
Auch fünf Monate nach seiner Wahl bleibt die Einschätzung des Pontifikats von Leo XIV. schwierig. Die von ihm ausgehenden Signale lassen sich höchst unterschiedlich deuten – ein Umstand, der die Unsicherheit in der kirchlichen Öffentlichkeit widerspiegelt.
So analysierte jüngst Caminante Wanderer das erste Gesprächsbuch des neuen Papstes, das in Zusammenarbeit mit Elise Ann Allen entstand. Trotz deutlicher Vorbehalte kommt er – nicht zuletzt im Kontrast zum zurückliegenden bergoglianischen Pontifikat – zu einem vergleichsweise wohlwollenden Urteil.
Eine gegenteilige Sicht vertritt Prof. Ivan Poljaković. Hier seine Analyse:
Leo enthüllte seine Karten – sie sind nicht gut
Von Ivan Poljaković*
In seinem ersten umfassenden Interview seit seiner Ernennung zum Papst enthüllte Leo XIV. der Crux-Journalistin Elise Ann Allen „seine Karten“. Bisher hat Crux sechs Auszüge aus einem zweiteiligen Interview veröffentlicht, das der Journalistin auch als Biografie diente: León XIV: ciudadano del mundo, misionero del siglo XXI [Leo XIV.: Weltbürger, Missionar des 21. Jahrhunderts].1
Hier beziehen wir uns nur auf den ersten Auszug: über die Rolle der Frau in der Kirche, über die LGBT-Gemeinschaft, die Bischofskonferenzen sowie die Liturgie und analysieren die Worte und Haltungen. Der Auszug enthält 2409 Wörter, in denen Papst Leo sechsmal Papst Franziskus, viermal das Zweite Vatikanische Konzil und neunmal den Synodalen Weg erwähnte. Er erwähnte weder einen anderen Papst noch ein anderes Konzil. Diese Tatsache allein hinterlässt keinen guten Eindruck, d. h. es erweckt den Eindruck, dass der neue Papst eine Kirche vertritt, die mit Papst Franziskus und seiner Interpretation des Zweiten Vatikanischen Konzils beginnt. Natürlich ist dies nur ein kurzer Überblick über die Überlegungen des Papstes, aber dennoch sagt es genug, um bestimmte Schlussfolgerungen zu ziehen.
Im ersten Teil spricht Leo über die Rolle der Frau in der Kirche. Auf die Frage, wie er die Lösung dieser Frage angehen werde, antwortet er kurz: „Auf synodale Weise“. Er fährt fort, dass das Verständnis der Rolle der Frau in der Kirche weiterentwickelt werden müsse und sagt unter anderem: „Ich hoffe, in die Fußstapfen von Franziskus zu treten, einschließlich der Ernennung von Frauen in einige Führungspositionen auf verschiedenen Ebenen des Lebens der Kirche.“ Was die Weihe von Frauen zu Diakonen betrifft, so glaubt Leo, dass diese Debatte weitergehen wird, und betont: „Im Moment habe ich nicht die Absicht, die Lehre der Kirche zu diesem Thema zu ändern.“
Das ist zwar nicht viel, aber einige seiner Ansichten sind hier ganz deutlich zu erkennen:
Der synodale Weg
Zunächst einmal ist klar, dass Leo den Synodalen Weg fortsetzen will, den Kardinal Gerhard Müller (Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre 2012–2017) als „feindliche Übernahme der Kirche“ bezeichnet hat. Wir werden hier nicht auf eine umfassendere Analyse des Synodalen Weges eingehen, wir werden nur kurz sagen, dass es um den Sturz der hierarchischen Struktur der Kirche geht, die von Jesus Christus selbst errichtet wurde.
Zweitens will Leo „in den Fußstapfen von Franziskus“ weitermachen. Wir haben einige Aufsätze veröffentlicht, in denen wir den öffentlichen Abfall vom Glauben von Franziskus dokumentiert haben; wenn der neue Papst in seine Fußstapfen treten will, ist jeder Kommentar überflüssig.
Drittens unterstützt Leo die weitere Diskussion über die Ordination von Frauen zu Diakoninnen. Ich muss hier sagen, dass die meisten Menschen, die die Weihe von Frauen zu Diakonen befürworten, dies nur als Ausgangspunkt betrachten, während das eigentliche Ziel die Weihe von Frauen zu Priestern, Bischöfen2 und sogar zum Papst ist.3
Viertens ist seine Aussage: „Ich habe nicht die Absicht, die Lehre der Kirche zu diesem Thema zu diesem Zeitpunkt zu ändern“, ziemlich problematisch. Aus diesem Satz wird deutlich, dass Robert Prevost glaubt, dass er als Papst die Lehre der Kirche ändern kann. Er spricht hier wie ein Direktor einer Korporation, nicht wie ein Papst. Die dogmatische Konstitution des Ersten Vatikanischen Konzils legt die Grenzen der päpstlichen Autorität klar fest: „Denn den Nachfolgern Petri ist der Heilige Geist nicht dazu verheißen worden, dass sie durch seine Eingebung eine neue Lehre verkünden sollten, sondern damit sie unter seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung oder Glaubensgrundlage heilig bewahrten und treu auslegten.“4
Homosexualität und andere Abweichungen
Im zweiten Teil antwortet der Papst auf die Frage, welchen Ansatz er gegenüber der LGBTQ+-Community verfolgen wird: „Ich habe im Moment keinen Plan.“ Wie, bitte? Prevost hat keinen Plan?! Nun, die katholische Kirche hat einen Plan, er ist schon 2000 Jahre alt, man nennt ihn das Glaubensgut. Allein die Verwendung des Begriffs „LGBTQ+“ durch den katholischen Klerus ist an sich schon skandalös. Jeder, der den Begriff verwendet, hat bereits der ideologischen sprachlichen Versklavung zugestimmt und der katholischen Sprache abgeschworen. Leo sagt, dass dieses Thema in der Kirche sehr polarisiert und dass er versucht, „nicht weiter zu polarisieren oder die Polarisierung in der Kirche weiter zu fördern“. Stellen Sie sich vor, dass einige Kleriker öffentlich die Abtreibung unterstützen, und dass der Papst sagt, dass er „die Polarisierung nicht fördern wird“, mit anderen Worten, er wird zulassen, dass beide Positionen in der Kirche vertreten werden. Die Lehre der Kirche über gleichgeschlechtliche und andere Abweichungen war immer klar und ist ein unveränderlicher Teil des Glaubensguts.
Darüber hinaus betont Leo, dass er die Politik fortsetzen wird, ja, die Politik – weil es nicht der Glaube ist – von Papst Franziskus: todos, todos, todos. Nach dem „Todos“ schockiert Leo wieder: „Die Menschen wollen, dass sich die kirchliche Lehre ändert, sie wollen, dass sich die Einstellungen ändern. Ich denke, wir müssen unsere Einstellung ändern, bevor wir überhaupt darüber nachdenken, das zu ändern, was die Kirche zu irgendeinem Thema sagt.“ Dieser Satz entlarvt die modernistische Taktik des gekochten Frosches vollständig, wir sollten nicht zu voreilig sein, lassen wir es ruhig angehen, zuerst müssen wir die Einstellung der Gläubigen ändern, und dann werden wir die Doktrin ändern können. Anstatt zu sagen, dass die Lehre nicht geändert werden kann, „denkt“ er, dass sich die Lehre von der Sexualität in absehbarer Zeit nicht ändern wird. So können Protestanten sprechen, aber ein Katholik? Ein Papst?! Dazu noch unterstützt er ziemlich direkt das häretische Dokument Fiducia supplicans. Ach, damit ich es nicht vergesse, es sagt auch ein paar schöne Worte über die „traditionelle Familie“. Wie wunderbar.
