Hilaire Belloc, Gegen Mächte und Gewalten – ein weiterer Klassiker auf Deutsch

Ein Blick in die Vergangenheit relativiert die Dominanz des jeweiligen Zeitgeistes mit seinen blinden Flecken


Das neue Buch des Renovamen-Verlags von Hilaire Belloc, eines englisch-französischen Historikers, Apologeten und Dichters mit Analysekraft.
Das neue Buch des Renovamen-Verlags von Hilaire Belloc, einem englisch-französischen Historiker, Apologeten und Dichter mit bemerkenswerter Analysekraft.

Von Wolf­ram Schrems*

Anzei­ge

Vor­be­mer­kung: Da die­ses Buch vor kur­zem auf die­ser Sei­te schon von Hans Jakob Bür­ger vor­ge­stellt wur­de, mögen sich viel­leicht man­che Leser wun­dern, war­um es nun ein zwei­tes Mal bespro­chen wird. Ich ver­ein­bar­te mit dem Ver­lag eine Bespre­chung und hal­te das auch ein. Das Buch ist durch­aus meh­re­re Bespre­chun­gen wert. Im fol­gen­den daher aus einem ande­ren Blick­win­kel als dem von Kol­le­ge Bür­ger gewähl­ten und auch etwas ausführlicher.

Im ver­gan­ge­nen Jahr wur­de eine deut­sche Über­set­zung des groß­ar­ti­gen Wer­kes The Gre­at Here­sies des eng­lisch-fran­zö­si­schen Histo­ri­kers, Apo­lo­ge­ten und Dich­ters Hilai­re Bel­loc vom Reno­va­men-Ver­lag auf den Markt gebracht. Eine aus­führ­li­che Bespre­chung erschien zeit­na­he auf die­ser Seite.

Der­sel­be Ver­lag legt nun eine deut­sche Aus­ga­be eines ande­ren Wer­kes von Bel­loc aus dem Jahr 1929 mit dem ursprüng­li­chen Titel Sur­vi­vals and New Arri­vals: The Old and New Enemies of the Catho­lic Church vor. Es ist somit ein paar Jah­re älter als die berühm­te­ren Gro­ßen Häre­si­en.

Es ist, mit C. S. Lewis gesagt, emp­feh­lens­wert, Bücher aus ande­ren Zeit­epo­chen zu kon­sul­tie­ren. Denn all­zu schnell sind wir geneigt, die jeweils eige­ne Zeit­epo­che für nor­ma­tiv und maß­geb­lich zu hal­ten. Ein Blick in die Ver­gan­gen­heit rela­ti­viert die Domi­nanz des jewei­li­gen Zeit­gei­stes mit sei­nen blin­den Flecken – ohne daß damit schon aus­ge­sagt wäre, daß ein frü­he­rer Autor sei­ner­seits immer recht haben müßte.

Angriffe auf die Kirche als Ausgangspunkt der Untersuchungen

Bel­loc beweist sei­ne Ana­ly­se­kraft gleich am Anfang:

„Die Grün­de dafür [für die Ableh­nung der Kir­che] waren nicht nur von Epo­che zu Epo­che ver­schie­den, sie waren ihrer Art nach auch stets zwie­späl­tig und oft wider­sprüch­lich. […] Die Kir­che, so behaup­ten man­che ihrer Fein­de, stüt­ze sich auf die Unwis­sen­heit und Dumm­heit ihrer Mit­glie­der – die­se sei­en ent­we­der von schwa­chem Ver­stand oder ent­stamm­ten den unge­bil­det­sten Milieus. Von ande­ren Geg­nern wur­de sie der Lächer­lich­keit preis­ge­ge­ben, weil sie eine unfrucht­ba­re Phi­lo­so­phie nich­ti­ger Haar­spal­te­rei­en ver­tre­te“ (19f).

Er fol­gert:

Der drit­te „Bel­loc“ des Renovamen-Verlags

„Die­se Behand­lung, die aus­schließ­lich die Kir­che erfährt, die­se Tat­sa­che, dass nur sie von allen Sei­ten ange­grif­fen wird, wur­de von ihren Apo­lo­ge­ten zu allen Zei­ten als ein Beweis ihrer zen­tra­len Bedeu­tung für die gesam­te Wirk­lich­keit betrach­tet – es gibt eben nur eine Wahr­heit, aber vie­le Irr­tü­mer“ (20).

