Die Agenda von Papst Johannes XXIV., oder: die Vorbereitung eines Pontifikats

Der ideologische Rigorismus eines Moderaten


Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, ein "strenger Bergoglianer", streckt am deutlichsten seine Fühler aus, um sich als Nachfolger von Papst Franziskus ins Spiel zu bringen: als Papst Johannes XXVI.?
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, ein "strenger Bergoglianer", streckt am deutlichsten seine Fühler aus, um sich als Nachfolger von Papst Franziskus ins Spiel zu bringen: als Papst Johannes XXVI.?

Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin ist der der­zeit aktiv­ste Bewer­ber um die Fran­zis­kus-Nach­fol­ge. Der ober­ste Vati­kan­di­plo­mat bemüht sich seit eini­ger Zeit, sei­ne Kon­tak­te zu knüp­fen, Signa­le an die Papst­wäh­ler und die Mäch­ti­gen der Welt aus­zu­sen­den und sehr sanft, aber aus­rei­chend ver­nehm­bar aus einer zu gro­ßen, da für sei­ne Kan­di­da­tur schäd­li­chen Nähe zum der­zei­ti­gen Papst her­aus­zu­tre­ten. Wie hält es Kar­di­nal Paro­lin mit Amo­ris lae­ti­tia? Mit Fidu­cia sup­pli­cans? Vor allem auch mit Tra­di­tio­nis cus­to­des und dem über­lie­fer­ten Ritus? Das fran­zö­si­schen Nach­rich­ten­por­tal Paix Lit­ur­gi­que ver­öf­fent­lich­te eine eben­so fun­dier­te wie aus­ge­wo­ge­ne Ana­ly­se der Vor­be­rei­tun­gen auf die Nach-Fran­zis­kus-Ära, die Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin betref­fen. Hier der voll­stän­di­ge Text:

Wie Kardinal Parolin sein Pontifikat vorbereitet

Anzei­ge

Die Kir­che befin­det sich heu­te wie die libe­ra­len Gesell­schaf­ten, denen sie auf den Leim gegan­gen ist, in einem gro­ßen Vaku­um, da sie die Stren­ge ihrer Dog­men und ihrer Moral abge­schlif­fen hat. Aber es scheint, daß es kein Zurück mehr geben wird. Die Nach­fol­ger von Fran­zis­kus wer­den nur die Hüter sei­nes Erbes sein kön­nen, näm­lich des mit Amo­ris lae­ti­tia und Tra­di­tio­nis cus­to­des „voll­ende­ten“ Kon­zils. Wenn es nicht zu einem radi­ka­len Umden­ken kommt, was frü­her oder spä­ter zwei­fel­los der Fall sein wird, wird der Nach­fol­ger von Fran­zis­kus zwangs­läu­fig ein Berg­o­glia­ner sein. Er kann aber ein libe­ra­ler Berg­o­glia­ner sein, wie Kar­di­nal Ave­li­ne, Erz­bi­schof von Mar­seil­le, oder ein stren­ger Berg­o­glia­ner. Dies dürf­te der Fall sein bei dem Mann, der bereits als Johan­nes XXIV. bezeich­net wird.

Ein Mann aus dem progressiven Serail

„Berg­o­glia­nisch streng“ ist die Beschrei­bung, die man auf Kar­di­nal Pie­tro Paro­lin, 69 Jah­re, heu­te Staats­se­kre­tär, mor­gen… anwen­den könn­te. Denn jeder in Rom weiß, daß die zweit­wich­tig­ste Figur der Kir­che auf Wahl­kampf­tour ist. Jeder, auch der Papst, der ihn des­halb immer wie­der etwas genervt verspottet.

