(Rom) Woher rührt der fast panisch anmutende Drang des derzeitigen Papstes, sich wiederholt vom Proselytismus zu distanzieren, den es – wie er ihn im heutigen Sinn versteht – in der katholischen Kirche gar nicht gibt? Vor zwei Tagen warnte Franziskus erneut vor dem, was der Vatikanist Sandro Magister „das Gespenst von Papst Franziskus“ nennt.
Am vergangenen Montag, den 20. Mai empfing Papst Franziskus die Teilnehmer des Generalkapitels des 1850 gegründeten Päpstlichen Instituts für die auswärtigen Missionen (PIME). Zu diesem Missionsorden gehört u.a. die Nachrichtenagentur AsiaNews.
Aus der längeren Ansprache des Papstes wurde von den vatikanischen Medien ein Punkt besonders hervorgehoben:
„Die x‑te Breitseite gegen den ‚Proselytismus‘, die nicht fehlen durfte“, so Magister.
In der ursprünglichen Textfassung war davon nichts enthalten. Papst Franziskus fügte sie spontan in seine Rede ein. Der von der offiziellen Internetseite des Heiligen Stuhls veröffentlichte Text wurde entsprechend ergänzt:
„Es gibt eine Gefahr, die wieder auftaucht. Sie schien bereits überwunden, doch sie taucht wieder auf: das Verwechseln von Evangelisierung mit Proselytismus. Nein. Evangelisierung ist Zeugnis von Jesus Christus geben, der gestorben und auferstanden ist. Er ist es, der anzieht. Deshalb wächst die Kirche durch Anziehung, nicht durch Proselytismus, wie Benedikt XVI. gesagt hat. Diese Verwirrung ist ein bißchen wegen eines politisch-ökonomischen Verständnisses der Evangelisierung entstanden, das nicht mehr Evangelisierung ist. Dann die Präsenz, die konkrete Präsenz, derentwegen man gefragt wird, warum man so ist. Dann verkündest du Jesus Christus. Das ist keine Suche nach neuen Mitgliedern für diese ‚katholische Gesellschaft‘, nein, das ist Jesus sichtbar machen: damit Er sich sehen läßt durch meine Person, in meinem Verhalten; und durch das Leben Räume für Jesus öffnen. Das ist evangelisieren. Und das ist es, was eure Gründer im Herzen hatten.“
Franziskus fügte noch hinzu:
„Dazu erlaube ich mir Euch die letzten Paragraphen von Evangelii nuntiandi nahezulegen. Ihr wißt, daß Evangelii nuntiandi das größte Pastoraldokument der Nachkonzilszeit ist. Es ist noch neu, noch gültig und hat nichts von seiner Kraft verloren. In den letzten Paragraphen, wo es beschreibt, wie ein Evangelisierer zu sein hat, spricht es von der Freude zu evangelisieren. Dort, wo der heilige Paul VI. von den Sünden des Evangelisierers spricht: die vier oder fünf letzten Nummern. Lest es genau, indem ihr an die Freude denkt, die er uns empfiehlt.“
Dazu Magister:
„Diese beiden Zusätze enthalten nichts Neues. Sowohl die Kritik am Proselytismus als auch die Hervorhebung von Evangelii nuntiandi gehören zum Mantra von Jorge Mario Bergoglio, wann immer er von Mission spricht.“
Was meint Proselytismus?
Was aber versteht Franziskus unter Proselytismus? Und was bezweckt er mit den häufigen Distanzierungen?
Diese Frage ist auch sechs Jahre nach seiner Wahl nicht wirklich geklärt. Der Begriff allein hilft nicht wirklich weiter, selbst dann nicht, wenn man einen eventuell aus dem Kontext der päpstlichen Reden entnehmbaren Begriffswandel zugrundelegt. Derselbe Kontext steht dem entgegen.
Proselytismus kommt von griechisch προσήλυτος und meint den Hinzugekommenen. Im Evangelium wird damit die Bekehrung eines Heiden zum Judentum beschrieben. Es geht also um jenen, der die Religion neu angenommen hat, sich bekehrt hat. Proselyt ist ein Synonym für Konvertit. So wurde der positiv besetzte Begriff vom Christentum übernommen, und dazu die Ableitung Proselytismus. Nichts anderes meint der Missionsauftrag Jesu an die Kirche.
