
Der emeritierte Präfekt der römischen Glaubenskongregation Gerhard Kardinal Müller hat in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Il Giornale erklärt: „Die Kirche darf keine Politik machen, sondern muß sich um die Christen kümmern.“
Kardinal Müller, einer der profiliertesten Kirchenmänner seiner Generation, war 2017 von Papst Franziskus als Leiter der Glaubenskongregation entlassen worden, um schließlich Víctor Manuel „Tucho“ Fernández, einen engen Vertrauten Bergoglios, in dieser Position zu installieren. Fernández, dessen theologische Qualifikation vielfach infrage gestellt wird, sorgte mit Schriften zur Sexualität für erhebliche Irritation – und erntete den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Pornopräfekt“.
Dem argentinischen Papst wird seitdem vorgeworfen, die Autorität der einst so bedeutenden Glaubenskongregation – vormals das Heilige Offizium – systematisch geschwächt zu haben.
Das Interview mit Kardinal Müller führte der vatikanerfahrene Journalist Fabio Marchese Ragona.
„Der Papst ist kein Star – Nein zum Homo-Jubiläum“
Fabio Marchese Ragona: Herr Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Sie sind emeritierter Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre. Wie beurteilen Sie die ersten Monate des Pontifikats von Papst Leo?
Gerhard Kardinal Müller: Wir alle waren erfreut, daß Papst Leo sein Pontifikat mit Christus begonnen hat – dem Zentrum des christlichen Glaubens. Dieser Christozentrismus ist unerläßlich. Viele wünschen sich, daß die Kirche nur noch über gesellschaftliche oder politische Themen spricht. Natürlich ist auch das Teil ihres Auftrags. Doch ihre vorrangige Mission ist es, das Evangelium vom Heil und vom ewigen Leben für alle Menschen zu verkünden.
Fabio Marchese Ragona: Wird es Ihrer Meinung nach unter diesem Papst mehr Aufmerksamkeit für Kollegialität geben?
Gerhard Kardinal Müller: Ja, darüber haben wir auch im Vorkonklave gesprochen. Die Kollegialität der Bischöfe ist ein Element des christlichen Glaubens, sie gehört zur Dogmatik. Der Papst als Bischof von Rom ist kein isolierter Autokrat, sondern hat ein Kardinalskollegium, das seinem Amt als eine Art Senat zur Seite steht. Die Ratschläge der Kardinäle sind sehr wichtig – nicht aus Eigennutz, sondern um dem Papst intellektuell und moralisch bei der Erfüllung seiner Mission zu helfen.
Fabio Marchese Ragona: Manche glauben, daß mit Papst Leo eine Rückkehr zur Tradition bevorsteht.
Gerhard Kardinal Müller: Man sollte keine Vergleiche mit früheren Päpsten ziehen. Leo kann nicht Franziskus imitieren, wie Franziskus nicht Benedikt imitieren konnte – und so weiter. Es wird zum Beispiel darüber gesprochen, daß Leo die Mozzetta trägt: Das ist nicht bloß ein ästhetisches Detail, sondern Ausdruck seines Amtes. Viele haben das als Zeichen verstanden, daß Papst Leo sich mehr als Nachfolger Petri präsentieren möchte – nicht als Persönlichkeit, die im Vordergrund steht. Natürlich kann man Amt und Person nicht vollständig trennen, doch in gewisser Hinsicht ist eine Unterscheidung notwendig.
Fabio Marchese Ragona: Papst Leo hat gesagt, er habe bereits zahlreiche Schreiben zur Thematik der lateinischen Messe erhalten. Halten Sie ein Eingreifen in dieser Angelegenheit für notwendig?
Gerhard Kardinal Müller: Zunächst einmal gibt es verschiedene liturgische Riten, darunter auch den lateinischen Ritus, der der verbreitetste ist. Die Konzilsväter wollten nicht die Messe selbst ändern, sondern lediglich die Riten anpassen, um die aktive Teilnahme der Gläubigen zu erleichtern. Es gibt jedoch einige, die Vorbehalte gegenüber der liturgischen Form äußerten und am Ritus festhielten, wie er bis 1962 gefeiert wurde. Einige dieser sogenannten Traditionalisten behaupten, nur diese Form sei gültig – das ist nicht akzeptabel. Wir müssen eine pragmatische, tolerante Lösung finden. Auf Grundlage der katholischen Lehre, die zwischen dem unveränderlichen Wesen der Sakramente und den veränderbaren liturgischen Formen unterscheidet, muß eine Lösung gesucht werden.
Fabio Marchese Ragona: Wie sehen Sie dieses Thema konkret?
Gerhard Kardinal Müller: Man kann die Frage nicht autoritär lösen. Es braucht Vermittlung – beide Seiten müssen einander entgegenkommen. Es ist eine klare, theologische Reflexion nötig – nicht bloß politische Überlegungen.
Fabio Marchese Ragona: Unter den vielen Schreiben hat Papst Leo auch ein Gesuch erhalten, unterzeichnet von zahlreichen Wissenschaftlern, die um ein klärendes Wort nach der „Verwirrung“ rund um das LGBTQ+-Jubiläum bitten. Was denken Sie dazu?
Gerhard Kardinal Müller: Ich weiß nicht, ob der Papst sich dazu äußern wird, aber die Situation ist meines Erachtens klar: Das Heilige Jahr und die Heilige Pforte dürfen nicht für eine solche Ideologie instrumentalisiert werden. Die Kirche nimmt im Namen Jesu Christi alle Menschen und ihre Schwierigkeiten an. Aber Gott hat Mann und Frau geschaffen – nur diese Verbindung ist nach christlichem Verständnis eine eheliche Lebensform. Die Heilige Pforte darf nicht für politische Anliegen benutzt werden. Ich denke da etwa an Pilger, die hier Themen wie den israelisch-palästinensischen Konflikt ansprechen wollen. Was hat das mit dem Glauben zu tun? Christus ist die wahre Heilige Pforte, durch die wir in die Kirche, in die Familie Gottes eintreten. Wir Christen sind nicht dazu berufen, Feinde zu besiegen – sondern die Feindschaft selbst.
Fabio Marchese Ragona: Papst Leo hat zur Sexualmoral gesagt, daß sich an der Lehre nichts ändern werde, und zugleich das „Todos, todos, todos“ von Franziskus bekräftigt. Ist das eine Art Vermittlung?
Gerhard Kardinal Müller: Alle Menschen sind zur Begegnung mit Jesus Christus, dem einzigen Erlöser der Welt, gerufen – aber unter der Voraussetzung, daß sie ihr Leben ändern. Das Problem ist, daß viele das „alle, alle, alle“ als Zustimmung zu einem Lebensstil deuten wollen, der dem christlichen Leben widerspricht. Denken wir an die frühe Kirche Roms im 2. oder 3. Jahrhundert. Damals fragte man sich zum Beispiel: Was machen wir mit Gladiatoren, die getauft werden wollen, obwohl sie Menschen töten? Wer durch die Taufe in die Kirche eintreten will, muß sein Leben ändern. Und das gilt auch für viele andere Menschengruppen.
Fabio Marchese Ragona: Der Papst hat sich zu amerikanischen Lebensschützern geäußert und gesagt, man könne nicht gegen Abtreibung sein und gleichzeitig für die Todesstrafe oder die aktuelle US-Migrationspolitik eintreten…
Gerhard Kardinal Müller: Der Papst hat diese unterschiedlichen Themen nicht gleichgesetzt oder relativiert – das wäre unzulässig, weil sie objektiv verschieden sind. Er sprach vielmehr von der subjektiven Kohärenz, die in allen Bereichen des Lebensschutzes erforderlich ist. Abtreibung bedeutet, ein unschuldiges Leben zu töten – die Kirche hat das immer als brutales Verbrechen verurteilt. Aber man kann es nicht auf dieselbe Stufe stellen wie die Todesstrafe für jemanden, der selbst Menschen ermordet hat. Schon im Alten Testament war vorgesehen, daß auf Mord die Todesstrafe folgen konnte. Persönlich bin ich gegen die Todesstrafe, doch wir dürfen nicht vergessen, daß die Kirche sie unter bestimmten Bedingungen und in extremen Fällen durch die staatliche Autorität als zulässig betrachtete. Ganz anders ist das Thema Migration: Man muß dem Nächsten stets als Bruder begegnen. Aber Staaten haben jedes Recht, illegale Migration zu regulieren und ihre Bevölkerung – etwa vor Kriminellen aus dem Ausland – zu schützen.
Fabio Marchese Ragona: Glauben Sie, dieses Pontifikat wird Überraschungen bereithalten – oder wird es eher von Kontinuität geprägt sein?
Gerhard Kardinal Müller: Ich erwarte Überraschungen, die aus dem Wort Gottes kommen – nicht aus Sensationsgier. Etwa im Sinne von: „Der erste Papst, der Moskau besucht“ – solche Dinge. Der Papst ist keine öffentliche Figur nach dem Vorbild eines Hollywood-Stars. Er ist der gute Hirte, der sein Leben für die Schafe Christi hingibt.
Wir alle sind überzeugt, daß unser Papst dieses Gleichgewicht besitzt: Er stellt sich nicht als Berühmtheit dar – der bekannteste Mann der Welt zu sein, hat vor Gott keinen Wert. Wichtiger ist, was Gott über uns denkt – nicht, was Menschen über uns denken. Wie Papst Leo selbst sagte: sich klein machen, um Christus Raum zu geben.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Ilgiornale.it (Screenshot)
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