Die Bischofskonferenzen
Im dritten Teil bezieht er sich auf die Bischofskonferenzen. Er sagte unter anderem: „Heute wird es keine Situation geben, in der der Bischof auf dieser Seite des Flusses ‚A‘ predigt und der Bischof auf der anderen Seite des Flusses etwas ganz anderes tut.“ Wie, bitte?! Ich frage mich, in welcher Parallelwelt Robert Francis Prevost, Papst Leo XIV., lebt.
Es ist jedem klar, dass Leos Vorgänger Franziskus und der Leiter des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Victor Manuel Fernández (beide Bischöfe, offensichtlich) eine ganze Reihe von häretischen Aussagen gemacht haben, die in klarem Widerspruch zum Glaubensgut der Kirche stehen – weshalb viele andere Bischöfe anderer Meinung waren. Zum Beispiel drücken die katholischen Bischöfe von South Dakota, die Landsleute Leos, „auf der anderen Seite des Flusses“ ihre entschiedene Ablehnung dieser Pro-Homosexuellen-Erklärung aus, die das Duo Franziskus-Fernández der Kirche „geschenkt“ hat. Nach Ansicht dieser katholischen Bischöfe aus den USA haben – im Gegensatz zu dem, was Fiducia supplicans vorschlägt – „die Personen des geweihten Lebens nicht die Autorität, die Sünde zu segnen. So etwas zu tun, wäre eine Verdrehung des eigentlichen Zwecks des Segens. Jede Art von Segen, die den Eindruck erwecken würde, die Sünde zu billigen, ist nicht erlaubt.“5 Kardinal Gerhard Müller (ebenfalls katholischer Bischof) kommt bei der Verabschiedung desselben Dokuments über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ganz ausdrücklich zu dem Schluss, dass es „eine Lehre enthält, die der Lehre der katholischen Kirche widerspricht und deren Annahme, auch wenn sie nicht direkt häretisch ist, logischerweise zur Häresie führt. Daher muss das Dokument Fiducia supplicans als doktrinär problematisch angesehen werden, weil es eine Verleugnung der katholischen Lehre darstellt“.6 Ganz zu schweigen von den Bischöfen „auf der anderen Seite des großen Teichs“, auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, wo alle Bischöfe dieses häretische Dokument abgelehnt haben. Dies ist nur ein sehr kleiner Auszug aus der Vielzahl von Meinungsverschiedenheiten, die unter den Bischöfen über die lehrmäßige Verwirrung bestehen, die die Kirche verschlungen hat.
Der überlieferte Ritus
Im vierten Teil bezieht sich Leo XIV. auf die traditionelle lateinische Messe (TLM). Es ist interessant, dass er hier die Begriffe „Tridentinische Messe“ und „Messe des Zweiten Vatikanischen Konzils“ gegenüberstellt. Diese Terminologie führt jedoch zu einer falschen Meinung. Die traditionelle lateinische Messe existiert mindestens seit dem sechsten Jahrhundert in fast unveränderter Form bis zum heutigen Tag und wird zu Recht Alte Messe (usus antiquior, vetus ordo) oder Messe aller Zeiten genannt, und die Neue Messe (novus ordo) wurde 1969 unter protestantischem Beitrag geschaffen, trotz Sacrosanctum concilium, jenes Dokuments des Zweiten Vatikanischen Konzis, das ausdrücklich die Beibehaltung der lateinischen Messe fordert. Daher ist es eine Manipulation, die Novus-Ordo-Messe als „Messe des Zweiten Vatikanischen Konzils“ zu bezeichnen. Ein uninformierter Leser wird denken, dass es sich um zwei Konzilien handelt, die jeweils ihre eigene Messe geschaffen haben, was nichts mit der Realität zu tun hat.
Ein weiteres Problem ist, dass Leo behauptet, dass die Liturgie zu einem politischen Werkzeug geworden ist, mit dem die Menschen ihre Ziele erreichen und Ideologien verbreiten können. Hier sehen wir wieder genau dasselbe Denkmuster wie bei Bergoglio, obgleich gemäßigter im Ausdruck, ohne zu beleidigen, so bleibt doch das Wesen des Denkens dasselbe. An einer Stelle sagt Leo: „Wenn wir die Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die richtige Weise feiern, finden Sie dann wirklich einen solchen Unterschied zwischen dieser und jener Erfahrung?“ Ist es möglich, dass er wirklich glaubt, dass die Erfahrung beider Messen dieselbe ist, wenn der Novus Ordo, sagen wir, andächtig gefeiert wird? Es gibt so viele Unterschiede zwischen den beiden Messen, dass ich ein ganzes Traktat bräuchte, um sie aufzuzeigen.
Und was geschieht mit der lateinischen Messe? Er weiß nicht, wie es enden soll – es sei sehr kompliziert, sagt er. Warum ist es kompliziert, einem Priester zu erlauben, die Messe zu feiern, die er will, wie Papst Benedikt XVI. es erlaubt hat? Das ist überhaupt nicht kompliziert, was kompliziert ist, ist, wie man den vetus ordo, d. h. die Messe aller Zeiten, verbietet, ohne den wahren Grund zu nennen. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Und schließlich sagt der Papst, dass er noch keine Zeit gehabt habe, sich mit Leuten zusammenzusetzen, die die lateinische Messe befürworten. Sehr bedeutend. Dennoch hatte er Zeit, sich mit der „Nonne“ Lucia Caram zu treffen, die die gleichgeschlechtliche „Ehe“ in der Kirche befürwortet, Abtreibung und andere antikatholische Ansichten verteidigt, und mit James Martin, einem Befürworter der Sodomie. Er hat Zeit für sie gefunden, denn sie stehen auf der Prioritätenliste.
Aus all dem geht klar hervor, dass Papst Leo XIV. den Status quo aufrechterhalten will, das heißt, er will die Hermeneutik des Bruchs mit der katholischen Kirche zementieren und die Häresien beibehalten, die Bergoglio während seines Pontifikats eingeführt hat.
Ich glaube nicht, dass ich den Rest des Interviews überhaupt lesen werde. Das reicht mir. Ich fühle mich sowieso schon schlecht.
*Ivan Poljaković, geboren 1956 in Subotica, studierte Anglistik und Germanistik an den Universitäten Innsbruck, Cambridge, Zagreb, Rostock und Auckland, wo er mehrere Jahre lebte und an einer katholischen Schule unterrichtete, er war bis 2021 Assistenzprofessor und Leiter des Fremdsprachenzentrums an der Universität Zadar und ist ausgebildeter Religionslehrer.
Bild: Youtube (Screenshot)
1 Papst Leo spricht mit Elise Ann Allen von Crux über LGBTQ+-Themen und die Liturgie | Crux
2 Das männliche Geschlecht wurde bewusst beibehalten, da es in der katholischen Kirche keine „Priesterinnen“ bzw. „Bischöfinnen“ gibt und auch nie geben wird. Die Akzeptanz dieser Begriffe im katholischen Kontext wäre daher bereits ein Zugeständnis an die Sprache der Modernisten.
3 In dem vorliegenden Video erklärt Michael Hichborn nicht nur, sondern dokumentiert auch das wahre Ziel des Kampfes für die Weihe von Frauen zur Diakonin: Priester drängen darauf, sexuelle Sünde neu zu definieren und Frauen zu ordinieren?! (26.9.2025.)
4 Pastor Aeternus, 4. Dogmatische Konstitution Pastor Aeternus (18. Juli 1870) (26.9.2025.)
5 Erklärung der Bischöfe von South Dakota – Gemeinsamer Brief der Bittsteller von Fiducia, 22. Dezember 2023, offizielle Website der Katholischen Diözese von Sioux Falls.
6 Bejaht fiducia supplicans die Häresie?, Gerhard Kardinal. Müller, in: First Things, 16. Februar 2024
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