Die „Umkehr“ der Pfarreien – Sie bauen an „einer anderen Kirche“

Die Revolution, die keine sein darf


Papst Franziskus beim Angelus am gestrigen Sonntag.
Papst Franziskus beim Angelus am gestrigen Sonntag.

(Rom) Ver­gan­ge­ne Woche leg­te die Kle­rus­kon­gre­ga­ti­on ein Doku­ment über eine „Umkehr“ der Pfar­rei­en vor. Dazu ver­öf­fent­lich­te der Vati­ka­nist Andrea Gagli­ar­duc­ci heu­te eine Ana­ly­se, die zwar ambi­va­lent bleibt, aber inter­es­san­te Aspek­te ent­hält. Die Instruk­ti­on wur­de am 27. Juni von Papst Fran­zis­kus appro­biert, wie aus­drück­lich im Doku­ment ver­merkt ist, am 29. Juni von Kar­di­nal Stel­la unter­zeich­net und am 20. Juli veröffentlicht.

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Gagli­ar­duc­ci ist Mit­ar­bei­ter zahl­rei­cher geschätz­ter Medi­en wie Kora​zym​.org, Natio­nal Catho­lic Regi­ster, CNA und AciS­tam­pa. Zu Papst Fran­zis­kus ver­öf­fent­lich­te er im Dezem­ber 2013 das Buch „Die Fasten­zeit der Kir­che“ (La Qua­re­si­ma del­la Chie­sa, Tau Editrice). 

In sei­ner Gesamt­be­wer­tung bleibt er einem „neo­kon­ser­va­ti­ven“ Kon­text ver­haf­tet, dem wie­der­holt eine unan­ge­brach­te Beschwich­ti­gungs­hal­tung zum Vor­wurf gemacht wird. Heu­te ver­öf­fent­lich­te der Vati­ka­nist auf sei­nem eng­lisch­spra­chi­gen Blog Mon­day Vati­can die Ana­ly­se:

„Papst Fran­zis­kus, die erwar­te­te Revolution“.

Im Mit­tel­punkt steht die jüng­ste Instruk­ti­on der Kle­rus­kon­gre­ga­ti­on über :

„Die pasto­ra­le Umkehr der Pfarr­ge­mein­de im Dienst an der mis­sio­na­ri­schen Sen­dung der Kirche“

„Neo­kon­ser­va­ti­ve“ Kräf­te ver­säu­men es auch in die­sem Fall nicht, jeden revo­lu­tio­nä­ren Impe­tus zu leug­nen. Die Kon­gre­ga­ti­on unter Füh­rung von Kar­di­nal Benia­mi­no Stel­la, einem treu­en Berg­o­glia­ner, wol­le mit dem Doku­ment kei­ne Revo­lu­tio­nie­rung der Pfar­rei­en, son­dern viel­mehr vor­han­de­ne Exzes­se in die Schran­ken wei­sen. So jeden­falls die „from­me“ Aus­le­gung, die auch Gagli­ar­duc­ci befördert. 

Die Beru­fung auf Kri­tik, die von deut­schen Bischö­fen ver­gan­ge­ne Woche an der neu­en Instruk­ti­on geübt wur­de, so von Peter Kohl­graf, Bischof von Mainz, und Kar­di­nal Rein­hard Marx, Erz­bi­schof von Mün­chen und Frei­sing, taugt als Beleg nicht. Zu eng war bis­her das Zusam­men­wir­ken der reich­sten Orts­kir­che mit San­ta Marta. 

Auf den „deutschen Papst“ folgte erst das „deutsche Pontifikat“

Dazu aller­dings hät­te es die­ses Papiers wohl kaum bedurft. Hin­ter dem Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus ste­hen Kräf­te, die ande­res beab­sich­ti­gen. Wer um die­sen Ein­fluß weiß, wird mit Beschwich­ti­gun­gen vor­sich­ti­ger zur Hand sein. Bene­dikt XVI. ging auf­grund sei­ner Her­kunft als „deut­scher Papst“ in die Geschich­te ein, doch das wirk­li­che „deut­sche Pon­ti­fi­kat“ begann erst im März 2013 und ist das von Papst Fran­zis­kus. Die­se Camou­fla­ge cha­rak­te­ri­siert den der­zei­ti­gen Zustand.

