(Rom) Fünf Fragen haben die vier Kardinäle Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner mit ihren Dubia (Zweifel) Papst Franziskus unterbreitet. Drei davon beziehen sich auf die Enzyklika Veritatis splendor von 1993, die als eine Schlüsselenzyklika des Pontifikats von Johannes Paul II. gilt. Die Kardinäle fragen Franziskus, ob die drei Wahrheiten, die durch jene Enzyklika mit Nachdruck bekräftigt wurden, noch Gültigkeit haben. 2004 fielen Jorge Mario Bergoglio, dem damaligen Erzbischof von Buenos Aires, die Antworten noch leicht.
Im zweiten Dubium heißt es:
Ist nach dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ (vgl. Nr. 304) die auf die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche gegründete Lehre der Enzyklika „Veritatis Splendor“ (Nr. 79) des heiligen Johannes Paul II. über die Existenz absoluter moralischer Normen, die ohne Ausnahme gelten und in sich schlechte Handlungen verbieten, noch gültig?
Im vierten Dubium:
Soll man nach den Aussagen von „Amoris laetitia“ (Nr. 302) über die „Umstände, welche die moralische Verantwortlichkeit vermindern“, die auf die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche gegründete Lehre der Enzyklika „Veritatis Splendor“ (Nr. 81) des heiligen Johannes Paul II. für weiterhin gültig halten, nach der „die Umstände oder die Absichten niemals einen bereits in sich durch sein Objekt unsittlichen Akt in einen ’subjektiv‘ sittlichen oder als Wahl vertretbaren Akt verwandeln“ können?
Im fünften Dubium:
Soll man nach „Amoris laetitia“ (Nr. 303) die auf die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche gegründete Lehre der Enzyklika „Veritatis Splendor“ (Nr. 56) des heiligen Johannes Paul II. für weiterhin gültig halten, die eine kreative Interpretation der Rolle des Gewissens ausschließt und bekräftigt, dass das Gewissen niemals dazu autorisiert ist, Ausnahmen von den absoluten moralischen Normen zu legitimieren, welche Handlungen, die durch ihr Objekt in sich schlecht sind, verbieten?
Die Dubia wurden dem Papst am 19. September 2016 zugestellt. Seit dem 14. November sind sie von den vier Kardinälen öffentlich gemacht worden. Papst Franziskus hat seither auf keine der fünf Fragen geantwortet. Er ignoriert sie, während seine engsten Mitarbeiter die vier Kardinäle scharf angreifen und sich über die Fragen empören.
Laut dem Vatikanisten Sandro Magister wußte Jorge Mario Bergoglio, als er noch Erzbischof von Buenos Aires war, durchaus zu antworten.
Im Oktober 2004 fand in Buenos Aires ein internationaler Theologenkongreß über die Enzyklika Veritatis splendor statt. Anlaß war die Errichtung des Johannes-Paul-II-Lehrstuhls an der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien.
2014 schrieb Benedikt XVI. in einem seiner seltenen Texte, die seit seinem Amtsverzicht veröffentlicht wurden, daß Veritatis splendor eine „der bedeutendsten“ Enzykliken „ für die Kirche“ ist. Die Ausführungen Benedikts lassen erkennen, daß er Veritatis splendor sogar für die bedeutendste unter allen Enzykliken seines Amtsvorgängers hält. Sie sei „von unveränderter Gültigkeit“, solle „studiert“ werden und Richtschnur sein.
Benedikt ist der Überzeugung, daß durch Veritatis splendor der katholischen Moral ihr metaphysisches und christologisches Fundament zurückgegeben wurde, das allein imstande ist, die pragmatischen Abirrungen der heutigen Moral zu besiegen, für die es kein wirklich Gutes gibt, sondern nur mehr oder weniger brauchbare Nützlichkeiten.
Veritatis splendor sei damit das Gegengewicht zur Situationsethik, „die vor allem unter Jesuiten im 17. Jahrhundert in Mode war und seither nicht mehr ganz verschwunden ist, vielmehr heute in der Kirche verbreiteter ist denn je“, so Magister.
Beim Theologenkongreß in Buenos Aires trat Kardinal Bergoglio als erster Referent ans Rednerpult. Seine Rede kann im 2005 veröffentlichen Tagungsband „La verdad los hará libres“ (Die Wahrheit wird euch freimachen) nachgelesen werden.
Bergoglio stellte sich damals entschieden hinter die in Veritatis splendor bekräftigte Wahrheit, besonders oben in den Dubia zitierten drei Wahrheiten, die seit der Veröffentlichung von Amoris laetitia in Frage gestellt werden.
- Auf Seite 34 des Tagungsbandes schreibt der damalige Erzbischof von Buenos Aires, daß „nur eine Moral, die ohne Ausnahme immer und für alle gültige Normen anerkennt, kann die ethische Grundlage des sozialen Zusammenlebens auf nationaler wie internationaler Ebene sicherstellen“, denn der Relativismus einer Demokratie ohne Werte führe in den Totalitarismus.
„Das wäre eine Antwort auf das zweite Dubium der vier Kardinäle“, so Magister.
- Auf Seite 32 schreibt Kardinal Bergoglio, daß das Verständnis für die menschliche Schwachheit „nie einen Kompromiß und eine Verfälschung des Kriteriums von Gut und Böse bedeuten kann, so als wollte man sie den Lebensumständen der Menschen und der Personengruppen anpassen“.
„Das wäre eine Antwort auf das vierte Dubium“, so Magister.
- Auf Seite 30 schließlich bezeichnet es Bergoglio als „schwere Versuchung“, zu meinen, daß es für einen sündigen Menschen unmöglich sei, das heilige Gesetz Gottes zu befolgen und selbst „darüber entscheiden zu wollen, was gut und was böse ist“, anstatt die Gnade anzurufen, die Gott immer gewähre.
„Das wäre eine Antwort auf das fünfte Dubium.“
Was geschah nach dem Theologenkongreß von 2004?
„Was aber ist nach diesem Kongreß von 2004 in Buenos Aires geschehen?“, so Magister.
Geschehen ist, so der Vatikanist, daß im Gefolge des Kongresses ein argentinischer Theologe namens Victor Manuel Fernandez 2005 und 2006 zwei Aufsätze veröffentlichte, mit denen er die Situationsethik verteidigte.
„Fernandez war Bergoglios Augapfel, der ihn als Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien wollte und 2009 tatsächlich dessen Ernennung gegen starke und verständliche Widerstände der römischen Kongregation für das katholische Bildungswesen durchsetzen konnte.“
Als der Kardinal 2013 Papst wurde, beförderte er Fernandez sofort zum Erzbischof und holte ihn als Ghostwriter für Evangelii gaudium und andere wichtige Reden und Dokumente nach Rom
„nit der Wirkung, die sich in Amoris laetitia zeigt, das umfassend von einer laxen Moral geprägt ist und in einigen Paragraphen sogar wörtlich aus älteren Texten Fernandez‘ kopiert wurde. Besonders aus den beiden genannten Artikeln von 2005 und 2006, aber auch aus Aufsätzen von 1995 und 2001.“
Magister abschließend:
„Und was wurde aus der Enzyklika Veritatis splendor, die von Bergoglio 2004 noch so entschieden gelobt wurde? Vergessen. In den 200 Seiten von Amoris laetitia wird sie nicht ein einziges Mal erwähnt.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Youtube/Rome Report/Settimo Cielo (Screenshot)
Erzbischof Jorge Bergoglio scheint die Amtsgnade, die er als Papst Franziskus hat, nicht gut zu bekommen. Antworten auf grundlegende Fragen, die er damals noch hatte, sind wie vergessen, oder die Kraft, für sie einzustehen, ist ihm entschwunden oder wird von anderen gelähmt. Vielleicht ist die „St. Gallener Mafia“ ja nur die Filiale eines weit größeren Kollegiums, das seine Tentakel auch nach Lateinamerika ausgestreckt hat?