Damit nie­mand weiß, wie er die Zukunft sieht, hielt der Staats­se­kre­tär vor drei Mona­ten, am 24. April, einen Vor­trag im ehe­ma­li­gen Römi­schen Kol­leg, dem heu­ti­gen ita­lie­ni­schen Kul­tur­mi­ni­ste­ri­um, anläß­lich der Prä­sen­ta­ti­on des Buches „Cin­que doman­de che agi­ta­no la Chie­sa“, „Fünf Fra­gen, die die Kir­che erschüt­tern“ von Igna­zio Ingrao, dem Vati­kan­ex­per­ten des ita­lie­ni­schen Fern­se­hens. Der Saal war bis auf den letz­ten Platz gefüllt, vie­le hoch­ran­gi­ge Prä­la­ten waren anwe­send, dar­un­ter der alte Kar­di­nal­de­kan Gio­van­ni Bat­ti­sta Re, der einer der Papst­wäh­ler von Fran­zis­kus war, inzwi­schen von des­sen Regie­rungs­stil aber mehr als ent­täuscht ist, natür­lich Ita­li­ens Kul­tur­mi­ni­ster, meh­re­re Prä­fek­ten römi­scher Dik­aste­ri­en, Bot­schaf­ter beim Hei­li­gen Stuhl und Jour­na­li­sten, die min­de­stens eben­so auf­merk­sam auf die Reak­tio­nen der illu­stren Zuhö­rer ach­te­ten, wie sie den Wor­ten des Red­ners lauschten.

Auf die fünf­te Fra­ge des Buches: „Was wird aus den Refor­men von Papst Fran­zis­kus?“, hat­te der Kar­di­nal wie zufäl­lig Ant­wort gege­ben. Obwohl er sich schwer­tut, sei­ne etwas schwer­fäl­li­ge kirch­li­che Spra­che abzu­le­gen, ver­mit­tel­ten sei­ne Wor­te, zu denen auch die Wor­te „Unter­schei­dung“, „Geduld“ und „der lan­ge Weg“ gehör­ten, die vom Kar­di­nal­de­kan in sich auf­ge­so­gen wur­den, eine sehr kla­re Bot­schaft: „Es wird kein Zurück geben.“ Denn wenn der Papst unter der Füh­rung des Hei­li­gen Gei­stes Fort­schrit­te wünscht, kommt es, kurz gesagt, zu einem Ratscheneffekt.

Dies ist der Eck­pfei­ler des Pro­jekts jenes Man­nes, den vie­le bereits als Papst Paro­lin sehen: die Garan­tie, daß es kei­ne Rück­kehr, auch nicht ansatz­wei­se, zum nach­kon­zi­lia­ren Zustand von Bene­dikt XVI. geben wird. Und schon gar nicht zu einem vor­kon­zi­lia­ren Zustand. Das ist umso siche­rer, als der Regie­rungs­stil des Man­nes, der sich bereits als Kalif sieht anstel­le des der­zei­ti­gen Kali­fen, viel ruhi­ger ist als der von Papst Berg­o­glio und die Gefahr einer Kri­se ver­mei­den wird.

Der aus Vene­ti­en stam­men­de Paro­lin trat in den Diplo­ma­ti­schen Dienst des Vati­kans ein, als Kar­di­nal Casaro­li, der Mann der Ost­po­li­tik, Staats­se­kre­tär und Achil­le Sil­ve­st­ri­ni, jahr­zehn­te­lang der Anfüh­rer des libe­ra­len Rom, Sekre­tär für die Bezie­hun­gen zu den Staa­ten (Außen­mi­ni­ster) war. Unter Sil­ve­st­ri­ni, der zu sei­nem Men­tor wur­de, eig­ne­te sich Paro­lin schnell ein gro­ßes Wis­sen über die obe­ren Rän­ge der Kurie sowie über die Staats­kanz­lei­en in aller Welt an.

Nach meh­re­ren Nun­tia­tu­ren kehr­te er 1992 nach Rom zurück, als Kar­di­nal Sod­a­no Staats­se­kre­tär war, und wur­de Unter­staats­se­kre­tär für die Bezie­hun­gen zu den Staa­ten unter Jean-Lou­is Tauran, der Sil­ve­st­ri­ni als Sekre­tär für die Bezie­hun­gen zu den Staa­ten abge­löst hat­te. Doch als Bene­dikt XVI. Kar­di­nal Sod­a­no als Staats­se­kre­tär 2009 durch Kar­di­nal Ber­to­ne ablö­ste, schick­te die­ser Paro­lin in die schwie­rig­ste aller Nun­tia­tu­ren, näm­lich die von Hugo Chá­vez in Venezuela.

Ein Exil, das nicht von lan­ger Dau­er war. Im August 2013 wur­de Jor­ge Mario Berg­o­glio, inzwi­schen Papst, von den Kar­di­nä­len Sil­ve­st­ri­ni und Tauran über­re­det, die­sen erfah­re­nen Diplo­ma­ten von libe­ra­ler Gesin­nung nach Rom zurück­zu­ru­fen… als Nach­fol­ger von Kar­di­nal Bertone.

Ein offener Mensch

Man soll­te nie ver­ges­sen, daß der Vati­kan in Ita­li­en liegt. Auch wenn die päpst­li­che Diplo­ma­tie tra­di­tio­nell eine „Neu­tra­li­tät“ pflegt, d. h. eine gewis­se Zurück­hal­tung gegen­über der ita­lie­ni­schen trans­at­lan­ti­schen Aus­rich­tung, so ist jene doch seit Pius XII. und mehr noch seit Johan­nes Paul II. vom Hei­li­gen Stuhl weit­ge­hend geteilt wor­den. In die­sem Sin­ne stellt der Anti-Ame­ri­ka­nis­mus von Papst Fran­zis­kus ein tra­di­tio­nel­le­res Gleich­ge­wicht wie­der her, wie wir zum Bei­spiel bei den diplo­ma­ti­schen Son­die­run­gen für den Frie­den in der Ukrai­ne gese­hen haben, mit denen er Kar­di­nal Matteo Zup­pi, den Vor­sit­zen­den der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, betraut hat.

Paro­lin scheint im all­ge­mei­nen – mit Aus­nah­me sei­ner Chi­na-Poli­tik – eher pro-ame­ri­ka­nisch zu sein. Aber sicher­lich nicht Trump-freund­lich. Sei­ne Anwe­sen­heit bei der Bil­der­berg-Kon­fe­renz 2018 in Turin ist viel beach­tet wor­den. Die­se Grup­pe setzt sich aus etwa hun­dert Per­so­nen zusam­men, die aus ein­fluß­rei­chen Per­sön­lich­kei­ten aus Diplo­ma­tie, Wirt­schaft, Poli­tik und Medi­en koop­tiert wur­den, und ver­steht sich heu­te als ein effek­ti­ver Umset­zer glo­ba­li­sti­scher Ideo­lo­gien. Bei dem genann­ten Tref­fen z. B., an dem der vati­ka­ni­sche Staats­se­kre­tär teil­nahm, wur­de der „besorg­nis­er­re­gen­de“ Anstieg des Popu­lis­mus diskutiert.

In ähn­li­cher Wei­se hielt Pie­tro Paro­lin am 5. April 2019 ein lan­ges Tref­fen mit einer hal­ben Hun­dert­schaft Anwäl­ten, Rich­tern und Poli­ti­kern ab, die die Crè­me de la Crè­me der LGBT-Akti­vi­sten ver­tra­ten und die Ent­kri­mi­na­li­sie­rung der Homo­se­xua­li­tät for­der­ten. Es han­del­te sich um einen Emp­fang von gro­ßer Sym­bol­kraft, bei dem der Staats­se­kre­tär ihnen mit­teil­te, daß die Kir­che „jede Gewalt gegen Men­schen“ verurteilt.

Aber dann ist da noch die Sache mit dem Abkom­men mit Chi­na, dem Ver­fol­ger der katho­li­schen Kir­che und Haupt­feind der USA.

Das Abkom­men, des­sen Inhalt nicht ver­öf­fent­licht wur­de, wur­de 2018 für zwei Jah­re unter­zeich­net, zwei­mal seit­her in den Jah­ren 2020 und 2022 ver­län­gert und wird dem­nächst erneut ver­län­gert, nach­dem im ver­gan­ge­nen Mai in Rom ein Kol­lo­qui­um über die Bezie­hun­gen Roms zu Chi­na mit Mon­si­gno­re Joseph Shen Bin, dem „patrio­ti­schen“ [regi­me­hö­ri­gen] Bischof von Shang­hai, und Zheng Xia­o­jun, dem Vor­sit­zen­den der staat­li­chen Chi­ne­si­schen Reli­gi­ons­ge­sell­schaft, einer Ein­rich­tung, die damit beauf­tragt ist, die Akti­vi­tä­ten der Reli­gio­nen genau zu über­wa­chen, damit sie nicht von den Geset­zen der das Land beherr­schen­den Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Chi­nas abwei­chen, ver­an­stal­tet wurde.

Das Paro­lin-Abkom­men erlaubt es den chi­ne­si­schen Behör­den, Bischö­fe zu ernen­nen, die dann von Rom ein­ge­setzt wer­den. Im Klar­text bedeu­tet dies, daß der frag­li­che Pakt den Kom­mu­ni­sten, die die Kir­che wei­ter­hin ver­fol­gen, das Recht über­trägt, die Bischö­fe zu ernennen.

Eini­ge, wie z. B. Bischof Joseph Shen Bin, wur­den ein­sei­tig von Peking ernannt und von Rom dann in aller Eile bestä­tigt. Auf die­se Wei­se wur­den auch die sie­ben 2018 bereits ernann­ten „offi­zi­el­len“ [regi­me­hö­ri­gen] Bischö­fe wie­der in die Gemein­schaft mit Rom auf­ge­nom­men, von denen zwei zufäl­lig ver­hei­ra­tet sind. Außer­dem wur­den die Unter­grund­bi­schö­fe, die von den kom­mu­ni­sti­schen Behör­den nicht aner­kannt wor­den waren, von der Lei­tung der Diö­ze­sen aus­ge­schlos­sen. Dies rief empör­te Kri­tik her­vor, vor allem von Kar­di­nal Joseph Zen, der Pie­tro Paro­lin vor­warf, ein „Mann von gerin­gem Glau­ben“ zu sein, „die katho­li­sche Kir­che an das kom­mu­ni­sti­sche Regime zu ver­kau­fen“, und für die­sen „unglaub­li­chen Ver­rat“ sei­nen Rück­tritt for­der­te. Aber auch von Kar­di­nal Mül­ler, der in sei­nem mit Fran­ca Gian­sol­da­ti her­aus­ge­ge­be­nen Buch „In buo­na fede. La Chie­sa nel XXI seco­lo“, sagt: „Man kann kei­nen Pakt mit dem Teu­fel schließen.“

Aber ist die­ses Abkom­men mit Chi­na wirk­lich ein gro­ßes Han­di­cap, das Paro­lin dar­an hin­dert, in einer wei­ßen Sou­ta­ne auf der Log­gia des Peters­doms zu erschei­nen? Oder kann es im Gegen­teil dem Hei­li­gen Kol­le­gi­um als Vor­teil für den Hei­li­gen Stuhl bei der Neu­ge­stal­tung der glo­ba­len Gleich­ge­wich­te erklärt werden?

Die anderen Karten eines Programms der Neuorientierung

Ein wei­te­res Para­dox: Die Tat­sa­che, daß er dem Papst nicht mehr ganz so nahe steht, könn­te zum Vor­teil für Pie­tro Paro­lin wer­den, wenn es dar­um geht, die Nach­fol­ge von Fran­zis­kus zu regeln, und es wird sicher­lich eine Gegen­re­ak­ti­on gegen des­sen Will­kür geben, unter der die Kurie und die Kar­di­nä­le lei­den. Kar­di­nal Paro­lin war direkt betrof­fen, als 2019 eine ver­däch­ti­ge Ope­ra­ti­on des Staats­se­kre­ta­ri­ats aus dem Jahr 2012 auf­ge­deckt wur­de: die Inve­sti­ti­on von fast 200 Mil­lio­nen Euro in eine mit einer Hypo­thek bela­ste­ten Lon­do­ner Luxus­im­mo­bi­lie. Das Gebäu­de war mit Mit­teln des Peters­pfen­nigs zu einem stark über­be­wer­te­ten Preis gekauft und dann mit gro­ßem Ver­lust ver­kauft wor­den. Es han­del­te sich um eine rela­tiv klas­si­sche Situa­ti­on, in der sich, gelin­de gesagt, Kle­ri­ker, die sich für Finanz­ex­per­ten hiel­ten, als äußerst naiv erwie­sen. Die Haupt­ver­ant­wor­tung lag bei Pie­tro Paro­lins eng­stem Mit­ar­bei­ter Ange­lo Becciu, zum Zeit­punkt der Auf­deckung Prä­fekt der Kon­gre­ga­ti­on für die Selig- und Hei­lig­spre­chungs­pro­zes­se, der von sei­nem Amt zurück­tre­ten muß­te, alle mit dem Kar­di­na­lat ver­bun­de­nen Rech­te ruhend stell­te und zusam­men mit ande­ren hoch­ran­gi­gen römi­schen Funk­tio­nä­ren von der vati­ka­ni­schen Justiz vor Gericht gestellt wur­de. Die Vor­wür­fe der Ver­un­treu­ung oder man­geln­der Sorg­falt führ­ten dazu, daß dem Staats­se­kre­ta­ri­at Ende 2020 vom Papst sein Ver­mö­gen und auch sein rie­si­ges Inve­sti­ti­ons­port­fo­lio ent­zo­gen wur­den. Und das so sehr, daß sich das Staats­se­kre­ta­ri­at, um sein diplo­ma­ti­sches Per­so­nal zu bezah­len, von eini­gen sei­ner Fami­li­en­ju­we­len tren­nen muß­te: Die Nun­tia­tu­ren in Paris und Wien zum Bei­spiel sol­len ver­kauft wer­den (Filip­po di Gia­co­mo: La diplo­ma­zia vati­ca­na deve fare cas­sa, in: La Repubbli­ca, 28. Juni 2024).

Selbst sein unsi­che­rer Gesund­heits­zu­stand – Paro­lin wur­de wegen einer Krebs­er­kran­kung behan­delt – gereicht ihm zur Ehre: Das wür­de sein jun­ges Alter (69) kom­pen­sie­ren, da die Papst­wäh­ler das Risi­ko ihrer Wahl begren­zen wol­len, indem sie Päp­ste für kur­ze Amts­zei­ten suchen. Das Alter von Kar­di­nal Berg­o­glio war eines der Argu­men­te, die von sei­nen Befür­wor­tern wäh­rend des Kon­kla­ves 2013 vor­ge­bracht wurden…

Pie­tro Paro­lin gibt sich ger­ne mode­rat. Wäh­rend er die mora­li­sche „Offen­heit“ des berg­o­glia­ni­schen Pon­ti­fi­kats bereit­wil­lig begrüß­te, indem er das Lob des Pap­stes an die argen­ti­ni­schen Bischö­fe für ihre ultra­li­be­ra­le Aus­le­gung von Amo­ris lae­ti­tia als „authen­ti­sches Lehr­amt“ am 7. Juni 2017 in die Acta Apo­sto­li­cae Sedis auf­neh­men ließ (um es unver­blümt zu sagen: Die libe­ral­ste Aus­le­gung von Amo­ris lae­ti­tia ist offi­zi­ell die rich­ti­ge), war er im Gegen­teil äußerst zurück­hal­tend bei Fidu­cia sup­pli­cans, einem höchst umstrit­te­nen Doku­ment, das die Seg­nung homo­se­xu­el­ler Paa­re zuläßt, dem er nur wider­wil­lig die Zustim­mung erteilte.

Am 12. Janu­ar 2024, bei einer Rede vor Wis­sen­schaft­lern der Acca­de­mia dei Lincei in Rom, rück­te er vom Doku­ment des Glau­bens­dik­aste­ri­ums sogar einen Schritt ab: „Die­ses Doku­ment hat sehr star­ke Reak­tio­nen her­vor­ge­ru­fen; das bedeu­tet, daß ein sehr heik­ler und sen­si­bler Punkt berührt wur­de; wei­te­re Unter­su­chun­gen wer­den not­wen­dig sein.“

Im Ver­gleich zu den pro­gres­si­ve­ren Kar­di­nä­len Tag­le, ehe­ma­li­ger Erz­bi­schof von Mani­la und nun Prä­fekt des Dik­aste­ri­ums für Evan­ge­li­sie­rung, und dem Jesui­ten Hol­le­rich, Erz­bi­schof von Luxem­burg, steht Paro­lin für eine gewis­se Rück­kehr zur Mit­te. Es wur­de gesagt, daß er auf der Syn­ode über die Syn­oda­li­tät im ver­gan­ge­nen Okto­ber inter­ve­niert hat, um „die Leh­re zu ver­tei­di­gen“, obwohl der genaue Inhalt sei­ner Inter­ven­ti­on nicht bekannt­ge­ge­ben wur­de, aber das The­ma war, daß die Leh­re im Mit­tel­punkt der Syn­oda­li­tät ste­hen muß, d. h. daß die Syn­oda­li­tät die Insti­tu­ti­on nicht spren­gen darf. Wir wis­sen auch, daß er sich vom Unsinn des deut­schen Syn­oda­len Weges distan­zie­ren will, ohne irgend­wel­che Türen zu schlie­ßen. Denn die­ser „Rea­list“ weiß, daß der Kom­pro­miß zwi­schen Fort­schritt und Bewah­rung das gro­ße Mit­tel ist, mit dem die nach­kon­zi­lia­re Kir­che über­dau­ert hat und auch wei­ter­hin über­dau­ern kann.

