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len mit 30 Pro­zent der Stim­men in die Stich­wahl geschafft, und die­se dann lan­des­weit mit gro­ßer Mehr­heit gewon­nen, außer in den katho­li­schen Landesteilen.

Die ukrai­ni­sche Bot­schaft beim Hei­li­gen Stuhl twit­ter­te am Samstagabend:

„Heu­te hat­te Papst Fran­zis­kus ein Tele­fon­ge­spräch mit dem Prä­si­den­ten Wolo­dym­yr Selen­skyj. Der Hei­li­ge Vater drück­te sein tief­stes Bedau­ern über die tra­gi­schen Ereig­nis­se aus, die sich in unse­rem Land ereignen.“

Selen­skyj und Papst Fran­zis­kus auf Twitter

Weni­ge Minu­ten spä­ter bestä­tig­te Selen­skyj selbst auf Twit­ter das Gespräch:

„Ich habe Papst Fran­zis­kus für das Gebet für Frie­den in der Ukrai­ne und einen Waf­fen­still­stand gedankt. Die Men­schen in der Ukrai­ne spü­ren die spi­ri­tu­el­le Unter­stüt­zung Sei­ner Heiligkeit.“

Im Gegen­satz zum Vati­kan spricht das Ober­haupt der mit Rom unier­ten ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che, Groß­erz­bi­schof Swja­to­slaw Schewtschuk, unzwei­deu­tig von einer „rus­si­schen Inva­si­on“. Der Groß­erz­bi­schof sag­te die Rei­se zu einer Tagung in Flo­renz ab und ist in Kiew geblie­ben. In man­chen Medi­en­be­rich­ten wird er als „Patri­arch“ bezeich­net, was eine kom­ple­xe Fra­ge berührt, die nicht so ein­fach zu erklä­ren ist. Nur soviel: die ukrai­ni­sche grie­chisch-katho­li­sche Kir­che strebt den Patri­ar­chen­ti­tel an, wie er auch von den Ober­häup­tern ande­rer Ost­kir­chen geführt wird. In der Ukrai­ne wird Schewtschuk bereits viel­fach als Patri­arch ange­spro­chen. Offi­zi­ell führt er die­sen Titel aber nicht (sie­he zu den Hin­ter­grün­den).

Am 25. Febru­ar begab sich Papst Fran­zis­kus in die rus­si­sche Bot­schaft beim Hei­li­gen Stuhl, um für den Frie­den und ein Ende der Kampf­hand­lun­gen ein­zu­tre­ten. Details der Unter­re­dung mit dem rus­si­schen Bot­schaf­ter wur­den nicht bekannt. Bekannt wur­de hin­ge­gen, daß Fran­zis­kus kurz danach Groß­erz­bi­schof Schewtschuk in Kiew anrief. Die­sem bestä­tig­te er, alles zu tun, was in sei­ner Mög­lich­keit ste­he, wie es in einer Erklä­rung der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che heißt.

„Wäh­rend des Tele­fo­nats erkun­dig­te sich Papst Fran­zis­kus nach der Lage in der Stadt Kiew und der Ukrai­ne allgemein.“

Der Papst habe sich für die Situa­ti­on der Bischö­fe und Prie­ster in den Gebie­ten inter­es­siert, „die am stärk­sten von der rus­si­schen Mili­tär­ope­ra­ti­on betrof­fen sind, und dank­te der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che für ihre Nähe zum ukrai­ni­schen Volk sowie dafür, daß sie dem ukrai­ni­schen Volk den Kel­ler der grie­chisch-katho­li­schen Auf­er­ste­hungs­ka­the­dra­le zur Ver­fü­gung gestellt hat, um Schutz zu finden“.

Fran­zis­kus ver­si­cher­te laut der­sel­ben Erklä­rung den Groß­erz­bi­schof sei­ner „Nähe, Unter­stüt­zung und Gebe­te für die gelieb­te Ukrai­ne“ und über­mit­tel­te „sei­nen Segen für das ukrai­ni­sche Volk“. In einer Video­bot­schaft bestä­tig­te Groß­erz­bi­schof Schewtschuk den Inhalt der Erklärung.

Groß­erz­bi­schof Swja­to­slaw Schewtschuk von Kiew-Halytsch

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va/​T​w​i​t​t​e​r​/​U​GCC (Screen­shots)

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