
Von Roberto de Mattei*
Am 30. September feiern wir das Gedenken an den heiligen Hieronymus (347–420), einen der größten Kirchenlehrer, der wie der heilige Augustinus das Drama des Untergangs des Römischen Reiches erlebte.
Hieronymus wurde 347 in Stridon (Dalmatien) geboren und studierte in Rom, wo er getauft wurde. Anschließend reiste er in den Osten, wo er sich hauptsächlich in Antiochia aufhielt. Als er 382 nach Rom zurückkehrte, wurde er Sekretär von Papst Damasus I. und führte mehrere römische Adlige zum asketischen Ideal. Eine Gruppe von Frauen aus der Aristokratie versammelte sich unter Hieronymus‘ Anleitung, um ein vollkommeneres Leben zu führen und seinem Aufruf zu einem neuen christlichen Adel zu folgen, der auf Gebet und Jungfräulichkeit beruht. Zu ihnen gehörten Marcella, die ihren Palast auf dem Aventin in eine Art Frauenkloster verwandelte, Fabiola, Proba und Paula. Nach dem Tod des heiligen Damasus wurde Hieronymus jedoch von der römischen Kurie heftig bekämpft und wegen seines exzessiven Fastens sogar des Todes eines seiner Schüler beschuldigt. Im Jahr 386 verließ er Rom und zog nach Palästina. Einige Schüler, darunter Paula und ihre Tochter Julia Eustochia, die später beide heiliggesprochen werden sollten, folgten ihm und beschlossen, mit ihm bis ans Ende ihrer Tage im Heiligen Land zu bleiben. „Ehre sei diesen tapferen Frauen!“, schreibt Dom Guéranger: „Ihre Treue, ihr Wissensdurst, ihre fromme Aufdringlichkeit werden der Welt einen unbezahlbaren Schatz bescheren: die authentische Übersetzung der Heiligen Bücher“ (Conc. Trid. Sess. IV). Dank ihrer Zusammenarbeit konnte Hieronymus das Hauptwerk seines Lebens verwirklichen: die Übersetzung der Bibel aus dem Griechischen und Hebräischen ins Lateinische, die berühmte Vulgata, die auch heute noch der offizielle Bibeltext der Kirche ist.
Hieronymus war zeitlebens Angriffen und Verleumdungen ausgesetzt, auch innerhalb der Kirche. In Jerusalem geriet er in Konflikt mit dem dortigen Bischof Johannes, der den Häretiker Pelagius unterstützte. „Mit der Unterstützung des Bischofs von Jerusalem bewaffneten sich die Pelagianer eines Nachts mit Fackel und Schwert und stürzten sich zur Ermordung und Verbrennung des Klosters von Hieronymus und der Jungfrauen, die nach dem Tod von Paula Eustochia als ihre Mutter anerkannten. Die Heilige, flankiert von ihrer Nichte Paula der Jüngeren, sammelte ihre Töchter und schaffte es, einen Durchgang durch die Flammen zu öffnen. Doch die Angst dieser schrecklichen Nacht hatte ihre Kräfte aufgezehrt, und Hieronymus begrub sie wie ihre Mutter an der Krippe des Gotteskindes, und seinen Kommentar zu Jeremia unvollendet lassend bereitete auch er sich auf den Tod vor.“
Der heilige Hieronymus starb kurz darauf, am 30. September 420. Bevor er aus der Welt schied, wurde er in seinen Briefen Zeuge der schrecklichen Ereignisse, die das 4. Jahrhundert eröffneten. Am 31. Dezember des Jahres 406 überquerten Germanen auf einer dicken Eisschicht den Rhein und brachen in die Grenzen des Reiches ein. Es waren Vandalen, Alanen, Schwaben, ganze Stämme, mit Frauen und Kindern, Wagen, Tieren und Herden, die jeden Widerstand überwanden und durch Gallien zogen. Nichts konnte sie aufhalten.