Bene­dikt XVI. fand wenig Rücken­deckung durch die ton­an­ge­ben­den Kir­chen­krei­se des deut­schen Sprach­rau­mes. Ganz im Gegen­teil: Er wur­de behin­dert, sabo­tiert und hin­ter den Kulis­sen bekämpft, soweit es die per­sön­li­che Kar­rie­re ein­zel­ner Bischö­fe nicht gefähr­de­te. Man den­ke an den glän­zen­den Auf­stieg, der Kar­di­nal Rein­hard Marx unter Bene­dikt glückte.

Hin­ter dem Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus ste­hen Kar­di­nal Wal­ter Kas­per und die Deut­sche Bischofs­kon­fe­renz, flan­kiert von den Bischö­fen und Bischofs­kon­fe­ren­zen des übri­gen deut­schen Sprach­rau­mes. Das ist das Milieu, in dem seit Jahr­zehn­ten an neu­en „Model­len“ geba­stelt wird, mit denen die über­lie­fer­ten kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen, dar­un­ter auch die Pfar­rei­en, auf­ge­löst und ersetzt wer­den sol­len. Damit ver­bun­den ist die „Ent­mach­tung“ der Prie­ster, wie in den Diö­ze­sen Trier und Linz ange­strebt. Der Prie­ster soll gleich­be­rech­tig­ten Lai­en gegen­über­ste­hen, die ihn „demo­kra­tisch“ über­stim­men kön­nen. Die hübsch deko­rier­te Ver­packung ent­hält Ver­gif­te­tes: Die Prie­ster sol­len aus­ge­lie­fert wer­den. So sieht Prie­ster­feind­lich­keit im Jahr 2020 aus. Wenn die Pasto­ral­as­si­sten­tin am Sonn­tag statt der hei­li­gen Mes­se selbst einen Wort­got­tes­dienst fei­ern will und der zwei­te Laie sich ihr anschließt, hat sich der Prie­ster zu fügen. 

Die Bestre­bun­gen im Bis­tum Trier wur­den vor­erst von Rom ein­ge­bremst. Die Fra­ge ist aber noch lan­ge nicht vom Tisch. In Linz steht eine Ant­wort des Vati­kans noch aus. Ent­schei­dend ist vor allem, zur Kennt­nis zu neh­men, wel­che Kräf­te in deut­schen Diö­ze­sen das Sagen haben, denn das ist der­sel­be Ein­fluß, der ins­ge­samt auf dem der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kat liegt. Gagli­ar­duc­ci ver­schweigt es lie­ber, indem er weg­schaut, doch Fran­zis­kus hat bis­her den deut­schen Begehr­lich­kei­ten in allen Punk­ten nach­ge­ge­ben. Man den­ke an Amo­ris lae­ti­tia und die Zulas­sung von Per­so­nen in irre­gu­lä­ren Bezie­hun­gen zur Kom­mu­ni­on, womit nicht nur die viel­zi­tier­ten wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen gemeint sind, son­dern auch Homo­se­xu­el­le. Und die Zulas­sung pro­te­stan­ti­scher Ehe­gat­ten zur Kom­mu­ni­on. Oder die Syn­oda­li­sie­rung der Kir­che durch die Mög­lich­keit ver­bind­li­cher Beschlüs­se und die Über­tra­gung von dok­tri­nä­ren und lit­ur­gi­schen Befug­nis­sen an die Bischofs­kon­fe­ren­zen. Es wur­de von Rom zwar jeweils ein Ver­wirr­spiel insze­niert (sie­he auch), doch am Ende hat­ten „die Deut­schen“, was sie woll­ten. Fran­zis­kus för­dert den Umbau und Zer­fall der Welt­kir­che in natio­na­le Lan­des­kir­chen, wie es für die Ortho­do­xie und den Pro­te­stan­tis­mus typisch ist. Dabei wird ger­ne auf die Ost­kir­chen ver­wie­sen, doch gemeint ist das Modell der pro­te­stan­ti­schen Denominationen.

Dahin­ter steht der Drang nach einer „ande­ren Kir­che“, die über den Umweg struk­tu­rel­ler Refor­men erzielt wer­den soll, wie es für das mar­xi­sti­sche Den­ken typisch ist. Dabei spielt es kei­ne Rol­le, ob die han­deln­den Per­so­nen sich selbst als Mar­xi­sten oder Neo­mar­xi­sten sehen oder eine sol­che Annah­me empört zurück­wei­sen wür­den. Das Den­ken von Hegel und Marx hat sich nörd­lich der Alpen tief in die Kir­che hin­ein­ge­fres­sen. Dazu gehört eine zwei­deu­ti­ge Dia­lek­tik, die ver­schlei­ernd den Ein­druck erweckt – für jene, die es so sehen wol­len –, das Gegen­teil des­sen zu tun, was in Wirk­lich­keit ange­strebt wird.

Behaup­ten zu wol­len, Fran­zis­kus habe sich von eben die­sen Krei­sen nur des­halb auf den Stuhl Petri hie­ven las­sen in der Absicht, sie dann in die Schran­ken zu wei­sen, ent­behrt jeg­li­cher kon­kre­ter Hin­wei­se. Eine sol­che Deu­tung geht schnur­ge­ra­de an der Rea­li­tät vorbei.

Neue Instruk­ti­on der Kle­rus­kon­gre­ga­ti­on für eine „pasto­ra­le Umkehr“ der Pfarreien

Eine Kirche, die evangelisiert, ohne zu evangelisieren

Auch Gagli­ar­duc­ci bleibt in sei­ner Ana­ly­se ambi­va­lent. Er spricht aller­dings die dahin­ter­ste­hen­de Ableh­nung der „Insti­tu­ti­on“ Kir­che an, die Fran­zis­kus cha­rak­te­ri­siert (Her­vor­he­bun­gen im Original):

Es gibt jene, die die Not­wen­dig­keit eines Bru­ches mit der Tra­di­ti­on in Betracht zie­hen. Nach die­ser Auf­fas­sung unter­schei­den sich die Doku­men­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils von Nor­men und Tra­di­tio­nen. Sie bau­en statt­des­sen eine ande­re Kir­che. Eine Kir­che, die am Ende evan­ge­li­siert, ohne zu evangelisieren.“

Die­se „ande­re Kir­che“ ver­fü­ge über Struk­tu­ren, „um den Armen zu hel­fen“, aber sie soll kei­ne „Insti­tu­ti­on“ sein. Sie spre­che die Welt an, aber ohne ihre Stim­me zu erhe­ben. Aller­dings zeigt sich Gagli­ar­duc­ci über­zeugt, daß Fran­zis­kus die­se Zie­le nicht tei­le. Des­halb brin­ge die von Fran­zis­kus ange­sto­ße­ne Revo­lu­ti­on eine „para­do­xe Kir­che“ her­vor, so der Vatikanist.

Papst Fran­zis­kus ist anti-insti­tu­tio­nell und prag­ma­tisch.“

Er miß­traue der Insti­tu­ti­on Kir­che, weil er grund­sätz­lich „Insti­tu­tio­nen nicht mag“. Alle sei­ne Refor­men in der Kir­che wür­den auf die­se drei Pro­blem­fel­der abzie­len: die Bekämp­fung des Kar­rie­ris­mus, die Besei­ti­gung der Insti­tu­ti­on, die Schaf­fung einer Kir­che der Armen.

Gagli­ar­duc­ci meint, auch im beschwich­ti­gen­den Sinn, daß Fran­zis­kus zwar die Auf­wer­tung von Lai­en und Frau­en beto­ne, doch sol­le man sich davon „nicht täu­schen“ las­sen. Für ihn ste­he wei­ter­hin der Prie­ster im Mit­tel­punkt der Gemein­de. Lai­en und Frau­en sol­len drum her­um mehr wer­ken und mit­re­den dür­fen, doch die Rol­le des Prie­sters habe Fran­zis­kus nie in Fra­ge gestellt.

An die­ser Stel­le dür­fen Zwei­fel ange­mel­det wer­den. Selbst wenn dem so wäre, weiß Fran­zis­kus, dafür ist er mit dem mar­xi­sti­schen Den­ken zu gut ver­traut, daß einem Schritt der näch­ste folgt, daß die von ihm ange­streb­ten „irrever­si­blen Pro­zes­se“ nicht zum Still­stand kommen.

In der neu­en Instruk­ti­on klingt das so: Die „pasto­ra­le Umkehr“ sieht vor, daß Ver­än­de­run­gen in den Pfar­rei­en lang­sam erfol­gen sol­len, damit die Gläu­bi­gen „nicht ver­wirrt“ werden.

„Ver­wirrt?“ Seit wann ver­wirrt eine ech­te Erneue­rung der Kir­che das gläu­bi­ge Volk?

Der Aufstieg der Laien und Frauen

Gagli­ar­duc­ci streut Sand in die Augen, wenn er die im zwei­ten Teil der Instruk­ti­on ver­an­ker­te Über­tra­gung von Tau­fe, Ehe­schlie­ßung und Begräb­nis in die Hand der Lai­en als etwas dar­stellt, was es in der Kir­che ohne­hin schon immer gege­ben habe. Die Not­si­tua­ti­on der japa­ni­schen Katho­li­ken, die auf­grund bru­ta­ler staat­li­cher Ver­fol­gung 250 Jah­re zwangs­wei­se prie­ster­los waren, auf die der Vati­ka­nist ver­weist, eig­net sich mit­nich­ten als Brücken­schlag zur all­ge­mei­nen Lai­sie­rung der Ritua­le, mit der den prie­ster­feind­li­chen Bestre­bun­gen bestimm­ter Kir­chen­krei­se und dem unbän­di­gen Drang der Femi­ni­stin­nen in den Altar­raum ent­ge­gen­ge­kom­men wer­den soll.

Dabei geht es um ein ande­res Kir­chen­ver­ständ­nis und eine ande­re Theologie.

Gagli­ar­duc­cis Ana­ly­se ent­hält den­noch Inter­es­san­tes, wenn­gleich er bestä­tigt, daß „Neo­kon­ser­va­ti­ve“ sich schnell und leicht, man­che wür­den sagen „bil­lig“, zufrie­den­stel­len lassen:

Papst Fran­zis­kus ist prag­ma­ti­scher [als sei­ne Vor­gän­ger]. Er lebt den Augen­blick. Er sieht kei­nen all­ge­mei­nen Rah­men. Er ver­sucht, die pasto­ra­le Umkehr, von der er gespro­chen hat, prak­tisch vor­an­zu­trei­ben. Alle sei­ne Arbei­ten zie­len dar­auf ab.“

Und wei­ter:

Papst Fran­zis­kus arbei­tet jedoch in einer schwie­ri­gen Situa­ti­on: Er steht unter Druck. Der Druck kommt haupt­säch­lich von jenen, die sagen, daß sie die­ses Pon­ti­fi­kat unter­stüt­zen. Die­se Men­schen wer­den das Papst­tum unter­stüt­zen, solan­ge der Papst ihre Erwar­tun­gen erfüllt.

Aller­dings greift es zu kurz, wenn ange­nom­men wür­de, daß Fran­zis­kus nur ein Getrie­be­ner wäre, der unter dem Druck ande­rer steht. In der Tat wirk­te der argen­ti­ni­sche Papst von Anfang an wie ein Getrie­be­ner, aller­dings mehr sei­ner selbst.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shots)

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