
(Rom) Lateinamerika galt jahrzehntelang als „Kontinent der Hoffnung“ für die katholische Kirche. Tatsächlich verliert sie dort aber Tag für Tag an Boden. Die Gründe sind vielschichtig, doch zu einem Teil hausgemacht. Beim Konklave 2013 war ein wohlmeinender Teil der Papstwähler der Überzeugung, daß die Wahl des Argentiniers auf den Stuhl Petri dem Erosionsprozeß Einhalt gebieten werde. So wurde es ihnen von interessierter Seite nahegelegt. Die Wirklichkeit sieht nicht nur ernüchternd, sondern verheerend aus. Die bisher sichtbarste „Antwort“ war die Amazonassynode. Die Kirchenführung glaubt ernsthaft, damit die Lösung zu haben. Unterdessen erodiert das katholische Lateinamerika weiter.
Die Wahl von Papst Franziskus wurde von europäischen Kardinälen eingefädelt, denen es nicht primär um Lateinamerika ging, sondern um den Westen. Ihr Programm ist das der 68er, das sie vor allem in ihren Ländern durchsetzen wollen. Dafür wählten sie den Umweg über Lateinamerika. Hinter der Amazonassynode stand der gleiche Antrieb. Die Rede ist von Indios und dem Regenwald am Äquator, doch das angestrebte Programm ist das der kirchlichen Achtundsechziger mit dem Ziel, ihre Agenda irgendwo außerhalb des europäischen Horizonts durchzusetzen, um es anschließend in das alte Abendland zu reimportieren. Diese Strategie folgt einer klaren Logik, nachdem der direkte Weg als gescheitert erkannt wurde.
Der Erosionsprozeß der Kirche in Lateinamerika geht wesentlich, was den kirchlichen Anteil angeht, auf falsche Weichenstellungen zurück, die durch europäische Missionare auf den iberisch geprägten Subkontinent getragen wurden. Dazu gehört vor allem der Marxismus und sein Denkmuster. Daraus entwickelten sich die Befreiungstheologie und weitere Strömungen. Mit ihnen geht eine latente oder offene Europafeindlichkeit einher. Ein Paradox? So scheint es. In Wirklichkeit spiegelt sie eine teils bewußt, teils unbewußt beabsichtigte Zersetzung wider, wie sie auch in Europa praktiziert wird. Es ist die mit graduell unterschiedlicher Intensität betriebene Ablehnung der eigenen Identität und damit radikal oder in Ansätzen auch des Christentums: in Europa wie in Lateinamerika.
Die Tatsache, daß der 500. Jahrestag der Christianisierung teilweise „vergessen“ wird, ist ein alarmierendes Indiz, schließlich hielt dadurch erst die Zivilisation Einzug auf dem Kontinent. 1492 wurde noch der Entdeckung durch Kolumbus gedacht, ein Mann von tiefer katholischer Prägung. Das Gedenken wurde aber schon von polemischem Störfeuer überschattet.
2019 sprachen die mexikanischen Bischöfe eine Einladung gegenüber Papst Franziskus aus, zu den 500-Jahrfeiern der Evangelisierung des amerikanischen Festlandes nach Mexiko zu kommen. 1521 war in Tlaxcala die erste Kirche auf dem amerikanischen Festland errichtet und dem heiligen Franz von Assisi geweiht worden. Papst Franziskus zeigte aber kein Interesse, zu den Feierlichkeiten zu reisen – und das hatte noch nichts mit Corona zu tun, das dann alles etwas durcheinanderbrachte.
Die Tlaxcalteken konnten von den grausamen Azteken nie unterworfen werden. Es ist historisch kein Zufall, daß sie sich mit den Spaniern verbündeten und auch mit diesen durch Eheschließungen schnell vermischten. Gemeinsam besiegte die spanisch-tlaxcaltekische Koalition das Aztekenreich und beendete dessen grausamen Kult der Menschenopfer und des Kannibalismus.
Während der Anlaß für Papst Franziskus nicht ausreichend war, um nach Lateinamerika zu reisen, forderte der linke Staats- und Regierungschef Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, eine Entschuldigung von der Kirche bei den „ursprünglichen Völkern“ (der Begriff Ureinwohner wird von der politischen Korrektheit vermieden) – für die Christianisierung. Derselbe Obrador hingegen hält Papst Franziskus jedoch für „einen der besten Päpste“ der Kirchengeschichte.
Medien und Quelle
Telemundo, ein Teil von NBCUniversal (USA), dem drittgrößten Medienunternehmen der Welt, und andere Medien veröffentlichten gestern Berichte über den Rückgang der katholischen Kirche in Lateinamerika. Die Überschrift und der Tenor von Telemundo sind überzeichnet. Ein Bedauern ist von den Autoren nicht zu erwarten. Sie geben vielmehr zu verstehen, daß die Kirche Abtreibung und Euthanasie verhinderte, ihre Erosion aber gesellschaftspolitische Veränderungen nach sich zieht. So haben, mit Hilfe von massivem und planmäßigem Druck US-amerikanischer und europäischer NGOs, mehrere Staaten die Tötung ungeborener Kinder und die „Homo-Ehe“ legalisiert. Die gleiche Bewegung findet auch in Richtung Euthanasie-Einführung statt.
Die veröffentlichten Zahlen stammen von Latinobarómetro und sind jedenfalls bedenkenswert, wenn auch mit einem Vorbehalt. Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut mit Sitz in Santiago de Chile wird von Wikipedia als „unabhängige private Non-Profit-Organisation“ bezeichnet, doch wo heute „unabhängig“ draufsteht, ist selten Unabhängigkeit zu finden. Die Gründerin und Direktorin Marta Lagos ist Mitglied im chilenischen Vorstand von Women’s World Banking (Hauptsitz in New York), Beraterin der Weltbank mit Sitz in Washington, des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP mit Sitz in New York, der Interamerikanischen Entwicklungsbank IADB mit Sitz in Washington und Mitglied eines UN-Expertenausschusses für öffentliche Meinung.
Im Beirat von Latinobarómetro sitzt eine Vertreterin von Eurobarometer, einer ganz und gar nicht „unabhängigen“ Einrichtung der EU-Kommission.
UNDP und IADB, der Iberoamerika-Gipfel OEI und die Entwicklungsbank von Lateinamerika CAF sowie die norwegische und schwedische Regierung gehören zu den wichtigsten Geldgebern von Latinobarómetro.
Die jüngsten Zahlen
Latinobarómetro vergleicht in Zehnjahresschritten die Entwicklung von 2000 bis 2020. Die Zahl der Lateinamerikaner, die sich als katholisch bezeichnen, sank demnach von 76 Prozent im Jahr 2000 auf 70 Prozent 2010 und 57 Prozent 2020. Das ist eine Verdoppelung des Rückgangs gegenüber dem Jahrzehnt davor.
Im Gegenzug sind die Protestanten und die Religionslosen gewachsen. Der Anteil der Protestanten wuchs in Brasilien von 13 Prozent (2000) auf 25 Prozent (2020). Rechnet man den Anteil der Schwankenden dazu, liegt laut anderen Instituten der Anteil der Protestanten im größten lateinamerikanischen Land sogar bei 31 Prozent. In Guatemala stieg ihr Anteil seit 2000 sogar von 19 Prozent auf 41 Prozent, während jener der Katholiken auf 41 Prozent fiel.
Bei der am Mittwoch in Mexiko-Stadt erfolgten Vorstellung der Erhebung wurde als Grund für diese Entwicklung lediglich erläutert, daß heute „junge Menschen eine breitere Palette von Optionen zur Auswahl haben“, daß protestantische Gruppen ihre Rekrutierung verstärkt hätten; daß New-Age-Bewegungen präkolumbianische Traditionen einbeziehen und das Vertrauen in die katholische Kirche auf einem historischen Tiefstand sei.
Der Katholizismus sei dennoch weiterhin prägend, da er in der Kultur und der Folklore gesellschaftlich verwurzelt ist, „auch bei den nicht praktizierenden Menschen“. Das gelte sogar für Uruguay, das am wenigsten katholische Land Lateinamerikas, wo sich nur mehr 34 Prozent als Katholiken bezeichnen. Dennoch werden katholische Feiertage gehalten wie die Karwoche, die allerdings seit 1919, als ein Gesetz der strikten Trennung von Staat und Kirche in Kraft trat, „Tourismuswoche“ heißt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/MiL
„Die Tatsache, daß der 500. Jahrestag der Christianisierung teilweise „vergessen“ wird, ist ein alarmierendes Indiz, schließlich hielt dadurch erst die Zivilisation Einzug auf dem Kontinent. 1492 wurde noch der Entdeckung durch Kolumbus gedacht, ein Mann von tiefer katholischer Prägung. Das Gedenken wurde aber schon von polemischem Störfeuer überschattet.“
Das größte Störfeuer ist das zweite vatikanische Konzil. Es wird von Idioten als das neue Pfingsten bezeichnet. Aber unser Gott ist groß und kein Theologe des Aufbruches wird in seiner Sterbestunde ruhig einschlafen können.
Per Mariam ad Christum.