Die Ana­ly­se die­ser Angrif­fe ist nach Bel­loc des­we­gen wich­tig, weil für Gläu­bi­ge und Ungläu­bi­ge und Fein­de der Kir­che die Kir­che eben eine zen­tra­le Rol­le für Kul­tur und Zivi­li­sa­ti­on spielt. Damit soll­ten sich alle, die von einer Gleich­wer­tig­keit der „Reli­gio­nen“ aus­ge­hen, die­se Ein­sicht Bel­locs gerahmt über ihren Schreib­tisch hängen:

„Die Aus­ge­stal­tung einer jeden Gesell­schaft ist letzt­lich abhän­gig von ihrer Phi­lo­so­phie, von ihrer Betrach­tung der Welt und von ihrer Hal­tung zu den mora­li­schen Wer­ten. Kon­kret bedeu­tet das: von ihrer Reli­gi­on. Ob die­se Gesell­schaft ihre Phi­lo­so­phie als »Reli­gi­on« bezeich­net oder nicht, spielt kei­ne Rol­le“ (22).

Das betrifft etwa auch die Wirt­schaft und die – zur Zeit Bel­locs noch gar nicht sehr lan­ge zurück­lie­gen­de – Fra­ge der Skla­ve­rei. Je mehr die katho­li­sche Prä­gung einer Gesell­schaft ver­schwin­det, desto mehr kommt es durch die Arbeits­ge­setz­ge­bung wie­der zu skla­ven­ähn­li­chen Zustän­den (24).

Die Lage des Glau­bens und sei­ner Geg­ner ist also aus­schlag­ge­bend für die gesam­te Welt. Damit kommt Bel­loc zu den Detailuntersuchungen.

Wechselnde Kategorien von Gegnern

Bel­locs Ana­ly­se führt zu einer Unter­schei­dung von Fein­den der Kir­che. Er nennt „Haupt­geg­ner“ in einer bestimm­ten Epo­che, etwa den Aria­nis­mus, den Moham­me­da­nis­mus, die nor­di­schen Pira­ten und die Mon­go­len und die Albi­gen­ser. Dar­auf fol­gen Jan­se­nis­mus, Puri­ta­nis­mus und Natio­na­lis­mus. Sodann gibt es „alte Fein­de“ am Schlacht­feld, die als „Über­bleib­sel“ die Haupt­geg­ner flan­kie­ren. Und schließ­lich muß mit jeweils „neu­en Fein­den“ gerech­net wer­den, weil die Kir­che nie­mals im Frie­den leben kann (29). Eine bestimm­te Epo­che über­se­he auf­grund ihrer Fokus­sie­rung auf den Haupt­feind eben leicht die nach­wir­ken­den alten Fein­de oder das oft sehr dis­kre­te Auf­kom­men der neuen.

Er unter­schei­det für sei­ne Unter­su­chun­gen sodann die Situa­ti­on der Kir­che in Kul­tu­ren, die mit der „grie­chi­schen“ (ortho­do­xen) Kir­che in Ver­bin­dung ste­hen, die pro­te­stan­tisch geprägt sind und die der katho­li­schen Kul­tur ver­bun­den sind.

Bezüg­lich erste­rer stellt er fest:

„Es bleibt aller­dings zu fest­zu­hal­ten, dass die sowje­ti­sche Revo­lu­ti­on die gesam­te grie­chi­sche Kul­tur­welt bis ins Mark erschüt­tert hat. (…) Das Zaren­tum war der Kern oder die Grund­la­ge der gesam­ten grie­chisch-ortho­do­xen Kul­tur. Es war die not­wen­di­ge Insti­tu­ti­on und der zen­tra­le Pfei­ler, auf dem der gesam­te Bau ruh­te. Es sicher­te der ortho­do­xen Reli­gi­on eine macht­vol­le Mono­pol­stel­lung, und es setz­te sich aktiv und kraft­voll dafür ein, den Katho­li­zis­mus gewalt­sam abzu­weh­ren, nicht nur in Russ­land, son­dern etwa auch in Ser­bi­en, wo man die­sem Bei­spiel folg­te. All das ist zer­bro­chen. Die Sowjet­re­gie­rung ist trotz bestimm­ter Wech­sel in der letz­ten Zeit nach wie vor über­wie­gend jüdisch, nicht nur im per­so­nel­len Bereich ihrer Geheim­po­li­zei im Inne­ren und ihrer Pro­pa­gan­di­sten im Äuße­ren, son­dern auch in ihrem sitt­li­chen Cha­rak­ter und ihren Metho­den. Sie hegt womög­lich nicht auf­grund ihres jüdi­schen Hin­ter­grun­des, wohl aber wegen ihres Bol­sche­wis­mus, einen star­ken Hass sowohl auf die grie­chi­sche Kir­che als auch auf den Katho­li­zis­mus“ (35).

Der jun­ge Belloc

Hoch­in­ter­es­sant ist auch die ver­nich­ten­de Kri­tik an den Grenz­ver­än­de­run­gen nach dem Welt­krieg in Jugo­sla­wi­en und die dort erfolg­te „bedenk­li­che Unter­wer­fung der katho­li­schen Kroa­ten und Slo­we­nen unter die ortho­do­xe Macht Ser­bi­ens. Die inkom­pe­ten­ten Poli­ti­ker, die der Chri­sten­heit nach dem gro­ßen Krieg ihre eige­ne Gei­stes­ver­wir­rung und histo­ri­sche Igno­ranz auf­ge­zwun­gen haben, ban­den eine bedeu­ten­de katho­li­sche Bevöl­ke­rungs­grup­pe nicht föde­ra­tiv, son­dern abso­lut an eine Dyna­stie, eine Haupt­stadt und eine Regie­rung, die nicht ihre eige­ne ist […]. Die desa­strö­sen Fol­gen die­ser Stüm­per­lei­stung haben wir bereits gese­hen“ (ebd).

Für den heu­ti­gen Leser ist in den fol­gen­den, mehr zeit­ge­bun­de­nen Aus­füh­run­gen, wohl die Dar­stel­lung der offi­zi­el­len und allein maß­geb­li­chen Geschichts­schrei­bung in Eng­land am inter­es­san­te­sten (44). Denn der Zwang einer omni­prä­sen­ten Geschichts­po­li­tik ist nicht erst eine Erfin­dung der Sie­ger­mäch­te des II. Welt­krie­ges (wenn­gleich zur Zeit Bel­locs die Durch­set­zung bestimm­ter histo­ri­scher Auf­fas­sun­gen per Gesetz ver­mut­lich noch nicht üblich war).

Alte Feinde und die Hauptopposition zur Zeit Bellocs…

Bel­loc wen­det sich im zwei­ten Kapi­tel den „alten Fein­den“ zu, die zu sei­ner Zeit kei­ne gro­ße Kraft mehr ent­fal­te­ten. Es han­delt sich in auf­stei­gen­der Rei­hen­fol­ge um den Bibli­zis­mus (also das Sola Scrip­tu­ra-Prin­zip mit sei­ner ver­hee­ren­den Über­be­to­nung des Alten Testa­men­tes, die Hexen­wahn und Aus­rot­tung von Ein­ge­bo­re­nen begün­stig­te, 61), den Mate­ria­lis­mus, das „Macht- und Wohl­stand-Argu­ment“ (also die mili­tä­ri­sche und wirt­schaft­li­che Stär­ke der pro­te­stan­ti­schen Natio­nen gegen­über den katho­li­schen), das „histo­ri­sche Argu­ment“ (histo­ri­sche For­schung kön­ne die angeb­lich erst spät ent­stan­de­nen Dog­men von Eucha­ri­stie und Papst­tum wider­le­gen) und – der stärk­ste Geg­ner – die „wis­sen­schaft­li­che Nega­ti­on“ (die Anwen­dung – ver­meint­lich – natur­wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis­se auf die Reli­gi­on und die evo­lu­tio­ni­sti­sche Ver­nich­tung der Teleo­lo­gie des Geschaffenen).

