
(Rom) Vor dem „neuen Humanismus“ als einer „gefährlichen Mode“ warnt der Finanzethiker und ehemalige Präsident der Vatikanbank IOR, Ettore Gotti Tedeschi. Der Finanzexperte gehört zu den Unterzeichnern der Correctio Filialis de haeresibus propagatis an Papst Franziskus. Die Amazonassynode versuche, so Gotti Tedeschi, die „aktuelle philosophische Leier auch in die Christenheit einzuführen“. Die Gefahren seien aber unübersehbar. Sie reichen von einem unkritischen Jubel für die Indio-Kulturen bis zu einer ökologischen Sichtweise, die mehr heidnisch als christlich sei.
Derzeit kursiere ein neues „Zauberwort“ durch die aktuelle politische und kulturelle Diskussion und fülle die Medien: der „neue Humanismus“. Bemerkenswert daran sei, so Gotti Tedeschi in einem gestern von der Tageszeitung La Verità veröffentlichten Kommentar, daß diese keineswegs neue Formel heute parallel sowohl im Bereich von Moral, Wirtschaft und Politik verwendet werde.
Als Beispiele nennt der ehemalige IOR-Präsident die vieldiskutierte Rede des neuen und alten italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, der soeben das bisher beispiellose Kunststück zustande brachte, trotz eines Regierungswechsels von rechts nach links Regierungschef von zwei verschiedenen, ja gegensätzlichen Parlamentsmehrheiten zu bleiben.

Am 29. August trat der parteilose Conte vor die Presse, nachdem er von Staatspräsident Sergio Mattarella den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte und hielt eine Rede mit der er den Wechsel von der bisherigen Mehrheit aus Fünfsternebewegung und der Lega von Matteo Salvini zu einer neuen weit nach links verschobenen Mehrheit mit den Linksdemokraten (PD) und der radikalen Linken (LeU) bekanntgab. Bei dieser vorgezogenen Regierungserklärung sprach er von einem „neuen Humanismus“, den es zu vertreten gelte. Seither wird in Italien lebhaft diskutiert, was er damit genau gemeint und an wen er damit welche Signale ausgesandt habe.
Die Kritiker des fliegenden Machtwechsels, dessen erklärtes Ziel der von Berlin und Paris gewollte Ausschluß der Lega aus der Regierung war, sprechen von einer EU-Agenda und einem Signal an Brüssel und das „globalistische Establishment“. Wieder andere verweisen auf die Freimaurerei und zitierten Reden des Großmeisters des Großorient von Italien, der in den vergangenen Jahren wiederholt von einem „neuen Humanismus“ sprach, so Großmeister Gustavo Raffi in seinem Appell von 2007 für einen „neuen Frühling“ durch einen „neuen Humanismus“.
Im katholischen Kontext, teils vereinnahmend, teils kritisch, wurde auf Papst Franziskus verwiesen, den der Linkskatholik Conte zitiert habe. Das Kirchenoberhaupt habe mehrfach auf einen „neuen Humanismus“ verwiesen, darunter am 10. November 2015 in seiner Ansprache in der Kathedrale von Florenz und der von ihm am 6. Mai 2016 anläßlich der Verleihung des Karlspreises geäußerte „Traum von einem neuen Humanismus“.
Der Brückenschlag zum Verweis, daß die Freimaurerei – vor allem die historisch besonders kirchenfeindliche, romanische Freimaurerei – sich in den vergangenen Jahren erstaunlich positiv, teils geradezu euphorisch über Papst Franziskus äußerte, lag für einige Beobachter daher nahe.
Auch Gotti Tedeschi verweist im Zusammenhang mit dem „neuen Humanismus“ auf Papst Franziskus, denn dieser Begriff tauche ebenso im Zuge der bevorstehenden Amazonassynode auf wie der internationalen Weltwirtschaftstagung Economy of Francesco, die für 2020 in Assisi geplant ist.
Im Rahmen der Amazonassynode werde ein „neuer Öko-Humanismus“ beschworen, so der Finanzethiker, der „in Wirklichkeit mehr einem bestimmten, heidnischen Humanismus ähnelt“. Im Zusammenhang mit der Wirtschaftstagung in Assisi werde ein „neuer, ziviler Humanismus“ versprochen mit einer Wirtschaft, die auf „Beziehung, Kooperation, Verteilungsgerechtigkeit, Inklusion und Brüderlichkeit“ aufbaue und vor allem „nicht profitorientiert“ sein werde.
In der Politik finde der Begriff Verwendung, so Gotti Tedeschi, um die Werte einer künftigen Gesellschaft „ohne Ungleichheit“ zu benennen, der ein neues Verständnis von „globalem Allgemeinwohl“ zugrunde liege. Jedes Partikularinteresse eines Staates, eines Volke, eines Klasse oder Gruppe stehe dazu im Widerspruch.
