(Rom) Ein neues Buch sorgte in den vergangenen Tagen für einiges Aufsehen und vor allem erheblichen Wirbel. Es geht um das neue Buch des italienischen Philosophen und Politikers Rocco Buttiglione „Freundschaftliche Antworten an die Kritiker von Amoris laetitia“ [1]Risposte (amichevoli) ai critici di Amoris laetitia. Die Aufregung betrifft weniger die bereits bekannten Thesen Buttigliones, sondern die Einleitung von Kardinal Gerhard Müller.
Die Einleitung wirbt dafür, Amoris laetitia im Licht der Kontinuität zu lesen, sagt aber auch, die Thesen Buttigliones – mit denen sich dieser seit über einem Jahr mit seinem Kollegen, dem österreichischen Philosophen Josef Seifert duelliert – zu unterstützen. Da Kardinal Müller in der Vergangenheit zwar nicht den Weg seiner vier Mitbrüder Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner ging, aber Sympathie für sie zeigte, wurde die Frage laut, wo er denn in der Sache wirklich steht. Sollte er die Seiten gewechselt haben?
Der Vatikanist Sandro Magister sagt Nein. Er entdeckte in Müllers Einleitung nämlich noch etwas bemerkenswertes. Sie enthalte, so Magister, auch ein Dubium zu Amoris laetitia, und zwar einen neue Zweifel, der zu den fünf Dubia der vier Kardinäle hinzukommt. Die Dubia seien damit „lebendiger“ denn je, so Vatikanist.
Müllers Aufsatz in ambivalentem Kontext
Der ehemalige Glaubenspräfekt folgt in seinem Aufsatz den theoretischen Ausführungen Buttigliones, sagt dann aber konkret, daß er sich nur einen einzigen Fall vorstellen könne, wo ein Katholik, der standesamtlich eine Zweitehe eingegangen ist, zu den Sakramenten zugelassen werden könnte: wenn die kirchlich geschlossene Ehe ungültig ist, diese Ungültigkeit aber „kirchenrechtlich nicht bewiesen“ werden kann.
Die Konstruktion ist gefinkelt. Kardinal Müller schreibt:
„Ist es möglich, daß die Spannung, die sich hier zwischen dem öffentlich-objektiven Status der „zweiten“ Ehe und der subjektiven Schuld unter den beschriebenen Umständen den Weg über die pastorale Unterscheidung im forum internum zum Bußsakrament und zur heiligen Kommunion öffnen könnte.“
Dazu kommentiert Magister:
„Niemand ist aufgefallen, daß Müller denselben hypothetischen Fall anführt, den bereits Joseph Ratzinger sowohl als Theologe als auch als Papst bei mehreren Anlässen angeführt und diskutiert hatte und ebenfalls den Zugang zu den Sakramenten für möglich hielt, immer mittels einer Entscheidung im Forum internum mit dem Beichtvater und unter Vermeidung eines öffentlichen Ärgernisses.“
Kardinal Müller bleibe damit im Rahmen dessen, was bereits in der Kirche diskutiert wurde, während Buttiglione „entschieden“ darüber hinausgeht mit dem „wenig verständlichen“ Wohlwollen des ehemaligen Glaubenspräfekten. In Summe ergebe sich daraus ein Dubium mehr und nicht weniger.
Benedikts 2011 nachgedruckter Aufsatz von 1998
Magister bezieht sich bei seinem Verweis auf Benedikt XVI. auf das Jahr 2011. Es geht um die Reaktion des damaligen deutschen Papstes auf die mit Nachdruck, fast schon insolent vorbrachte Forderung nach Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion, die ihm bei seinem Deutschlandbesuch im September 2011 entgegenschlug. Kaum war Benedikt in Berlin gelandet, war es der damalige, katholische Bundespräsident Christian Wulff, der ihn schon bei der ersten Begrüßung schon konfrontierte. Wulff, der dann ziemlich unrühmlich sein Amt abgeben mußte, war bereits zum zweiten Mal verheiratet und sprach somit nicht ohne Eigennutz.
Papst Benedikt XVI. nahm während des gesamten Besuches nicht zu den Forderungen Stellung. Erst am 30. November 2011 ließ er im Osservatore Romano erneut einen Aufsatz abdrucken, den er 1998 in der Sache geschrieben hatte. Der Aufsatz war durch eine Anmerkung vom 25. August 2005 ergänzt.
Benedikt XVI. nannte zwei Aspekte. Das Ehesakrament sei keine Erfindung der katholischen Kirche. Sie könne sich bei der Unauflöslichkeit der Ehe nur an die Lehre Jesu Christi halten und habe sich daran zu halten. Die Unauflöslichkeit der Ehe sei absolut. Die Frage sei wenn schon, welcher Ehe. Der Apostel Paulus erlaube nämlich die Auflösung einer Ehe zwischen einem Christen und einem Nicht-Christen, um den Glauben des Getauften zu schützen. Dieses Privilegium paulinum habe in der Kirche bis heute dahingehend seine Gültigkeit, daß die Auflösung einer nicht-sakramentalen Ehe erlaubt ist.
Im zweiten Teil des Aufsatzes antwortete Benedikt XVI. auf die Aufforderung, die Kirche von heute solle dem „Beispiel der frühen Kirche“ oder der flexiblen Haltung der Ostkirchen folgen. Benedikt widerspricht einer solchen Darstellung. Es sei zwar richtig, daß in den ersten Jahrhunderten nach pastoralen Lösungen gesucht wurde. Wiederverheiratete Geschiedene wurden aber „nie offiziell zu zur heiligen Kommunion zugelassen“.
Historische Forderung nach kirchlicher „Flexibilität“
Nachdem es nach Konstantin dem Großen eine immer stärkere Verbindung zwischen Staat und Kirche gegeben habe, sei darauf gedrängt worden, größere Flexibilität bei „schwierigen“ Ehen zu zeigen. Diese Entwicklung habe sich vor allem in Gallien und dann auch im germanischen Bereich gezeigt. Im Osten sei diese Entwicklung immer weitergegangen und in die liberale Praxis gemündet, die heute praktiziert werde. Im Westen aber habe die Kirche durch die Gregorianische Reformen des 11. Jahrhunderts die ursprüngliche Bedeutung des Ehesakraments behaupten können.
Im dritten Teil seines Aufsatzes ging Benedikt auf die Aufgabe der Kirche ein, im Zweifel zu klären, ob eine Ehe wirklich sakramental gültig zustande gekommen ist. Dabei kritisierte er die zu lange Dauer kirchlicher Ehenichtigkeitsverfahren und auch, daß die dabei zustande kommenden Urteile manchmal „problematisch“ und andere Male „fehlerhaft“ seien.
Er erwähnte, daß die Meinungen der Theologen auseinandergehen zur Frage, ob sich Ehepartner an- ihrer Meinung nach – falsche Urteile der Kirchengerichte halten müssen. Konkret geht es dabei um Ehen, die objektiv ungültig sind, diese Ungültigkeit aber kanonisch von zuständiger Stelle nicht festgestellt wurde. Benedikt XVI. warf die Frage auf, ob es in solchen Fällen eine Handlungsspielraum für Entscheidungen im Forum internum gebe, ohne selbst aber eine Antwort darauf zu geben.
„Besonders schmerzliche“ Situation
Im vierten Teil ging der deutsche Papst auf die Gründe für eine Ehenichtigkeit ein. Kategorisch schloß er die These aus, daß die Gültigkeit „erlöschen“ könne, weil die Liebe zwischen den Ehepartner erloschen sei. Eine legitime Frage sei hingegen, ob angesichts von ungläubigen Christen, also Getauften, die vielleicht nie geglaubt haben oder nicht mehr glauben, wirklich jede Ehe zwischen zwei Getauften ipso facto sakramental gültig sei. 2005 sagte er zu Priestern im Austtal, daß die Zahl jener „besonders schmerzlich“ sei, die nur aus Tradition kirchlich heiraten, obwohl sie nicht wirklich gläubig sind, sich scheiden lassen, standesamtlich eine neue Ehe eingehen und sich bekehren. Daraus folge ein „wirkliches Leiden“. Er habe als Glaubenspräfekt mehrere Bischofskonferenzen und Gelehrten aufgefordert, diese Frage zu studieren.
Benedikt XVI. beschränkte sich darauf, die Frage aufzuwerfen. Eine Antwort gab er nicht. Insofern ist Magisters These nicht ganz zutreffend, wenn er meint, daß Kardinal Müller in seinem Aufsatz zum Buttiglione-Buch im Rahmen dessen bleibe, was bereits Benedikt XVI. vertreten habe. Müller geht in der Sache darüber hinaus. Benedikt XVI. stellte nur eine Frage und regte an, sie zu studieren. Müller könnte sich die Zulassung der Betroffenen – wenn – vorstellen. Richtig ist, daß diese „Öffnung“ bei Müller hypothetisch bleibt und im Kontext implizit den viel weitergehenden „Öffnungen“ Buttigliones entgegentritt.
Müllers Einleitung zu Buttigliones Buch ist daher nicht frei von Ambivalenz, und es stellt sich die Frage, ob dieser Aufsatz ein kluger Schritt war oder ob er in einer ohnehin schon verworrenen Situation der Sache mehr schadet als nützt.
Benedikt XVI.: Geoffenbarte Wahrheit über das Ehesakrament nicht verwässern“
Nicht unerwähnt soll bleiben, daß Benedikt XVI. in dem 2011 erneut abgedruckten Aufsatz von 1998 im letzten Teil noch einmal davor warnte, die geoffenbarte Wahrheit des Ehesakraments im Namen der Barmherzigkeit zu „verwässern“.
„Eine Seelsorge, die den Menschen wirklich helfen will, muß sich immer auf der Wahrheit gründen.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo
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es ist auch daran zu erinnern, dass Papst Benedikt XVI diese Frage zwar diskutieren ließ, dann aber nach dem Votum der Theologenkommission davon Abstand nahm!