(Rom) Am vergangenen 29. April verstarb in Rom Fra Giacomo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto, der 80. Großmeister und Fürst des Souveränen Malteserordens. Trotz heftiger Proteste wurde für morgen der Große Staatsrat einberufen, um den neuen Großmeister zu wählen.
Seit dem Tod des Großmeisters leitet der Portugiese Fra Ruy Gonçalo do Valle Peixoto de Villas Boas den Orden als interimistischer Statthalter. Zu den vordringlichen Aufgaben des Statthalters gehört die Vorbereitung und Durchführung von Neuwahlen. Zu diesem Zweck wurde von Fra Villas Boas für den 7./8. November der Große Staatsrat, eines der wichtigsten Gremien des Malteserordens, einberufen.
Der Große Staatsrat wählt den neuen Großmeister auf Lebenszeit. Die Versammlung findet ab morgen in der Villa Magistrale statt, dem römischen Palast des Großmeisters. Der Palast in der Nähe der Spanischen Treppe ist exterritorial und nicht Teil des italienischen Staatsgebietes. Der Malteserorden ist ein souveränes Völkerrechtssubjekt.
Für die Wahl des 81. Großmeisters und Fürsten des Ordens ist „die Mehrheit der anwesenden Stimmberechtigten plus eine Stimme erforderlich“. Wahlberechtigt sind der Statthalter, die Mitglieder des Souveränen Rates, der Ordensprälat, die Prioren oder, im Fall einer Vakanz, ihre ständigen Vertreter (Prokuratoren, Vikare, Statthalter), die Profeßbaillis, zwei von jedem Priorat delegierte Profeßritter, ein Profeßritter und ein Obödienzritter als Vertreter der Ritter „in gremio religionis“, fünf Regenten von Subprioraten sowie fünfzehn Vertreter von Ordens-Assoziationen. Insgesamt sind das 56 Wähler.
„Die dem Großen Staatsrat angehörenden Mitglieder des Ersten Standes haben das Recht, einen Dreiervorschlag einzubringen. Sollte ein solcher jedoch nicht innerhalb des ersten Sitzungstages des Großen Staatsrats vorgelegt oder kein darin genannter Kandidat in den drei ersten Wahlgängen gewählt werden, so besteht für weitere Wahlgänge keine Bindung mehr an den Dreiervorschlag.“
Wählbar sind nur Mitglieder des Ersten Standes, der Profeßritter, und von diesen nur jene, von denen alle vier Großeltern adeliger Abkunft sind und sich der Adel mindestens 200 Jahre nachweisen läßt. Das reduziert den Kreis der potentiellen Kandidaten.
„Nach dem fünften unentschiedenen Wahlgang entscheidet der Große Staatsrat mit gleicher Mehrheit, ob nunmehr ein Großmeister-Statthalter für höchstens ein Jahr gewählt werden soll. Wird dies abgelehnt, werden die Wahlgänge für die Wahl eines Großmeisters wieder aufgenommen. Bei Zustimmung findet eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im fünften Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, wobei der Kandidat mit den meisten Stimmen obsiegt. Gibt es nun nur einen einzigen Kandidaten, so benötigt dieser die Mehrzahl der anwesenden Stimmen.“
Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß der interimistische Statthalter für ein Jahr zum Statthalter des Großmeisters gewählt wird, um in zwölf Monaten einen neuen Anlauf zur Wahl eines Großmeisters anzusetzen. Fra Villas Boas, der am 27. November 81 wird, ist der zweite Sohn des Viscount von Guilhomil und Enkel des Barons von Paçô Vieira. Sein Neffe Luís André de Pina Cabral e Villas Boas ist ein in der Sportwelt bekannter Fußballtrainer, der bereits Clubs wie FC Porto, Chelsea, Inter Mailand und Tottenham trainierte und derzeit Trainer von Olympique Marseille ist.
Fra Villas Boas trat 1984 in den Malteserorden ein (Dritter Stand) und wurde 1996 Obödienzritter (Zweiter Stand). Nach dem Tod seiner Frau Maria da Conceição im Jahr 2008 legte er die Gelübde ab und wurde Profeßritter (Erster Stand). Beim Generalkapitel 2019 war er zum Großkomtur des Ordens bestellt worden.
Proteste gegen eine Corona-Wahl
Trotz heftiger Proteste gegen die Einberufung hält die derzeitige Ordensführung an der Neuwahl fest. Mehrere Wähler riefen sogar den Heiligen Stuhl um Hilfe an. Sie fordern eine Verschiebung des Wahltermins, da die meisten Wahlberechtigten aus dem Ausland anreisen müssen und mehrere von ihnen wegen der geltenden Corona-Maßnahmen Rom nicht erreichen können.
Unter anderem richteten sieben britische Profeßritter, das sind mehr als zehn Prozent des Ersten Standes, ein Schreiben an den ernannten Kardinal Tomasi, die Wahl zu verschieben. Unter ihnen befindet sich auch Fra Matthew Festing, den Franziskus 2017 zum Rücktritt als Großmeister gedrängt hatte.
Die Entscheidung, die Proteste und Appelle zu ignorieren, wurde laut Franca Giansoldati, Vatikanistin der römischen Tageszeitung Il Messaggero, „von der derzeitigen Spitze der Ordensregierung getroffen, die vom deutschen Freiherrn Boeselager geleitet wird“. Albrecht Freiherr von Boeselager, der Großkanzler des Ordens, war Anlaß und Motor der Führungskrise von 2016/2017, die zum Sturz des damaligen Großmeisters führte, da sich Papst Franziskus hinter Boeselager stellte.
Ohne die Zustimmung des päpstlichen Sonderdelegaten kann im Orden aber nichts entschieden werden. Wenn die Wahl ohne Rücksicht auf die ausländischer Wähler durchgezogen wird, dann geschieht diese nicht ohne Zustimmung von Santa Marta.
Fra Festing gehört auch zum kleinen Kreis der Wählbaren. Für seine Wiederwahl gibt es keinen rechtlichen Hinderungsgrund.
Für Sonntag ist in Anwesenheit des neuen päpstlichen Sonderdelegaten Silvano Tomasi in der ordenseigenen Kirche Santa Maria del Priorato auf dem Aventin die Angelobung des neuen Großmeisters oder des Statthalters des Großmeisters vorgesehen. Papst Franziskus wird Tomasi beim Konsistorium am kommenden 28. November zum Kardinal kreieren.
Tomasi war unmittelbar in den Sturz des 79. Großmeisters Fra Matthew Festing Ende Januar 2017 verwickelt und steht in direktem Zusammenhang mit den „Schweizer Millionen“ des Ordens. Mit seiner Ernennung zum Sonderdelegaten und seiner Erhebung in den Kardinalsrang habe sich Franziskus, so Kritiker, wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten. Andere sehen darin eine offenkundige Belohnung eines zweifelhaften Verhaltens.
Die Ernennung eines neuen Sonderdelegaten wurde durch die Entlassung von Kardinal Angelo Becciu aus all seinen Ämtern nach Bekanntwerden des Finanzskandals um Immobilienkäufe in London notwendig. Becciu war von Februar 2017 bis Ende September päpstlicher Delegat beim Malteserorden. Der Sonderdelegat übt alle Rechte und Pflichten eines Kardinalprotektors aus, ein Amt, das offiziell eigentlich Kardinal Raymond Burke innehat. Seit dem Sturz von Großmeister Festing beließ Franziskus dem US-amerikanischen Kardinal nur mehr den Titel.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Orderofmalta/MiL (Screenshot)