(Rom) Distanzierte sich Franziskus gestern beim Angelus von der Klarstellung der römischen Glaubenskongregation, daß eine Segnung homosexueller Verbindungen durch die Kirche nicht möglich ist, weil Gott „die Sünde nicht segnen kann“? So behaupten es jedenfalls Journalisten, die Franziskus sehr nahestehen. Wie das?
Die dezidierte Verteidigung der überlieferten Glaubens- und Morallehre zu einem aktuell umstrittenen Thema gehörte in den vergangenen Jahren zu den eher seltenen Ereignissen. Die vorherrschende Position des Mainstream ist homophil. Entsprechend zurückhaltend äußern sich Kirchenvertreter zur Homosexualität und setzen der um sich greifenden Homosexualisierung kaum etwas entgegen. Papst Franziskus zeigte sich vielmehr probabilistisch, was eine Änderung der kirchlichen Haltung zur Homosexualität betrifft, wie er Ende Juli 2013 durch den berühmtesten und zugleich berüchtigsten Satz seines Pontifikats signalisierte: „Wer bin ich, um [über einen Homosexuellen] zu urteilen?“
Am vergangenen 15. März antwortete die Glaubenskongregation auf ein Dubium (Zweifel):
Auf das vorgelegte Dubium:
Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?wird geantwortet:
Nein.
Dazu veröffentlichte die Kongregation eine Erläuternde Note, die von Glaubenspräfekt Luis Kardinal Ladaria Ferrer SJ und dem Sekretär der Kongregation, Kurienerzbischof Giacomo Morandi, gezeichnet ist und das Datum vom 22. Februar trägt. Wie üblich wurde der Text zuvor dem regierenden Papst zur Genehmigung vorgelegt, weshalb es am Ende der Note heißt:
„Papst Franziskus wurde in der dem unterzeichnenden Sekretär dieser Kongregation gewährten Audienz über das vorliegende Responsum ad dubium samt der Erläuternden Note informiert und hat ihre Veröffentlichung gutgeheißen.“
Zwei auffällige Artikel
Nach der gestrigen Ansprache des Papstes beim Angelus fallen zwei Artikel auf. Beide vermitteln den Eindruck, Franziskus habe die Klarstellung der Glaubenskongregation kritisiert und sich von dieser distanziert, gerade so, als sei er ein „Gefangener“ des Vatikans, der mit der jüngsten Bekräftigung der kirchlichen Lehre zur Homosexualität nichts zu tun habe. Arbeitet die Glaubenskongregation auch unter dem Jesuiten Kardinal Ladaria gegen Franziskus und eröffnete mit der Klarstellung das „Freundfeuer“ auf ihn?
Ein Artikel stammt vom irischen Vatikanisten Gerard O’Connell und wurde in der amerikanischen Jesuitenzeitschrift America veröffentlicht. Der andere Artikel stammt von der aus Italien gebürtigen Argentinierin Elisabetta Piqué und erschien für die argentinische Tageszeitung La Nacion. Die Vatikanistin Piqué ist eine enge Freundin des Papstes noch aus der Zeit vor seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt. Die Papst-Biographin ist nicht nur eine treue Bergoglianerin, sondern verfügt auch über einen engen Kontakt zu Santa Marta.
Das Kuriose an den beiden Artikeln ist, daß Franziskus gestern mit keinem Wort die Homosexualität und die Klarstellung der Glaubenskongregation erwähnte. Das Pikante daran ist, daß O’Connell und Piqué verheiratet sind.
Bereits in der Vergangenheit waren Piqués Artikel Interpretationen, Richtigstellungen, und Verteidigungen von päpstlicher Aussagen, Gesten und Entscheidungen. Mit dem gestrigen medialen Doppelstoß, in englischer und spanischer Sprache, scheinen sie ihren Beruf als Journalisten endgültig mit dem von Aktivisten eingetauscht zu haben.
Die beiden Artikel berufen sich laut eigenen Angaben auf drei vatikanische Quellen, ohne auch nur eine namentlich zu benennen. Aufgrund der engen Verbindung zu Santa Marta ist es sehr wahrscheinlich, daß eine Quelle Papst Franziskus selbst ist. Das ergibt sich auch aus der belegten Tatsache, daß das Vatikanisten-Ehepaar das derzeitige Pontifikat mit ihrer Berichterstattung unterstützt und mehr als andere Kollegen über die genaue päpstliche Position weiß.
Bergoglianische Öffentlichkeitsarbeit
Von Franziskus ist bekannt, daß er bereits als Erzbischof von Buenos Aires Journalisten zu sich rief, um ihnen Informationen zu geben unter der Bedingung, nicht namentlich genannt zu werden. Auch Piqué war in der Vergangenheit Empfängerin und Verbreiterin solcher Informationen.
