
(Rom) Am Ostersonntag veröffentlichte die bürgerliche spanische Tageszeitung ABC ein Interview mit Papst Franziskus, das in vielen Aspekten wenig überraschend, in anderen jedoch durchaus interessant, ja sogar hoch interessant ist. Die große, Papst Franziskus gewidmete Ostersonntagsveröffentlichung von ABC besteht aus zwei Teilen: einem Interview von Franziskus, das sein Vertrauter, der ABC-Vatikanist Javier Martínez-Brocal, führte, und einer Vorschau auf das demnächst erscheinende Buch von Franziskus „El Sucesor“ („Der Nachfolger“), in dem Franziskus seine „Erinnerungen an Benedikt XVI.“ erzählt und eine wenig überzeugende, dafür aber stark geschönte Darstellung der Ereignisse ab 2005 bietet.
Es häufen sich die Signale, daß Franziskus Abschied zu nehmen beginnt. Sein Gesundheitszustand ist wesentlich schlechter, als der Heilige Stuhl bekanntgibt. Es erscheinen Bücher, in denen Franziskus mit Hilfe ihm nahestehender Journalisten sein Pontifikat Revue passieren läßt und zugleich ein Erinnerungsnarrativ begründet. Vor kurzem war es der Vatikanist der französischen Tageszeitung Le Figaro, Jean-Marie Guenois, der daran erinnerte, daß seit einiger Zeit ein Grab für Franziskus vorbereitet wird. In dem angekündigten Buch bestätigt Franziskus, daß er sich nicht in den Vatikanischen Grotten bestatten läßt, sondern in Santa Maria Maggiore. Im Vatikan hatte ihm Benedikt XVI. durch seinen früheren Tod die von Franziskus bestimmte Grabstätte „weggenommen“. Und da Franziskus durch und durch eigenwillig ist, galt auch hier, daß er sich nichts aufdrängen läßt, also suchte und fand er eine neue, ganz andere Grablege – denn wo er mit althergebrachten Gepflogenheiten brechen kann, ist Franziskus immer dabei.
Auch die Tatsache, daß – ob ursprünglich so geplant oder nicht – Franziskus erstmals selbst als Autor der Kreuzwegstationen am Karfreitag an die Öffentlichkeit trat, läßt sich in die Hinweise auf den bereits erfolgenden Abschied einreihen. Das jüngste Interview fügt einige weitere Elemente hinzu, darunter auch die Neuauflage des Narrativs, er, Franziskus, habe immer ein hervorragendes Verhältnis zu Benedikt XVI. aufrechterhalten. Zwei etwas unscheinbarere Details, die sich im ABC-Interview finden, haben mit der sogenannten „Mafia von Sankt Gallen“ zu tun, jenem innerkirchlichen Geheimzirkel, den Kardinal Carlo Maria Martini SJ zusammen mit anderen Kardinälen und hohen Prälaten ins Leben gerufen hatte, um die Zeit nach Johannes Paul II. vorzubereiten und dessen Pontifikat zu sabotieren.

Detail 1
Eines der beiden Details betrifft die Laisierung des belgischen Bischofs und erwiesenen Mißbrauchstäters Roger Vangheluwe. Vangheluwe war Bischof von Brügge und ein Schützling des verstorbenen Kardinals Godfried Danneels, der Primas von Belgien war. Danneels wiederum war ein besonders enger Freund von Papst Franziskus. Als einer von vier Kardinälen des sogenannten Teams Bergoglio trug Danneels maßgeblich zur Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst bei. Danneels war es auch, der betagt und siegessicher 2015 die Existenz des Geheimzirkels von Sankt Gallen enthüllte, samt dem Detail, daß sich der Geheimzirkel selbst als „Mafia“ bezeichnete.
Detail 2
Der zweite Aspekt ist, daß demnächst ein Buch mit dem Titel „El Sucesor“ („Der Nachfolger“) erscheinen wird. Genau zu diesem Buch veröffentlichte ABC am Sonntag zusätzlich zum Interview einen ersten Vorabdruck. Franziskus gibt darin eigene, bisher noch nicht geäußerte Sichtweisen zum Konklave von 2005 bekannt. 2005? Das Konklave, bei dem er gewählt wurde, fand erst 2013 statt. Das Detail zeigt, wie sehr, um die Hintergründe der jüngeren kirchlichen Ereignisse zu verstehen, die Zeit seit dem Pontifikat von Johannes Paul II. als Ganzes zu betrachten ist, als ein großes Ringen, um nicht zu sagen, ein großer Kampf.
Die Mafia von Sankt Gallen war in der ersten Hälfte der 90er Jahre entstanden, um sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks gegen das manchen schon „viel zu lange“ dauernde polnische Pontifikat zu wenden und nach dessen Ende eine neue Ära einzuläuten. Der „Kalte Krieger“ Wojtyla habe seine Aufgabe erfüllt, nun wollte man „das Ende Geschichte“ auch in der Kirche feiern. Doch der Tod von Johannes Paul II. trat erst so spät ein, daß Kardinal Martini, der „Ante-Papa“, Wojtylas progressiver Gegenspieler, 2005 wegen seiner Erkrankung als Nachfolger nicht mehr wirklich in Frage kam. Schon damals sollte daher Bergoglio die progressive Wende herbeiführen und das Wojtyla-Pontifikat als „langes Intermezzo“ abwickeln. Es gab also, soviel steht fest, in der Kirche sehr wohl einige maßgebliche Prälaten, die über Kardinal Bergoglio, „den Mann von den Rändern“, sehr gut Bescheid wußten.
Für progressive Kirchenkreise hat die unwiderrufliche Neuausrichtung der Kirche mit Johannes XXIII. begonnen und war von Paul VI. fortgesetzt, aber nicht vollendet worden. Johannes Paul II. wird in dieser Perspektive als „Störpontifikat“ betrachtet, das eine restaurative Gegenbewegung darstellte. Eine Art letztes Aufbäumen der „indietristischen“ Kräfte. Dieses Pontifikat sollte, so Martini, Danneels & Co., ein „Betriebsunfall“ bleiben und möglichst rasch, radikal und definitiv überwunden werden. Stattdessen wurde 2005 aber nicht Jorge Mario Bergoglio, sondern Joseph Kardinal Ratzinger zum neuen Papst gewählt.
Soweit die bekannten Zusammenhänge, die offiziell nie bestätigt wurden – bis zur ABC-Ausgabe vom Sonntag. In dem Interview, das Franziskus seinem Vertrauten Javier Martínez-Brocal gab, bestätigte nun Franziskus selbst die Verbindung zwischen seinem Pontifikat und der Mafia von Sankt Gallen. Dies geschieht auf eine Weise, die annehmen läßt, daß sich die Beteiligten der selbst getätigten Enthüllung gar nicht bewußt sind. Darauf weist schon die große Überschrift hin:

„Sie haben versucht, mich zu benutzen, damit Ratzinger nicht zum Papst gewählt wird“.
Oder versucht Franziskus, am Ende seines Pontifikats, auch in diesem Punkt ein wenig Beschönigung zu betreiben? Der Versuch, eine Kontinuität zwischen den Pontifikaten von Benedikt XVI. und Franziskus herzustellen, vermag vielleicht schlichte Geister zu überzeugen, insgesamt will das aber nicht gelingen. Franziskus sagt, der Papst habe eine „Lizenz zum Erzählen“, auch von den Konklaven. Allerdings erzählt Franziskus interessengeleitet nur einen Teil der Hintergründe, während er andere verschweigt. Konkret geht es Franziskus um das Konstrukt einer „Kontinuität“ zwischen ihm und Benedikt XVI. Dazu geht er vermeintlich sogar auf Distanz zur Mafia von Sankt Gallen und bestätigt damit erstmals die Existenz eines Zirkels, der ihn „benutzen“ wollte. Franziskus geht in der Absicht, sich selbst eine Gloriole zu binden, so weit, sich als Parteigänger von Benedikt XVI. zu erkennen zu geben. Wie glaubwürdig ist das? Franziskus, der unerschrockene Bekämpfer aller „Indietristen“, als Anhänger des „Indietristen“-Papstes? Es geht wirklich nichts über unkritische Journalisten, die alles schlucken und nirgends nachfragen.
Kurios mutet dabei auch eine recht eigenwillige „Gleichsetzung“ des Heiligen Geistes mit sich selbst an. Doch lesen Sie selbst den Abschnitt aus dem Interview von Javier Martínez-Brocal, der diesen Punkt betrifft:
ABC: An welche Anekdoten erinnern Sie sich aus dem Konklave [2005]?
Papst Franziskus: Ich erinnere mich, daß ich nach dem Ende des Konklaves mit einem argentinischen Priester in einem Restaurant in der Nähe meiner Unterkunft in Rom, in der Via della Scrofa, zu Abend gegessen habe.
Die Besitzerin war schwanger, und der Junge, der geboren wurde, ist jetzt über achtzehn. Ich rufe sie jedes Jahr zu ihrem Geburtstag an. Wir haben uns bei diesem Abendessen angefreundet. Jedes Jahr kommen sie mich besuchen. Es ist schon komisch, diese Freundschaften, die bleiben. Jetzt haben sie das Restaurant auf dem Pantheon-Platz.
ABC: Wie haben Sie sich kennengelernt?
Papst Franziskus: Während sie uns das Abendessen servierten, baten sie mich, ihnen vom Konklave zu erzählen. Aber nur, weil der argentinische Priester, der mich begleitete, ihnen sagte: „Dieser hier wäre fast zum Papst gewählt worden“. Was allerdings eine Lüge ist.
ABC: Nun, ich dachte auch, daß Sie kurz davor standen, in diesem Konklave gewählt zu werden.
Papst Franziskus: In diesem Konklave – das ist bekannt – haben sie mich benutzt. Bevor ich fortfahre, lassen Sie mich Ihnen etwas sagen. Die Kardinäle haben einen Eid geschworen, nicht zu verraten, was im Konklave geschieht, aber die Päpste haben eine Lizenz zum Erzählen.
ABC: Ich verstehe. Danke für die Klarstellung.
Papst Franziskus: Es geschah, daß ich vierzig der einhundertfünfzehn Stimmen in der Sixtinischen Kapelle erhalten hatte. Sie reichten aus, um die Kandidatur von Kardinal Joseph Ratzinger zu stoppen, denn wenn sie weiter für mich gestimmt hätten, hätte er die für die Wahl zum Papst erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht erreichen können.
ABC: Hätten sie nicht auch Sie wählen können?
Papst Franziskus: Das war nicht die Idee jener, die hinter den Abstimmungen standen. Das Manöver bestand darin, meinen Namen einzubringen, die Wahl Ratzingers zu verhindern und dann einen anderen dritten Kandidaten auszuhandeln. Sie sagten mir später, daß sie keinen „ausländischen“ Papst wollten.
ABC: Das Manöver war eine Karambolage.
Papst Franziskus: Es war ein vollwertiges Manöver. Es ging darum, die Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zu verhindern. Sie benutzten mich, aber hinter mir dachten sie bereits daran, einen anderen Kardinal vorzuschlagen. Sie hatten sich noch nicht auf einen Namen geeinigt, aber sie waren schon dabei, einen Namen in den Raum zu werfen.
ABC: Wann ist das passiert?
Papst Franziskus: Das Konklave begann am Montag, dem 18. April 2005. Die erste Abstimmung fand am Nachmittag statt. Die Operation erfolgte bei der zweiten oder dritten Abstimmung am Dienstagmorgen, dem 19. April. Als mir dies am Nachmittag klar wurde, sagte ich zu einem lateinamerikanischen Kardinal, dem Kolumbianer Darío Castrillón: „Machen Sie keine Witze über meine Kandidatur, denn ich werde jetzt sagen, daß ich nicht annehmen werde, ja? Laßt mich dort“. Und dann wurde Benedikt gewählt.
ABC: Was hielten Sie von der Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst?
Papst Franziskus: Er war mein Kandidat.
ABC: Warum haben Sie für ihn gestimmt?