Ab dem drit­ten Kapi­tel („die Haupt­op­po­si­ti­on“) wird es für ein Ver­ständ­nis unse­rer eige­nen Zeit rele­van­ter und daher auch spannender:

Bel­loc nennt für sei­ne Zeit den Natio­na­lis­mus, den Anti­kle­ri­ka­lis­mus und den „moder­nen Geist“ als Haupt­geg­ner (116).

Wich­tig ist dabei nach Bel­loc zu ver­ste­hen, daß es bei die­sen drei Strö­mun­gen nicht um exakt aus­for­mu­lier­te Dok­tri­nen oder um expli­zi­te Angrif­fe auf das katho­li­sche Glau­bens­gut geht, nicht ein­mal beim Anti­kle­ri­ka­lis­mus. Es han­delt sich viel eher um eine ande­re „Men­ta­li­tät“:

„Was den gehalt­lo­sen »moder­nen Geist« angeht, so ist die­ser zwar im Wesent­li­chen anti­ka­tho­lisch, hat jedoch nicht die intel­lek­tu­el­le Kapa­zi­tät, um auch nur die ein­fach­ste Posi­ti­ons­be­stim­mung vor­zu­neh­men“ (118).

Hoch­in­ter­es­sant für uns Heu­ti­ge ist Bel­locs Kri­tik am Natio­na­lis­mus sei­ner Zeit. Denn die­ser hat­te eine anti-katho­li­sche Stoß­rich­tung (vgl. 45). Er zer­stör­te die Christenheit:

„Die­se neue Reli­gi­on des Natio­na­lis­mus, d. h. die Gei­stes­hal­tung, die Nati­on zum Selbst­zweck zu machen, hat­te neben ande­ren bedau­er­li­chen Aus­wir­kun­gen auch die Zer­split­te­rung unse­res gemein­sa­men kul­tu­rel­len Erbes und unse­rer gemein­sa­men euro­päi­schen Eigen­art in vie­le iso­lier­te Frag­men­te zur Fol­ge (…). Es ist eine Tra­gö­die – eine Art Mord an der Chri­sten­heit. Die Viel­heit unse­rer Spra­chen wird nicht län­ger durch den gemein­sa­men Gebrauch des Lateins über­brückt. Die­se Tren­nung ist nicht ein­fach eine Gege­ben­heit. Sie wird mit allen Mit­teln aktiv geför­dert“ (125).

Die Revo­lu­ti­on hat­te also erst die Rech­te der Nati­on maß­los über­trie­ben und sie gegen die Kir­che ins Tref­fen geführt. Nun­mehr, etwa hun­dert Jah­re spä­ter, bekämpft die Revo­lu­ti­on Natio­nen und ihre Rech­te theo­re­tisch und praktisch.

Die Chri­sten­heit wur­de auf­ge­löst und die Rest­be­stän­de wer­den gera­de in einem ste­ri­len, kul­tur­mar­xi­sti­schen, anti­christ­li­chen Pseu­do-Euro­pa neu zusam­men­ge­setzt. Das sata­ni­sche Sol­ve et coagu­la, vor dem Erz­bi­schof Viganò vor kur­zem Prä­si­dent Trump warn­te, spielt sich vor unse­ren Augen ab.

Schon Bel­loc fiel es auf, daß die Regie­run­gen oft sehr weit vom Emp­fin­den der Regier­ten ent­fernt sind:

„Und so katho­lisch ein Volk auch sein mag: Es wird unter den heu­ti­gen Umstän­den kaum jemals eine katho­li­sche Regie­rung haben“ (129).

Damit hat er lei­der recht behalten.

Hoch­in­ter­es­sant ist sei­ne Fest­stel­lung, daß zwei Mäch­te gegen den Natio­na­lis­mus arbei­ten, näm­lich die inter­na­tio­na­le Hoch­fi­nanz und der inter­na­tio­na­le Sozia­lis­mus, wobei letz­te­rer ein „unmensch­li­ches Ide­al“ ist, „das nicht in die Pra­xis umzu­set­zen ist“ (134). Es wäre inter­es­sant zu lesen gewe­sen, wie bei­de Mäch­te per­so­nell und ideo­lo­gisch zusammenhängen.

