Papst Franziskus schwächt die geistlichen Bewegungen der Kirche

Schönstatt, Fokolar, Regnum Christi, Cursillo, Sant'Egidio – überall greift der Vatikan tiefgreifend ein


Die kirchlichen Bewegungen, auf die Johannes Paul II. setzte, erleben gerade einen radikalen Eingriff in ihr Innenleben.
Die kirchlichen Bewegungen, auf die Johannes Paul II. setzte, erleben gerade einen radikalen Eingriff in ihr Innenleben.

„Per Dekret dringt der Vati­kan in die Orga­ni­sa­ti­on der inter­na­tio­na­len Ver­ei­ni­gun­gen von Gläu­bi­gen ein“, so die katho­li­sche Inter­net­zei­tung La Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na (NBQ). Papst Fran­zis­kus ver­ord­net den 122 Päpst­li­chen Lai­en­ver­ei­ni­gun­gen, die im kirch­li­chen Sprach­ge­brauch auch als Neue geist­li­che Gemein­schaf­ten oder Bewe­gun­gen bekannt sind, eine Man­dats­be­schrän­kung ihrer Amts­trä­ger. Die­se Ein­schrän­kung, die in drei Mona­ten in Kraft tre­ten wird, gilt selbst für die Grün­der einer sol­chen Vereinigung.

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Für die Man­da­te der Orga­ne und ihrer Mit­glie­der, auch der Grün­der, wird eine Befri­stung ein­ge­führt. Und dies, um „Selbst­re­fe­ren­zia­li­tät“, also Selbst­be­zo­gen­heit, zu mei­den und „ech­ten Miß­brauch“ zu verhindern.

„Eine von Johan­nes Paul II. 1985 in Lore­to begon­ne­ne Ära geht zu Ende“, so NBQ.

Man­dats­be­schrän­kun­gen waren in eini­gen poli­ti­schen, meist oppo­si­tio­nel­len Bewe­gun­gen eine Zeit­lang beliebt. Im „Land des Pap­stes“ hat­te sie sich die Fünf­ster­ne­be­we­gung des Polit­ko­mi­kers Beppe Gril­lo auf die Fah­nen geschrie­ben. Nach drei Jah­ren der Regie­rungs­be­tei­li­gung ist auch sie davon abge­rückt. Die Macht des Fak­ti­schen, sprich, kon­kre­te Not­wen­dig­kei­ten, die sich mit noch so net­ten, am grü­nen Tisch aus­ge­dach­ten Theo­rien nicht so leicht ver­tra­gen, hat auch die Fünf­ster­ne­be­we­gung auf den Boden der Tat­sa­chen geholt.

Wäh­rend im poli­ti­schen Bereich wie­der davon abge­gan­gen wird, ent­deckt der kirch­li­che Bereich die Man­dats­be­schrän­kung für die Lei­tungs­ebe­ne der inter­na­tio­na­len Lai­en­ver­ei­ni­gun­gen. Ein neu­es Gene­ral­de­kret des Dik­aste­ri­ums für die Lai­en, die Fami­lie und das Leben ord­net eine Höchst­dau­er der Amts­pe­ri­oden aller Lei­tungs­äm­ter von fünf Jah­ren an. Zudem wur­de die Aus­übung einer Funk­ti­on auf zwei auf­ein­an­der fol­gen­de Amts­pe­ri­oden, also maxi­mal zehn Jah­re, beschränkt. Um wie­der­ge­wählt zu wer­den, muß zumin­dest eine Amts­pe­ri­ode aus­ge­setzt wer­den. Das gilt aller­dings nur für die nach­ge­ord­ne­ten Ämter, aber nicht für die Vor­sit­zen­den. Wer das höch­ste Amt, das eines Mode­ra­tors, für zwei Amts­pe­ri­oden hin­ter­ein­an­der inne­hat­te, kann gar nicht wie­der­ge­wählt werden.

Das Gene­ral­de­kret, das von Kar­di­nal Kevin Far­rell, Prä­fekt des Dik­aste­ri­ums für die Lai­en, die Fami­lie und das Leben, unter­zeich­net ist, wur­de am 3. Juni erlas­sen. Es erhielt am 2. Juni die Zustim­mung von Papst Fran­zis­kus und tritt am kom­men­den 3. Sep­tem­ber in Kraft.

Betrof­fen sind 122 inter­na­tio­na­le Ver­ei­ni­gun­gen von Gläu­bi­gen päpst­li­chen Rechts. Papst Johan­nes Paul II. erteil­te mit dem nach­syn­oda­len Schrei­ben Chri­sti­fi­de­les lai­ci von 1988 dem dama­li­gen Päpst­li­chen Rat für die Lai­en den Auf­trag, ein Direk­to­ri­um anzu­le­gen, eine Liste, in der alle Ver­ei­ni­gun­gen zu ver­zeich­nen sind, die eine „offi­zi­el­le Aner­ken­nung und aus­drück­li­che Geneh­mi­gung“ des Hei­li­gen Stuhls erhal­ten haben.

Das Gene­ral­de­kret vom 3. Juni, mit dem auch Grün­der von Ver­ei­ni­gun­gen nach zehn Jah­ren an der Spit­ze abtre­ten müssen.

In einer zum Gene­ral­de­kret ver­öf­fent­lich­ten erläu­tern­den Note wird aus­ge­führt, daß die Lai­en­ver­ei­ni­gun­gen ver­pflich­tet sind, Gene­ral­ver­samm­lun­gen ein­zu­be­ru­fen und die dem neu­en Dekret wider­spre­chen­den Tei­le der eige­nen Sta­tu­ten zu ändern. In den Erläu­te­run­gen wird der Ein­griff damit begrün­det, daß „die Erfah­rung gezeigt hat, daß der Gene­ra­tio­nen­wech­sel in den Lei­tungs­gre­mi­en durch Rota­ti­on der Füh­rungs­ver­ant­wor­tung gro­ßen Nut­zen für die Vita­li­tät der Ver­ei­ni­gung bringt“.

Den tat­säch­li­chen Grund nennt eine ande­re Stel­le in den Erläu­te­run­gen, mit der geta­delt wird: Nicht sel­ten begün­sti­ge die feh­len­de Begren­zung der Lei­tungs­man­da­te bei Füh­rungs­per­so­nen For­men der Usur­pa­ti­on des Cha­ris­mas, Per­so­na­lis­men, Kon­zen­trie­rung von Funk­tio­nen in einer Hand und nicht zuletzt „For­men der Selbst­be­zo­gen­heit“, die „leicht Ursa­che für schwe­re Ver­let­zun­gen der per­sön­li­chen Wür­de und Frei­heit und auch für regel­rech­ten Miß­brauch sein können.“

Die­se Neu­re­ge­lun­gen grei­fen tief in das Leben bedeu­ten­der kirch­li­cher Gemein­schaf­ten ein. Vor allem über­la­gern sie das cha­ris­ma­ti­sche Ele­ment durch ein for­ma­li­sti­sches und büro­kra­ti­sches. Nach kirch­li­chem Ver­ständ­nis ent­ste­hen Ordens- oder Lai­en­ge­mein­schaf­ten nicht am grü­nen Tisch, son­dern geführt vom Hei­li­gen Geist durch cha­ris­ma­ti­sche Grün­dungs­ge­stal­ten. Das mag zwar manch­mal nicht unpro­ble­ma­tisch sein, hat sich jedoch durch die Jahr­hun­der­te bewährt. Die­ses Wach­sen aus dem Geist ent­spricht dem kirch­li­chen Den­ken und dem gläu­bi­gen Herzen.

Künf­tig müs­sen Grün­der nach der kur­zen Zeit von nur zehn Jah­ren – die Kir­che denkt nor­ma­ler­wei­se in ganz ande­ren Zeit­di­men­sio­nen – sich zurück­zie­hen, weil ein Büro­kra­tis­mus wich­ti­ger ist als die Leben­dig­keit im Geist, die erst das Ent­ste­hen einer Ver­ei­ni­gung ermöglicht.

Von der Neu­re­ge­lung betrof­fen sind Ver­ei­ni­gun­gen wie Regnum Chri­sti der Legio­nä­re Chri­sti, die Schön­statt­be­we­gung, Foy­er de Cha­ri­té, Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL), die Cha­ris­ma­ti­sche Erneue­rung, Che­min Neuf, die Gemein­schaft Cen­aco­lo, Gemein­schaft Sant‘Egidio, die Vin­zenz­ge­mein­schaft, die Gemein­schaft der Selig­prei­sun­gen, die Gemein­schaft Emma­nu­el, die Herol­de des Evan­ge­li­ums, das Inter­na­tio­na­le Kol­ping­werk, die Legio Mariae, Militia Jesu Chri­sti, die Fami­lie Mari­ens, die Foko­lar­be­we­gung, das Welt­se­kre­ta­ri­at der Cursil­lo-Bewe­gung und zahl­rei­che mehr.

Unklar ist, ob auch der Neo­ka­techu­me­na­le Weg dazu gehört. Die­ser bemüh­te sich um die Auf­nah­me in das Direk­to­ri­um, scheint aber dar­in nicht auf. Viel­leicht ist man dar­über nun dort gar nicht so enttäuscht.

Der Ein­griff des Hei­li­gen Stuhls wird als Ver­such einer Schwä­chung der neu­en geist­li­chen Gemein­schaf­ten gese­hen. Der deut­sche Jesu­it Ulrich Rho­de, Dekan der Fakul­tät für Kir­chen­recht an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na und Con­sul­tor des Dik­aste­ri­ums für die Lai­en, die Fami­lie und das Leben, schrieb im Osser­va­to­re Roma­no einen Kom­men­tar zum neu­en Dekret. Dar­in führ­te er aus, daß die Lei­tungs­gre­mi­en der neu­en Gemein­schaf­ten „bis­her nicht“ Gegen­stand beson­de­rer kano­ni­scher Nor­mie­rung gewe­sen sei­en und daher „ein hohes, viel­leicht zu hohes Maß an Frei­heit genos­sen“ hät­ten. NBQ spricht von einem „Signal“ für die Kir­che in Ita­li­en, die sich in einem zuneh­mend „syn­oda­len Kli­ma“ befin­de, das von Papst Fran­zis­kus ange­sto­ßen wurde.

Die Schwä­chung der päpst­lich aner­kann­ten Lai­en­ver­ei­ni­gun­gen been­det ein Kapi­tel, das vor allem im Pon­ti­fi­kat von Papst Johan­nes Paul II. eine gro­ße Rol­le spiel­te. Der pol­ni­sche Papst setz­te vor allem in Ita­li­en auf die neu­en geist­li­chen Gemein­schaf­ten als dyna­mi­sches Ele­ment, um die Kir­che am Epi­sko­pat vor­bei, der von Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni und Kar­di­nal Ana­sta­sio Alber­to Bal­le­stre­ro ange­führt wur­de, zu erneuern.

Dazu gehö­ren prä­gen­de Erleb­nis­se wie jenes von Don Lui­gi Giu­s­sa­ni. Als Papst Paul VI. nach dem Streit um die Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae die Jugend in den 70er Jah­ren auf­for­der­te, sich um den Nach­fol­ger des Petrus zu scha­ren, blieb er auf dem Peters­platz allein. Don Giu­s­sa­ni bau­te Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL) auf und konn­te unter Johan­nes Paul II. den Peters­platz allei­ne fül­len. Was unter dem pol­ni­schen Papst erwünscht war, muß es unter dem argen­ti­ni­schen aber nicht sein. 

Als 2015 und 2016 unter dem Mot­to Fami­ly Day zwei Groß­kund­ge­bun­gen gegen die Aner­ken­nung der „Homo-Ehe“ und des Adop­ti­ons­rechts für Homo­se­xu­el­le, gegen die Ein­füh­rung der Gen­der-Ideo­lo­gie an den Schu­len eine Mas­sen­mo­bi­li­sie­rung erfolg­te und zwei Mil­lio­nen Men­schen in Rom für Ehe und Fami­lie und das Lebens­recht der unge­bo­re­nen Kin­der demon­strier­ten, war man in San­ta Mar­ta gar nicht glück­lich dar­über. Das zah­len­mä­ßig stärk­ste Ein­zel­kon­tin­gent hat­te der Neo­ka­techu­me­na­le Weg mobi­li­siert. Auch das ist in San­ta Mar­ta nicht vergessen.

Kar­di­nal Mar­ti­ni, ein Jesu­it wie Fran­zis­kus, stand wegen der neu­en geist­li­chen Bewe­gun­gen in offe­nem Kon­flikt mit Johan­nes Paul II. Mar­ti­ni ver­lang­te, daß sich die­se Ver­ei­ni­gun­gen „der Bewer­tung und dem Urteil der Bischö­fe unterwerfen“.

Johan­nes Paul II. hin­ge­gen emp­fahl Ver­ei­ni­gun­gen, die sich in Säku­lar­in­sti­tu­te umwan­deln woll­ten, eine Lai­en­ver­ei­ni­gung zu blei­ben, um nicht unter die Auf­sicht der Ordens­kon­gre­ga­ti­on zu geraten.

Bild: lai​ty​.va (Screen­shot)

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