Bereits Papst Pius XII. äußerte sich über das Wesen des Sittengesetzes und der Situationsethik (19. April 1952) und schrieb fest daß diese außerhalb des katholischen Glaubens und der katholischen Sittenlehre liege.
In dieser ausdrücklichen Form steht die neue Ethik dermaßen außerhalb des Glaubens und der katholischen Grundsätze, dass selbst ein Kind, das seinen Katechismus kann, es begreifen und fühlen wird. Es ist nicht schwer, zu erkennen, dass die neue Morallehre aus dem Existentialismus hervorgegangen ist, der entweder von Gott absieht oder ihn geradewegs leugnet, auf jeden Fall aber den Menschen ganz auf sich selbst stellt. Möglich, dass die gegenwärtigen Lebensbedingungen zu dem Versuch geführt haben, die "neue Moral" auf katholischen Boden hinüberzupflanzen, um den Gläubigen die Schwierigkeiten des christlichen Lebens erträglicher zu machen. Tatsächlich werden von Millionen von ihnen heute in ausserordentlichem Maße Festigkeit, Geduld, Standhaftigkeit und Opfersinn verlangt, wenn sie ihrem Glauben unter all den Schicksalsschlägen oder in einer Umwelt, die alles, was ein leidenschaftliches Herz ersehnen und wünschen kann, in Reichweite bringt, vollkommen treu bleiben wollen. Aber ein solcher Versuch kann niemals gelingen.
Da, wo es aber keine absolut verpflichtenden und von allen Umständen und Eventualitäten unabhängigen Normen gibt, erfordert die „einmalige“ Situation in ihrer Einzigkeit tatsächlich eine sorgfältige Prüfung, um zu entscheiden, welche Gebote hier anzuwenden sind und in welcher Weise. Die katholische, Sittenlehre hat dieses Problem der persönlichen Gewissensbildung mit vorhergehender Prüfung der Umstände des zu entscheidenden Falles immer ausgiebig behandelt. Alles, was sie lehrt, bietet ebenso den theoretischen wie den praktischen Gewissensentscheidungen eine kostbare Hilfe. Wir brauchen nur auf die unübertrefflichen Darlegungen des hl. Thomas über die Kardinaltugend der Klugheit und die mit dieser verknüpften Tugenden hinzuweisen (S. Th. 23; 28 q. 47 ‑57). Sein Traktat beweist einen Sinn für persönliches Handeln und Aktualität, der alles umfasst, was an der „Situationsethik“ richtig und positiv ist, vermeidet aber alle Verwirrungen und Irrtümer.
… Das gilt auch von der Gewissenserziehung durch Gott und die Kirche: ihr Ziel ist, wie der Apostel sagt (Eph. 4, 13f.), den „vollkommenen Menschen nach dem Maß des Vollalters Christi“, also den mündigen Menschen, der auch den Mut zur Verantwortung hat, zu erziehen.
Nur muss diese Reife in der richtigen Ordnung stehen. Jesus Christus bleibt der Herr, das Haupt und der Lehrer jedes einzelnen Menschen in jedem Alter und Stand durch seine Kirche, in der er zu wirken fortfährt. Der Christ seinerseits muss die schwere und große Aufgabe übernehmen, die Wahrheit, den Geist und das Gesetz Christi in seinem persönlichen Leben, in seinem Berufsleben, in seinem sozialen und öffentlichen Leben nach besten Kräften zur Geltung zu bringen. Das ist die katholische Moral, …
Die beiden Positionen widersprechen sich nicht. Die eine (Veritatis splendor) ist nur näher bei der Position, von der die Kirche meint, dass sie Gott nahe sei. Die andere Position (Fernadez und Amoris Laetitia) gehen auf eine größere Gottferne (und Weltnähe) ein, die auf die meisten lebenden Menschen zutreffen dürfte. Es geht also um graduelle Abstufungen und nicht um Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß. Da beide Extreme für einen Menschen nicht lebbar sein dürften, besteht die geforderte Lösung also darin, die verschiedenen Abstufungen in Hinblick auf den Glauben richtig zu bewerten. Und genau das versucht Papst Franzskus, Erkenntnisse und Probleme der Neuzeit integrierend, (aus meiner Sicht) richtigerweise.
Sehr geehrte @Ute Mair,
Ich kann Ihre Position nachvollziehen, ich kann ihr aber nichtbzustimmen.
Zunächst: wenn Papst Franziskus AL so verstanden sehen möchte, wie Sie sie auslegen, warum sagt er es nicht einfach und bereitet der Diskussion ein Ende?
Aber auch inhaltlich stimme ich Ihnen nicht zu: Auch wenn die heutige Realität vielleicht so ist, dass die meisten Menschen den Geboten Gottes nicht mehr folgen können oder wollen, so sind es doch Gebote Gottes. Sie sind die unveränderliche und ewige Richtschnur, der wir folgen müssen, wenn wir in den Himmel eingehen wollen.
Weil wir Menschen schwach sind, wurde uns mit der Busse und Beichte ein Sakrament gegeben, mit dem wir nach Übertretungen und Fehlern wieder auf den rechten Pfad zurückkehren können. Aber die Gesetze bleiben unverändert, auch dann, wenn alle sie ignorieren würden.
Es ist nicht leicht, in den Himmel zu kommen, Wir kennen den Vergleich des schmalen, steinigen und steilen Pfades, der zum Himmel führt, mit der breiten und bequemen Straße, die uns aber nicht and Ziel bringt. Nur weil „alle“ auf der breiten Straße gehen, können wir doch nicht so tun, als sei das der richtige Weg, oder?
Lassen Sie mich ein anderes Beispiel anführen: Stellen wir uns vor, wir sind auf dem Weg nach Berlin und kommen an eine beschilderte Kreuzung. Das Schild nach Berlin zeigt nach rechts, aber wir biegen – vertrauend auf unsere vermeintliche Ortskenntnis – nach links ab. Zusammen mit uns tun das noch tausende andere, die das Schild ebenfalls ignorieren und meinen, es besser zu wissen. Leider verfahren wir uns alle und keiner von uns erreicht Berlin. Die Lösung für das Landratsamt kann doch nun nicht sein, einfach das Schild umzudrehen, weil ja eh alle nach links fahren! Im Gegenteil, sie müssen das Schild größer machen, beleuchten, ein zusätzliches aufstellen!
Und das ist auch die Aufgabe der Kirche: sie muss für die Wahrheit eintreten! So hat es die katholische Kirche immer gehalten, auch wenn das noch nie einfach war und auch wenn das noch nie die Zustimmung der Welt gefunden hat. Was die katholische Kirche verkündet muss immer entweder auf die Bibel oder die Überlieferung zurückzuführen sein, den sie ist kein Verein, der einfach mit entsprechender Mehrheit seine Satzungen ändert. Widersprüche zur Bibel oder zur Überlieferung sind unmöglich.
Ein Gedanke noch zum Schluss: wenn wir das 6. Gebot relativieren, warum nicht auch das 5.? Solange wir es mit unserem Gewissen vereinbaren können, warum nicht Abtreibung und Sterbehilfe? Das ist doch kein Leben, das diese armen Kleinen in den ärmsten Regionen der Welt erwartet! Das ist doch kein Leben, dass dieser dahinsiechende Krebskranke vor sich hat! Warum sollen wir sie denn nicht von diesem lebensunwerten Leben „befreien“?!?