Statt Proselytismus sagte man im Deutschen bis ins 19. Jahrhundert Proselyterei. Wegen der Glaubensspaltung und besonders seit der Aufklärung wurde der Begriff mit polemischem Unterton gegen die katholische Kirche und ihren Missionsauftrag gebraucht. Konversionen von Protestanten wurden mit lauter Polemik und der anklagenden Unterstellung der „Bauernfängerei“ begleitet.
Um dieser zunehmend negativen Konnotation der Proselytenmacherei entgegenzuwirken, wurde von katholischer Seite in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts versucht, zumindest die Begriffe Mission und Missionierung positiv abzusichern. Dazu wurde der Begriffswandel von Proselytismus auch in katholischen Kreisen übernommen und dazu genützt, sich von kritisierten Methoden abzuheben, die einigen protestantischen Denominationen vorgeworfen wurden. So meint Proselytismus heute die Gewinnung neuer Anhänger durch Abwerbung mit unlauteren, zumindest aber ethisch zweifelhaften Methoden.
Von den Begriffen her ist dem nicht so, doch nach sechs Jahren des derzeitigen Pontifikats, wurde die Negativ-Konnotation von Proselytismus durch Papst Franziskus wohl endgültig etabliert.
Verfolgt man die Begriffsentwicklung in den vergangenen Jahrhunderten, wird spürbar, daß in der außerkirchlichen Kritik an der Proselyterei eine zunehmend generelle Kritik an Mission auftauchte. Vor diesem Hintergrund könnte es noch verständlicher werden, daß man von katholischer Seite nicht an einem negativ behafteten Begriff festhalten will, um nicht unnötige Energie in einem Begriffsstreit zu binden.
Warum aber eine Distanzierung von Nicht-Existentem?
An dieser Stelle beginnt aber ein gleich mehrfaches Problem: Einen negativ besetzten Begriff aufzugeben, ist etwas anderes, als sich ständig und ungefragt davon zu distanzieren. Zieht man dadurch nicht erst mißtrauische Blicke auf sich? Oder bringt man dadurch, noch schlimmer, nicht selbst die Kirche unberechtigerweise in Mißkredit?
Zudem: Franziskus läßt nicht nur den Begriff Proselytismus, und damit leider auch den schönen Begriff Proselyten fallen, sondern auch die Begriffe Mission und missionieren.
Ist für ihn auch der Begriff Mission kompromittiert wie Proselytismus? Das wohl nicht, da er sich davon zumindest nicht explizit distanziert. Er nützt ihn aber auch nicht wirklich. Wovon spricht er dann? Die Ansprache an die Mitglieder des PIME-Generalkapitels zeigt es: Der Gegensatz von Proselytismus ist für Franziskus nicht Mission, sondern Evangelisierung. Der Rückzug deckt sich mit dem unerklärlichen Verzicht auf eine Judenmission, wie er Ende 2015 von einer vatikanischen Dialogkommission verkündet wurde, und einem Quasi-Verzicht auf eine Muslimmission und überhaupt auf jede Mission gegenüber Angehörigen anderer Religionen, wie sie seit der Erklärung von Abu Dhabi in der Luft liegt. Einen expliziten Verzicht auf den Wunsch einer Bekehrung erklärte Papst Franziskus gegenüber dem Atheisten Eugenio Scalfari.
Folgt man den widersprüchlichen Worten von Franziskus an die PIME-Missionare, sollten dann auch sie auf Mission verzichten?
Insgesamt stellt sich die Frage, ob durch das ständige Distanzieren von Proselytismus, nicht künstlich ein in dieser Form gar nicht existentes Problem aufgeworfen wird. Von Zwangsbekehrungen sind derzeit, wenn schon, vor allem die Christen betroffen, etwa in Teilen Indiens von hindunationalistische Gruppen bedrängt, ebenso in manchen islamischen Ländern, wo sie mehr oder weniger starkem Druck ausgesetzt sind.
