Papst Franziskus wußte zum Fall Barros Bescheid


Fall Barros Papst Franziskus mit Juan Barros Madrid
Fall Barros: Papst Franziskus in Chile, recht neben ihm Bischof Juan Barros Madrid.

(Sant­ia­go de Chi­le) Seit dem Chi­le-Besuch zeigt sich gegen­über Papst Fran­zis­kus­bei eini­gen welt­li­chen Medi­en ein Stim­mungs­um­schwung. Man­che spre­chen von einer „Wen­de“, die maß­geb­lich durch die Kri­tik von Kar­di­nal Sean O’Malley zu Papst­wor­ten im Fall Bar­ros aus­ge­löst wur­de. Die­se Annah­me wird durch eine aus­führ­li­che Repor­ta­ge von Asso­cia­ted Press (AP) gestützt.

AP-Reportage

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Vier AP-Jour­na­li­sten gin­gen der Fra­ge nach, was Papst Fran­zis­kus über den Fall Kara­di­ma und in die­sem Zusam­men­hang über eine mög­li­che Ver­strickung von Bischof Juan Bar­ros Madrid wuß­te. Nico­la Win­field, Eva Ver­ga­ra, Yvonne Lee und Jef­frey Shaef­fer ver­öf­fent­lich­ten gestern ihre Repor­ta­ge. Das ist ein beacht­li­ches Auf­ge­bot und zeugt von einer bemer­kens­wer­ten Auf­merk­sam­keit für die Frage.

Die AP-Reportage
Die AP-Repor­ta­ge

Sie inter­view­ten Kara­di­ma-Opfer und kon­tak­tier­ten Mit­glie­der der Päpst­li­chen Kin­der­schutz­kom­mis­si­on, dar­un­ter Marie Coll­ins und Cathe­ri­ne Bon­net. Kon­kret ging es dabei um die Fra­ge, was Papst Fran­zis­kus wuß­te. Das Kir­chen­ober­haupt hat­te behaup­tet, die Opfer hät­ten sich nie an ihn gewandt: „Aber wenn eine Per­son kommt und mir Evi­den­tes bringt, wer­de ich der erste sein, der auf sie hört“.

Juan Car­los Cruz wider­spricht die­ser Dar­stel­lung des Pap­stes enge­risch. Er selbst habe Fran­zis­kus 2015 detail­liert vom sexu­el­len Miß­brauch und den Ver­su­chen, die Sache geheim­zu­hal­ten, infor­miert. Dar­in geht es auch um Bischof Barros.

Vier Mit­glie­der der Päpst­li­chen Kin­der­schutz­kom­mis­si­on for­mu­lier­ten Ein­wän­de für Papst Fran­zis­kus gegen die Ernen­nung von Bischof Bar­ros. Das Doku­ment mit den detail­lier­ten Anga­ben von Cruz über­ga­ben sie am 12. April 2015 in San­ta Mar­ta dem Kom­mis­si­ons­vor­sit­zen­den, Kar­di­nal O’Malley, damit er es Fran­zis­kus über­mit­telt. Marie Coll­ins, ehe­ma­li­ges Kom­mis­si­ons­mit­glied, die im ver­gan­ge­nen Jahr aus Pro­test zurück­ge­tre­ten ist, bekräf­tig­te, daß Kar­di­nal O’Malley ihnen etwas spä­ter bestä­tig­te, das Doku­ment dem Papst über­ge­ben zu haben.

Cruz betont, daß er sel­ber nie eine Ant­wort aus dem Vati­kan erhal­ten habe. Er war es auch, der offen­bar die AP-Repor­ta­ge ins Rol­len brach­te, indem er der Nach­rich­ten­agen­tur sein Schrei­ben von 2015 über­mit­tel­te und der Aus­sa­ge von Papst Fran­zis­kus gegen­über­stell­te, daß noch kein „Kara­di­ma-Opfer“ ihm etwas bezüg­lich Bar­ros gesagt hätte.

Das Schreiben von Juan Carlos Cruz

In sei­nem Schrei­ben erin­ner­te Curz den Papst an sein Null-Tole­ranz-Postu­lat. Er schil­der­te Fran­zis­kus das „homo­ero­ti­sche Kli­ma“, das Fer­nan­do Kara­di­ma in sei­nem Pfarr­haus geschaf­fen habe, wie er Bar­ros vor sei­nen und ande­ren Augen geküßt und nach des­sen Geni­ta­li­en gegrif­fen habe. So habe es Kara­di­ma mit ande­ren Jugend­li­chen, Semi­na­ri­sten und jun­gen Prie­stern auch gemacht. Wenn Bar­ros und Kara­di­ma nicht mit­ein­an­der beschäf­tigt gewe­sen sei­en, habe Bar­ros zuge­se­hen, wie Kara­di­ma sich an „uns Jun­gen“ zu schaf­fen machte.

Bischof Bar­ros bestrei­tet die gesam­te Dar­stel­lung. Erst jüngst sag­te er, weder von Kara­di­mas Miß­brauch gewußt zu haben noch so etwas auch nur geahnt zu haben.

Cruz kam 1980 in die Gemein­schaft Kara­di­mas. Er sei ver­wund­bar gewe­sen, weil damals ein Vater gestor­ben war. Kara­di­ma habe ihm ver­si­chert, wie ein Vater zu ihm zu sein. Statt­des­sen sei er von ihm sexu­ell miß­braucht worden.

Gestützt auf die Aus­sa­gen von Cruz und ande­ren Opfern ver­ur­teil­te der Hei­li­ge Stuhl Kara­di­ma 2011 zu einem Leben der Buße und des Schwei­gens. Wegen Ver­jäh­rung wur­de der heu­te 87-Jäh­ri­ge von der Repu­blik Chi­le nie straf­recht­lich belangt. Sowohl der Vati­kan als auch die chi­le­ni­sche Gerichts­bar­keit haben die Aus­sa­gen der Opfer jedoch für glaub­wür­dig gehalten.

Unglaubwürdige Glaubwürdigkeit

Damals regier­te Bene­dikt XVI., heu­te Papst Fran­zis­kus. Die Ent­schei­dung gegen Kara­di­ma wur­de vom regie­ren­den Papst nie bezwei­felt. Die­sel­ben Opfer, deren Aus­sa­gen zur Ver­ur­tei­lung Kara­di­mas führ­ten, hält Fran­zis­kus aber für nicht glaub­wür­dig, wenn es um Bischof Juan Bar­ros Madrid geht.

Das Cruz-Schreiben an den Papst (März 2015)
Das Cruz-Schrei­ben an den Papst (März 2015)

Die­se Dis­kre­panz gibt Rät­sel auf.

Cruz ver­weist dar­auf, daß er damals nicht nur dem Papst, son­dern ver­schie­de­nen Per­sön­lich­kei­ten und Insti­tu­tio­nen sei­ne Dar­stel­lun­gen zukom­men ließ. Er kann die Emp­fangs­be­stä­ti­gung durch die Apo­sto­li­sche Nun­tia­tur vom 15. Dezem­ber 2014 vor­wei­sen. Das war noch einen Monat bevor Fran­zis­kus Bar­ros zum Bischof von Osor­no ernannte.

Cruz selbst hält es für mög­lich, daß der Papst sein direk­tes Schrei­ben nicht gele­sen habe, weil er täg­lich Hun­der­te wenn nicht Tau­sen­de Zuschrif­ten erhält. Ganz anders ist die Sache aber, was die Stel­lung­nah­me der Päpst­li­chen Kin­de­schutz­kom­mis­si­on betrifft. Das von Kar­di­nal O’Malley über­ge­be­ne Schrei­ben der vier Kom­mis­si­ons­mit­glie­der soll­te das Gewicht besit­zen, vom Papst beach­tet zu werden.

Die­ser aber behaup­te­te noch im Rah­men sei­nes jüng­sten Chi­le-Besu­ches, daß die Kri­tik an Bischof Bar­ros „Ver­leum­dun­gen“ seien.

Die Kritik von Kardinal O’Malley

Marie Collins übergibt am 12. April 2015 die Mißbruachsdokumentation von Cruz.
Marie Coll­ins über­gibt Kar­di­nal O’Mal­ley am 12. April 2015 die Miß­brauchs­do­ku­men­ta­ti­on von Cruz.

Vor die­sem Hin­ter­grund wird die deut­li­che Reak­ti­on von Kar­di­nal O’Malley vom 20. Janu­ar ver­ständ­li­cher. Als er die Wor­te des Pap­stes am Vor­tag in Chi­le gehört hat­te, konn­te er nicht mehr schwei­gen. Er wuß­te, dem Papst die Doku­men­ta­ti­on zum Fall Bar­ros über­ge­ben zu haben. Damit wuß­te er auch, daß die Papst-Wor­te, die Kara­di­ma-Opfer hät­ten sich nie an ihn gewandt, nicht den Tat­sa­chen ent­spra­chen. Und er konn­te die Ent­täu­schung und Empö­rung der Opfer nach­voll­zie­hen, die noch am 19. Janu­ar eine impro­vi­sier­te Pres­se­kon­fe­renz haben, um auf die Papst­wor­te zu reagieren.

Am näch­sten Tag reagier­te der Kar­di­nal selbst und kri­ti­sier­te die Wor­te des Pap­stes. Damit mach­te er den Fall Bar­ros zu einem inter­na­tio­na­len Thema.

Fran­zis­kus ließ den­noch von sei­nem Kurs nicht ab, son­dern ver­tei­dig­te Bar­ros noch am 21. Janu­ar auf dem Rück­flug nach Rom. Zehn Tage spä­ter kam es dann zum Schwenk und zur Ernen­nung von Erz­bi­schof Charles Sci­clu­na zum Son­der­ge­sand­ten, der in Chi­le alle anhö­ren soll, die in der Sache der Mei­nung sind, etwas zu sagen zu haben. Das Wort „Opfer“ wur­de in der öffent­li­chen Bekannt­ma­chung durch den Hei­li­gen Stuhl nicht ver­wen­det. Im Zusam­men­hang mit dem Fall Bar­ros und dem, was Papst Fran­zis­kus wuß­te oder nicht wuß­te, ist vom San­ta-Mar­ta-Syn­drom die Rede.

Msgr. Scicluna wird Cruz anhören

Die chi­le­ni­sche Tages­zei­tung La Ter­cera ver­öf­fent­lich­te gestern das Schrei­ben von Curz, das Papst Fran­zis­kus 2015 direkt von Cruz und indi­rekt über die Päpst­li­che Kin­der­schutz­kom­mis­si­on erhal­ten hatte.

Wie die chi­le­ni­sche Tages­zei­tung La Segun­da gestern berich­te­te. Wird der Päpst­li­che Son­der­ge­sand­te Sci­clu­na am kom­men­den 20./21. Febru­ar das Kara­di­ma-Opfer Juan Car­los Cruz anhö­ren. Die Anhö­rung soll über Sky­pe erfol­gen. Cruz, heu­te Jour­na­list, war einer der ersten Opfer, die Kara­di­ma anklag­ten und sei­ne Taten öffent­lich machten.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: La Tercera/​AP (Screen­shots)

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1 Kommentar

  1. „Ganz anders ist die Sache aber, was die Stel­lung­nah­me der Päpst­li­chen Kin­de­schutz­kom­mis­si­on betrifft. Das von Kar­di­nal O’Malley über­ge­be­ne Schrei­ben der vier Kom­mis­si­ons­mit­glie­der soll­te das Gewicht besit­zen, vom Papst beach­tet zu werden.“

    Fran­zis­kus wird das gele­sen haben. Dar­in wird aber nur zusam­men­fas­send argu­men­tiert wor­den sein. Daher glau­be ich dem Papst, wenn er sagt, kei­ne Kennt­nis­se von den Betrof­fe­nen selbst zu haben.

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