Der argentinische Journalist und Philosoph Omar Bello legte kurz nach der Wahl von Franziskus die Biographie „El verdadero Francisco“ („Der wahre Franziskus“, Ediciones Noticias, Buenos Aires 2013) vor. Bello, der 2015 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, bezeichnet sich darin als „Freund und Vertrauter“ von Kardinal Bergoglio und als „der Philosoph, der Bergoglio am besten kennt“. Er schildert, wie ihm Kardinal Bergoglio, als Bello für das argentinische Wochenmagazin Perfil arbeitete, ein Interview gab mit einer klaren Auflage:
„Du kommst, interviewst mich, sagst es aber niemandem. Du schreibst, ohne in Perfil zu erzählen, daß Du mich interviewt hast. Du schreibst es als Deine Eindrücke. Verstanden?“
Gleiches geschah, als Piqué 2013, wenige Tage nach der überraschenden Ankündigung von Papst Benedikt XVI. auf sein Amt zu verzichten, „einen Kardinal-Wähler“ zitierte, „der um Anonymität gebeten hat“, und sich „in einem ungelösten Problem wie dem Kommunionverbot für wiederverheiratete Geschiedene zugunsten der Öffnung der Kirche“ aussprach. Der Artikel blieb damals weitgehend unbeachtet, da selbst in der kirchlichen Öffentlichkeit nicht mit der Wahl von Kardinal Bergoglio gerechnet wurde.
Päpstlicher Peronismus
Wenn es stimmt, daß Franziskus die Klarstellung der Glaubenskongregation vor ihrer Veröffentlichung billigte, woran kein Zweifel bestehen kann, nun aber über befreundete Journalisten dazu auf Distanz geht, wäre das ein weiteres Beispiel für jenen ausgeprägten „Peronismus“, der ihm nachgesagt wird. Als Wesensmerkmal des Peronismus, benannt nach dem argentinischen Caudillo, General, Putschisten und dreifachen Staatspräsidenten Juan Domingo Peron (1895–1974), den der junge Bergoglio verehrte, gilt dessen Taktik, seinen Gesprächspartnern jeweils das zu sagen, was diese hören wollten. Unabhängig davon, ob er dadurch auch das Gegenteil oder das Gegenteil vom Gegenteil dessen sagte, was er anderen schon gesagt hatte.
Die Artikel von O’Connell und Piqué sind faktisch identisch. Wichtig ist ihnen, daß die Botschaft ankommt, weshalb gleich die Überschriften explosiv sind. Jene des Piqué-Artikels in einer weltlichen Tageszeitung lautet:
„Der Papst kritisierte das Dokument, in dem Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare abgelehnt wurden.“
O’Connell titelte in der Jesuitenzeitschrift eine Spur zurückhaltender, daß Franziskus sich laut „vatikanischen Quellen“ von der Klarstellung der Glaubenskongregation „distanziert“.
Die Deutung der Papst-Worte durch Papst-Freunde
Die „Distanzierung“ wird aus folgender Stelle der Angelus-Ansprache des Papstes herausdestilliert:
„Es geht darum, Samen der Liebe zu säen, nicht mit flüchtigen Worten, sondern mit konkreten, einfachen und mutigen Beispielen, nicht mit theoretischen Verurteilungen, sondern mit Gesten der Liebe. Dann läßt uns der Herr mit seiner Gnade Früchte tragen, selbst wenn der Boden karg ist aufgrund von Mißverständnissen, von Schwierigkeiten oder Verfolgungen, Legalismus-Forderungen oder klerikalen Moralismen“.
Papst-Schelten dieser Art, die sich gegen den Klerus oder gegen die Gläubigen richten, sind seit Weihnachten 2013 bekannt und lähmen nicht nur die Römische Kurie. Dennoch müßte aus der zitierten Stelle ein Zusammenhang zur Homo-Klarstellung der Glaubenskongregation an den Haaren herbeigezogen werden. Genau das aber kann Profis wie Piqué und O’Connell nicht unterstellt werden. Sie handeln bewußt und entschlossen, da ihre Artikel sich einzig auf diesen Punkt konzentrieren, und sie würden nichts schreiben, was Santa Marta mißfällt.
Das Journalistenpaar schreibt dezidiert, daß Franziskus mit den „theoretischen Verurteilungen“ und den „Legalismus-Forderungen und klerikalen Moralismen“ das jüngste Dokument der Glaubenskongregation meinte, weil es „seiner Pastoral widerspricht und im Schoß der Kirche Aufruhr verursachte“. In Aufruhr gerieten vor allem Kirchenkreise des deutschen Sprachraums, nicht zuletzt auch einige Bischöfe wie Georg Bätzing von Limburg, zugleich Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, oder Manfred Scheuer von Linz, einer jener Bischöfe, von denen man das Jahr hindurch nichts hört, als würde es sie nicht geben, die aber pünktlich aus einem Dauerschlaf erwachen, wenn es darum geht, der Kirche in den Rücken zu fallen.
Piqué und O’Connell vermitteln den Eindruck, als hätte die Feststellung der Glaubenskongregation, daß homosexuelle Handlungen eine Sünde sind, die Homo-Kreise aus allen Wolken fallen lassen und große Aufregung verursacht. Das wäre nur dann denkbar, wenn homophile Kirchenkreise gemeint sein sollten, die anderes anstreben, oder wenn der Homo-Lobby zuvor aus Kreisen, die Santa Marta nahestehen, anderslautende Hoffnungen gemacht wurden.