… vor allem der „moderne Geist“: Sumpf und Verwirrung

Der eigent­li­che Haupt­geg­ner zur Zeit der Abfas­sung des Buches ist aber der „moder­ne Geist“. Die­ser ist mehr läh­men­der Wider­stand als akti­ver Angriff. Bel­loc faßt es geni­al zusammen:

„[Der ‚moder­ne Geist‘ macht] die Reli­gi­on unver­ständ­lich. Sei­ne Wir­kung auf die Reli­gi­on ist der Wir­kung eines Opi­ats auf die Ver­stan­des­kraft ver­gleich­bar. Er stumpft die Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit ab und blockiert den Glau­bens­zu­gang (155).“

Inhalt­lich ist die­se Men­ta­li­tät „Schall und Rauch“ und kann sich nur in Hir­nen fest­set­zen, die „unfä­hig zur Kri­tik“ sind (157). Mode, Pres­se und das blin­de Nach­plap­pern sind Moto­ren die­ser Dyna­mik. Gleich­zei­tig betrach­tet man sich als „kri­ti­sches Zeit­al­ter“ und schaut ver­ächt­lich auf das „Mit­tel­al­ter“ herab:

„Der »moder­ne Geist« setzt ohne Prü­fung eine Rei­he von ersten Prin­zi­pi­en vor­aus, z. B., dass im Ver­lauf der Jahr­hun­der­te ein not­wen­di­ger Pro­zess vom Schlech­te­ren zum Bes­se­ren gege­ben sei“ (160).

Libe­ra­ler Abge­ord­ne­ter und katho­li­scher Denker 

Und genau die­se Unver­nunft bedroht den Glau­ben, weil der Glau­be auf Ver­nunft auf­ge­baut ist. Die­ser Geist ist weit weni­ger kon­kret als der klas­si­sche Agno­sti­zis­mus und Skep­ti­zis­mus, der sei­ne Über­zeu­gun­gen immer­hin klar darlegte.

Vehi­kel der Ver­brei­tung die­ses neu­en Gei­stes sind das Zwangs­schul­sy­stem und die Pres­se. Und genau das ist für unse­re eige­ne Zeit rele­vant: Vie­len fällt es ja kaum noch auf, daß sowohl das Schul­sy­stem mit sei­nen nie offen dar­ge­leg­ten und aus­drück­lich begrün­de­ten inhalt­li­chen Vor­ent­schei­dun­gen als auch die Medi­en­welt mit eben­falls unein­ge­stan­de­nen Axio­men die Gei­stes­hal­tung unse­rer Län­der zutiefst prägen.

Mit wel­chem Recht eigentlich?

Die Medi­en­welt unter­stützt durch Sen­sa­ti­ons­mel­dun­gen eben­falls die Träg­heit des Den­kens und füt­tert den Leser und Zuse­her mit fal­schen Ideen. Bel­loc meint zwar, daß hier kei­ne „Ver­schwö­rung“ gegen Wahr­heit und Reli­gi­on vor­lie­ge (184). Der Rezen­sent meint, daß es aber eher unwahr­schein­lich ist, daß der gesam­te Medi­en­haupt­strom „zufäl­lig“ seit Jah­ren über­all das­sel­be sagt.

Neuheidentum und Spiritismus als Produkt der Apostasie vom Glauben

Hoch­in­ter­es­sant ist auch die Ana­ly­se von neu hin­zu­kom­men­den Geg­nern der Kir­che, also sol­chen, die sich zur Zeit der Abfas­sung des Buches her­aus­bil­de­ten. Die­se rich­ten sich weni­ger gegen die dok­tri­nä­ren Lehr­sät­ze der Kir­che als viel­mehr gegen die Moral (191).

Bel­loc nennt die­sen Geg­ner das „Neu­hei­den­tum“, wel­ches etwas viel Schlim­me­res ist als das ori­gi­nä­re Hei­den­tum der Römer und Grie­chen. Es bringt bewußt Häß­li­ches und Abscheu­li­ches her­vor (198). Es steht hin­ter der „moder­nen Kunst“ und ist ein Aus­druck von Verzweiflung.

Bel­loc stellt fest, daß das Neu­hei­den­tum dem über­lie­fer­ten Hei­den­tum Afri­kas und Asi­ens die Tore Euro­pas öff­net. Da der Glau­be schwin­det, kann die­se „Infil­tra­ti­on“ (204) effek­tiv erfol­gen. Das offen­kun­dig­ste, aber nicht wich­tig­ste Bei­spiel ist der Ver­fall der Musik durch die von afri­ka­ni­schen Rhyth­men bestimm­te Unterhaltungsmusik.

Bel­loc dazu gene­rell und im Gegen­satz zu unse­rem heu­ti­gen, „mul­ti­kul­tu­rel­len“ Zeitgeist:

„Die­ser neue Respekt gegen­über den nicht- und anti­christ­li­chen Kul­tu­ren Euro­pas ist viel­mehr etwas sehr Schlech­tes. In sei­nem wei­te­ren Ver­lauf führt er unwei­ger­lich, wie schon oft gesche­hen, bei vie­len zu einer Ver­ach­tung der christ­li­chen Tra­di­ti­on und Phi­lo­so­phie als etwas sowohl Über­hol­tes als auch Infan­ti­les“ (205).

Bel­loc betrach­te­te eine Renais­sance des Islam im 20. Jahr­hun­dert als mög­lich und auf­grund des Ver­falls des Chri­sten­tums zu sei­ner Zeit (!) als wahr­schein­lich. Der Islam wer­de auf eine sub­ti­le Wei­se zum Ver­bün­de­ten des Neu­hei­den­tums im Kampf gegen die Katho­li­sche Kir­che und Zivilisation.

Aller­dings sei noch kei­ne orga­ni­sier­te Kon­kur­renz-Reli­gi­on zur Kir­che am Hori­zont sicht­bar, ledig­lich ein Wust an „Übun­gen in Sub­jek­ti­vis­mus“ (216). Letzt­lich stam­me die­ses Cha­os aus dem Auto­ri­täts­va­ku­um, das die „Refor­ma­ti­on“ hin­ter­las­sen hat.  Aller­dings gebe es ein Anstei­gen des „Spi­ri­tua­lis­mus“. Da Bel­loc in die­sem Zusam­men­hang von Séan­cen schreibt, ist wohl „Spi­ri­tis­mus“ der tref­fen­de­re Aus­druck: Er erwähnt auch den – mög­li­cher­wei­se von Eigen­erfah­rung inspi­rier­ten – Roman The Necro­man­cers (1909, also Die Toten­be­schwö­rer) von Msgr. Robert Hugh Ben­son, der eine War­nung vor okkul­ten Prak­ti­ken darstellt.

Damit pro­phe­zeit Bel­loc, daß der­je­ni­ge, der die neu­heid­ni­sche Ver­zweif­lung mit der Befrie­di­gung mes­sia­ni­sti­scher Befind­lich­kei­ten ver­bin­den kön­nen wird, nur einer sein kann: der Antichrist.

Ausblick: Bellocs Mutmaßungen

Im letz­ten Kapi­tel erör­tert er Chan­cen auf eine katho­li­sche Restau­ra­ti­on. Er weist auf das „Glück“ hin, das einer katho­li­schen Gesell­schaft zuteil wur­de. Die katho­li­sche Welt­erklä­rung erwies sich so als gera­de­zu „tri­um­phal“ (228). Im Gegen­zug sieht man jetzt einen intel­lek­tu­el­len und vor allem mora­li­schen Ver­fall, der ein Weck­ruf sein könn­te. Gleich­zei­tig kon­sta­tiert Bel­loc eine Zunah­me der katho­li­schen Apo­loge­tik, die ihre Geg­ner emp­find­lich stö­re. Neu­zu­wäch­sen an Intel­lek­tu­el­len steht aller­dings ein Schwund an Katho­li­ken ins­ge­samt gegenüber.

Er schließt mit der fol­gen­den Mutmaßung:

„Ent­we­der wer­den wir die all­mäh­li­che Durch­drin­gung der Mensch­heit durch das ein­zi­ge ver­stan­des­kon­for­me Wahr­heits­sy­stem erle­ben, das das größt­mög­li­che Maß an Sicher­heit gewährt, das einer gefal­le­nen Mensch­heit mög­lich ist [das katho­li­sche], oder unse­re Zivi­li­sa­ti­on wird zu einem völ­lig bizar­ren Etwas wer­den, das noch weni­ger vom Glau­ben weiß als die Mil­lio­nen ver­zwei­fel­ten Städ­ter heu­te (238).“

Aller­dings wer­de – ange­sichts der bis­he­ri­gen Gedan­ken Bel­locs etwas para­dox – ein kom­men­der Vor­marsch des Glau­bens mit Ver­fol­gung ver­bun­den sein. 

Vorhersagen Bellocs und kritische Punkte

Was sei­ne Vor­her­sa­gen betrifft, so behielt er mit man­chen recht, mit ande­ren nicht: Er sag­te, wie schon erwähnt, zutref­fend den Wie­der­auf­stieg des Islams vor­aus, der ja damals im Zuge der Kema­li­sie­rung des ehe­ma­li­gen Osma­ni­schen Rei­ches den mei­sten Beob­ach­tern äußerst unwahr­schein­lich schien.

Falsch lag Bel­loc mit sei­ner Rede vom „wahr­schein­lich kurz­le­bi­gen […] Flä­chen­brand“ des Kom­mu­nis­mus (27). Offen­bar konn­te er sich nicht vor­stel­len, daß sich ein der­ma­ßen per­ver­ses und sata­ni­sches System – aller­dings mit mas­si­ver pro­pa­gan­di­sti­scher und finan­zi­el­ler Hil­fe aus dem Westen – so lan­ge hal­ten wür­de kön­nen. Er wäre ent­setzt zu sehen, wie kom­mu­ni­sti­sche Ideen die Grund­la­gen der Euro­päi­schen Uni­on bestim­men und wie weit­ver­brei­tet links­ra­di­ka­le Strö­mun­gen auf der Stra­ße („Anti­fa“, BLM), in den Medi­en, in der Gesetz­ge­bung und der „Kul­tur“ sind.

Erstaun­lich ist die posi­ti­ve Bewer­tung der Renais­sance durch Bel­loc, die durch die Refor­ma­ti­on bedau­er­li­cher­wei­se zer­stört wor­den sei (60). Die Renais­sance hat­te aber bekannt­lich einen star­ken heid­ni­schen Cha­rak­ter und ein Fai­ble für Okkul­tis­mus. Hier kann man Bel­loc nicht ohne wei­te­res fol­gen. Bel­loc nennt etwa Koper­ni­kus als einen Autor der Renais­sance. Die­ser stamm­te aller­dings aus deut­scher Fami­lie, nicht aus pol­ni­scher (61).

Daß die von Bel­loc im Jahr 1929 wahr­ge­nom­me­ne „katho­li­sche Renais­sance“ durch das Wie­der­auf­le­ben der katho­li­schen Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur lei­der nicht „dau­er­haft“ (87) blieb, ist vor allem dem Wir­ken der bereits infil­trier­ten Kir­chen­hier­ar­chie und dem Desa­ster des II. Vati­can­ums zuzu­schrei­ben. Die kirch­li­che Selbst­zer­stö­rung hat­te er noch nicht am Radar.

Was nicht ganz stimmt, ist, daß die Umwelt Moham­meds neben jüdi­schen Grup­pen über­wie­gend katho­lisch gewe­sen wäre (207). Die Poin­te des Islam ist ja gera­de, daß er die dok­tri­nä­re und orga­ni­sa­to­ri­sche Unei­nig­keit der Chri­sten bemerkt hat und bis heu­te für sei­ne Pro­pa­gan­da aus­schlach­tet. Ob die Leh­re von der Ent­ste­hung des Islam, wie sie Bel­loc ver­tritt, heu­te noch halt­bar ist, kann hier nicht ent­schie­den wer­den, dem Rezen­sen­ten erscheint sie eher fragwürdig.