Papst Franziskus: Er war der einzige, der zu dieser Zeit Papst werden konnte. Nach der Revolution von Johannes Paul II., der ein dynamischer Pontifex war, sehr aktiv, initiativ, reiselustig… brauchte man einen Papst, der ein gesundes Gleichgewicht halten konnte, einen Papst des Übergangs.
ABC: Ich erinnere mich, daß Sie in Ihrer ersten Pressekonferenz auf dem Rückflug von Rio de Janeiro sagten, Sie seien sehr glücklich, daß Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde.
Papst Franziskus: Und das ist wahr. Wenn sie jemanden wie mich gewählt hätten, der viel Durcheinander macht, hätte ich nichts ausrichten können. Zu dieser Zeit wäre das nicht möglich gewesen. Ich war glücklich. Papst Benedikt XVI. war ein Mann, der den neuen Stil mitmachte. Und es war nicht leicht für ihn. Er ist im Vatikan auf viel Widerstand gestoßen.
ABC: Was hat der Heilige Geist der Kirche mit diesem neuen Papst gesagt?
Papst Franziskus: Mit der Wahl von Joseph Ratzinger hat er gesagt: „Ich habe hier das Sagen. Es gibt keinen Spielraum für Manöver.“
Der Heilige Geist oder Jorge Mario Bergoglio?
Den „Spielraum für Manöver“ entzog allerdings der erzählende Bergoglio/Papst Franziskus 2005 selbst und zwar jenen Kardinälen, von denen er sich 2013 dann ebenso anstandslos zum Papst wählen ließ. Was war der Grund? Bergoglio hatte 2005 erkannt, daß er keine Aussicht hatte gewählt zu werden. Als bloßer Steigbügelhalter für einen ungenannt bleibenden Dritten, der Bergoglio offensichtlich nicht zusagte, wollte der eigenwillige Jesuit sich nicht verheizen lassen. Ein geschickter Schachzug, mit dem er seine Chancen für das nächste Konklave wahrte. Es gab also keine Distanzierung von „jenen“, die ihn „benutzen“ wollten, sondern nur ein nüchtern berechnendes Kalkül. Sobald nämlich die Zahlen stimmten, was 2013 der Fall war, waren die Reihen zwischen Bergoglio und der Mafia von Sankt Gallen so dicht geschlossen, daß da wirklich kein Blatt Papier dazwischen paßte.
Vor allem gefällt sich Franziskus offensichtlich darin, ein Erinnerungsnarrativ zu verbreiten, daß gerade jene, die sein Pontifikat kritisieren, doch froh sein sollten, denn letztlich – so die Aussage – hätten sie ja ihm, Bergoglio, die Wahl Benedikts XVI. zu verdanken. Gab es am Ende gar kein Doppelpontifikat Johannes Paul II./Benedikt XVI., sondern ein Doppelpontifikat Benedikt XVI./Franziskus? Man vermeint fast, die schelmische Freude des argentinischen Papstes zu hören, sollte es ihm gelingen, selbst dazu in konservativen oder traditionsverbundenen Kreisen Verwirrung zu stiften.
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: ABC (Screenshots)
Herr Jesus Christus, bitte gib uns einen heiligen Papst, nach dem Mass vom heiligen Pius X! Er möge die Schäden von Franziskus heilen und die Katholische Kirche wieder aufrichten! Habe erbarmen mit uns! Amen
Nun war Kardinal Bergoglio mit einem argentinischen Priester zum Abendessen. Der erste Akt des Beinahe-Papstes nach dem Verlassen des Konklaves. Wer das wohl war? Welcher Priester würde dazu die Kühnheit haben, in Gegenwart Bergoglios Aussenstehenden zu verkünden: „Dieser hier wäre fast zum Papst gewählt worden.“ Die grosse Botschaft von La Salette aus dem Jahre 1851 spricht von mehreren Söhnen einer Ordensfrau und eines Bischofes. Das ist alles andere als rühmlich. Man könnte sogar sagen, an ihrer Nase könnt ihr die mindestens drei Brüder erkennen. Einer wurde am Tag seiner Priesterweihe direkt in ein Bischofsamt eingesetzt.