Ein Brief, den der heilige Hieronymus 409 aus Bethlehem schrieb, gibt ein eindrucksvolles Bild von der Situation, in der sich das Reich damals befand: „Wenn bis zu diesem Augenblick einige von uns, so selten sie auch sein mögen, noch zu Hause sind, so ist das nicht unser Verdienst, sondern der Barmherzigkeit Gottes zu verdanken. Namenlose und grausame Völker haben ganz Gallien besetzt. Alles zwischen den Alpen und den Pyrenäen, zwischen dem Ozean und dem Rhein, haben die Quaden, die Vandalen, die Sarmaten, die Alanen, die Gepiden, die Heruler, die Sachsen, die Burgunder, die Alemannen, und – oh, armes Land! – die Pannonier, unsere Feinde, geplündert. Magontiacum [Mainz], diese einstmals ruhmreiche Stadt, ist eingenommen und dem Erdboden gleichgemacht worden; in ihrer Kirche wurde ein Gemetzel von Tausenden und Abertausenden angerichtet. (…). Die Provinzen Aquitanien, Novempopulana, Lugdunum [Lyon] und die Narbo Martius [Narbonne] wurden vollständig dem Erdboden gleichgemacht (…). Ich kann mich nicht an Tolose[Toulouse] erinnern, ohne in Tränen auszubrechen. Wenn es bis jetzt nicht zerstört wurde, so ist dies den Verdiensten seines heiligen Bischofs Exuperios zu verdanken. Auch Spanien steht kurz davor, den Gnadenstoß zu erhalten (…). Seit einiger Zeit sind die Gebiete zwischen Pontus Eusinus und den Julischen Alpen, die uns gehörten, nicht mehr die unseren; und seit dreißig Jahren, als die Donaugrenze durchbrochen wurde, wird inmitten des Römischen Reiches gekämpft. Trotz des Tränenvergießens haben wir sie alle verloren, indem wir alt wurden“ (Brief 123, 15–16).
Das Schlimmste war noch nicht eingetreten. Der heilige Hieronymus und seine Schüler waren in Bethlehem, als im August 410 ein riesiges Heer von Westgoten, Hunnen, Alanen und Skythen unter der Führung von Alarich vor den Toren Roms eintraf und ohne Widerstand einfiel. Raubzüge, Brände und Massaker verwüsteten eine Stadt, die seit achthundert Jahren nicht mehr vom Feind heimgesucht worden war. Die Nachricht von der Plünderung Roms löste in der ganzen Welt Erstaunen und tiefe Bestürzung aus. Die souveräne Stadt, die ewige Stadt Rom, war der Demütigung durch die Völker ausgesetzt, die sie tausendfach besiegt hatte.
Die Trauerbekundungen, die der heilige Hieronymus angesichts der immer niedergedrückter werdenden Nachrichten vom Fall der ewigen Stadt ausstieß, sind bewegend. „Ich war gerade dabei, Hesekiel zu übersetzen“, erzählt er, “als mich in Palästina die Nachricht von der Einnahme Roms durch Alarich und der barbarischen Verwüstung des Abendlandes erreichte; ich war fassungslos und weinte nur noch. Das strahlendste Licht ist erloschen; das Haupt der Welt ist abgeschnitten, und in der Zerstörung einer Stadt ist das ganze Reich untergegangen. Die Stadt, die alle Völker unterworfen hatte, ist erobert worden; die Stadt, die alle Schätze der Erde gesammelt und angehäuft hatte, ist nun entblößt und auf einen Trümmerhaufen reduziert.“
Und doch, als der Stern des alten Roms verblaßte, leuchtete längst ein neues Licht auf: Es war das christliche Rom, das Rom der Apostel Petrus und Paulus, das Rom, das im Gegensatz zum heidnischen Rom den Jahrhunderten und Jahrtausenden trotzen würde. Das Licht dieses Roms, das nicht verblaßt, erhellt die Welt auch dann noch, wenn sie, wie heute, in Dunkelheit getaucht zu sein scheint. Die moderne Welt scheint dem selbstzerstörerischen Weg des Römischen Reiches zu folgen. Die Kirche von Rom aber ist dazu bestimmt, sich auf den Ruinen der modernen Welt zu behaupten, wie es auch nach dem 5. Jahrhundert geschehen ist.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana