
(Rom) Papst Franziskus hat die Kirche von einer streitenden Kirche – ein Terminus, den die nachkonziliare Kirche nicht mehr mag – zu einer politisierenden Kirche gemacht. Diesen Eindruck gewinnen Beobachter, wenn sie die Stellungnahmen der Bischofskonferenzen lesen, ob in Berlin oder Rom. Als Vorsitzenden der Italienischen Bischofskonferenz setzte Franziskus Msgr. Gualtiero Bassetti ein, den Erzbischof von Perugia, den er auch zum Kardinal kreierte. Perugia ist die Hauptstadt von Umbrien, dem Land, aus dem der heilige Franz von Assisi stammte. Dort kam es gestern zu einem politischen Erdbeben, das auch eine Niederlage für die politisierenden Prälaten und den ideologisierten Klerus à la Antonio Spadaro SJ von der römischen Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica und der Franziskaner von Assisi ist.
Das ist nur eine Prämisse, da die gestrige Wahl mit dem Abschluß der Amazonassynode zusammenfiel und sich Erzbischof Bassetti und P. Spadaro für und mehr noch gegen eine bestimmte Wahlentscheidung aussprachen. Zum besseren Verständnis soll eine kleine Klammer aufgetan werden:
Umbrien ist seit über hundert Jahren eine rote Hochburg. Eine Zeit, die nur durch die Diktatur des Faschismus unterbrochen wurde. Seit gestern ist diese Vorherrschaft Geschichte. Die bisher regierenden Linksdemokraten (PD) halbierten ihren Wähleranteil von 43 auf 22 Prozent. Gleiches entschied der Wähler für die Fünfsternebewegung (M5S), die von 14 auf 7 Prozent einbrach. Beide Parteien schlossen vor zwei Monaten eine Koalition und regieren seither Italien mit dem „Segen“ Brüssels. Selbst ein Bündnis beider Parteien, das erstmals bei Landtagswahlen erprobt wurde, konnte den Absturz nicht verhindern.
Die Koalition in Rom und das Bündnis in Perugia kamen aus Angst vor Matteo Salvini und seiner Lega zustande.
Salvini, bis Ende Sommer Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident Italiens, und die Lega waren durch einen fliegenden Koalitionswechsel der Fünfsternebewegung aus der italienischen Regierung verdrängt worden. Die Fünfsternebewegung, wegen der starken Zuwächse des damaligen Regierungspartners Lega, nervös geworden, hatte sich – laut Lega – von Brüssel „einkaufen“ lassen. Es waren die Stimmen der bis dahin EU-kritischen Fünfsternebewegung, die Ursula von der Leyen im vergangenen Juli den Posten der EU-Kommissionpräsidentin verschaffte. „Da wußten wir, daß die Fünfsternebewegung die Seiten gewechselt hatte“, so Lorenzo Fontana (Lega), ein traditionsverbundener Katholik, der bis Anfang September Minister für europäische Angelegenheiten war. Salvini war zur selben Zeit von den USA fallengelassen worden, weil er sich beim Besuch von Xi Jingping im Frühjahr zu weit für die „Neue Seidenstraße“ aus dem Fenster gelehnt hatte.
Da Salvinis Forderung nach Neuwahlen bisher nicht erfüllt wurde, schließlich müssen zu viele der derzeitigen Abgeordneten der neuen Regierungsmehrheit mit dem Verlust ihres Mandates rechnen, blickte alles gebannt auf die Regionalwahlen in Umbrien. Sollte Salvini dort der große Coup gelingen und sogar eine der traditionellen roten Hochburgen Mittelitaliens gewinnen, wäre alles möglich. Und tatsächlich, es ist alles möglich. Das Husarenstück ist geglückt. Mit über 37 Prozent der Stimmen wurde die Lega weitaus stärkste Partei. 2015 waren es nur 14 Prozent gewesen, und die galten damals schon als Sensation. Das von Salvini geschmiedete Rechtsbündnis erzielte zusammen über 57 Prozent.
Die Regierung in Rom aus PD und M5S ist dadurch massiv geschwächt. Es ist offensichtlich geworden, daß sie ohne den nötigen Rückhalt im Volk regiert. Die Nervosität im Regierungslager ist nicht mehr zu übersehen. Im Dezember wird in Kalabrien gewählt, ebenfalls derzeit linksregiert. Der PD fürchtet nun aber vor allem um die Emilia-Romagna, das Herzstück seiner Macht. Dort wird 2020 gewählt. Ihr Verlust wäre, als würde die SPD Bremen oder die SPÖ Wien verlieren.
Und was hat die Wahl zum Regionalparlament von Umbrien mit der Kirche zu tun? Sehr viel. Es geht um die Ausrichtung des Pontifikats, die ebenso am Amazonas wie in Assisi sehr politisch ist.
Auch die politisierenden Kirchenvertreter haben gestern eine Niederlage erlitten, da sie sich öffentlich einer verdächtigen Seite anschließen und mehr noch eine andere Seite angreifen. Der Angriff gilt den Parteien rechts der Mitte, die einen Kurs von Souveränität und Selbstbestimmung steuern. Parteien, die nicht bereit sind, Europa und ihre Heimat ohne weiteres anderen Völkern und dem Islam zu überlassen. Eine Haltung, die von den Kirchenvertretern, die derzeit das Sagen haben, wie P. Spadaro beschimpft wird.
In der Tageszeitung La Verità ist heute ein ausführliches Interview mit dem katholischen Schriftsteller Vittorio Messori erschienen. Messori war immer ein Mann der leiseren Töne. Umso bemerkenswerter ist seine heutige Aussage, den Eindruck zu haben, daß der regierende Papst nicht mehr das Depositum fidei verteidige. Sein Interview stellt die politisierende Kirche in einen größeren Kontext.
Einige Auszüge aus dem Interview:
Vittorio Messori: Heute, mit Bergoglio, hat man den Eindruck, daß man auf irgendeine Weise Hand an die Glaubenslehre legen will. Der Papst ist der Bewahrer und Hüter des Depositum fidei. Nach dem Konzil haben drei große Päpste, Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI., den Geist, mit dem das Evangelium zu lesen und zu leben ist, stark modernisiert, aber sie gingen nie soweit, die Glaubenslehre anzurühren.
La Verità: Und Papst Franziskus?
Vittorio Messori: Der Eindruck ist, daß Bergoglio Hand an das legt, was ein Papst hingegen zu verteidigen hätte. Die Glaubenslehre, so wie sie in 2000 Jahren der Vertiefung entwickelt wurde, wird dem Papst anvertraut, damit er sie verteidigt und nicht, damit er sie ändert. Bergoglio selbst hat jüngst zugegeben, daß manche über ein Schisma nachdenken. Das sei aber etwas, was er nicht fürchte.
La Verità: Was haben Sie für einen Eindruck?
Vittorio Messori: Ein Schisma wird es nicht geben, aber es herrscht große Unruhe, weil wir den ersten Papst erleben, der viele Male dem Evangelium eine Lesart zu geben scheint, die nicht der Tradition folgt.
Text: Andreas Becker
Übersetzung des Interviews: Giuseppe Nardi
Bild: Wikipedia