Die Politik habe dieses „globale Allgemeinwohl“ zu garantieren, indem sie die Oberhand über die Wirtschaft zurückgewinne. Ironisierend merkt der international bekannte Bankmanager dazu an:
„Ergo haben wir einen neuen Humanismus zu erwarten, der ökologisch, spirituell, ökonomisch, politisch, sehr human, sehr sozial und vielleicht auch ein bißchen heidnisch ist.“
Um die Bedeutung dieser Entwicklung zu verstehen, „empfehle ich, die Amazonassynode nicht zu unterschätzen, die im kommenden Oktober in Rom stattfinden wird“. Sie könnte als eine Art „inoffizielles Konzil“ verstanden und gehandhabt werden mit möglichen (von der Synode vielleicht gar nicht gewollten und vorgesehenen) Auswirkungen, die Aufmerksamkeit verdienen.
Hinter der starken Betonung von „Natur“ und „Natürlichkeit“, die sich nicht auf das Naturrecht bezieht, sondern biologisch gemeint ist, scheine sich eine „universale Umweltreligion“ zu verbergen, die auch ein „wirtschaftliches Projekte“ anstrebt. Das Ziel scheine „‚grüner‘ Kapitalismus“ zu sein. Gotti Tedeschi äußert den Verdacht, daß darunter auch ein schrittweiser Rückbau erreichter Standards und eine progressive Bevölkerungsreduzierung zu verstehen sei.
Dieser Verdacht entstehe, weil „ein aristotelischer Syllogismus durch Prämissen, Überlegungen und Schlußfolgerungen“ auf eine Weise verwendet werde, der „logisch nicht haltbar“ sei. Die moralischen und ökonomischen Prämissen des Instrumentum laboris der Amazonassynode „sind nicht allgemein anerkannt und viele gelten als willkürlich“. Verschiedene theologische Überlegungen desselben Arbeitspapiers werden „von vielen Theologen sogar als häretisch“ beurteilt, die zudem vordergründig auf ein kleines Gebiet, den Amazonas, bezogen sind, in Wirklichkeit aber auf die ganze Welt ausgeweitet werden könnten.
„Die Überlegungen zu ökonomischen Lösungen sind sogar utopisch.“
Und die politischen Ansätze würden geradezu diktiert. Dementsprechend, so Gotti Tedeschi, seien auch die Schlußfolgerung „willkürlich“ und könnten „sowohl in moralischer als auch in politischer und ökonomischer Hinsicht unvorhersehbare Folgen“ zeitigen.
Das logische Defizit des Ganzen lege den Verdacht nahe, daß „das wahre Ziel die Vorbereitung einer grünen, öko-kapitalistischen Revolution“ sei mit dem Ziel einer globalen Neuverteilung der Macht.
„Diese kapitalistische Revolution, die daher nur ‚Busineß‘ sein könnte, behauptet, sich auf der Notwendigkeit eines neuen, humaneren Humanismus zu gründen, und beansprucht moralische und politische Autorität.“
Man werde nach der Amazonassynode und nach der Wirtschaftstagung in Assisi 2020 genaueren Einblick in das angestrebte Programm haben, so Gotti Tedeschi. Dennoch wolle er, damit es eventuell nicht zu spät ist, zwei deduktive Anmerkungen wagen.
„Wenn die Synode von der wissenschaftlich nicht ausreichend geklärten Annahme ausgeht, daß die Priorität die Bewahrung des Ist-Zustandes der Schöpfung ist (zum Beispiel des Amazonas) und die Kulturen der Ahnen (heidnische Religionen) die Natur mehr achten als die „entwickelten“ Religionen, liegt die Schlußfolgerung nahe, daß es keine mehr zu verkündende Wahrheit gibt, sondern nur mehr eine zu respektierende Freiheit, da der Naturalismus die Wahrheit ist. Daraus folgt, daß der neue Öko-Humanismus, den Menschen als Subjekt der Erde sieht, für den nur die Gesetze der Natur gelten, es aber keine absolute Wahrheit und Moral gibt. Die einzige Moral und Ethik ergibt sich aus der Bewahrung der Erde.“
Wenn der alte Kapitalismus raubtierhaft, völkermordend, raffgierig, und konsumistisch ist, nur die Profitmaximierung für wenige sucht, ohne den produzierten Reichtum zu verteilen, und die Politik dem Markt unterworfen und den Humanismus verzerrt hat, muß der neue Humanismus folgerichtig das Gegenteil anstreben. Er darf nicht den Profit maximieren, sondern muß den Reichtum für das globale Allgemeinwohl verteilen. Der neue Humanismus interpretiert das Leben nach einem wissenschaftlich-biologischen Schlüssel, weshalb die Rolle des Menschen in der Schöpfung zurückgedrängt werden soll, was das Wirtschaftswachstum unterbrechen könnte. Die Leugnung des wichtigsten Teils der Genesis bedeutet aber die Verwirklichung eines neuen Humanismus im Sinne der Katharer.
Mit Erfolg würden nach diesem Denken jene regieren, die ein striktes „Öko-Programm“ verwirklichen, die Einwanderung unterstützen, um damit das Vordringen verschiedener Kulturen, auch der Ahnenkulte, und den Synkretismus, auch mit heidnischen Religionen, zu fördern mit dem Ziel, einen Ausgleich zu den monotheistischen Religionen zu schaffen.
Gotti Tedeschi stellt daher in Richtung päpstliches Umfeld die abschließende Frage:
„Werden sie uns also, den Rosenkranz zur Seite gelegt, bald Darstellungen heidnischer Götzen des neuen Humanismus zeigen?“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: francescoeconomy.org