Resümee: Hilaire Belloc – intellektuelle Analysekraft und katholisches Selbstbewußtsein

Das vor­lie­gen­de Werk erschließt sich nicht sofort. Es ver­langt auf­merk­sa­me und ggf. wie­der­hol­te Lek­tü­re. Immer­hin ist es fast hun­dert Jah­re alt und hat einen uns frem­den Kul­tur­kreis zum Hin­ter­grund. Nichts­de­sto­trotz lohnt sich die Beschäf­ti­gung mit Bel­loc auch im Jahr 2020. Neben dem schon erwähn­ten Argu­ment von C. S. Lewis, daß älte­re Lite­ra­tur blin­de Flecken unse­rer eige­nen Zeit kor­ri­gie­ren kann, sind es beson­ders zwei Gründe:

Erstens hat Bel­loc alles, wor­über er schreibt, genau durch­dacht. So zeich­net er etwa das „moder­ne Den­ken“ sehr gut als Patho­lo­gie des Gei­stes: Hier trifft man auf ein Sam­mel­su­ri­um an schlecht begrün­de­ten Mei­nun­gen, die fana­tisch ver­kün­digt und geglaubt wer­den. An den Inhal­ten des „moder­nen Den­kens“ ist nichts ratio­nal, weder die Evo­lu­ti­ons­theo­rie, noch die Theo­rie der Ent­ste­hung von Reli­gi­on aus dem Bedürf­nis der Men­schen und schon gar nicht die Kri­tik an der histo­ri­schen Zuver­läs­sig­keit der Evan­ge­li­en und der Apostelgeschichte.

Zwei­tens ver­tritt Bel­loc ein heut­zu­ta­ge nur sehr sel­ten vor­han­de­nes katho­li­sches Selbst­be­wußt­sein. Er weiß, daß unse­re Kul­tur und alles, was sich Kul­tur und Zivi­li­sa­ti­on nennt, von Kir­che und Glau­ben stamm­ten. Er sagt, daß beim Zusam­men­bruch des Glau­bens auch Ver­nunft, Manie­ren und Kul­tur ver­schwin­den wer­den. Knapp hun­dert Jah­re spä­ter sehen wir, wie sehr Bel­loc recht behal­ten hatte.

Dem Reno­va­men-Ver­lag gebührt Dank und Aner­ken­nung, mit einer preis­wer­ten Taschen­buch­aus­ga­be die­sen bedeu­ten­den Autor im deut­schen Sprach­raum wie­der etwas bes­ser bekannt gemacht zu haben.

Für den deut­schen Leser der Gegen­wart sind die Erklä­run­gen in den Fuß­no­ten sehr wich­tig. Es hät­ten durch­aus noch mehr sein können.

Lei­der ist die Über­set­zung manch­mal holp­rig oder feh­ler­haft („erheb­li­cher“, 26, muß hei­ßen „uner­heb­li­cher“, u. a.). Ver­schrei­bun­gen wur­den nicht aus­ge­merzt. Ein „Fal­vi­us Jose­phus“ (97) darf nicht pas­sie­ren. Was „Tie­f­am­ter“ sein sol­len (216), erschließt sich dem Leser nicht (viel­leicht „Tief­at­mer“?). Wer „der Kapp“ ist (38), ist eben­falls unklar (viel­leicht „das Kap“, also Süd­afri­ka). „Leh­ren“ wird mit dop­pel­tem Akku­sa­tiv kon­stru­iert (84, 192), ent­spre­chend muß das Pas­siv gebil­det wer­den (46).

Viel­leicht kann das bei einer wün­schens­wer­ten Zweit­auf­la­ge aus­ge­merzt werden.

Der Rezen­sent wünscht dem Ver­lag jeden­falls wei­ter­hin erfolg­rei­ches Schaf­fen. Möge es allen AMDG nützen.

Hilai­re Bel­loc, Gegen Mäch­te und Gewal­ten. Die alten und neu­en Fein­de der katho­li­schen Kir­che, Reno­va­men-Ver­lag 2020, ISBN 978–3956211386, 248 Sei­ten; 16 Euro.

*Wolf­ram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Kate­chist, Pro Lifer, Leser eng­lisch­spra­chi­ger katho­li­scher Autoren (neben Bel­loc vor allem Kar­di­nal John Hen­ry New­man, Msgr. Robert Hugh Ben­son und – mit etwas Mühe – G. K. Chesterton)

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