Piqué und O’Connell konstruieren einen Gegensatz, als würde die Glaubenskongregation der „integrativen Pastoral“ des Papstes „widersprechen“. Das Konzept ist nicht neu und wurde bereits im Zusammenhang mit der Kommunionzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen praktiziert. Es handelt sich um den postulierten Primat der Praxis vor der Theorie, ein marxistisches Konzept, das auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel zurückgeht. In Wirklichkeit bilden Theorie und Praxis in der Kirche eine untrennbare Einheit. Das Hegelsche Paradigma vom Primat der Praxis wird von modernistischen Kirchenkreisen vertreten, weil sie in den Jahrzehnten zuvor erkennen mußten, auf welchen Widerstand sie mit ihrer Forderung nach Änderung der Lehre stoßen. Sie lassen daher die Lehre links liegen und täuschen sogar Kontinuität vor, während sie, ohne es zuzugeben, durch eine Änderung der Praxis eine faktische Änderung der Lehre anstreben.
Die beiden Journalisten sind sich bewußt, daß der behauptete Zusammenhang zwischen der päpstlichen Ansprache und dem Dokument der Glaubenskongregation dünn ist. Daher schreiben sie:
„Obwohl er das Dokument der Glaubenskongregation nicht erwähnte, weil er sich bewußt ist, daß es sich kirchenintern um ein sehr heikles Thema handelt, in dem ein Kampf zwischen Ultrakonservativen und Progressiven geführt wird, schien es, als würde sich Papst Franziskus mit diesen Worten von dem Text distanzieren, der unter homosexuellen Gläubigen sehr schlecht angekommen ist, die sich plötzlich betrogen fühlten.“
In der Tat würde eine solche Täuschung – bestimmte Dinge aus taktischen Gründen nicht auszusprechen, um die Gegner seiner Agenda, die „bösen“ Konservativen, nicht aufzuwecken – dem Denken von Papst Franziskus entsprechen. Im Mai 2016 enthüllte Erzbischof Bruno Forte Hintergründe zum Zustandekommen des umstrittenen nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia. Forte war von Franziskus zum Sondersekretär der Doppelsynode über Ehe und Familie ernannt worden. Im Stadttheater von Vieste, wo Forte das Schreiben vorstellte, erzählte er, welchen Auftrag ihm Franziskus erteilt hatte:
„Wenn wir ausdrücklich von Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene sprechen, wer weiß, was die uns dann für ein Casino [einen Wirbel] machen. Wir reden deshalb nicht direkt davon. Mach es so, daß die Prämissen gegeben sind, die Schlußfolgerungen ziehe dann ich.“
Mit „die“ waren jene gemeint, die Piqué und O’Connell die „Ultrakonservativen“ nennen. Das Ehepaar betont in seinen Artikeln, daß Franziskus gleich am Beginn seines Pontifikats „Offenheit“ gegenüber Homosexuellen signalisiert habe. Bei verschiedenen Begegnungen habe er das bekräftigt, so im Mai 2018 gegenüber dem chilenischen Mißbrauchsopfer und bekennenden Homosexuellen Juan Carlos Cruz. Cruz berichtete anschließend unwidersprochen, was Piqué und O’Connell wörtlich zitieren:
„Der Papst sagte mir: ‚Juan Carlos, die Tatsache, daß Du homosexuell bist, spielt keine Rolle. Gott hat Dich so gemacht und er will Dich so, der Papst liebt Dich so und Du mußt Dich selbst lieben‘.“
Vor wenigen Monaten sagte Franziskus zu einer Gruppe von Eltern von homosexuellen Kindern:
„Der Papst liebt seine Kinder so, wie sie sind, weil sie Kinder Gottes sind.“
Demgegenüber wird die Klarstellung der Glaubenskongregation vom papstnahen Vatikanistenpaar als „Sieg für den ultrakonservativen Flügel“ der Kirche angeprangert. Gerade im deutschen Sprachraum habe sie kritische Stimmen provoziert, da auch das Dubium von dort gekommen war, nachdem deutsche und österreichische Priester öffentlich zugegeben hatten, bereits Homo-Paare gesegnet zu haben.
Und einmal mehr Verwirrung und Angriff auf die Lehre der Kirche.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
Ich frage mich die ganze Zeit: Wie soll man ein solches Verhalten eines Papstes nennen? Manche sagen „jesuitisch“, aber das finde ich unzutreffend, da es den altehrwürdigen Jesuitenorden herabsetzt, der weit mehr ist und mehr geleistet hat als die Tragödie, die er heute darstellt. Mir fehlt das Wort, weil ich ich von diesem Papst immer wieder überrascht werde, negativ überrascht werde. Es gab die unterschiedlichsten Päpste in der langen Kirchengeschichte, aber eine solche Gestalt wie Franziskus gab es noch nicht. Wo soll das hinführen?