
In seiner Ansprache an die mit Rom unierten Ostkirchen sprach Papst Leo XIV. nicht nur die liturgische Frage an, sondern nahm auch deutlich zu den aktuellen Brandherden und Konfliktzonen auf der Welt Stellung. Der Papst hatte gestern in der Audienzhalle des Vatikans die mit Rom unierten Ostkirchen empfangen, deren Vertreter zum Heiligen Jahr nach Rom gepilgert sind. Er legte dabei ein Bekenntnis zum Frieden und gegen den Krieg ab. Das war das zweite große Thema seiner Ansprache neben der Liturgie: die Aufforderung zum Frieden. Nun weiß die Welt, wie entscheidend es für die kommenden Jahre sein wird, ob der Papst und der amtierende US-Präsident in diesem Punkt zu einer gemeinsamen Linie finden werden. Angesichts von mehreren Feuern, von denen jedes leicht zum alles verzehrenden Flächenbrand werden kann, kann davon die Zukunft abhängen. Leo XIV. sagte wörtlich:
„Damit sich dieser Friede ausbreitet, werde ich alles tun. Der Heilige Stuhl steht zur Verfügung, damit die Feinde einander begegnen und sich in die Augen sehen können, damit die Völker wieder Hoffnung schöpfen und die Würde erhalten, die sie verdienen, die Würde des Friedens. Die Völker wollen Frieden, und ich sage mit dem Herzen in der Hand zu den Führern der Völker: Laßt uns zusammenkommen, laßt uns den Dialog führen, laßt uns verhandeln! Der Krieg ist niemals unvermeidlich, die Waffen können und müssen zum Schweigen gebracht werden, weil sie die Probleme nicht lösen, sondern vergrößern“.
Durch eine günstige Fügung regiert seit Januar in Washington ein US-Präsident, der ebenfalls aus Überzeugung Kriege beenden und neue verhindern will. Die Kriegstreiber dieser Welt diskreditieren ihn aus diesem Grund systematisch, machen ihn lächerlich, überziehen ihn mit Spott in konzertierten Kampagnen. Diese Kräfte werden mit Nachdruck bemüht sein, ein Zusammenwirken von Leo XIV. und Donald Trump zu verhindern und dafür jede mögliche und unmögliche Gelegenheit nützen. Es wird entscheidend davon abhängen, daß diese beiden Persönlichkeiten, die in dieser Stunde der Menschheitsgeschichte führende Positionen innehaben, zusammenfinden und zumindest in den zentralen Fragen unserer Zeit zusammenarbeiten.
Leo XIV. formulierte dabei eine außergewöhnlich deutliche Kritik an einem geopolitischen Grundverständnis der US-Außenpolitik, wie es in den vergangenen Jahrzehnten von den sogenannten Neocons vertreten wurde und der Welt eine lange Reihe von Kriegen und Terrorismus gebracht hat, die nur während der Amtszeit von Donald Trump durchbrochen wurde. Leo sagte wörtlich:
„Verwerfen wir die manichäischen Visionen, die typisch für gewalttätige Erzählungen sind, die die Welt in Gut und Böse einteilen.“
Genau diese Forderung setzt US-Präsident derzeit im Nahen Osten, indem er vom bisherigen Drehbuch der Neocons abweicht. Die Signal sind von außergewöhnlicher Tragweite, die im Vatikan gehört werden sollten, um ein Zusammenwirken zu schaffen, um den Hoffnungsschimmer zu nützen, der sich abzeichnet.
Mit der Aufforderung von Leo XIV., auf manichäische Visionen zu verzichten, ist auch die Absage an propagandistische Stilblüten wie die „Achse des Bösen“ gemeint, die ein bestimmter Teil des Establishments der USA und globalistische Eliten der Welt seit Jahren um die Ohren schlagen, um Kriege zu rechtfertigen. Die Wahl von Donald Trump hat dem einen Strich durch die Rechnung gemacht. Seine Gegner, nicht zuletzt auch im Westen, versuchen seine Arbeit nach Möglichkeit zu torpedieren. So zeigt sich die Weltlage momentan als sehr fragil. An mehreren Stellen werden von verantwortungslosen Zeitgenossen Funken geschlagen, die alles in Brand setzen können. Umso wichtiger wird es sein, zu sehen, ob Leo XIV. und Donald Trump sich durch die Quertreiber von außen und in den eigenen Reihen nicht auseinanderdividieren lassen, sondern zusammenfinden. Es wird Themen geben, in denen es keine engere Kooperation geben wird, aber in der Frage von Krieg und Frieden könnte diese Zusammenarbeit für die Menschheit überlebensnotwendig sein.
Hier die vollständige Ansprache von Leo XIV.:
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS LEO XIV.
AN DIE TEILNEHMER DES JUBILÄUMS DER OSTKIRCHEN
Aula Paolo VI
Mittwoch, 14. Mai 2025
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, der Friede sei mit Euch!
Eure Seligkeiten, Eminenzen, Exzellenzen
liebe Priester, gottgeweihte Männer und Frauen,
Brüder und Schwestern,
Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden! Ich grüße Sie mit den Worten, die der christliche Osten in dieser Osterzeit in vielen Regionen nicht müde wird zu wiederholen, indem er den Kern des Glaubens und der Hoffnung bekennt. Und es ist gut, Sie hier zu sehen, gerade zum Heiligen Jahr der Hoffnung, deren unzerstörbares Fundament die Auferstehung Jesu ist. Willkommen in Rom! Ich freue mich, Ihnen zu begegnen und eine der ersten Begegnungen meines Pontifikats den Gläubigen aus dem Osten zu widmen.
Ihr seid kostbar. Wenn ich Sie anschaue, denke ich an die Vielfalt Ihrer Herkunft, an die glorreiche Geschichte und an die bitteren Leiden, die viele Ihrer Gemeinschaften ertragen haben oder noch ertragen. Und ich möchte wiederholen, was Papst Franziskus über die Ostkirchen gesagt hat: „Es sind Kirchen, die man lieben muß: Sie hüten einzigartige spirituelle und geistliche Traditionen, und sie haben uns so viel über das christliche Leben, die Synodalität und die Liturgie zu sagen; denken Sie an die frühen Väter, die Konzilien, das Mönchtum: unschätzbare Schätze für die Kirche“ (Ansprache an die Teilnehmer der ROACO-Versammlung, 27. Juni 2024).
Ich möchte auch Papst Leo XIII. zitieren, der zum ersten Mal ein eigenes Dokument der Würde Eurer Kirchen gewidmet hat, die vor allem durch die Tatsache gegeben ist, daß „das Werk der menschlichen Erlösung im Osten begann“ (vgl. Apost. Schreiben Orientalium dignitas, 30. November 1894). Ja, Ihr habt „eine einzigartige und privilegierte Rolle als ursprünglicher Kontext der entstehenden Kirche“ (Johannes Paul II., Apost. Schreiben Orientale lumen, 5). Es ist bezeichnend, daß einige Eurer Liturgien – die Ihr in diesen Tagen in Rom nach verschiedenen Traditionen feierlich zelebriert – noch die Sprache des Herrn Jesus verwenden. Aber Papst Leo XIII. plädierte nachdrücklich dafür, daß die „legitime Vielfalt der östlichen Liturgie und Disziplin […] dem großen Würde und Nutzen der Kirche zugute kommen sollte“ (Apost. Schreiben Orientalium dignitas). Seine damalige Sorge ist heute sehr aktuell, denn in unseren Tagen sind so viele orientalische Brüder und Schwestern, darunter auch einige von Ihnen, gezwungen, aufgrund von Krieg und Verfolgung, Instabilität und Armut aus ihren Herkunftsgebieten zu fliehen, und riskieren bei ihrer Ankunft im Westen nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre eigene religiöse Identität zu verlieren. So geht das unschätzbare Erbe der Ostkirchen im Laufe der Generationen verloren.
Vor mehr als einem Jahrhundert stellte Leo XIII. fest, daß „die Bewahrung der orientalischen Riten wichtiger ist, als allgemein angenommen wird“, und zu diesem Zweck schrieb er sogar vor, daß „jeder lateinische Missionar, sei es aus dem weltlichen oder dem regulierten Klerus, der durch Rat oder Hilfe irgendeinen Orientalen zum lateinischen Ritus hinzieht“, „entlassen und von seinem Amt ausgeschlossen“ werden sollte (ebd.). Wir begrüßen den Aufruf zum Schutz und zur Förderung des christlichen Ostens, vor allem in der Diaspora; hier ist es notwendig, neben der Errichtung, wo es möglich und angebracht ist, von orientalischen Jurisdiktionen, das Bewußtsein der Lateiner zu schärfen. In diesem Sinne bitte ich das Dikasterium für die orientalischen Kirchen, dem ich für seine Arbeit danke, mir zu helfen, Prinzipien, Normen und Richtlinien zu definieren, durch die die lateinischen Hirten die orientalischen Katholiken in der Diaspora konkret unterstützen und ihre lebendigen Traditionen bewahren und mit ihrer Besonderheit den Kontext, in dem sie leben, bereichern können.
Die Kirche braucht Sie. Wie groß ist doch der Beitrag, den der christliche Osten uns heute geben kann! Wie sehr müssen wir den Sinn für das Mysterium wiederfinden, der in Euren Liturgien so lebendig ist, die den Menschen in seiner Ganzheit einbeziehen, die Schönheit des Heils besingen und das Staunen über die göttliche Größe wecken, die die menschliche Kleinheit umarmt! Und wie wichtig ist es, auch im christlichen Abendland den Sinn für den Primat Gottes, den Wert der Mystagogie, der unablässigen Fürbitte, der Buße, des Fastens, des Beweinens der eigenen Sünden und der der ganzen Menschheit (penthos) wiederzuentdecken, die für die östlichen Spiritualitäten so typisch sind! Es ist also von entscheidender Bedeutung, eure Traditionen zu pflegen, ohne sie zu verwässern, vielleicht aus Bequemlichkeit und Komfort, damit sie nicht durch einen konsumorientierten und utilitaristischen Geist korrumpiert werden.
Eure Spiritualitäten, alt und immer wieder neu, sind Heilmittel. In ihnen verschmilzt die Dramatik des menschlichen Elends mit der Ehrfurcht vor der göttlichen Barmherzigkeit, so daß unsere Niedrigkeit nicht zur Verzweiflung führt, sondern uns einlädt, die Gnade zu empfangen, geheilt zu werden, göttliche Geschöpfe zu sein und in himmlische Höhen aufzusteigen. Dafür müssen wir den Herrn unendlich loben und ihm danken. Mit Ihnen können wir die Worte des heiligen Ephrem des Syrers beten und zu Jesus sagen: „Ehre sei dir, der du aus deinem Kreuz eine Brücke über den Tod gemacht hast. […] Gepriesen seist du, der du dich mit dem Leib des sterblichen Menschen bekleidet und ihn in eine Quelle des Lebens für alle Sterblichen verwandelt hast“ (Predigt über den Herrn, 9). Es ist eine Gabe, um die man bitten kann, nämlich die Gewißheit von Ostern in jeder Mühsal des Lebens zu sehen und nicht den Mut zu verlieren, indem man sich daran erinnert, wie ein anderer großer orientalischer Vater schrieb, daß „die größte Sünde darin besteht, nicht an die Kräfte der Auferstehung zu glauben“ (Hl. Isaak von Ninive, Sermones ascetici, I, 5).
Wer könnte mehr als Ihr Worte der Hoffnung singen in den Abgründen der Gewalt? Wer mehr als Ihr, die Sie die Schrecken des Krieges aus nächster Nähe kennen, so sehr, daß Papst Franziskus Ihre Kirchen „Märtyrerkirchen“ nannte (Ansprache an ROACO, cit.)? Es ist wahr: vom Heiligen Land bis zur Ukraine, vom Libanon bis nach Syrien, vom Nahen Osten bis nach Tigray und in den Kaukasus, wie viel Gewalt! Und über all diesen Schrecken, über die Massaker an so vielen jungen Menschen, die Empörung hervorrufen sollten, weil im Namen der militärischen Eroberung Menschen sterben, erhebt sich ein Appell: nicht so sehr der des Papstes, sondern der Christi, der wiederholt: „Friede sei mit euch“ (Joh 20,19.21.26). Und er präzisiert: „Ich lasse euch den Frieden, ich gebe euch meinen Frieden. Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch“ (Joh 14,27). Der Friede Christi ist nicht die Grabesruhe nach einem Konflikt, er ist nicht das Ergebnis einer Überwältigung, sondern er ist ein Geschenk, das die Menschen anschaut und ihr Leben neu belebt. Beten wir um diesen Frieden, der Versöhnung, Vergebung und den Mut bedeutet, das Blatt zu wenden und neu anzufangen.
Damit sich dieser Friede ausbreitet, werde ich alles tun. Der Heilige Stuhl steht zur Verfügung, damit die Feinde einander begegnen und sich in die Augen sehen können, damit die Völker wieder Hoffnung schöpfen und die Würde erhalten, die sie verdienen, die Würde des Friedens. Die Völker wollen Frieden, und ich sage mit dem Herzen in der Hand zu den Führern der Völker: Laßt uns zusammenkommen, laßt uns den Dialog führen, laßt uns verhandeln! Der Krieg ist niemals unvermeidlich, die Waffen können und müssen zum Schweigen gebracht werden, weil sie die Probleme nicht lösen, sondern vergrößern; weil derjenige, der Frieden sät, und nicht derjenige, der Opfer erntet, in die Geschichte eingehen wird; weil die anderen nicht in erster Linie Feinde sind, sondern Menschen: keine Schurken, die man hassen muß, sondern Menschen, mit denen man reden kann. Verwerfen wir die manichäischen Visionen, die typisch für gewalttätige Erzählungen sind, die die Welt in Gut und Böse einteilen.
Die Kirche wird nicht müde, zu wiederholen: Haltet eure Waffen still. Und ich möchte Gott für diejenigen danken, die in der Stille, im Gebet, im Opfer Fäden des Friedens nähen; und für die Christen – östliche und lateinische – die, besonders im Nahen Osten, in ihren Ländern ausharren und widerstehen, stärker als die Versuchung, sie zu verlassen. Den Christen muß die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur mit Worten, in ihren Ländern zu bleiben, mit allen Rechten, die für eine sichere Existenz notwendig sind. Bitte setzen Sie sich dafür ein!
Und danke, danke, liebe Brüder und Schwestern des Ostens, aus denen Jesus, die Sonne der Gerechtigkeit, hervorgegangen ist, um das „Licht der Welt“ zu sein (vgl. Mt 5,14). Leuchten Sie weiter durch Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe und durch nichts anderes. Mögen Eure Kirchen ein Beispiel sein, und mögen eure Hirten aufrichtig die Gemeinschaft fördern, insbesondere in den Bischofssynoden, damit sie Orte der Kollegialität und der echten Mitverantwortung sind. Man sollte darauf achten, daß die Verwaltung des Besitzes transparent ist, daß man Zeugnis ablegt von der demütigen und völligen Hingabe an das heilige Volk Gottes, ohne Anhaftung an Ehrungen, weltliche Macht oder das eigene Ansehen. Der heilige Simeon, der Neue Theologe, gibt ein schönes Beispiel: „Wie man Staub auf die Flamme eines brennenden Ofens wirft, um sie zu löschen, so zerstören die Sorgen dieses Lebens und jede Art von Anhänglichkeit an unbedeutende Dinge, die keinen Wert haben, die Wärme des Herzens, die am Anfang entfacht wurde“ (Praktische und theologische Kapitel, 63). Der Glanz des christlichen Ostens verlangt heute mehr denn je die Freiheit von jeder weltlichen Abhängigkeit und von allen Tendenzen, die der Gemeinschaft zuwiderlaufen, um im Gehorsam und im Zeugnis des Evangeliums treu zu sein.
Ich danke Ihnen dafür und segne Sie von Herzen, indem ich Sie bitte, für die Kirche zu beten und Ihre mächtigen Fürbitten für meinen Dienst zu erheben. Ich danke Ihnen!
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)