(Caracas) „Wenn der Papst über Venezuela redet“, heißt ein Leitartikel von Ricardo Roa, der in der argentinischen Tageszeitung Clarin veröffentlicht wurde, die gegenüber Papst Franziskus, einem Landsmann, nicht feindlich gesonnen ist. Dennoch übt Roa deutliche Kritik an der Haltung des katholischen Kirchenoberhauptes zur aktuellen Krise in Venezuela. Der Autor wirft dem Papst vor, das wirkliche Ausmaß der Krise zu ignorieren und den Hunger, unter dem Teile der venezolanischen Bevölkerung leiden, und die Todesopfer unter der Opposition, die von Polizei und regierungsnahen „Revolutionskommandos“ getötet oder gezielt ermordet werden, zu verschweigen.
„Der Papst hat nichts zu sagen, zu den mehr als 100 Toten“
„Wenn der Papst über Venezuela redet“, meint vor allem das Schweigen des Papstes. Der zentrale Satz des Artikels lautet:
„Es ist ein lärmendes Schweigen. Es ist ein Schweigen, das kläglich ist.“
Roas Leitartikel wurde von Il Sismografo, der sehr gut dokumentierten Presseschau des vatikanischen Staatssekretariats – offenbar wegen der kritischen Worte – nicht übernommen.
Roa macht gleich im ersten Satz deutlich worum es ihm geht:
„Der Papst, der im Ruf steht, mit den Mächtigen deutlich zu sprechen, spricht nicht über Venezuela.“
Und weiter:
„Er hat nichts zu sagen, zu den mehr als 100 Toten durch die Unterdrückung der Straße, nichts zu den mehr als 500 politischen Gefangenen, die es laut OAS gibt.“
Die OAS ist die Organisation Amerikanischer Staaten, der alle 35 selbständigen Staaten des amerikanischen Doppelkontinents angehören. Die Suspendierung der Mitgliedschaft Kubas wurde 2009 aufgehoben. Der Karibikstaat hat seine Mitarbeit in der OAS noch nicht wiederaufgenommen.
Venezuela hatte im vergangenen April, nach Kritik an der Ausschaltung der Nationalversammlung, wie das venezolanische Parlament heißt, durch den „bolivarischen“ Staatspräsidenten Nicolas Maduro und seine Sozialistische Einheitspartei PSUV, seinen Rückzug aus der OAS angekündigt.
Der „Terror des Regimes“ und „falsche Wahlen“
Roa kritisierte in seinem Leitartikel auch das päpstliche Schweigen zur Volksabstimmung über eine „verfassungsgebende Versammlung“, die Maduro am 30. Juli durchführen ließ. Die Opposition und internationale Beobachter erklärten die Wahl für „undemokratisch“ und sprachen von „Fälschung“.
„Ebensowenig hat er zur falschen Wahl vom Sonntag zu sagen. Vom Regime Maduro handverlesene Delegierte für eine verfassungsgebende Versammlung, die die einzige demokratische Institution des Landes, die es noch gibt, die Nationalversammlung, auflösen wird.
Kein Wort vom Papst. Nicht ein Satz zu den paramilitärischen Banden, die Terror säen, nicht ein Wort der Rückendeckung oder des Verständnisses für die verfolgten Regimegegner.
Es ist ein lärmendes Schweigen. Es ist ein Schweigen, das kläglich ist.
Der Papst, der soviel mit den Ellbogen spricht, spricht nicht. Es sprechen die venezolanischen Bischöfe, die Anfang Juni nach Rom gefahren sind, um ihn zu bitten, Stellung zu nehmen.“
Maduro der „Freund des Papstes“
Doch der Papst schweigt weiter. Maduro gilt als „Freund“ des Papstes, der bereits mehrfach im Vatikan empfangen wurde, während auch die katholische Opposition in Rom vor verschlossenen Türen steht. „Der Papst empfängt Unterdrücker statt Unterdrückte“, lautete im vergangenen Herbst die Kritik.
Die venezolanischen Bischöfe vertreten eine andere Haltung und kritisieren das sozialistische Regime mit deutlichen Worten. Sie haben dem Papst im Juni detaillierte Berichte über die Lage im Land und die Unrechtspolitik des sozialistischen Regimes vorgelegt. Der Neffe eines Bischofs wurde von den paramilitärischen Banden des Regimes ermordet. Der Mord wurde als Warnung an die Bischöfe verstanden. Doch nichts konnte bisher Papst Franziskus davon überzeugen, seine Sympathien für die „Bolivarische Revolution“ aufzugeben.
Die Bischöfe gehen, von Rom im Stich gelassen, ihren Weg weiter. Vor sechs Tagen kritisierten sie laut und deutlich die Maduro-Wahlen vom 30. Juli als „verfassungswidrig“ und als „Schaden für das Volk“, der die Probleme des Landes nur verschlimmere.
„Einmal mehr erheben wir unsere Stimme gegen die Gewalt.“
Die Bischöfe kritisierten Polizei, Militär und „bewaffnete Gruppen von Zivilisten, die der Regierung nahestehen“, und sprachen vom „Recht des Volkes“, seine „Unzufriedenheit“ über Unrecht zum Ausdruck bringen zu dürfen.
„Wer über Venezuela redet, redet über Kuba“
Roa erinnerte an einen weiteren Aspekt:
„Wer über Venezuela redet, redet über die engen Beziehung zu Kuba. Die kubanischen Berater helfen Maduro den Staatsapparat zu kontrollieren und vor allem den Militärapparat zu kontrollieren, der die wahre Macht im Staat ist.
Der Chavismus, benannt nach dem verstorbenen Hugo Chavez, dem „bolivarischen“ Vorgänger Maduros, „ist ein Segen für die Castros. Venezuela unterstützt Kuba mit dem Doppelten dessen, womit die Sowjetunion zu Zeiten des Kalten Krieges Kuba unterstützte.“
Und zu Kuba:
„Wenn es einmal auch eine Revolution auf Kuba gab, regiert dort heute nur mehr die Revolution der Bürokraten, die dank der venezolanischen Hilfe überleben.“
„Der Castrismus beeinflußt weiterhin zahlreiche Regierungen und politische und kulturelle, angeblich fortschrittliche Organisationen. Auch im Bereich der Menschenrechtsorganisationen.“
Das Versagen „angeblich fortschrittlicher“, internationaler Kräfte
Sowohl das kubanische Regime als auch die Blindheit der weltweiten „fortschrittlicher“ Kräfte, die wegschauen, wenn es um Unrecht und Menschenrechtsverletzungen auf Kuba geht, haben Einfluß, so Roa, auf die „venezolanische Tragödie“.
Roa beendet seinen Leitartikel mit einer bangen Frage und einer Anklage an die „angeblich fortschrittlichen“ Kräfte auf internationaler Ebene:
„Wieviel Tote und wieviel Ungerechtigkeiten müssen noch geschehen, damit sie aufhören, zu rechtfertigen und Komplizen zu sein? Alles ist so offensichtlich wie auch das lärmende Schweigen des Papstes.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Clardin/MiL/PSUV (Screenshots)
Papst Franziskus ist ein verhinderter Politiker.
Und als solcher unterstützt bzw. verurteilt er die jeweilige politische Richtung.
Spirituell fühle ich mich von ihm schon lange nicht mehr geführt.
„Eine Führung, die schweigt, wo sie reden sollte, diskreditiert sich selbst und macht sich dadurch letztlich überflüssig.“ (M.F. Refleton)
Anders ausgedrückt:
Wer nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“ handelt, der darf sich nicht wundern, wenn er nicht (mehr) geachtet wird, sondern ihm Gleichgültigkeit in einer Welt voll Beliebigkeit begegnet.