Der Stolperstein der überlieferten Messe

Aber es gibt einen Punkt, in dem Paro­lin kei­ne Kom­pro­mis­se ein­ge­hen will, und das ist die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie, im Gegen­satz zu den ein­gangs erwähn­ten berg­o­glia­ni­schen Libe­ra­len, die mei­nen, man kön­ne ihr eine gewis­se Frei­heit geben, um sie bes­ser zu kontrollieren.

Als Staats­se­kre­tär spiel­te Kar­di­nal Paro­lin eine Schlüs­sel­rol­le bei der Aus­ar­bei­tung des Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des aus dem Jahr 2021. Der erste Schritt war bekannt­lich die von der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on am 7. März 2020 orga­ni­sier­te Umfra­ge unter den Bischö­fen der Welt, mit dem Ziel, eine Bilanz der Umset­zung von Sum­morum Pon­ti­fi­cum zu zie­hen. Die Ergeb­nis­se hät­ten durch­aus als Zustim­mung zu Sum­morum Pon­ti­fi­cum gedeu­tet wer­den kön­nen, doch geplant war die Auf­he­bung von Sum­morum Pon­ti­fi­cum. In den Sit­zun­gen der Kon­gre­ga­ti­on, in denen das The­ma erör­tert wur­de, gab es Red­ner wie Kar­di­nal Stel­la, den dama­li­gen Prä­fek­ten der Kle­rus­kon­gre­ga­ti­on, den sehr bis­si­gen Kar­di­nal Ouel­let, den Prä­fek­ten der Bischofs­kon­gre­ga­ti­on, und Kar­di­nal Ver­sal­di, den dama­li­gen Prä­fek­ten der Kon­gre­ga­ti­on für das katho­li­sche Bil­dungs­we­sen (zustän­dig für die Prie­ster­se­mi­na­re), die dem usus anti­qui­or sehr feind­se­lig gegen­über­stan­den. Doch Kar­di­nal Paro­lin war beson­ders ent­schlos­sen, und in einer die­ser Sit­zun­gen soll er in Anspie­lung auf die Bezeich­nung der triden­ti­ni­schen Mes­se als Mes­se aller Zei­ten gesagt haben:

„Die­se Mes­se aller Zei­ten muß abge­schafft werden!“

Für ihn, wie auch für den Nun­ti­us in Frank­reich Cele­sti­no Miglio­re, der Gerüch­ten zufol­ge unter Papst Paro­lin Staats­se­kre­tär wer­den soll, ist Tra­di­tio­nis cus­to­des essen­ti­ell, um das Zwei­te Vati­ka­num zu schüt­zen. Das läßt sich wie folgt zusam­men­fas­sen: Es gibt nur eine lex oran­di, die der ein­zi­gen lex cre­den­di ent­spricht, näm­lich der des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils. Eini­ge pro­vi­so­ri­sche und begrenz­te Dul­dun­gen sind mög­lich, aber unter kei­nen Umstän­den eine par­al­le­le und gleich­zei­ti­ge Frei­heit. Mehr als jede ande­re kon­zi­lia­re Reform ist die Lit­ur­gie­re­form irreversibel.

Die Logik die­ser Unnach­gie­big­keit ist im Grun­de der Wunsch, die Anhän­ger der alten Lit­ur­gie und vor allem die ihr erge­be­nen Prie­ster an den Rand und schließ­lich ins Schis­ma zu drän­gen: „Sie sol­len gehen!“ Die­ser ideo­lo­gi­sche Rigo­ris­mus berück­sich­tigt nicht die wach­sen­de Bedeu­tung die­ser Lit­ur­gie, ins­be­son­de­re wegen ihrer Frucht­bar­keit an Beru­fun­gen. In der Tat wird die über­lie­fer­te Lit­ur­gie in den west­li­chen Kir­chen immer sicht­ba­rer. Aber letzt­lich: Die Bestim­mung, was ein Schis­ma aus­macht, hat – wie schon in der Anti­ke bekannt – in gewis­ser Wei­se durch die Vor­se­hung auch etwas Rela­ti­ves, wo sich am Ende her­aus­stellt, daß der Exkom­mu­ni­zie­ren­de in Wirk­lich­keit der Exkom­mu­ni­zier­te ist. In dem gro­ßen dok­tri­nä­ren Vaku­um, das die heu­ti­ge leh­ren­de Kir­che ist, die Kir­che, die leh­ren soll­te, ist es sicher­lich explo­siv, fron­tal mit der über­lie­fer­ten Mes­se zusam­men­zu­sto­ßen, die die über­lie­fer­te Leh­re repräsentiert.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­News (Screen­shot)

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4 Kommentare

  1. Besten Dank für die Bereit­stel­lung die­ser pro­fun­den Ana­ly­se auf Deutsch!

    Ich gestat­te mir zwei mög­li­cher­wei­se inter­es­san­te Ergän­zun­gen: Kar­di­nal Sil­ve­st­ri­ni ist nach gän­gi­ger Aus­le­gung „Kar­di­nal Aurea­ti­ni“ in Malachi Mar­tins Winds­wept Hou­se (dt. Der letz­te Papst, eine etwas ver­un­glück­te Wahl des Titels). Die­ser gehört im Roman zum Kern des Kom­plotts gegen die Kir­che, ein sini­strer Charakter.

    Weil zwei­tens erwähnt wird, daß Papst Pius XII. die trans­at­lan­ti­sche Aus­rich­tung teil­te: Mark Fel­lows schreibt in Fati­ma in Twilight, daß US-Bot­schaf­ter Myron Tay­lor Druck auf Papst Pacel­li aus­ge­übt habe, damit die­ser die US-Katho­li­ken im Kon­greß zur Zustim­mung ame­ri­ka­ni­scher Hil­fe an Sta­lin bewe­gen möge. Pacel­li gab letzt­lich nach. Ob das eine segens­rei­che Ent­schei­dung war, sei dahin­ge­stellt. Denn damit wur­de prak­tisch das stren­ge Ver­bot von Pius XI. in Divi­ni Redempto­ris, mit den Kom­mu­ni­sten zusamm­zu­ar­bei­ten (das Ver­bot kam viel zu spät, erst 1937) unter­lau­fen. Ab 1952 kam auch Fati­ma in der Ver­kün­di­gung von Papst Pius XII. nicht mehr vor, wie Fel­lows sagt.
    Fel­lows schreibt bzw. zitiert jeman­den so: Hät­te Papst Pius so viel für die Ret­tung der Kir­che getan, wie er für die Ret­tung der Juden getan hat (ein Fak­tum, das nie­mand bestrei­tet), stün­de die Kir­che heu­te bes­ser da.

    Das mag so sein oder auch nicht.
    Inter­es­sant wäre eine Auf­klä­rung, inwie­weit der „Trans­at­lan­tik“ spä­ter sei­ne Fin­ger in der Ermor­dung von Aldo Moro hat­te. Wer hat die Roten Bri­ga­den eigent­lich wirk­lich gesteuert?

    Hier wäre noch eini­ges aufzuklären.

  2. Die­ser Mann wäre das Ende des über­lie­fer­ten Ritus in der katho­li­schen Kirche. 

    Ich erin­ne­re an sei­nen Aus­sa­ge aus dem Jahr 2021
    „wir müs­sen den über­lie­fer­ten Ritus voll­stän­dig eliminieren“ 

    Also auf­pas­sen, und beten.

  3. Die Dro­hung ist real, aber dann müß­te schon wie­der ein Euro­pä­er, spe­zi­ell ein Ita­lie­ner, Papst wer­den und das wäre wohl eher eine Überraschung.

  4. O, nein nicht dieser.…
    oder viel­leicht, wird er auch hingehievt,
    wie schon mal geschehen?
    Hei­li­ger Geist bit­te sor­ge du um
    einen ech­ten „Hei­lign und würdigen“
    Nach­fol­ger für Hl.Petrus.

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