Oder hofft Franziskus, indem er mit dem Finger auf die katholische Mission zeigt, die massive Abwanderung von Katholiken zu protestantischen Freikirchen in Lateinamerika zu stoppen? Betreiben Evangelikale und Pfingstler unter Katholiken Proselytenmacherei nach der gängigen Negativ-Definition?
Magister formuliert es so:
„Wenn Franziskus unter ‚Proselytismus‘ eine Missionstätigkeit meint, die durch Übertreibung, also Druck, auf eine große Zahl von Neugetauften abzielt, dann ist es ein Rätsel, woher er die Überzeugung gewinnt, daß so etwas in der katholischen Kirche eine reale ‚Gefahr‘ sein soll, die ‚wieder auftaucht‘.
Wenn es in der Kirche im vergangenen halben Jahrhundert eine unanfechtbare Realität gibt, dann nicht eine Übertreibung, sondern einen Zusammenbruch des missionarischen Eifers.“
Worauf will Franziskus also hinaus?
Missionarischer Eifer erschlafft
Seine Vorgänger auf dem Stuhl Petri waren sich der Erschlaffung des Missionseifers durchaus bewußt, zu der Thesen wie jene von Karl Rahner von den „anonymen Christen“ die vermeintliche Rechtfertigung lieferten. Die Päpste bemühten sich gegenzusteuern. Paul VI. veröffentlichte 1975 das nachsynodale Schreiben Evangelii nuntiandi, Johannes Paul II. die Enzyklika Redemptoris missio und Benedikt XVI. ließ 2007 eine Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung veröffentlichen.
Dem PIME gehörte auch P. Piero Gheddo (1929–2017) an, den Papst Johannes Paul II. mit der Ausarbeitung von Redemptoris missio beauftragt hatte, und der bereits am Missionsdekret Ad gentes des Zweiten Vatikanischen Konzils mitgearbeitet hatte. Von ihm stammt das Buch: „Mission ohne wenn und aber“.
P. Gheddo meldete sich bis ins hohe Alter mit kritischen Zwischenrufen zu Wort, etwa 2014, als er wegen der Zunahme von kirchlichen „Politkampagnen“ die Frage stellte: „Wieviel Berufungen weckt ein Marsch für den Regenwald?“ Aus heutiger Sicht mit Blick auf die bevorstehende Amazonassynode betrachtet, von der man damals noch nichts wußte, war das eine geradezu prophetische Mahnung.
In seinem letzten Artikel, den Katholisches.info wenige Monate vor seinem Tod veröffentlichte, berichtete P. Gheddo, daß „der Heilige Geist auf Borneo so viele Bekehrungen weckt, daß die Priester gar nicht nachkommen“.
Papst Franziskus hält aber gerade von den Belebungsversuchen der Mission durch seine Vorgänger nicht viel. Magister schreibt dazu:
„Im Gegensatz zu seinen Vorgängern scheint Franziskus die Mission hingegen bremsen zu wollen.“
Magister rekapituliert die Intention des derzeitigen Kirchenoberhauptes wie folgt:
„Im Wesentlichen will er, daß man den christlichen Glauben stumm mit dem Leben ‚bezeugt‘, in erster Linie durch Nächstenliebe. Und erst dann, nachdem das Zeugnis eventuell Fragen weckt, legt er nahe, ‚Jesus zu verkünden‘. Diesen zweiten Schritt erklärt er aber nie, sondern bleibt jedesmal beim Beharren auf den ersten Schritt stehen, der für Franziskus einzigen, gesunden Alternative zu einem völlig zu mißbilligenden ‚Proselytismus‘ – und das alles mit vielen Hinweisen auf Evangelii nuntiandi von Paul VI., das nach Meinung des derzeitigen Papstes das ‚größte Pastoraldokument der Nachkonzilszeit‘ ist“.
Einseitige Lesart von Evangelii nuntiandi?
Tatsächlich weist auch Paul VI. dem stummen Zeugnis eine besondere Bedeutung zu. Im Gegensatz zu Franziskus geht er aber darüber hinaus. Doch diese Stellen von Evangelii nuntiandi „scheint Franziskus systematisch zu überlesen“, so Magister.
Auch der ausdrückliche Hinweis von Franziskus an die PIME-Missionare, sich die letzten Paragraphen von Evangelii nuntiandi „sehr genau“ nachzulesen, wirkt widersprüchlich. Im Paragraph 80 geißelt Paul VI. gerade jenes Denken als Irrtum, das „unter vielen Unterstützern des derzeitigen Pontifikats“ in Mode ist „und faktisch jeden missionarischen Eifer lähmet“, so der Vatikanist.
In diesem Paragraph 80 schreibt Paul VI.:
„Sicherlich wäre es ein Irrtum, irgend etwas, was immer es auch sei, dem Gewissen unserer Brüder aufzunötigen. Diesem Gewissen jedoch die Wahrheit des Evangeliums und den Heilsweg in Jesus Christus in voller Klarheit und in absolutem Respekt vor den freien Entscheidungen, die das Gewissen trifft, vorzulegen – „ohne Zwang oder unehrenhafte oder ungehörige Überredung“ –, ist gerade eine Ehrung eben dieser Freiheit, der so die Wahl eines Weges angeboten wird, den selbst die Nichtglaubenden für ehrenvoll und erhebend halten. Ist es denn ein Vergehen gegen die Freiheit des anderen, voller Freude eine Frohbotschaft zu verkünden, die man selbst durch die Barmherzigkeit Gottes vernommen hat? Und warum sollten bloß die Lüge und der Irrtum, die Entwürdigung des Menschen und die Pornographie das Recht haben, dargelegt und leider oft auch wegen der Duldsamkeit der Gesetzgebung, der Furcht der Guten und der Dreistigkeit der Bösen mit Hilfe einer zersetzenden Propaganda der Massenmedien den Menschen geradezu aufgedrängt zu werden? Die – wie Wir sagten – respektvolle Verkündigung der Botschaft Christi und seines Reiches ist nicht nur ein Recht des Glaubensboten – sie ist mehr: sie ist seine Pflicht. Und die Menschenbrüder dieses Glaubensboten haben auch ein Recht darauf, von ihm die Verkündigung der Frohbotschaft und des Heils zu empfangen. Dieses Heil kann Gott, bei wem er will, auf außerordentlichen Wegen wirken, die nur er allein kennt. Und doch ist sein Sohn gerade dazu gekommen, um uns durch sein Wort und sein Leben die ordentlichen Heilswege zu offenbaren. Uns hat er aufgetragen, diese Offenbarung mit seiner Autorität an die anderen weiterzugeben.“
Und im Paragraph 78:
„Der Prediger des Evangeliums muß also jemand sein, der selbst um den Preis persönlichen Verzichtes und gar Leidens immer die Wahrheit sucht, die er den anderen übermitteln soll. Er wird die Wahrheit niemals verraten noch verbergen, um den Menschen zu gefallen, ihr Staunen zu erregen oder sie zu schockieren, weder durch Originalität noch im Drang nach Geltung. Er verweigert sich der Wahrheit nicht. Er verdunkelt die geoffenbarte Wahrheit nicht, weil er zu träge wäre, sie zu suchen, oder aus Bequemlichkeit oder auch aus Furcht.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
So zwanghaft wie die Muselmanen missionieren, so zwanghaft schariabrav ist unser Franziskus, um jene nur ja nicht zu verärgern, sondern ins Horn aller Weltneueinheitsordner zu blasen, die sich wohl erhoffen, den Islam sich integrieren zu können… da können sie lange warten – soviel Rigidität wie dort ist i.d.r. beispiellos. Bis dann sind alle Schäfchen ausgebrochen. I a.
Christus helfe den armen Christen!!!
Das kommt schon wieder. Wer jedoch geistig ganz im modernen Machbarkeitswahn gefangen ist, ist völlig konsequent darin, die „alte Kirche“, die man abschaffen will, von jeglicher Neuaquise abzuschneiden. Ist erst einmal die „neue Kirche“ komplett am Ruder, wird man, dies ist schon jetzt absehbar, sogar vor Gewalt und breitem Anpassungsdruck nicht zurückscheuen. Dieses Pontifikat ist eine Machtergreifung. Und so ist es auch zu verstehen.