Das Konsistorium 2022: eine große verpaßte Chance

Seit sieben Jahren verhindert Papst Franziskus den offenen und freien Gedankenaustausch im Kardinalskollegium


Seit sieben Jahren verbietet Papst Franziskus den Kardinälen bei Konsistorien einen offenen Austausch zu pflegen. Grund ist ein "Geist der Politik" anstatt des Glaubens, der das derzeitige Pontifikat antreibt.
Kardinal Walter Brandmüller beklagt den Maulkorberlaß von Papst Franziskus für die Kardinäle, die ihn beraten sollten.

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Zwi­schen Gna­de und Natur besteht eine Bezie­hung, die der zwi­schen Glau­ben und Ver­nunft ent­spricht. Es besteht ein Ungleich­ge­wicht, wenn es Glau­ben ohne Ver­nunft oder Gna­de ohne Natur gibt und umge­kehrt, aber das voll­kom­me­ne Gleich­ge­wicht besteht nicht dar­in, die­se Wirk­lich­kei­ten auf die glei­che Stu­fe zu stel­len. Es besteht im Gegen­teil dar­in, sie in ihre legi­ti­me Ord­nung zu brin­gen, indem die Natur der Gna­de unter­ge­ord­net wird, von der erste­re die Vor­aus­set­zung ist, so wie die Vor­aus­set­zung des Glau­bens die Ver­nunft ist, die dem Glau­ben jedoch unter­ge­ord­net ist.

Dies hilft uns zu ver­ste­hen, was „Geist des Glau­bens“ oder „über­na­tür­li­cher Geist“ bedeu­tet, je nach­dem, ob wir uns auf den Vor­rang des Glau­bens vor der Ver­nunft oder der Gna­de vor der Natur bezie­hen. Es bedeu­tet, nicht auf die unver­zicht­ba­re Rol­le von Ver­nunft und Natur zu ver­zich­ten, son­dern alles mit den Augen des Glau­bens zu sehen und selbst das Unmög­li­che vom Wir­ken der Gna­de zu erwarten.

Heu­te ist die­ser Glau­bens­geist im christ­li­chen Volk ver­lo­ren­ge­gan­gen, ange­fan­gen bei sei­nen kirch­li­chen Füh­rern. An die Stel­le des Gei­stes des Glau­bens und des Über­na­tür­li­chen ist der poli­ti­sche Geist getre­ten, mit dem die Chri­sten behaup­ten, die Wirk­lich­keit allein mit der Ver­nunft zu ver­ste­hen und in sie ein­zu­grei­fen, ohne auf das ent­schei­den­de Han­deln der Gna­de zurückzugreifen.

Papst Fran­zis­kus hat wie­der­holt dar­an erin­nert, daß die wah­ren Refor­mer der Kir­che die Hei­li­gen sind, doch sei­ne Her­an­ge­hens­wei­se an die gro­ßen Fra­gen der Welt erscheint immer poli­tisch und daher „welt­lich“ und nicht „über­na­tür­lich“ und von einem Geist des Glau­bens bewegt. Die­ser „poli­ti­sche“ Ansatz beherrsch­te das jüng­ste Kon­si­sto­ri­um, das am 29. und 30. August in Anwe­sen­heit von etwa 180 Kar­di­nä­len im Vati­kan statt­fand und bei dem eine gro­ße Chan­ce ver­tan wur­de, die schwer­wie­gen­den Pro­ble­me anzu­ge­hen, unter denen die Kir­che heu­te lei­det. Im Mit­tel­punkt des Tref­fens der Kar­di­nä­le stand offi­zi­ell die Reform der Kurie, die in der neu­en Apo­sto­li­schen Kon­sti­tu­ti­on Prae­di­ca­te Evan­ge­li­um vor­ge­schla­gen wird, aber der Papst hat die Kar­di­nä­le dar­an gehin­dert, sich in gemein­sa­mer Sit­zung zu die­sem und ande­ren The­men zu äußern, indem er ihnen, wie man sagen muß, einen Maul­korb ver­paßt hat.

Das Kon­si­sto­ri­um ist eine Zusam­men­kunft des Pap­stes mit den Kar­di­nä­len, die nach dem Codex des kano­ni­schen Rechts (Kano­nes 349–359) sei­ne ersten Bera­ter sind. Seit min­de­stens sie­ben Jah­ren hat Papst Fran­zis­kus den Kar­di­nä­len nicht erlaubt, bei die­ser fei­er­li­chen Ver­samm­lung das Wort zu ergrei­fen und ihre Mei­nung zu äußern. Alle hat­ten erwar­tet, daß dies bei dem Tref­fen Ende August gesche­hen wür­de, aber das Kon­si­sto­ri­um wur­de auf Geheiß des Pap­stes in Sprach­grup­pen zer­split­tert, was die Kar­di­nä­le lähmt und den offe­nen und direk­ten Dia­log ver­hin­dert, der zuletzt im Febru­ar 2014 statt­ge­fun­den hat.
An die­se Wahr­heit erin­nert uns ein bedeu­ten­der Kar­di­nal und gro­ßer Histo­ri­ker, Kar­di­nal Wal­ter Brand­mül­ler, des­sen Stim­me, die man im Kon­si­sto­ri­ums­saal nicht hören durf­te, außer­halb des Saa­les wider­hallt. Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster hat es uns ermög­licht, sie ken­nen­zu­ler­nen, indem er die Rede ver­öf­fent­lich­te, die der Kar­di­nal vor­be­rei­tet hat­te, aber nicht hal­ten durfte.

Kar­di­nal Brand­mül­ler erin­nert in sei­nem Doku­ment an die im Kir­chen­recht ver­an­ker­te Funk­ti­on der Kar­di­nä­le, die in der Anti­ke ihren sym­bo­li­schen Aus­druck im Ritus der „ape­ri­tio oris“, der Öff­nung des Mun­des, fand. Ein Ritus, erklär­te der Kar­di­nal, der „die Pflicht bedeu­te­te, sei­ne Über­zeu­gung, sei­nen Rat offen aus­zu­spre­chen, beson­ders im Kon­si­sto­ri­um. Die­se Offen­heit – Papst Fran­zis­kus spricht von ‚par­r­he­sía‘ – war dem Apo­stel Pau­lus beson­ders wich­tig. Im Moment ist die­se Offen­heit lei­der durch ein selt­sa­mes Schwei­gen ersetzt wor­den. Die ande­re Zere­mo­nie des Mund­schlus­ses, die auf die ‚ape­ri­tio oris‘ folg­te, bezog sich nicht auf Glau­bens- und Sit­ten­wahr­hei­ten, son­dern auf Amts­ge­heim­nis­se“.

„Heu­te jedoch“, füg­te Kar­di­nal Brand­mül­ler hin­zu, „soll­ten wir das Recht, ja die Pflicht der Kar­di­nä­le beto­nen, sich klar und offen zu äußern, gera­de wenn es um die Wahr­hei­ten des Glau­bens und der Moral, das ‚bonum com­mu­ne‘ der Kir­che, geht. Die Erfah­run­gen der letz­ten Jah­re waren ganz anders. In den Kon­si­sto­ri­en – die fast nur für die Hei­lig­spre­chungs­pro­zes­se ein­be­ru­fen wur­den – wur­den Kar­ten ver­teilt, um um das Wort zu bit­ten, und natür­lich folg­ten spon­ta­ne Inter­ven­tio­nen zu jedem belie­bi­gen The­ma, und das war’s. Es gab nie eine Debat­te, einen Aus­tausch von Argu­men­ten zu einem bestimm­ten The­ma. Offen­sicht­lich ein völ­lig unnüt­zes Ver­fah­ren“, obwohl der Pri­mat des Nach­fol­gers Petri kei­nes­wegs „einen brü­der­li­chen Dia­log mit den Kar­di­nä­len aus­schließt, die ver­pflich­tet sind, mit dem Papst gewis­sen­haft zusam­men­zu­ar­bei­ten“ (can. 356). Je schwer­wie­gen­der und dring­li­cher die Pro­ble­me der pasto­ra­len Lei­tung sind, desto not­wen­di­ger ist die Betei­li­gung des Kardinalskollegiums“.

Der Kar­di­nal, der Kir­chen­hi­sto­ri­ker ist, fährt fort:

„Als Coele­stin V. im Jahr 1294, als er die beson­de­ren Umstän­de sei­ner Wahl erkann­te, auf das Papst­tum ver­zich­ten woll­te, tat er dies nach inten­si­ven Gesprä­chen und mit Zustim­mung sei­ner Wäh­ler. Eine völ­lig ande­re Auf­fas­sung von der Bezie­hung zwi­schen Papst und Kar­di­nä­len ver­trat Bene­dikt XVI., der – ein ein­ma­li­ger Fall in der Geschich­te – ohne Wis­sen des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums, das ihn gewählt hat­te, aus per­sön­li­chen Grün­den auf das Papst­amt ver­zich­te­te. Bis Paul VI., der die Zahl der Wahl­män­ner auf 120 erhöh­te, gab es nur 70 Wahl­män­ner. Die­se Ver­grö­ße­rung des Wahl­kol­le­gi­ums auf fast das Dop­pel­te war durch die Absicht moti­viert, der Hier­ar­chie der von Rom weit ent­fern­ten Län­der zu ent­spre­chen und die­se Kir­chen mit dem römi­schen Pur­pur zu ehren. Die unver­meid­li­che Fol­ge war, daß Kar­di­nä­le ein­ge­setzt wur­den, die kei­ne Erfah­rung mit der römi­schen Kurie und damit mit den Pro­ble­men der pasto­ra­len Lei­tung der Welt­kir­che hat­ten. Das alles hat schwer­wie­gen­de Fol­gen, wenn die­se Kar­di­nä­le aus der Peri­phe­rie zur Wahl eines neu­en Pap­stes auf­ge­ru­fen sind.“

Der­zeit ist es so, daß:

„(…) vie­le, wenn nicht sogar die Mehr­heit der Wäh­ler sich nicht ken­nen. Den­noch sind sie da, um den Papst zu wäh­len, einen von ihnen. Es liegt auf der Hand, daß die­se Situa­ti­on es Ope­ra­tio­nen der Kar­di­nals­grup­pen oder ‑klas­sen erleich­tert, einen ihrer Kan­di­da­ten zu bevor­zu­gen. In die­ser Situa­ti­on kann man die Gefahr der Simo­nie in ihren ver­schie­de­nen For­men nicht ausschließen.“

Das Doku­ment des Kar­di­nals schließt mit einem Vorschlag:

„Schließ­lich scheint mir, daß die Idee, das Stimm­recht im Kon­kla­ve zum Bei­spiel auf die in Rom resi­die­ren­den Kar­di­nä­le zu beschrän­ken, ernst­haf­te Über­le­gun­gen ver­dient, wäh­rend die ande­ren Kar­di­nä­le den ‚Sta­tus‘ der über acht­zig­jäh­ri­gen Kar­di­nä­le tei­len könnten.“

Kla­re, unmiß­ver­ständ­li­che Wor­te, die das gesam­te Kar­di­nals­kol­le­gi­um zum Nach­den­ken brin­gen sollten.

Die Wei­ge­rung von Papst Fran­zis­kus, den Kar­di­nä­len das Wort zu ertei­len, ist auf die poli­ti­sche und welt­li­che Per­spek­ti­ve sei­nes Pon­ti­fi­kats zurück­zu­füh­ren. Er fürch­tet, daß eine freie und offe­ne Dis­kus­si­on die Aus­übung sei­ner Macht schwä­chen könn­te, da er sich nicht bewußt ist, daß die Wahr­heit der Kir­che und den ihr unter­stell­ten See­len nie­mals scha­den kann. Der Geist des Glau­bens, der dem Geist der Poli­tik ent­ge­gen­ge­setzt ist, besteht gera­de dar­in, in allen Din­gen das zu suchen, was am höch­sten und erha­ben­sten ist, was der Ehre Got­tes und dem Wohl der See­len am mei­sten ent­spricht, indem man sich stets nach den Gebo­ten des Evan­ge­li­ums richtet.

Die Alter­na­ti­ve ist die zwi­schen der Wahr­heit des Evan­ge­li­ums und der Macht der Welt. Die Wahr­heit des Evan­ge­li­ums zu ver­kün­den bedeu­tet nicht, über Ein­wan­de­rung oder den Kli­ma­not­stand zu spre­chen, son­dern über die Novi­s­si­ma – Tod, Gericht, Him­mel und Höl­le – und die gött­li­che Vor­se­hung, die alle Ereig­nis­se des geschaf­fe­nen Uni­ver­sums regelt. Das Evan­ge­li­um zu ver­kün­den bedeu­tet, mit der Stim­me der Kir­che die Sün­de zu ver­ur­tei­len, ins­be­son­de­re die öffent­li­che Sün­de, an erster Stel­le die Abtrei­bung und die LGBT-Dok­tri­nen, die von der Welt als „bür­ger­recht­li­che Errun­gen­schaf­ten“ betrach­tet wer­den. Es bedeu­tet, von der Hei­lig­keit und nicht von der Syn­oda­li­tät zu spre­chen, denn von der Hei­lig­keit und nicht von den poli­ti­schen Mecha­nis­men geht die not­wen­di­ge Reform (Erneue­rung) im Inne­ren der Kir­che aus: eine Erneue­rung der Men­schen, die sie bil­den, und nicht ihrer gött­li­chen und unver­än­der­li­chen Verfassung.

Nun hat sich ein Man­tel des Schwei­gens über das Kon­si­sto­ri­um gelegt. Und das Schwei­gen derer, die spre­chen soll­ten, ist die größ­te Stra­fe, die unser Herr sei­ner Kir­che auf­er­le­gen kann.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017 und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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