McCarrick und das Versagen der brüderlichen Zurechtweisung

"Wer letzter wurde, mußte beim Erzbischof schlafen"


Der Fall Theodore McCarrick zeigt, so der Dominikaner Boniface Ramsey, das Versagen der brüderlichen Zurechtweisung.
Der Fall Theodore McCarrick zeigt, so der Dominikaner Boniface Ramsey, das Versagen der brüderlichen Zurechtweisung.

(New York) Immer mehr katho­li­sche Prie­ster mel­den sich zu Wort, vor allem in den USA, um gegen den sexu­el­len Miß­brauch durch kle­ri­ka­le Mit­brü­der zu pro­te­stie­ren. Ihre Stim­me ist eine Ankla­ge gegen Tat und Täter, aber auch eine Ehren­ret­tung des Prie­ster­stan­des, der durch den Miß­brauchs­skan­dal in Miß­kre­dit gebracht wur­de. Die Natio­nal Review setz­te Papst Fran­zis­kus auf unge­wohn­te Wei­se auf die Titel­sei­te der aktu­el­len Aus­ga­be. Nach sei­ner Wahl über­schlu­gen sich die Wochen- und Monats­ma­ga­zi­ne das Kon­ter­fei des argen­ti­ni­schen Pap­stes posi­tiv auf die Titel­sei­ten zu set­zen. Ver­gan­ge­ne Woche lau­te­te die Schlag­zei­le: „The Unhe­roic Pope. The Case Against Fran­cis“.

Priesterseminare überprüfen

Anzei­ge

Am Vor­abend zu Aller­hei­li­gen gab das Erz­bis­tum New York einen neu­en Fall von sexu­el­lem Miß­brauch bekannt. Der Fall aus dem Jahr 1978 sei „glaub­wür­dig“ und betrifft nicht irgend­ei­nen Prie­ster, son­dern Weih­bi­schof John Jenik. Der Fall habe sich in einer Pfar­rei des Erz­bis­tums ereig­net, in der der heu­ti­ge Weih­bi­schof damals als Seel­sor­ger wirk­te. Kar­di­nal Timo­thy Dolan, der amtie­ren­de Erz­bi­schof von New York, wand­te sich in einem Video an die Gläu­bi­gen sei­nes Erz­bis­tums (sie­he Video am Ende des Beitrags).

In der Washing­ton Post schrieb am ver­gan­ge­nen 20. Okto­ber der Prie­ster Tho­mas V. Berg eine Kolum­ne. Um den sexu­el­len Miß­brauch in Angriff zu neh­men und abzu­stel­len, sei­en – so sei­ne Emp­feh­lung – „die katho­li­schen Semi­na­re zu studieren“.

Father Berg betont, daß sexu­el­ler Miß­brauch an sich zwar nichts Neu­es in der Kir­chen­ge­schich­te sei. Neu sei aber eine bestimm­te Grup­pe, die im aktu­el­len Miß­brauchs­skan­dal in Mit­lei­den­schaft gezo­gen wer­de: die Seminaristen.

Die Prie­ster­se­mi­na­re und deren Semi­na­ri­sten ste­hen im Mit­tel­punkt des Skan­dals um den Ex-Kar­di­nal Theo­do­re McCar­ri­ck. Sein Fall wer­fe ein Schlag­licht auf einen bis­her kaum beach­te­ten Bereich. Es gehe vor allem um die Ant­wort, die nun auf den Skan­dal gege­ben werde.

Bereits ande­re kri­ti­sche Stim­men mach­ten im Zusam­men­hang mit dem McCar­ri­ck-Skan­dal dar­auf auf­merk­sam, daß über die Prie­ster­se­mi­na­re gan­ze Homo-Netz­wer­ke auf­ge­baut wur­den. Durch die sexu­el­le Kor­rum­pie­rung des Prie­ster­nach­wuch­ses ver­schaff­te sich der homo­se­xu­el­le Kle­rus nicht nur „Nach­schub“ an Lust­kna­ben, son­dern sicher­te sei­ne Posi­ti­on und „Unan­tast­bar­keit“ inner­halb eines Bis­tums ab. Das do ut des lau­te­te: gegen­sei­ti­ge Kar­rie­re­för­de­rung für gegen­sei­ti­gen Schutz vor Auf­deckung und Strafverfolgung.

„Vie­le Katho­li­ken sind sehr besorgt um das Wohl­erge­hen der katho­li­schen Semi­na­ri­sten“, so Father Berg in der Washing­ton Post.

Sie fra­gen sich nicht nur, ob die Semi­na­ri­sten in den Semi­na­ren sicher sind vor sexu­el­len Trieb­tä­tern. Sie sind auch besorgt, ob die Prie­ster­aus­bil­dung in einem mög­li­chen Homo-Milieu die nöti­ge Rei­fung der Per­sön­lich­keit för­de­re, selbst jener Semi­na­ri­sten, die von den Homo-Cli­quen in Ruhe gelas­sen werden.

Es sei daher drin­gend gebo­ten, einen Blick auf die Prie­ster­se­mi­na­re in den USA zu wer­fen und über Refor­men in der Aus­bil­dung zu spre­chen, so Father Berg. Dabei gehe es um Zulas­sungs­kri­te­ri­en und die Aus­bil­dung selbst.

Über die Vor­schlä­ge Bergs zur Lösung der Pro­ble­me (z.B. Redu­zie­rung der Anzahl der Prie­ster­se­mi­na­re in den USA, Aus­bil­dungs­be­ginn erst ab dem 22. Geburts­tag und nach einem ersten aka­de­mi­schen Abschluß, noch län­ge­re Aus­bil­dungs­zeit) wer­den die Mei­nun­gen aus­ein­an­der­ge­hen. Gedan­ken wer­den sich alle Betei­lig­ten machen müssen.

Der Fall Foxhoven

Die gebo­te­ne Dring­lich­keit zeig­te sich am Hoch­fest Aller­hei­li­gen. Ein Prie­ster aus dem Staat Ohio gestand, ein sexu­el­les Ver­hält­nis zu einer 17-Jäh­ri­gen zu haben. Der 45 Jah­re alte Prie­ster Hen­ry Chri­sto­pher Fox­ho­ven des Bis­tums Steu­ben­ville war ein Freund des Vaters des Mäd­chens. Der Fall unter­schei­det sich zwar von der gro­ßen Mehr­heit der Fäl­le von homo­se­xu­el­lem Miß­brauch, fällt aber in die Gesamt­ka­te­go­rie des sexu­el­len Fehlverhaltens.

Der Priester Foxhoven: sexuelles Verhältnis mit 17-Jähriger gestanden.
Der Prie­ster Fox­ho­ven: sexu­el­les Ver­hält­nis mit 17-Jäh­ri­ger gestanden.

Am ver­gan­ge­nen Diens­tag, den 30. Okto­ber, wur­de gegen den Prie­ster Anzei­ge wegen sexu­el­ler Gewalt in acht Fäl­len erstat­tet. Wie die Poli­zei bekannt­gab, hät­ten sich die Fäl­le in der Zeit zwi­schen dem 17. August und dem 25. Okto­ber zugetragen.

Das Mäd­chen habe er als „Mini­stran­tin“ aus­ge­bil­det, so der Prie­ster. Von der Poli­zei ein­ver­nom­men, gestand er das Ver­hält­nis. Ihm wur­de von Bischof Jef­frey M. Mon­for­ton die Aus­übung sei­nes Amtes und das Betre­ten sei­ner bis­he­ri­gen Pfar­rei einst­wei­len unter­sagt. Fox­ho­ven war 2004 zum Prie­ster geweiht wor­den. Sein Lebens­wan­del war bis­her tadel­los, wie das Bis­tum betont.

Aus Rom ist unter­des­sen noch immer nichts zum Miß­brauchs­skan­dal um Ex-Kar­di­nal McCar­ri­ck zu hören. Erst recht nicht zu den Anschul­di­gun­gen, die der ehe­ma­li­ge Apo­sto­li­sche Nun­ti­us für die USA, Msgr. Car­lo Maria Viganò, Ende August gegen Papst Fran­zis­kus erhob. Dafür nahm ein US-Domi­ni­ka­ner zum Fall McCar­ri­ck Stel­lung, der Mann, der als einer der ersten 2000 den Mut hat­te, McCar­ri­cks sexu­el­les Fehl­ver­hal­ten zu melden.

P. Boniface Ramsey: „Er forderte regelmäßig fünf Seminaristen an“

Zwei Tage vor Bekannt­wer­den des Fal­les Fox­ho­ven ver­öf­fent­lich­te der Domi­ni­ka­ner­pa­ter Bonif­cae Ram­sey im pro­gres­si­ven Com­mon­weal Maga­zi­ne einen aus­führ­li­chen Arti­kel zum Fall McCar­ri­ck: „Der Fall von Theo­do­re McCar­ri­ck. Das Schei­tern der brü­der­li­chen Zurechtweisung“.

Ram­sey lehr­te von Ende der 80er Jah­re bis 1996 am Prie­ster­se­mi­nar des Erz­bis­tums Newark Patri­stik. Das war die Zeit, in der McCar­ri­ck dort Erz­bi­schof war. Das Semi­nar, an dem Ram­sey lehr­te, war McCar­ri­cks Prie­ster­se­mi­nar. Der Prie­ster schil­dert, daß es damals „Gerüch­te“ über ein Fehl­ver­hal­ten des Erz­bi­schofs gege­ben habe. Heu­te sei ihm bewußt, daß der Begriff „Gerüch­te“ unan­ge­mes­sen war. „Wor­über die Semi­na­ri­sten damals unter­ein­an­der und mit ande­ren Mit­glie­dern der Fakul­tät spra­chen, waren Erfah­run­gen, die sie gemacht hat­ten, oder von denen sie gehört hat­ten, daß ande­re sie gemacht hatten.“

Ram­sey bestä­tig­te, daß McCar­ri­ck über ein Haus in Jer­sey Shore ver­füg­te, wohin er „regel­mä­ßig“ Semi­na­ri­sten ein­lud. Der Prie­ster schil­der­te vor weni­gen Tagen, wie das ablief:

„Er oder sein Sekre­tär nahm direkt Kon­takt mit dem Semi­nar auf und ersuch­te um fünf bestimm­te Semi­na­ri­sten, oder sie nah­men ein­fach direkt Kon­takt mit den Semi­na­ri­sten auf. Ver­ständ­li­cher­wei­se konn­te eine Auf­for­de­rung des Erz­bi­schofs nicht so ein­fach zurück­ge­wie­sen wer­den. Als McCar­ri­ck und die fünf Semi­na­ri­sten in das Strand­haus kamen, waren es sechs Män­ner, aber nur fünf Zim­mer. McCar­ri­ck wies vier sei­ner Gäste in vier der ver­füg­ba­ren Zim­mer und zog sich mit dem fünf­ten Semi­na­ri­sten in einen getrenn­ten Wohn­be­reich zurück. Als es Zeit zur Nacht­ru­he war, zog sich McCar­ri­ck nackt aus, meist direkt vor dem Semi­na­ri­sten. Die Erwar­tung war, daß der Semi­na­rist es eben­so machen wür­de, wenn­gleich eini­ge es zu ver­mei­den ver­such­ten, indem sie sich in das Bad oder sonst­wo zurück­zo­gen. Manch­mal, wie sie mir erzähl­ten, lie­fen die fünf Semi­na­ri­sten, sobald sie mit dem Auto ange­kom­men waren, schnell ins Haus, um eines der vier Zim­mer zu ergat­tern. Der lang­sam­ste ende­te beim Erzbischof.“

Damals habe man noch nicht mit einer sol­chen Situa­ti­on umzu­ge­hen gewußt, so Ram­sey, näm­lich mit einem Erz­bi­schof, der sich sei­nen eige­nen Semi­na­ri­sten näher­te. Es sei ihm und ande­ren Fakul­täts­mit­glie­dern, die von den Semi­na­ri­sten kon­tak­tiert wur­den, kein irgend­wie ver­gleich­ba­rer Fall bekannt gewe­sen. An sexu­el­len Miß­brauch habe wohl jeder gedacht, aber nie­mand es aus­ge­spro­chen. Die Semi­na­ri­sten, die sich anver­trau­ten, hät­ten es auch nicht gewagt, Ankla­ge zu erhe­ben. Einer, der sich Ram­sey anver­trau­te, berich­te­te über das „Unbe­ha­gen“, das er emp­fun­den habe, und schil­der­ten bis dort­hin, wo der Erz­bi­schof sich im sel­ben Zim­mer nackt vor ihm auszog.

„War­um waren eini­ge Semi­na­ri­sten Gegen­stand der erz­bi­schöf­li­chen Auf­merk­sam­keit und ande­re nicht?“ Das sei eine der Fra­gen gewe­sen, die man sich wegen der Aus­flü­ge ins Stand­haus gestellt habe, so Ram­sey. Die Semi­na­ri­sten, die sei­ne größ­te Auf­merk­sam­keit fan­den, nann­te McCar­ri­ck „Nef­fen“. Und sie nann­ten ihn „Onkel Ted“. Auch das habe man als „unan­ge­mes­sen“ zu Kennt­nis genom­men. Aus Gehor­sam sei aber das „unüb­li­che“ Ver­hal­ten des Erz­bi­schofs gegen­über den Semi­na­ri­sten hin­ge­nom­men wor­den. Zur Ent­schul­di­gung nann­te Ram­sey, daß der Miß­brauch Min­der­jäh­ri­ger erst im ver­gan­ge­nen Juni von der New York Times ent­hüllt wor­den sei.

Die Entlassung eines Seminaristen

Der Domi­ni­ka­ner bestä­tigt damit eine Grund­de­fekt: Der Miß­brauch Min­der­jäh­ri­ger gilt als Pro­blem, weil die Öffent­lich­keit sen­si­bi­li­siert ist und der Staat ihn straf­recht­lich ver­folgt. Das homo­se­xu­el­le Milieu, das McCar­ri­ck um sich schuf, wur­de hin­ge­gen still­schwei­gend akzep­tiert, obwohl es vom Kir­chen­recht bestraft wird. Der stra­fen­de Arm des Staa­tes wird gefürch­tet, nicht aber jener der Kir­che. Mehr noch: Homo­se­xua­li­tät wird in bestimm­ten kle­ri­ka­len Krei­sen seit 1968 offen­sicht­lich mehr oder weni­ger offen geduldet.

Ex-Kardinal Theodore McCarrick
Ex-Kar­di­nal Theo­do­re McCarrick

Der dama­li­ge Regens des Prie­ster­se­mi­nars, so Ram­sey, habe genau Bescheid gewußt. Als es um den kon­kre­ten Fall eines Semi­na­ri­sten ging, ver­si­cher­te er, zu tun, was ihm mög­lich sei, um dem Erz­bi­schof Ein­halt zu gebie­ten. Der Regens beton­te aber auch, hin und her geris­sen zu sein, zwi­schen sei­ner Loya­li­tät gegen­über dem Erz­bi­schof und dem Wis­sen, daß des­sen Han­deln nicht rich­tig war. Gesche­hen sei dann aber nichts, so der Domi­ni­ka­ner, und die Besu­che McCar­ri­cks in Semi­na­ri­sten­be­glei­tung im Strand­haus gin­gen weiter.

In den 90er Jah­ren befaß­te sich der Fakul­täts­rat mit ein­zel­nen Stu­den­ten und deren Zulas­sung zu den Prü­fun­gen. Ram­sey plä­dier­te „aus ver­schie­de­nen Grün­den“ für die Ent­las­sung eines Semi­na­ri­sten. Die ande­ren Rats­mit­glie­der waren der­sel­ben Mei­nung, und so wur­de der Semi­na­rist ent­las­sen. Als Ram­sey am Beginn des näch­sten Stu­di­en­jah­res an die Fakul­tät zurück­kehr­te, erwar­te­te ihn ein neu­er Regens. Der teil­te ihm mit, daß Erz­bi­schof McCar­ri­ck wis­se, daß er, Ram­sey, für die Ent­las­sung jenes Semi­na­ri­sten ver­ant­wort­lich sei und ihm des­halb das Stimm­recht im Fakul­täts­rat ent­zo­gen hatte.

Als er dem dama­li­gen Erz­bi­schof von Louis­ville, eben­falls ein Domi­ni­ka­ner, den unge­wöhn­li­chen Vor­fall berich­te­te, zeig­te sich die­ser gar nicht über­rascht. „Alle“ hät­ten gewußt, daß McCar­ri­ck den Semi­na­ri­sten auf einem Flug­ha­fen ken­nen­ge­lernt und in sein Semi­nar geholt hat­te. Es sei nicht die ein­zi­ge „spon­ta­ne Ein­la­dung“ die­ser Art gewe­sen. Ram­sey wur­de bewußt, daß er McCar­ri­ck durch sei­ne Inter­ven­ti­on nicht einen Semi­na­ri­sten, son­dern einen dort gepark­ten Lust­kna­ben ent­zo­gen hatte.

Ram­sey wur­de durch die Aus­sa­ge des Erz­bi­schofs von Louis­ville („Das haben wir alle gewußt“) auch klar, daß eini­ge von McCar­ri­cks Mit­brü­dern im Bischofs­amt über die homo­se­xu­el­len Eska­pa­den des dama­li­gen Erz­bi­schofs von Newark Bescheid wuß­ten. Das sei für ihn auch der „erste Hin­weis“ gewe­sen, daß sich die­ses sexu­el­le Fehl­ver­hal­ten nicht nur auf Erz­bi­schof McCar­ri­ck, nicht nur auf das Prie­ster­se­mi­nar und nicht nur auf das Erz­bis­tum Newark beschränk­te, „son­dern sich unter den US-Bischö­fe ausbreitete“.

Über Beförderung McCarricks „irritiert“

Wegen Ver­pflich­tun­gen in sei­ner Ordens­pro­vinz habe er 1996 sei­ne Lehr­tä­tig­keit am Prie­ster­se­mi­nar in Newark auf­ge­ben müs­sen. Als er 2000 von der Beför­de­rung McCar­ri­cks auf den pre­sti­ge­träch­ti­gen Erz­bi­schofs­stuhl von Washing­ton und damit zum Kar­di­nal hör­te, sei er „sehr irri­tiert“ gewe­sen. „Wuß­ten die Leu­te nichts von McCar­ri­cks Repu­ta­ti­on?“ Ram­sey wand­te sich nun schrift­lich an den dama­li­gen Apo­sto­li­schen Nun­ti­us in den USA, Erz­bi­schof Gabri­el Mon­tal­vo, und kün­dig­te das Schrei­ben auch tele­fo­nisch an. Als ihn ein befreun­de­ter Prie­ster aus Newark, dem er sich anver­trau­te, vor einem sol­chen Schritt warn­te, zöger­te er und woll­te die Sache wie­der abla­sen. Sei­ne Angst war, McCar­ri­ck habe über­all sei­ne homo­se­xu­el­len Gefolgs­leu­te und wür­de die Sache abfan­gen. Ram­sey rief den Nun­ti­us ein zwei­tes Mal an, um die Akti­on abzu­sa­gen. Der aber for­der­te ihn aber mit Nach­druck auf, doch zu schrei­ben. So schick­te er sein Schrei­ben am 24. Novem­ber 2000 ab und erhielt dafür weder eine Ant­wort noch eine Eingangsbestätigung.

Anfrage von Erzbischof Sandri an Ramsey 2006
Anfra­ge von Erz­bi­schof Sand­ri an Ram­sey (2006)

Erst sechs Jah­re spä­ter erfuhr Ram­sey, daß sein Schrei­ben das Ziel wirk­lich erreicht hat­te. 2006 wur­de er vom dama­li­gen Kuri­en­erz­bi­schof Leo­nar­do Sand­ri kon­tak­tiert, einem hohen Funk­tio­när des vati­ka­ni­schen Staats­se­kre­ta­ri­ats, der heu­te Kar­di­nal und Prä­fekt der Kon­gre­ga­ti­on für die Ost­kir­chen ist. Es ging um die Ernen­nung eines jun­gen Prie­sters für eine Stel­le im Vati­kan. Msgr. Sand­ri woll­te wis­sen, ob die­ser Prie­ster in die „Akti­vi­tä­ten“ am Prie­ster­se­mi­nar von Newark ver­wickelt war, die Ram­sey in sei­nem Schrei­ben geschil­dert hat­te. „Laut dem was ich wuß­te, war er nicht ver­wickelt“, so Ram­sey. Durch die­se Anfra­ge hat­te er aber end­lich die Bestä­ti­gung erhal­ten, daß der Nun­ti­us sein Schrei­ben an den Vati­kan wei­ter­ge­lei­tet hatte.

2004 hat­te Ram­sey ein Gespräch mit Kar­di­nal Edward Egan, dem dama­li­gen Erz­bi­schof von New York, der ihn als Prie­ster im Erz­bis­tum auf­ge­nom­men hat­te. Bei die­ser Gele­gen­heit brach­te Ram­sey auch das Ver­hal­ten von McCar­ri­ck zur Spra­che. Kar­di­nal Egan woll­te aber nicht dar­über spre­chen und wech­sel­te das Thema.

„Wegen sei­ner sofor­ti­gen Reak­ti­on war für mich jedoch klar, daß er von McCar­ri­ck wußte.“

Für vie­le Jah­re ver­schwand McCar­ri­ck aus Ram­seys Blick­feld. Erst 2015 sah er ihn bei der Beer­di­gung von Kar­di­nal Egan im Kreis der Kon­ze­le­bran­ten wieder.

„Ich war ver­är­gert und fas­sungs­los. Was hat­te er dort zu suchen? Wuß­ten nicht alle von ihm? Wuß­te nicht auch Kar­di­nal Egan?“

„Kein Wort fand sich, das Schreiben den zuständigen Stellen zukommen zu lassen“

Ram­sey schrieb des­halb im Juni 2015 an Kar­di­nal Sean Patrick O’Malley. Als Vor­sit­zen­der der Päpst­li­chen Kin­der­schutz­kom­mis­si­on müs­se er am besten wis­sen, wie mit einem sol­chen Fall umzu­ge­hen sei. Er bat den Kar­di­nal, sei­ne Sor­gen den zustän­di­gen Stel­len zur Kennt­nis zur brin­gen. Bereits weni­ge Tage spä­ter ant­wor­te­te ein Sekre­tär des Kar­di­nals, der mit­teil­te, daß die Infor­ma­tio­nen über McCar­ri­ck nicht in die Zustän­dig­keit O’Malleys fallen.

„Kein Wort fand sich dar­über, das Schrei­ben den zustän­di­gen Stel­len zukom­men zu lassen.“

Ram­sey ver­mu­te­te, daß Kar­di­nal O’Malley sein Schrei­ben gar nicht gele­sen habe.

Er begeg­ne­te wie­der jenem Freund und Prie­ster, der ihm bereits Ende der 80er Jah­re gera­ten hat­te, sich nicht mit McCar­ri­ck anzu­le­gen. Er sei schon alt und wer­de sich vor sei­nem Gewis­sen und vor Gott ver­ant­wor­ten müs­sen. „Ich ließ es also bleiben.“

Um so erstaun­ter war Ram­sey, als er gegen Ende Juni 2018 den ersten Arti­kel der New York Times über McCar­ri­cks Miß­brauch von Min­der­jäh­ri­gen lesen muß­te. „Wir alle dach­ten, er sei nur an jun­gen Män­nern interessiert.“

Er nahm Kon­takt mit dem Jour­na­li­sten der Tages­zei­tung auf und berich­te­te über sei­ne Bemü­hun­gen, das Fehl­ver­hal­ten des Kar­di­nals mit Semi­na­ri­sten den zustän­di­gen kirch­li­chen Stel­len zu mel­den. „Nun kamen vie­le Din­ge, die ver­tuscht wor­den waren, ans Licht, wenn auch sicher nicht alle.“

Für Ram­seys Aus­sa­gen inter­es­sier­te sich auch die Staats­an­walt­schaft von Pennsylvania:

„Die zwei­te Pha­se der sexu­el­len Miß­brauchs­kri­se in der US-Kir­che hat­te begonnen“.

Ram­sey kri­ti­siert in sei­nen wei­te­ren Aus­füh­run­gen das Ver­sa­gen der „brü­der­li­chen Zurecht­wei­sung“ gemäß dem Mat­thä­us­evan­ge­li­um 18,15. Da ande­re Bischö­fe von McCar­ri­cks Lastern wuß­ten, hät­ten sie ihn zurecht­wei­sen müs­sen, zunächst pri­vat, dann aber – als klar war, daß er sei­nen Lebens­wan­del nicht gebes­sert hat­te – auch öffent­lich. Die Ankla­ge brach­te aber die New York Times ins Rol­len, nicht die zustän­di­ge kirch­li­che Hierarchie.

„Alle wuß­ten“, wie der dama­li­ge Erz­bi­schof von Louis­ville zu Ram­sey gesagt hat­te, aber nie­mand unter­nahm etwas.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Commonweal/​Church Militant/​Steubenville (Screen­shots)

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