Wie es zum Zweiten Weltkrieg kam

Internationale Lage von Arroganz, Bosheit, Feigheit und Blindheit durchdrungen


Sowjetische Panzer im Zweiten Weltkrieg
Sowjetische Panzer im Zweiten Weltkrieg

Von Rober­to de Mattei*

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In sei­nen Memoi­ren berich­tet Win­s­ton Chur­chill: „Eines Tages teil­te mir Prä­si­dent Roo­se­velt mit, daß er öffent­lich um Vor­schlä­ge für die Bezeich­nung des Krie­ges bit­tet. Ich sag­te sofort ‚der unnö­ti­ge Krieg‘. Nie war ein Krieg leich­ter auf­zu­hal­ten als der, der gera­de das zer­stört hat­te, was der vor­he­ri­ge Krieg von der Welt übrig gelas­sen hat­te“ (Der Zwei­te Welt­krieg, Fischer, Frank­furt am Main 2003).

In Wirk­lich­keit kann man von allen Krie­gen sagen, daß sie „unnö­tig“ sind, auch wenn eine gewis­se Unver­meid­bar­keit immer mit ihrer Ent­ste­hung ein­her­geht. Fehl­ein­schät­zun­gen, unüber­leg­te Hand­lun­gen, unge­zü­gel­te Lei­den­schaf­ten sind oft der Ursprung von Kon­flik­ten, aus­ge­löst durch eine histo­ri­sche Dyna­mik, die die Prot­ago­ni­sten über­wäl­tigt. Die Men­schen glau­ben, daß sie die Archi­tek­ten der Geschich­te sind, aber sie sind nur Figu­ren in den Hän­den der gött­li­chen Vor­se­hung, die alles für ihre höhe­ren Zie­le zuläßt. Dies geschah in den drei­ßig Jah­ren zwi­schen 1914 und 1945. Nach dem ver­hee­ren­den Ersten Welt­krieg zwan­gen die Sie­ger den Besieg­ten einen Frie­den auf, der neu­es Unglück ankün­dig­te. Die Ver­trä­ge von Saint Ger­main und Ver­sailles zer­stückel­ten Öster­reich-Ungarn, lie­ßen das Deut­sche Reich aber weit­ge­hend intakt, so daß es ein homo­ge­ner Block im Her­zen Euro­pas blieb. Der fran­zö­si­sche Histo­ri­ker Jac­ques Bain­ville stell­te 1920 fest: „Das Werk Bis­marcks und der Hohen­zol­lern wur­de im wesent­li­chen respek­tiert. Die deut­sche Ein­heit wur­de nicht nur auf­recht­erhal­ten, son­dern ver­stärkt“ (Les con­sé­quen­ces poli­ti­ques de la paix, Gode­froy de Bouil­lon, Paris 1996, Erst­aus­ga­be 1920, S. 31).

Die Pari­ser Kon­fe­renz kon­so­li­dier­te das „repu­bli­ka­ni­sier­te“ Deutsch­land, demü­tig­te es aber gleich­zei­tig, indem sie ihm die Allein­schuld an der „Aggres­si­on“ vom August 1914 in die Schu­he schob und bestra­fen­de Frie­dens­be­din­gun­gen fest­leg­te. Das empör­te deut­sche Volk wen­det sich an den alten Mar­schall Hin­den­burg und dann an einen öster­rei­chi­schen Gefrei­ten, der sich als Rächer des gekränk­ten Vater­lan­des prä­sen­tier­te. Adolf Hit­ler hat­te in „Mein Kampf“ sein Pro­gramm auf die For­mel gebracht: „Deutsch­land wird eine Welt­macht wer­den oder es wird nicht mehr exi­stie­ren“. Um Welt­macht zu wer­den, muß­te Deutsch­land die Ein­krei­sung des Lan­des durch sei­ne Fein­de durch­bre­chen und gro­ße Gebie­te im Osten erobern, die es den sla­wi­schen Völ­kern abnahm.

Nach­dem Hit­ler durch regu­lä­re Wah­len an die Macht gekom­men war, eröff­ne­te er am 21. März 1933 am Grab Fried­richs des Gro­ßen in Pots­dam den Beginn des natio­nal­so­zia­li­sti­schen Drit­ten Reichs. Der neue Herr­scher über Deutsch­land zähl­te dar­auf, den euro­päi­schen Mäch­ten die Wie­der­her­stel­lung der natio­na­len Ein­heit und die Behaup­tung der ger­ma­ni­schen Eth­nie in Euro­pa und der Welt auf­zu­zwin­gen. Zur Ver­wirk­li­chung sei­ner Plä­ne rech­ne­te er mit der Dul­dung des Westens und zähl­te auf sei­ne teuf­li­sche Geris­sen­heit, selbst ange­sichts sei­ner immer noch pre­kä­ren mili­tä­ri­schen Stär­ke. Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten ihrer­seits hat­ten den Völ­ker­bund auf­ge­ge­ben, um sowohl unter den repu­bli­ka­ni­schen Nach­fol­gern Wil­sons als auch unter dem Demo­kra­ten Frank­lin D. Roo­se­velt eine Außen­po­li­tik des weit­ge­hen­den Iso­la­tio­nis­mus zu betrei­ben. Chur­chill bemerkt: „Es ist schwie­rig, einen Ver­gleich zwi­schen der man­geln­den Ein­sichts­fä­hig­keit der bri­ti­schen Regie­rung und der Schwä­che der fran­zö­si­schen Regie­rung zu zie­hen, die den­noch die Mei­nung ihrer Par­la­men­te in jener ver­häng­nis­vol­len Zeit wider­spie­gel­ten. Auch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten kön­nen sich dem Tadel der Geschich­te nicht ent­zie­hen (…). Sie schau­ten ledig­lich mit Erstau­nen auf die gewal­ti­gen Ver­än­de­run­gen, die sich in Euro­pa voll­zo­gen, und glaub­ten, sich dar­über kei­ne Sor­gen machen zu müs­sen“ (a. a. O., S. 57).

Nach der Wie­der­ein­füh­rung der Wehr­pflicht im Deut­schen Reich im Jahr 1935, die im Wider­spruch zu den Ver­sailler Klau­seln stand, ord­ne­te Hit­ler am 7. März 1936 die Remi­li­ta­ri­sie­rung des Rhein­lan­des an, die eben­falls durch den Frie­dens­ver­trag unter­sagt war. Chur­chill bemerkt wei­ter: „Da Hit­ler auf­rü­sten konn­te, ohne daß die Alli­ier­ten oder die mit ihnen asso­zi­ier­ten Mäch­te aktiv in sei­ne Plä­ne ein­grif­fen, mußte ein Zwei­ter Welt­krieg als sehr wahr­schein­lich, um nicht zu sagen als sicher gel­ten. Je län­ger ein ent­schei­den­der Show­down andau­er­te, desto mehr san­ken unse­re Chan­cen, erstens Hit­ler ohne einen blu­ti­gen Kampf auf­zu­hal­ten und zwei­tens als Sie­ger aus die­ser schreck­li­chen Prü­fung her­vor­zu­ge­hen“ (S. 121).

Das ent­schei­den­de Jahr der euro­päi­schen Kri­se war 1938. Nach dem Anschluß Öster­reichs am 13. März pro­kla­mier­te Hit­ler das Selbst­be­stim­mungs­recht für die Deut­schen in der Tschechoslowakei.

Am 29. und 30. Sep­tem­ber 1938 stimm­te die Münch­ner Kon­fe­renz zwi­schen Hit­ler, Cham­ber­lain, Dal­adier und Mus­so­li­ni den For­de­run­gen des Füh­rers zu. Der bri­ti­sche Pre­mier­mi­ni­ster Cham­ber­lain wur­de bei sei­ner Rück­kehr nach Lon­don als Ret­ter des Frie­dens gefei­ert. Der Krieg rück­te aber nicht in die Fer­ne, son­dern näher.

Hit­ler war von sei­ner poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Über­le­gen­heit über­zeugt und erhöh­te den Ein­satz, das Glücks­spiel. Am 15. März 1939 wur­den auch Böh­men und Mäh­ren in das Reich ein­ge­glie­dert und die Tsche­cho­slo­wa­kei ver­schwand von der Land­kar­te Euro­pas. Am 22. März sah sich die Litaui­sche Repu­blik gezwun­gen, das Memel­ge­biet, das sie durch den Ver­sailler Ver­trag erhal­ten hat­te, an das Deut­sche Reich zurück­zu­ge­ben. Am 24. April for­der­te Hit­ler die Rück­ga­be von Dan­zig und kün­dig­te vier Tage spä­ter den zehn­jäh­ri­gen Nicht­an­griffs­pakt mit Polen. Am 23. August schloß Nazi-Deutsch­land über­ra­schend einen Nicht­an­griffs­pakt mit der Sowjet­uni­on. Das gehei­me Zusatz­pro­to­koll sah die Tei­lung Polens zwi­schen dem Deut­schen Reich und der Sowjet­uni­on vor, der Hit­ler auch Finn­land, Est­land und Lett­land als „Inter­es­sensphä­ren“ zuerkannte.

Die sowje­ti­sche Außen­po­li­tik basier­te, wie die deut­sche, auf dem „Ein­krei­sungs­syn­drom“. Sta­lin war über­zeugt, daß die West­mäch­te einen „Cor­don sani­taire“ um den ein­zi­gen sozia­li­sti­schen Staat errich­ten woll­ten, um ihn zu iso­lie­ren und dann mili­tä­risch zu besie­gen. Er betrach­te­te den Krieg daher als unum­gäng­lich. Für den kom­mu­ni­sti­schen Dik­ta­tor, so stell­te der deut­sche Histo­ri­ker Andre­as Hill­gru­ber fest, „waren nicht die ter­ri­to­ria­len Gewin­ne ent­schei­dend, son­dern der Wil­le, den Krieg nicht zu ver­hin­dern, son­dern ihn indi­rekt zu pro­vo­zie­ren, indem Hit­ler die Rol­le des Akteurs über­nahm, der ihn aus­lö­ste“ (Die Zer­stö­rung Euro­pas, Pro­py­lä­en, Ber­lin 1988, hier zitiert nach der ital. Aus­ga­be von Il Muli­no, Bolo­gna 1991, S. 269f). Hit­ler sei­ner­seits war über­zeugt, daß weder Frank­reich noch Groß­bri­tan­ni­en zur Ver­tei­di­gung Polens antre­ten wür­den. Doch Groß­bri­tan­ni­en hat­te nach der Beset­zung Prags die Beschwich­ti­gungs­po­li­tik auf­ge­ge­ben und Polen eine Garan­tie für den Fall eines deut­schen Angriffs gege­ben. Frank­reich und Groß­bri­tan­ni­en gaben Rumä­ni­en und Grie­chen­land die glei­che Garan­tie. Der Über­gang der bei­den West­mäch­te von einer unter­wür­fi­gen zu einer unnach­gie­bi­gen Poli­tik war laut Sir Basil Lid­dell Hart so abrupt und plötz­lich, daß ein Krieg unver­meid­lich war (Histo­ry of the Second World War, Lon­don 1970).

Hit­ler, der bis zuletzt davon über­zeugt war, daß es ihm gelin­gen wür­de, die Alli­ier­ten zum Gespött zu machen, bot am 28. August Ver­hand­lun­gen über sei­ne For­de­run­gen an. Nun war es zu spät. Im Mor­gen­grau­en des 1. Sep­tem­ber 1939 mar­schier­te die deut­sche Armee in Polen ein, doch am 3. Sep­tem­ber erklär­ten Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich dem Deut­schen Reich den Krieg. Ihr Ziel war es, die Unab­hän­gig­keit Polens zu bewah­ren, aber wie Lid­dell Hart fest­stellt, waren sie nach sechs Jah­ren Krieg gezwun­gen, still­schwei­gend die rus­si­sche Vor­herr­schaft über die­ses Land zu akzep­tie­ren, was einen Bruch aller Ver­spre­chen dar­stell­te, die sie den Polen, die an ihrer Sei­te gekämpft hat­ten, gege­ben hatten.

Wie bereits im Ersten Welt­krieg spiel­te Ruß­land auch beim Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs eine ent­schei­den­de Rol­le. Viel­leicht war sich Zar Niko­laus II. nicht bewußt, daß Ruß­land mit dem Erlaß der all­ge­mei­nen Mobil­ma­chung am 30. Juli 1914 den euro­päi­schen Krieg aus­lö­ste, aber Sta­lin war sich sicher bewußt, daß er mit der Unter­zeich­nung des Nicht­an­griffs­pakts mit Hit­ler am 23. August 1939 den Kon­flikt unaus­weich­lich mach­te und Hit­ler die Angst vor einem Zwei­fron­ten­krieg nahm.
Heu­te, nach dem rus­si­schen Ein­marsch in der Ukrai­ne, ist die inter­na­tio­na­le Lage noch mehr als damals von Arro­ganz und Bos­heit, Feig­heit und poli­ti­scher Blind­heit durch­drun­gen. Die Geschich­te wie­der­holt sich nie genau, aber sie ist immer der Leh­rer und Len­ker der Ereig­nis­se, und wie­der ein­mal kann man die Wor­te „ducunt fata volen­tem, nolen­tem trahunt“ [Den Wil­li­gen füh­ren die Geschicke, den Unwil­li­gen schlep­pen sie dahin] wie­der­ho­len: Wenn die Welt sich von Gott abwen­det, fin­det sie sich dem uner­bitt­li­chen Gesetz eines Schick­sals unter­wor­fen, das sie nicht beherrscht.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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