
(Rom) Gestern verabschiedete Papst Franziskus den bisherigen Chefredakteur des Osservatore Romano (OR). Nach elf Jahren wurde dessen Dienst für die „Tageszeitung des Papstes“ beendet. Die Nachfolge dürfte bereits geregelt sein.
Chefredakteur der „Zeitung des Papstes“
Vian, ein studierter Philologe und Kirchenhistoriker, ist seit 2006 ordentlicher Professor für Patristische Philologie an der staatlichen römischen Universität La Sapienza und zugleich Vertragsprofessor für Geschichte der Christlichen Tradition und Identität an der privaten Mailänder Universität San Raffaele. Seit 1990 ist er Mitglied des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft und weiterer vatikanischer Gremien.
Vian ist seit Jahrzehnten auch journalistisch tätig und seit 1976 als Publizist Mitglied der italienischen Journalistenkammer. Papst Benedikt XVI. berief ihn 2007 an die Spitze des Osservatore Romano, als sein langjähriger Vorgänger Mario Agnes in Pension ging. Agnes hatte die Tageszeitung des Papstes von 1984 bis 2007 geleitet.
Der längstdienende Chefredakteur des Osservatore Romano war Graf Giuseppe Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto, der Großvater von Fürst Giacomo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto, der am vergangenen 2. Mai zum 80. Großmeister des Souveränen Malteserordens gewählt wurde. Papst Franziskus hatte den 79. Großmeister Anfang 2017 in einem Akt der Willkür zum Rücktritt gezwungen. 40 Jahre leitete Giacomo Dalla Torre von 1920–1960 die Tageszeitung des Vatikans. Unter ihm wurden ab 1949 erste anderssprachige Ausgaben des Osservatore Romano gegründet. Seit 1971 existiert auch eine deutsche Ausgabe.
Andrea Tornielli als Nachfolger?
Prof. Vian beging im vergangenen März seinen 66. Geburtstag. Papst Franziskus bedankte sich bei ihm mit einem gestern veröffentlichten Schreiben. Ein Nachfolger wurde bisher nicht ernannt. Dennoch scheint die Nachfolge bereits geregelt zu sein.
Am 18. Dezember hatte Papst Franziskus seinen Hausvatikanisten Andrea Tornielli offiziell an den Heiligen Stuhl berufen. Er beauftragte ihn mit einer neugeschaffenen Aufgabe im Kommunikationsdikasterium. Tornielli, bisher Journalist der Turiner Tageszeitung La Stampa und Gründer und Koordinator des Nachrichtenportals Vatican Insider, wurde mit sofortiger Wirkung, ausgestattet mit einer Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis, zum Verantwortlichen für die inhaltliche Ausrichtung aller Vatikanmedien.
Das Kommunikationsdikasterium war von Papst Franziskus mit Wirkung vom 1. Oktober 2016 errichtet worden. Seither wurden alle Medien des Heiligen Stuhls schrittweise dem neuen Dikasterium einverleibt. Am längsten konnte der Osservatore Romano seine Eigenständigkeit behaupten. Er wurde zuletzt eingegliedert.
Die Zukunft der Zeitung scheint indes gesichert zu sein. Der erste Präfekt des Kommunikationsdikasteriums (das damals noch Kommunikationssekretariat hieß), Msgr. Dario Edoardo Viganò, nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Apostolischen Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, hätte die Zeitung im digitalen Zeitalter lieber heute als morgen zugesperrt, oder zumindest auf ein bloßes Amtsblatt reduziert. Er scheiterte jedoch an der Entschlossenheit von Papst Franziskus, der am Blatt festhält. Schließlich stürzte Viganò wegen seiner Manipulation eines Briefes von Benedikt XVI. und mußte 2017 seinen Posten räumen. Papst Franziskus ließ ihn allerdings nicht fallen, sondern ernannte ihn zum Assessor und ranghöchsten Berater desselben Dikasteriums.
Auf Wunsch von Papst Franziskus wurde sogar eine eigene Argentinien-Ausgabe des Osservatore Romano geschaffen, deren Leitung er – zum Staunen zahlreicher Kurialer und Vatikanisten – einem presbyterianischen Pastor anvertraute.
Umstrittene Meinungen
Die Verabschiedung von Prof. Vian dürfte an der inhaltlichen Linie des Blattes nichts ändern. Unter Papst Franziskus ließ Vian auch zweifelhafte Autoren im Osservatore Romano schreiben, etwa Marco Vannini und Enzo Bianchi, deren Positionen „meilenweit vom katholischen Bekenntnis entfernt sind“, wie der Vatikanist Sandro Magister 2016 zu Vannini bemerkte, was aber ebenso für Bianchi gilt.
Kritische Stimmen, die umstrittene Entscheidungen und Äußerungen von Papst Franziskus aufzeigten, kamen im Osservatore Romano nicht zu Wort. Er spiegelte in den vergangenen Jahren die orthodoxe, innerkirchliche Diskussion nicht mehr wider. Die Kritik, etwa am nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia, wurde mit keinem Wort erwähnt. Lediglich im knappen Nachruf auf Prof. Robert Spaemann wurde erwähnt, daß er zu den Kritikern gehörte, und daß es diese Kritik überhaupt gibt.
Besonders umstritten ist die seit Anfang 2013 einmal im Monat erscheinende Frauenbeilage. Koordinatorin derselben ist die Historikerin Lucetta Scaraffia, Tochter einer Katholikin und eines Freimaurers. Die Letztverantwortung für diese Beilage lag auch dafür bei Vian. In den vergangenen Jahren wurden darin mehrfach höchst umstrittene, der kirchlichen Lehre und Ordnung widersprechende Positionen vertreten. Der Forderungskatalog reichte von der Frauenpredigt bis zum frauenfeindlichen, lesbischen Feminismus. „Mala tempora currunt“, kommentierte im September 2016 die traditionsverbundene Seite Messa in Latino. Scaraffia selbst vertrat 2018 zur Abtreibungsgesetzgebung eine Linie, die mit den nicht verhandelbaren Werten, die Papst Benedikt XVI. nur wenige Jahre zuvor definiert hatte, schwerlich in Einklang zu bringen sein dürfte.
Rückt der OR noch näher an Santa Marta?
Als Rod Dreher im vergangenen September im römischen Parlament sein Buch Die Benedikt-Option vorstellte, fand am Abend desselben Tages eine öffentliche Diskussionsveranstaltung mit dem Autor statt. Bei dieser Gelegenheit versuchte Vian Dreher in eine rechte, politische Ecke zu stellen, in jene „religiöse Rechte“ in den USA, die Papst Franziskus – als seinen Beitrag zur Rückeroberung des Weißen Hauses durch das politisch linke Establishment – zum Feindbild schlechthin erklärte.
Sollte sich bestätigen, daß Tornielli direkt oder indirekt zum inhaltlich Verantwortlichen der Tageszeitung wird, werden dennoch Veränderungen nicht ausbleiben. Er wird das Blatt noch näher an Santa Marta anlehnen und zu einem direkten Sprachrohr von Papst Franziskus machen. Vom Osservatore Romano wurde bisher betont, daß er weder kein offizielles Organ des Papstes ist, und daher nicht die Funktion eines „Papstsprecher“ ausübt. Das könnte sich de facto bald ändern.
Tornielli genießt seit der Wahl von Papst Franziskus direkten Zugang zum Papst.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL