Jesus wußte, daß ihn einer verraten wird

Mittwochskatechese von Papst Leo XIV. mit Blick auf den Alaska-Gipfel und den Gaza-Konflikt?


Leo XIV. bei der Generalaudienz am 13. August
Leo XIV. bei der Generalaudienz am 13. August

Groß war die Erwar­tungs­hal­tung der Medi­en, ob und was Papst Leo XIV. bei sei­ner Anspra­che im Rah­men der gest­ri­gen Gene­ral­au­di­enz zu den bei­den welt­po­li­ti­schen Brenn­punk­ten sagen wür­de: dem Tref­fen von US-Prä­si­dent Donald Trump mit dem rus­si­schen Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin und dem Gaza-Kon­flikt. So war man es von Fran­zis­kus gewöhnt. Noch gestern kehr­te Leo XIV. in sei­ne Som­mer­re­si­denz in Castel Gan­dol­fo zurück, „um sich zu erho­len“ wie es hieß. Die römi­sche August-Hit­ze macht dem neu­en Kir­chen­ober­haupt offen­bar zu schaf­fen. Und um Miß­ver­ständ­nis­sen vor­zu­beu­gen: Sie ist kein Ereig­nis eines angeb­lich „men­schen­ge­mach­ten“ Kli­ma­wan­dels, son­dern ein Phä­no­men, das durch zahl­rei­che Chro­ni­ken durch die Jahr­hun­der­te belegt ist. Aus die­sem Grund errich­te­ten sich die Päp­ste am Beginn der Neu­zeit die Som­mer­re­si­denz am kli­ma­tisch gün­sti­ger gele­ge­nen Kra­ter­see außer­halb von Rom. Die Anmer­kung ist gera­de­zu zwin­gend, da wir in deut­schen Lan­den erst vor kur­zem kal­te und ver­reg­ne­te Schlecht­wet­ter­ta­ge hat­ten, sich der Main­stream aber den­noch nicht ent­blö­de­te, täg­lich Hit­ze­pa­nik zu erzeu­gen. So geschieht „Infor­ma­ti­on“, wenn sie ideo­lo­gi­schen Vor­ga­ben folgt.

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Nun aber zum Wesent­li­chen: Leo XIV. nahm gestern nicht zu den genann­ten Kon­flik­ten Stel­lung. Zu kei­nem. Er ent­hielt sich jeder direk­ten Erwäh­nung oder Anspie­lung, son­dern hielt eine geist­li­che Kate­che­se, wie es Sinn und Zweck der Gene­ral­au­di­enz ist. Aus sei­ner Anspra­che läßt sich aller­dings auch eini­ges für die bei­den genann­ten Kon­flik­te her­aus­le­sen. Hier die voll­stän­di­ge Kate­che­se auf deutsch:

Liebe Brüder und Schwestern,

wir set­zen unse­ren Weg in der Schu­le des Evan­ge­li­ums fort und fol­gen den letz­ten Tagen Jesu auf sei­nem Lebens­weg. Heu­te ver­wei­len wir bei einer Sze­ne, die zugleich intim, dra­ma­tisch und zutiefst wahr­haf­tig ist: der Moment, in dem Jesus wäh­rend des Pas­cha­mahls offen­bart, daß einer der Zwölf ihn ver­ra­ten wird:
Wahr­lich, ich sage euch: Einer von euch, der mit mir ißt, wird mich ver­ra­ten“ (Mk 14,18).

Die­se Wor­te sind ein­dring­lich. Jesus spricht sie nicht, um zu ver­ur­tei­len, son­dern um zu zei­gen, daß wah­re Lie­be ohne Wahr­heit nicht aus­kommt. Der obe­re Raum, in dem zuvor alles sorg­fäl­tig vor­be­rei­tet war, erfüllt sich plötz­lich mit einem stil­len Schmerz – geprägt von Fra­gen, Arg­wohn und Ver­wund­bar­keit. Die­sen Schmerz ken­nen auch wir gut, wenn in die innig­sten Bezie­hun­gen der Schat­ten des Ver­rats fällt.

Doch die Art und Wei­se, wie Jesus von dem Bevor­ste­hen­den spricht, ist bemer­kens­wert: Er erhebt nicht die Stim­me, er weist nicht mit dem Fin­ger, er nennt nicht Judas beim Namen. Viel­mehr spricht er so, daß sich jeder selbst befra­gen kann. Und genau das geschieht. Mar­kus berich­tet:
Da wur­den sie betrübt und began­nen, ein jeder von ihnen zu ihm zu sagen: Bin ich es etwa?“ (Mk 14,19).

Lie­be Freun­de, die­se Fra­ge – „Bin ich es etwa?“ – ist wohl eine der auf­rich­tig­sten, die wir uns selbst stel­len kön­nen. Sie ist nicht die Fra­ge der Unschul­di­gen, son­dern des Jün­gers, der sei­ne eige­ne Zer­brech­lich­keit erkennt. Nicht der Ruf des Schul­di­gen, son­dern das Flü­stern des­je­ni­gen, der liebt und zugleich weiß, daß er ver­let­zen kann. In die­sem Bewußt­sein beginnt der Weg zur Erlösung.

Jesus denun­ziert nicht, um zu demü­ti­gen. Er spricht die Wahr­heit, weil er ret­ten will. Und um geret­tet zu wer­den, muß man spü­ren: spü­ren, daß man invol­viert ist, spü­ren, daß man trotz allem geliebt wird, spü­ren, daß das Böse real ist, aber nicht das letz­te Wort hat. Nur wer die Wahr­heit einer tie­fen Lie­be kennt, ver­mag auch die Wun­de des Ver­rats anzunehmen.

Die Reak­ti­on der Jün­ger ist kei­ne Wut, son­dern Trau­rig­keit. Sie empö­ren sich nicht, sie wer­den betrübt. Ein Schmerz, der aus der rea­len Mög­lich­keit des eige­nen Ver­strickt­seins erwächst. Und gera­de die­se Trau­rig­keit, wenn sie ehr­lich ange­nom­men wird, wird zum Ort der Umkehr. Das Evan­ge­li­um lehrt uns nicht, das Böse zu ver­leug­nen, son­dern es als schmerz­li­che Chan­ce zur Wie­der­ge­burt zu erkennen.

Jesus fügt dann Wor­te hin­zu, die uns beun­ru­hi­gen und zum Nach­den­ken anre­gen:
Wehe dem Men­schen, durch den der Men­schen­sohn ver­ra­ten wird! Bes­ser wäre es für den, wenn er nie gebo­ren wäre!“ (Mk 14,21).
Das sind har­te Wor­te, gewiß, doch sie sind rich­tig ver­stan­den kein Fluch, son­dern ein Schrei des Schmer­zes. Im Grie­chi­schen klingt die­ses „Wehe“ wie ein kla­gen­des „Ach!“ – ein Aus­druck auf­rich­ti­ger und tief emp­fun­de­ner Mitmenschlichkeit.

Wir sind es gewohnt zu rich­ten. Gott jedoch nimmt das Lei­den auf sich. Wenn er das Böse sieht, rächt er sich nicht, son­dern betrübt sich. Und die­ses „Bes­ser wäre es, nie gebo­ren zu sein“ ist kei­ne vor­ge­fer­tig­te Ver­ur­tei­lung, son­dern eine Wahr­heit, die jeder von uns aner­ken­nen kann: Wenn wir die Lie­be ver­leug­nen, die uns ins Leben geru­fen hat, wenn wir durch Ver­rat uns selbst untreu wer­den, ver­lie­ren wir den Sinn unse­rer Exi­stenz und schlie­ßen uns selbst von der Erlö­sung aus.

Doch gera­de dort, im dun­kel­sten Punkt, erlischt das Licht nicht. Im Gegen­teil, es beginnt zu leuch­ten. Denn wenn wir unse­re Gren­zen erken­nen, wenn wir uns vom Schmerz Chri­sti berüh­ren las­sen, kön­nen wir neu gebo­ren wer­den. Der Glau­be erspart uns nicht die Mög­lich­keit der Sün­de, aber er schenkt immer einen Weg hin­aus – den der Barmherzigkeit.

Jesus gerät nicht ins Ent­set­zen ange­sichts unse­rer Zer­brech­lich­keit. Er weiß wohl, daß kei­ne Freund­schaft vor Ver­rat gefeit ist. Doch er ver­traut wei­ter. Er setzt sich wie­der an den Tisch mit den Sei­nen. Er ver­wei­gert nicht das Bre­chen des Bro­tes auch für den, der ihn ver­ra­ten wird. Dies ist die stil­le Kraft Got­tes: Er ver­läßt nie­mals den Tisch der Lie­be, auch dann nicht, wenn er weiß, daß er allein gelas­sen wird.

Lie­be Brü­der und Schwe­stern, auch wir dür­fen uns heu­te mit Ehr­lich­keit fra­gen: „Bin ich es etwa?“ Nicht um uns zu beschul­di­gen, son­dern um einen Raum der Wahr­heit in unse­rem Her­zen zu öff­nen. Die Erlö­sung beginnt hier: mit dem Bewußt­sein, daß wir die ver­trau­ens­vol­le Bezie­hung zu Gott zer­bre­chen kön­nen, aber auch wir es sind, die sie wie­der auf­neh­men, bewah­ren und erneu­ern können.

Im Grun­de ist das die Hoff­nung: zu wis­sen, daß Gott uns nie ver­läßt, auch wenn wir ver­sa­gen. Daß er uns liebt, selbst wenn wir ver­ra­ten. Und wenn wir uns von die­ser Lie­be errei­chen las­sen – demü­tig, ver­wun­det, aber stets treu – dann kön­nen wir wirk­lich neu gebo­ren wer­den und begin­nen, nicht mehr als Ver­rä­ter zu leben, son­dern als gelieb­te Kinder.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

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