Papst Franziskus wollte mit der Unterdrückung des überlieferten Ritus die "Einheit" der Kirche wiederherstellen. Erreicht hat er das Gegenteil.
Die Überschrift wirkt tendenziös, dennoch ist der Artikel in The Atlanticinteressant, wie bereits der Untertitel ankündigt: „Papst Franziskus‘ Einschränkungen des alten Ritus könnten nach hinten losgegangen sein“.
Anzeige
The Atlantic ist eines der einflußreichsten Liberal-Magazine der USA. Es handelt sich also um eine breit aufgestellte linke Publikation zu aktuellen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Themen. In den jüngsten US-Wahlkämpfen unterstützte sie demokratische Kandidaten wie Hillary Clinton und Kamala Harris. Die 1857 gegründete Zeitschrift erscheint digital mit täglichen Veröffentlichungen und monatlich in gedruckter Form. Haupteigner ist seit 2017 die Organisation Emerson Collectiv, hinter der Laurene Powell Jobs, die Witwe des verstorbenen Steve Jobs, steht. Autor des Artikels ist Francis X. Rocca, ein studierter Historiker und Harvard- und Yale-Absolvent, der in Rom lebt und langjähriger Vatikanist des Wall Street Journal und EWTN-Analyst ist. Das ergibt eine interessante Mischung. Seine Artikel im WSJ zu kirchlichen Fragen fanden wiederholt internationale Aufmerksamkeit. Von Interesse ist es, was Rocca in einem liberal ausgerichteten Allgemeinmedium zur Frage des überlieferten Ritus der katholischen Kirche schreibt, dessen Publikum der katholischen Tradition ziemlich fernsteht.
„Jessica Harvey ging früher in eine Kirche mit bunten Glasfenstern und einer hohen Decke. Die katholische Gemeinde gab Harvey und ihrer Familie ein Gefühl der Gemeinschaft, als sie sich in ihrer neuen Stadt in Virginia niederließen. Doch ein Jahr später begannen sie, ihre Gottesdienste in einer sechs Kilometer entfernten katholischen Schule zu feiern, in einem beengten Raum, der früher als Ballettsaal und Lagerraum diente. Anstelle von bunten Glasfenstern sind die Fenster mit farbigen Bildern bedeckt. Über den Köpfen hängen freiliegende Rohrleitungen. Warum die Herabstufung? Harveys Gemeinde war gezwungen, ihre traditionelle lateinische Messe zu verlegen, eine alte Version der katholischen Liturgie, die eine der hitzigsten Kontroversen im modernen Katholizismus ausgelöst hat. Im Jahr 2021 schränkte Papst Franziskus den Zugang zu diesem alten Ritus ein und verlangte von den Priestern eine Sondergenehmigung, um ihn zu zelebrieren. Pfarreien, die die traditionelle Messe noch anbieten können, dürfen sie nicht in ihrem Mitteilungsblatt ankündigen. Und viele Anhänger der lateinischen Messe, wie Harvey, feiern ihre Gottesdienste nicht mehr in ihren Kirchen, die größtenteils für den neueren, jetzt üblichen Ritus vorbehalten sind. Traditionalisten sind in einigen Fällen in Hörsäle und Schulsporthallen verbannt worden.“
Soweit Roccas Einstieg in das Thema für ein weltanschaulich bunt gemischtes Publikum. Dann spricht der Rom-Korrespondent die Anfang des Jahres erschienene „Autobiographie“ von Papst Franziskus an, in der dieser „seinen Unmut deutlich“ macht über Priester, die den überlieferten Ritus zelebrieren. Ihnen wirft er auf schwer diskreditierende Weise „geistige Unausgeglichenheit“ vor. Dazu schreibt Rocca:
„Eine solche Sprache steht in scharfem Kontrast zu seiner Betonung der Barmherzigkeit und der pastoralen Flexibilität gegenüber Randgruppen, wie geschiedenen oder LGBTQ-Katholiken.“
Dabei habe Franziskus, als er 2021 sein Dekret erließ, betont, „er wolle die Einheit der Kirche bewahren, in der die Liturgie zu einem besonderen Konfliktpunkt in seiner Kampagne zur Modernisierung des Glaubens geworden war“. Die Quintessenz für Rocca:
„Doch egal, ob der Papst die Einheit durch Versöhnung oder Unterdrückung anstrebt, er hat keinen Erfolg. Das Edikt hat die Spaltungen unter den Katholiken verhärtet und vertieft und die kleine, aber junge, eifrige und unerschütterliche Gruppe der Gläubigen der lateinischen Messe entfremdet.“
Zum besseren Verständnis erinnert der Autor daran, daß in der Kirche bis zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils auf Latein zelebriert wurde. Der Ritus wurde dann „in einer Weise verändert, die weit über die Übersetzung in die Volkssprache hinausging“. Die Folge war, daß „viele Kirchen mit der Liturgie experimentierten und zeitgenössische Musik spielten. Während die Zeremonien des alten Ritus das Opfer Christi am Kreuz betonten, betonten die Zeremonien des neuen Ritus das gemeinsame eucharistische Mahl.“
„Die meisten Katholiken akzeptierten die Reformen, die ihnen halfen, die zentrale Praxis ihres Glaubens zu verstehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Eine engagierte Minderheit widersetzte sich jedoch und feierte weiterhin die alte Messe, manchmal ohne die vom Vatikan geforderte neue Erlaubnis einzuholen. Traditionalisten begründen ihre Anhänglichkeit mit der Schönheit der alten lateinischen Messe, die oft von gregorianischen Gesängen oder mehrstimmigen Gesängen begleitet wird, und mit ihrer Verbindung zur Geschichte der Kirche. Sie behaupten auch, daß der Ritus ehrfürchtiger sei; viele schätzen die langen Zeiten der Stille, in denen die Worte des Priesters unhörbar sind.“
Die nach dem Konzil erlassenen Beschränkungen für den überlieferten Ritus begannen sich in den 1980er Jahren zu lockern, als Johannes Paul II. den Bischöfen erlaubte, den traditionellen Ritus in ihren Diözesen wieder zuzulassen. Bis 2007 blieb der Zugang allerdings eng und unregelmäßig. Die große Veränderung erfolgte durch Benedikt XVI., der „praktisch alle Beschränkungen aufhob – eine Entscheidung, die ein breites Medienecho auslöste und ein neues Interesse an der Messe weckte, das bis heute anhält“.
Der Soziologe Stephen Cranney von der Catholic University of America vermutet, daß die USA die „größte lateinische Meßgemeinde der Welt haben“. Sie umfasse zwar nur einen Bruchteil der rund 75 Millionen US-Katholiken, sei jedoch fest in ihrem Bekenntnis und bilde daher eine Gruppe, die „hochoktanigen Treibstoff für eine religiöse Institution“ liefere. Im Jahr 2023, so Rocca, befragten Cranney und der Religionssoziologe Stephen Bullivant Katholiken und stellten fest, daß die Hälfte von ihnen Interesse an der Teilnahme an einer lateinischen Messe bekundete.
„Die Wiederbelebung des alten Ritus scheint Teil einer größeren Bewegung in der Kirche zu sein“, so der Autor.
Meßorte des überlieferten Ritus in den USA
„Es gibt den Wunsch, zu dem zurückzukehren, was einmal war, in einer Tradition verwurzelt zu sein“, inmitten „einer Art moderner Instabilität, in der alles den Bach runterzugehen scheint“, zitiert er Timothy O’Malley, einen Liturgieexperten, der an der Universität von Notre Dame lehrt. Dieser weist auf die wachsende Zahl von Katholiken hin, „die alte Bräuche übernommen haben, wie das Knien bei der Kommunion und das Tragen eines Schleiers bei der Messe“.
So „widersprüchlich es auch erscheinen mag“, so Rocca, „diese Rückkehr zur Tradition scheint von jungen Katholiken angeführt zu werden, die einen überproportionalen Anteil an Anhängern der lateinischen Messe ausmachen“.
Laut einer kürzlich von Cranney und Bullivant durchgeführten Umfrage in Pfarreien, in denen der überlieferte Ritus zelebriert wird, sind 44 Prozent der Katholiken, die mindestens einmal im Monat den alten Ritus besuchen, unter 45 Jahre alt, verglichen mit den nur 20 Prozent in den Novus-Ordo-Messen. Patrick Merkel, ein Student in Notre Dame, der an der lateinischen Messe auf dem Campus teilnimmt, glaubt, daß der traditionelle Ritus junge Menschen anspricht, weil er sich im Gegensatz zu den meisten Dingen in ihrem Leben nicht verändert. „Eine lateinische Messe in einer Kleinstadt in Wisconsin ist das gleiche wie in London oder New York“, sagte Merkel dem Autor. „Es ist immer die gleiche tröstliche Heimat, in die man zurückkehrt.“
Damit lenkt Rocca zur Ausgangsaussage des Untertitels zurück:
„Anstatt die lateinische Messe als Quelle der Vitalität in der Kirche zu sehen, prangert Franziskus sie als Sammelbecken für den Dissens an. Die Feier des alten Ritus, so argumentierte er in einem Brief an die Bischöfe, der das Dekret von 2021 begleitete, ‚ist zunehmend von einer wachsenden Ablehnung nicht nur der Liturgiereform, sondern auch des Zweiten Vatikanischen Konzils geprägt‘.“
Darin pflichtet ihm der Autor bei: „Er hat Recht, daß einige Befürworter der lateinischen Messe die moderne Kirche kritisiert haben. Marcel Lefebvre, ein Erzbischof, der eine traditionalistische Gruppe namens Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) gründete, widersetzte sich zentralen Lehren des Konzils – einschließlich der Öffnung der Kirche gegenüber anderen Religionen, insbesondere dem Judentum – und weihte 1988 vier Bischöfe ohne päpstliche Zustimmung. Papst Johannes Paul II. erklärte die Weihen für schismatisch und die fünf Männer wurden automatisch exkommuniziert. Ein jüngeres Beispiel ist Carlo Maria Viganò. Als ehemaliger Gesandter des Vatikans in den USA beschuldigte Viganò das Zweite Vatikanum, ein ‚höllisches Chaos‘ zu verbreiten, und warf der neuen Messe vor, ‚die geistige und moralische Auflösung der Gläubigen‘ zu verursachen. Nachdem er behauptet hatte, Franziskus sei aufgrund seiner ‚Irrlehren‘ ein illegitimer Papst, erklärte der Vatikan auch ihn für exkommuniziert.“
Auch im Internet sei der Widerspruch von traditionalistischer Seite sehr virulent. Die Einschränkungen, die Papst Franziskus gegen den überlieferten Ritus verhängte, scheinen die Spaltungen zu vertiefen, so der Autor. Jessica Harvey erzählte ihm, daß es für sie und ihre Familie seit der Verlegung der Heiligen Messe schwieriger geworden ist, die Verbindung zu ihrer Gemeinde aufrechtzuerhalten: „Wir müssen hart arbeiten, um sicherzustellen, daß wir immer noch Teil der größeren Gemeinschaft sind“.
Rocca weiter: „Einige Teilnehmer an der lateinischen Messe haben auf die Einschränkungen reagiert, indem sie auf Liturgien ausgewichen sind, die von Dissidentengruppen angeboten werden.“, womit er die Piusbruderschaft meint (aber nicht nur sie), deren Meßbesucherzahlen in den vergangenen Jahren ein stetes Wachstum erlebten.
„Das wieder erwachte Interesse am traditionellen Ritus deckt sich mit der so genannten ‚Strict Church‘-Hypothese, die besagt, daß religiöse Gruppen zu florieren pflegen, wenn die Kosten für die Zugehörigkeit zu ihnen zunehmen. Wenn Sie und Ihre Mitstreiter, die die lateinische Messe feiern, aus einer Kirche in einen Lagerraum verbannt werden, wird Ihre Zugehörigkeit wahrscheinlich einen höheren Wert bekommen.“
Harvey begründet ihre Teilnahme am überlieferten Ritus aber nicht mit Kirchenpolitik, sondern mit dem Hinweis: „Dies ist ein Ort, an dem wir Gott leichter begegnen können“.
Text: Giuseppe Nardi Bild: The Atlantic/enroutebooksandmedia (Screenshots)
Helfen Sie mit! Sichern Sie die Existenz einer unabhängigen, kritischen katholischen Stimme, der keine Gelder aus den Töpfen der Kirchensteuer-Milliarden, irgendwelcher Organisationen, Stiftungen oder von Milliardären zufließen. Die einzige Unterstützung ist Ihre Spende. Deshalb ist diese Stimme wirklich unabhängig.
Katholisches war die erste katholische Publikation, die das Pontifikat von Papst Franziskus kritisch beleuchtete, als andere noch mit Schönreden die Quadratur des Kreises versuchten.
Diese Position haben wir uns weder ausgesucht noch sie gewollt, sondern im Dienst der Kirche und des Glaubens als notwendig und folgerichtig erkannt. Damit haben wir die Berichterstattung verändert.
Das ist mühsam, es verlangt einiges ab, aber es ist mit Ihrer Hilfe möglich.
Unterstützen Sie uns bitte. Helfen Sie uns bitte.
Liebe Brüder und Schwestern, Anzeige heute möchte ich über einige Schwierigkeiten beim Beten sprechen. »Oft wird das Beten durch die Zerstreuung erschwert« (KKK, 2729). Zerstreuungen sind nicht schuldhaft, man muss aber gegen sie ankämpfen. Dabei ist wichtig, den Ablenkungen nicht nachzugehen, noch sie zu verscheuchen zu suchen, sondern die Tugend der Wachsamkeit zu leben.
Da jüngst eine Diskussion um den Versuch von Papst Benedikt XVI. entstanden ist, mit einer Hermeneutik der Kontinuität dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine neue Lesart zu geben und die in der Nachkonzilszeit dominante Interpretation durch die progressive Hermeneutik des Bruchs zu überwinden, deren Wächter die „Schule von Bologna“ ist, veröffentlichen wir erneut die Rede von …
2. November 2017Kommentare deaktiviert für Neuseeländische Bischöfe für „alternative Übersetzung“ des Missale Romanum
(Rom) Am Ersten Adventssonntag 2011 trat die neue englische Übersetzung der dritten Ausgabe der Editio Typica des Missale Romanum nach dem Novus Ordo in Kraft. Gemeint ist die überarbeitete Ausgabe des römischen Meßbuches nach der Liturgiereform von 1969, die Papst Paul VI. durchführen ließ. 17 Jahre lang war daran gearbeitet worden, um die bestmöglichen Formulierungen …
Katholisches – Unabhängiges Magazin für Kirche und Kultur
Nur mit Ihrer Hilfe
Katholischen Journalismus gibt es nur mit Ihrer Hilfe
Katholisches.info nimmt weder Geld vom Staat noch von der Kirche und auch nicht von Spendern, die Einfluß ausüben wollen. Katholisches.info ist völlig unabhängig, weil Sie uns unterstützen. Eine wirklich freie katholische Stimme ist eine "Investition" für die Zukunft, denn derzeit sieht es so aus, daß es im Medienbereich immer enger wird.
Wir sagen Danke im Namen der Pressefreiheit und des katholischen Auftrags, dem wir verpflichtet sind.