
(Washington) Im Repräsentantenhaus des US-Kongresses wurde die Resolution 6090 beschlossen. Dabei handelt es sich um eine Ad-hoc-Maßnahme, die sich eignet, um pro-palästinensische Demonstrationen, die derzeit an zahlreichen Universitäten in den USA stattfinden, abwürgen zu können. Ad-hoc-Maßnahmen sind ein Machtinstrument, waren aber selten ein probates Mittel in der Politik. Das zeigt sich auch an diesem Beispiel.
Der Gesetzentwurf könnte die Handhabe liefern, unter dem Vorwand der Antisemitismus-Bekämpfung, eine ganze Lawine von Maßnahmen loszutreten, um die Grund- und Freiheitsrechte einzuschränken. Ein Opfer solcher Maßnahmen könnten, neben vielen anderen, auch die Christen und das Neue Testament werden.
Der Gesetzentwurf, von dem katholischen republikanischen Abgeordneten Michael Lawler aus New York am 26. Oktober 2023, also wenige Tage nach dem Hamas-Angriff auf Israel, eingebracht und von pro-zionistischen Abgeordneten kräftig applaudiert, würde beispielsweise das Kapitel VI des Bürgerrechtsgesetzes von 1964 ändern, das es Bildungseinrichtungen verbietet, aufgrund der Rasse oder der nationalen Herkunft zu diskriminieren, um – wie es ausdrücklich heißt –, die Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für das Gedenken an den Holocaust (IHRA) „bei der Anwendung des föderalen Antidiskriminierungsgesetzes zu berücksichtigen“.
„Und genau hier wird es sehr beunruhigend“, so Pierre-Alain Depauw vom französischen Pressedienst Medias Presse.
Der Gesetzentwurf sieht die Kodifizierung der Antisemitismusdefinition der IHRA in einem Bundesgesetz vor. Diese Definition lautet wie folgt:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich in Haß gegenüber Juden äußern kann. Die rhetorischen und physischen Erscheinungsformen des Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen Einrichtung der jüdischen Gemeinschaft und religiöse Einrichtungen.“
Beispiele für „Äußerungen“ von Antisemitismus sind laut IHRA-Definition unter anderem die „Behauptung, daß die Juden Jesus getötet haben“ oder ganz allgemein „stereotype Behauptungen über die Juden“.
Der konservative Kommentator Ben Shapiro, ein orthodoxer Jude und Absolvent der juristischen Fakultät der Harvard-Universität, erklärte, der Gesetzentwurf sei „offensichtlich verfassungswidrig“. Er warnte davor, daß der Gesetzentwurf gegen Christen und das Neue Testament verwendet werden könnte. Wenn nicht sofort, dann in der Zukunft. Der Gesetzentwurf stoße die Tür dazu auf.

Auch andere Konservative warnten vor dieser Gefahr. „Hat das Repräsentantenhaus einfach Teile der Bibel für illegal erklärt?“, schrieb Charlie Kirk, die Vorsitzende von Turning Point USA, auf X. „Ja, das Neue Testament“, antwortete Tucker Carlson, einer der weltweit bekanntesten Journalisten.
Auch Michael Knowles, Kolumnist des Daily Wire, räumte ein, daß der Gesetzentwurf das Neue Testament unter Strafe stellen könnte.
Matt Walsh vom Daily Wire kritisierte die Unschärfe des Gesetzentwurfs, der jegliche Kritik an der israelischen Politik unter Strafe stellen würde. Insgesamt wird diskutiert, welchen Sinn und Zweck es habe, jede Kritik an Israel und seiner Politik verbieten zu wollen, und welche Auswirkungen ein solches einseitiges Verbot auf die Grund- und Freiheitsrechte der US-Amerikaner haben könnte. Walsh wörtlich auf X:
„Die große Mehrheit der Republikaner hat gerade für einen Gesetzentwurf gestimmt, der Kritik an der israelischen Regierung unter Strafe stellen soll. Wenn der Gesetzentwurf verabschiedet wird, machen Sie sich der Haßrede schuldig, wenn Sie der israelischen Regierung vorwerfen, ‚mit zweierlei Maß zu messen‘, oder sie des Völkermords beschuldigen. Ganz ehrlich, das ist einer der verrücktesten Gesetzesentwürfe, den ich je gesehen habe.“
Insgesamt stellt sich die Frage, auf welche rechtlichen, politischen und psychologischen Abwege Ad-hoc-Gesetze und sogenannte Anti-Diskriminierungs-Maßnahmen führen, die eine Minderheit privilegieren, wo das geltende Strafrecht ausreichen würde. Die Folge ist echte Diskriminierung im Namen der Anti-Diskriminierung und einer Minderheit. Und schnell kommen sich in einem Staat, der auf diese Weise in eine Vielzahl von „Minderheiten“ zerlegt wird, eben diese „Minderheiten“ gegenseitig in die Quere und es entstehen immer neue Konflikte. Die Grund- und Freiheitsrechte in einem Staat, wie er sich heute selbst definiert, haben nicht zur Diskussion zu stehen.
Auch der Antisemitismus-Gesetzentwurf in den USA will unter dem Vorwand der Antisemitismus-Bekämpfung in Wirklichkeit eine einseitige politische Sichtweise des Nahost-Konflikts durchsetzen. Deshalb werden an den US-Universitäten auch Juden verhaftet, die für Friedensinitiativen demonstrieren.
Die politische Bereitschaft zu freiheitsfeindlichen Sondergesetzen läßt erschrecken. Selbst wenn das Gesetz derzeit in bezug auf die Christen toter Buchstabe bleiben sollte, könnte es in Zukunft unter anderen Umständen gegen sie angewandt werden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons