
Von Paolo M. Siano*
- Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 1)
- Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 2)
- Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 3)
- Die Loge Propaganda 2 zwischen Geheimdiensten und Esoterik (Teil 4)
10. Esoterik, Freimaurerei, Licio Gelli
Im Jahr 2007 erklärte Licio Gelli in einem Interview mit dem Journalisten Ferruccio Pinotti, daß er 1959 der Freimaurerei im Großorient von Italien beigetreten sei. Ferruccio Pinotti und dem ehemaligen Staatspräsidenten Francesco Cossiga zufolge war Gelli jedoch bereits um 1946 Freimaurer, sicherlich schon unmittelbar nach Kriegsende.1
Unter den von der parlamentarischen P2-Untersuchungskommission beschlagnahmten und gesammelten Unterlagen befindet sich eine Kopie der „Alten Pflichten – Konstitution – Reglement des Großorients von Italien – Palazzo Giustiniani“, Rom 1977 (131 Seiten). In der Konstitution heißt es in Artikel 2, daß sich die Freimaurerei der „Italienischen Gemeinschaft“ (Großorient) „unter dem Initiationszeichen A.·.G.·.D.·.G.·.A.·.D.·.U.·. versammelt.“ (S. 11). Artikel 3 legt fest, daß der Großorient von Italien „[…] der Esoterik in der Lehre und dem Symbolismus in der operativen Kunst folgt“ (S. 11). Artikel 147 der Ordensregeln bezieht sich auf die mindestens einmal jährlich in der Loge stattfindende Inspektion durch den Ordensrat, der unter anderem feststellt: „h) den Anteil, der der esoterischen und symbolischen Unterweisung der Brüder in jedem der drei Grade, unabhängig von den in den Einweihungszeremonien erteilten Unterweisungen, zukommt; die Vollständigkeit und Wirksamkeit dieser Unterweisungen“ (S. 91).
Kurzum, die Esoterik gehört zum Wesen der italienischen Freimaurerei des Großorients und Licio Gelli war ihr treuer Hüter und Förderer, wie aus einigen seiner Schriften hervorgeht.
10.1 Mit Luzifer sprechen… die Einheit der Gegensätze… Gott und Satan

1959 veröffentlichte der Verlag Ripaoni in Pistoia die Gedichtsammlung von Licio Gelli „Luce di Stelle Alpine“ („Edelweiß-Lichter“), die 1971 in einer zweiten Auflage im Verlag Gino Sansoni in Mailand erneut herausgegeben wurde. Ich erwähne die zweite Auflage, weil sie von besonderer Bedeutung ist, denn 1971 war Licio Gelli Freimaurermeister des Großorients von Italien – Palazzo Giustiniani sowie Organisationssekretär der Loge Propaganda 2 (P2), damals eine reguläre Loge unter der Obödienz des Großorients.
In „Edelweiß-Lichter“ gibt es einige Gedichte, die auf ein initiatorisches und esoterisches Denken hinweisen. Im vorletzten Gedicht, „Der gefallene Engel“, wendet sich Gelli an Luzifer. Ich werde nur einige Passagen zitieren:
„Du warst der Fürst der Engelscharen, / Gottes Liebling, und du rebelliertest / aus einer Geste des Stolzes: stark / deiner Schönheit, der Reihen der Engel, / deiner Anhänger, unfähig, / das Licht Gottes zu verstehen, du, der du schon Licht warst, / sogar dem Namen nach, Luzifer, / führtest die Rebellion gegen den Schöpfer an. / Es waren Momente des Feuers und des Schmerzes, / […]. Deine weißen Flügel wurden / schwarz, wie die der Fledermäuse, / dein goldenes Haar wurde dunkel / wie Pech. Und dein Blick des Lichts / wurde finster. Das war dein Zeichen des Bösen.“
Und weiter, immer an Luzifer gerichtet:
„Wie sehr hast du gelitten? Du hattest / Gott gesehen und geliebt: wieviel Schmerz, ihn wegen / einer Geste des Stolzes verloren zu haben. Das Paradies hast du verloren, / aber die Welt, deren Fürst du bist, hast du erobert: / Und den Menschen, das göttliche Geschöpf, hast du verführt / im irdischen Paradies, verwandelt in eine Schlange / um den Baum der Erkenntnis / von Gut und Böse. […]“ (S. 105–106).
Etwas weiter schreibt Gelli:
„Dann die Verführung / Adams, der von dem verbotenen Apfel aß, / auf Evas Drängen hin. Du hattest deinen / Sieg, Luzifer: Der Mensch war verurteilt zu / Krankheit und Tod, zum Leiden / jeden Tag. Und du wurdest mehr und mehr / der Herr. Auf der Erde schleicht / noch immer die alte Schlange, mit einer Spur des Bösen“ (S. 106).
Auf „Der gefallene Engel“ folgt das letzte Gedicht des Bandes mit dem Titel „Das Weiße und das Schwarze“, das ganz von esoterischen Ideen durchdrungen ist, insbesondere von der Lehre von der Einheit der Gegensätze oder dem „Gesetz der Gegensätze“:
„Licht und Dunkelheit, Trauer / und Freude, Haß und Liebe, männlich / und weiblich, Sonne und Mond: / hier, im Leben, das Weiße und das Schwarze. / […] ohne Dunkelheit / würden wir das Licht nicht kennen, ohne / das Männliche würden wir das Weibliche nicht kennen, / ohne Haß würden wir die Liebe nicht kennen, / ohne die Sonne und ihr Licht würden wir den Mond nicht / sehen. Ohne Weiß / gäbe es nur Schwarz? Das Leben sagt uns, / daß es ohne das Böse kein Gutes gibt, / ohne Satan gäbe es keinen Gott, / und Satan, […] ist / der erste der Gläubigen, denn als / er Luzifer war, sah er Gott. Und heute / ist sein Haß der Verlust des Lichts / des Herrn. Aber glaube nicht […], daß alles in Licht und Finsternis geteilt ist, / im Licht ist ein wenig Finsternis, / im Männlichen ist ein wenig Weibliches, / im Haß ist ein wenig Liebe, / und umgekehrt“ (S. 107).
10.2 Templer & Gnosis. Über Mephistopheles zu Gott gelangen…

1991 veröffentlichte der Verlag La Rosa in Crescentino (Provinz Vercelli) das Buch „Racconti e Storie“ („Erzählungen und Geschichten“) von Licio Gelli. Die Beschreibung auf der ersten und zweiten Klappe des Schutzumschlags lobt Gelli in den höchsten Tönen, wobei seine faschistische und deutschfreundliche Vergangenheit ausdrücklich erwähnt wird. Auf der ersten Klappe steht, daß Licio Gelli „selbst von den Mächtigsten gefürchtet“ ist. Auf der zweiten Klappe wird Gelli als „Freund der Staatschefs“ bezeichnet.
Im Kapitel „Die Rache der Templer“ ist Gelli davon überzeugt, daß die Tempelritter gnostische Lehren vertraten: „Die Stärke der Templer war sicherlich auf esoterische und initiatische Komponenten zurückzuführen. Der Großmeister mußte der Tradition nach Analphabet sein, und so war es auch, bis Jacques De Molay, während die Adepten die geheimen Texte kannten, sich mit den gnostischen Sekten und sogar mit denen der esoterischen islamischen Zirkel auseinandersetzte, insbesondere mit der Sekte der Haschaschinis, deren Anführer der Alte Mann vom Berg war. Es sollte sofort klargestellt werden, daß die Ableitung des Namens Haschaschinis von der Haschischpflanze, die die gleichnamige Droge liefert, eine Legende ist“ (S. 91).2
In der Erzählung „Die verlorene Zeit“ über das Alter und den Wunsch nach Unsterblichkeit, ohne zu altern, zitiert Gelli Goethes Faust. Faust schließt einen Pakt mit dem Teufel Mephistopheles, um jung zu bleiben. Gelli kommentiert dies in Anspielung auf seine esoterischen Überzeugungen: „Faust, Esoteriker und großer Eingeweihter, schließt den berühmten Pakt mit dem Teufel. Im Tausch gegen die Jugend bietet er seine Seele an und wird zufriedengestellt. […] Bei der Abrechnung erwiderte Faust, daß er nicht um die Jugend als solche, sondern als Zeit gebeten habe. Zeit, um die Wahrheit zu suchen, um seine Aufgaben zu erfüllen, die alle in eine Richtung gehen: Gott, das Gute und das Weiße zu erreichen, durch das Durchdringen des Bösen und Schwarzen, Satans. Denn ohne Dunkelheit kann es kein Licht geben, ohne das Männliche gibt es kein Weibliches, ohne das Falsche gibt es kein Wahres. Faust hat Mephistopheles getäuscht und ist zu Gott gelangt, nicht durch Mystik, sondern auf dem Initiationsweg, indem er in die Dunkelheit seines Feindes, des Satans, eintauchte. Und so wird er gerettet. Er hat das getan, was man in der Esoterik den trockenen Weg nennt“ (S. 185).
10.3 „Männer des Himmels“: der mystische Tod, Luzifer…
1994 veröffentlicht der Verlag Giuseppe Laterza in Bari die zweite überarbeitete Auflage des Buches „Uomini dal Cielo“ („Männer des Himmels“) von Licio Gelli (1. Auflage: 1946).**

Gelli preist das Fallschirmspringen als kämpferische und spirituelle Kunst. Das Titelbild des Buches zeigt einen völlig nackten jungen Mann mit einer dunklen Brille (Gelli als junger Mann?), der ohne Fallschirm durch den Himmel fliegt, gestützt vom Tod, einem menschlichen Skelett mit schwarzen Flügeln. Mit seiner rechten Hand hält der Skelett-Tod die rechte Hand des jungen Mannes erhoben, bereit, mit einem Dolch mit langer Klinge zuzustechen. Mit der linken Hand zeigt der Skelett-Tod dem nackten Jüngling die zu treffenden Ziele auf der Erde an. Im Hintergrund des Himmels kann man Flugzeuge und andere Fallschirmspringer sehen. Der Fallschirmspringer, jung und nackt, wird also vom Tod begleitet, er fliegt mit den Flügeln des Todes, er ist der Mann des Todes! Das ist die erste Botschaft, die aus dem Titelbild deutlich hervorgeht.
Zum Thema „das Fliegen im Mythos“ erwähnt Gelli verschiedene Figuren, die es wagten zu fliegen und höhere Mächte herauszufordern (Gott, die Götter, Jupiter, die Sonne…) und die vom Himmel auf die Erde stürzten, Figuren, die alle den Stolz des Menschen repräsentieren: „Luzifer, der rebellische Engel“, der sich mit Fledermausflügeln vom Himmel stürzt (vgl. S. 19f) und und dann Ikarus, Prometheus (vgl. S. 20), Phaeton (vgl. S. 21f). Gelli vergleicht die jungen Fallschirmspringer mit den Helden der antiken griechischen Mythologie: „Achilles, Patroklos, Ajax, Odysseus, Hektor, Paris“ (S. 50). Gelli sieht in der Schule der Fallschirmspringer „etwas Heiliges und Magisches“, das er mit der alchemistischen Wiedergeburt vergleicht (vgl. S. 50)… Gelli vergleicht den Fallschirmspringer mit dem Ritter, der aus dem heiligen Gralskelch trinkt, „aus dem der Mensch wie ein Gott wird und alles Wissen und alle Wahrheit in sich aufnimmt“ (S. 51)… Der Fallschirmspringer vollzieht eine Art mystischen Tod („mors mistica“: S. 51).
11. Pier Carpi, 3.·., zwischen Großorient, P2, Bruni-Gruppe, Theosophie, Esoterik
Pier Carpi (1940–2000), Karikaturist, Schriftsteller und Regisseur aus Reggio Emilia, war ein großer Freund von Licio Gelli, arbeitete mit P2-Männern zusammen, sein Name erscheint in der berühmten Liste der Mitglieder der P2-Loge. Carpi war auch Mitglied der Theosophischen Gesellschaft, ein Freund von Edoardo Bratina, Generalsekretär der Italienischen Theosophischen Gesellschaft von 1974 bis 1995. Anfang der 1990er Jahre gründete Carpi in der Nähe von Reggio Emilia eine theosophische Gruppe, die er leitete.

Ich möchte auf einige freimaurerische Dokumente hinweisen, die von der parlamentarischen Untersuchungskommission zur Freimaurerloge P2 beschlagnahmt wurden und aus denen die Zugehörigkeit Pier Carpis zur Freimaurerei eindeutig hervorgeht. Am 23. Januar 1967 ist Pier Carpi Freimaurer (2. Grad) der Loge Ausonia in Mailand in der Großloge von Italien.3
In einem Informationsblatt des Großorients von Italien vom 3. Juni 1969, gerichtet an „Erw. Br. Pier Carpi“, über den 3. Grad: „[…] Sie wurden in den Grad des Meisters erhoben durch einen Tod, der die Bedingung für die Wiedergeburt war. Sie haben die Akazie kennengelernt und sind zum Verwahrer der erhabenen Legende von Hiram geworden, dem Grundpfeiler unserer gesamten symbolischen Lehre“.4
In dieser Broschüre wird „Bruder“ Carpi darüber informiert, daß er als Freimaurermeister einer der damals vom Großorient in Italien anerkannten rituellen Freimaurerkörperschaften angehören kann, nämlich: dem Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, dem Italienischen Symbolischen Ritus und dem Royal Arch (vgl. S. 315).
Laut der 1981 von der Finanzwache beschlagnahmten P2-Mitgliederliste war Pier Carpi seit dem 1. Januar 1977 mit der Mitgliedskarte 1699 in der Loge Propaganda 2 (P2) eingeschrieben und hatte die Mitgliedsbeiträge für 1977 und 1978 entrichtet.5
Aber der Name „Pier Carpi, geboren in Scandiano (R.E.) am 16/01/1940, Regisseur“ erscheint zuerst mit dem „Wohnsitz“ Mailand, Via Fiordalisi 6, und dann mit der neuen Adresse S. Ilario d’Enza (Reggio Emilia), bereits in der P2-Mitgliederliste vom Dezember 1974, die im Oktober 1976 vom damaligen Großmeister Lino Salvini (Großorient von Italien) der Staatsanwaltschaft Florenz übergeben wurde.6
Die Loge P2 war in etwa 17 Gruppen (also 17 Listen) unterteilt, die jeweils einen Gruppenleiter hatten. Die Zentralgruppe der Loge P2 wurde direkt von Licio Gelli geleitet. In der Liste der Gruppe Nr. 13 unter dem Vorsitz des Polizeigenerals a. D. Vittorio Lipari (3. Grad, P2, wohnhaft in Bologna) ist auch der Name von Pier Carpi aufgeführt: Via Mazzini 12, S. Ilario d’Enza (RE), „3°“, Freimaurer-Grad, Mitgliedsnummer 1699 (Ablaufdatum 31.12.1980), Beitragszahlungen für die Jahre 1977 und 1978.7
11.1 Vorstellungen von Gnosis und Sexualmagie…
In den Protokollen der parlamentarischen Untersuchungskommission zur Loge P2 finden sich auch Abschriften von Telefonabhörungen, die von den Carabinieri aus Reggio Emilia gegen Pier Carpi durchgeführt wurden. Am 30. August 1983 spricht Pier Carpi mit dem Freimaurer Dario Bernazza [Großloge von Italien des Großmeisters Fausto Brunis 33°]. Beide sind sich einig, daß das von Fausto Bruni „Souveräner Großkomtur des Schottischen Ritus“ (AASR) befürwortete Reformprojekt (ihre) Freimaurerei in Zukunft zahlreicher und einflußreicher in der Gesellschaft machen wird.8 Bernazza und Carpi sind sich einig, daß „Parapsychologie“ und „Spiritismus“ ein „Hobby“ „vieler Brüder“ der Freimaurer sind (vgl. S. 425f).
Am selben 30. August 1983 rief Piero Carpi auch Guido Crapanzano (wohnhaft in Mailand) an und teilte ihm mit, daß Fausto Bruni („Großmeister des Schottischen Ritus“, „Großmeister der Piazza del Gesù“) sie für Ende September zu einem Kongreß in Rom zur „Neugründung der Freimaurerei“ eingeladen habe.9 Unter anderem stimmen Pier Carpi und Guido Crapanzano ernsthaft („aber ich scherze nicht“, „an sich ist es wahr“, „dieser Diskurs hat seine eigene Grundlage […] der Realität“) über den gnostischen und sexualmagischen Glauben überein, daß das „Wissen auf esoterischer Ebene“ [Carpi] „durch den Penis“ [Carpi], „durch das Sperma“ [Crapanzano] übertragbar ist.10
11.2 Der Roman und der Film „Un’ombra nell’ombra“: die Magie, das Androgyne, der Teufel
1974 veröffentlichte Pier Carpi den Roman „Un’ombra nell’ombra“ („Ein Schatten im Schatten“), Verlag Nord, Mailand, aus dem 1979 der gleichnamige Film entstand, dessen Thema und Drehbuch von Pier Carpi selbst stammt, der auch Regie führte. Der Roman und der Film zeigen die große Leidenschaft von Pier Carpi, einem Freimaurer und P2-Mitglied, für Esoterik, Magie, den Teufel…

Der Roman schildert die konfliktreiche Beziehung zwischen Carlotta (einer Frau, die einem Hexenzirkel angehört, d. h. die „weiße Magie“ praktiziert) und ihrer Tochter Daria (die stolz darauf ist, mit der Macht des Bösen verbunden zu sein). Es ist ein Kampf zwischen Mutter und Tochter, zwischen weißer Magie (Carlotta) und schwarzer Magie (Daria), und am Ende provoziert Daria absichtlich den Tod ihrer Mutter, indem sie Carlottas Talisman, eine lebende Fliege, die den Teufel „verkörpert“, mit einer Nadel durchsticht…
Carlotta ist mit Raffaella, einer Prostituierten, befreundet; beide sind Mitglieder eines Hexenzirkels. Raffaella ist in Wirklichkeit ein „Androgyne“ oder Hermaphrodit (vgl. S. 109).
Auch Carlotta, eine „weiße“ Zauberin, beschwört einen Dämon, „Azoth“ (vgl. S. 154), und versucht, Gegensätze zu versöhnen, wenn sie in einem Ritual sagt: „Dunkelheit und Licht, Nacht und Tag, männlich und weiblich, gut und böse, nichts und alles, Leben und Tod sollen vereint werden“ (S. 170).
Was den Film „Ein Schatten im Schatten“ (1979) betrifft, so möchte ich nur auf einige Elemente hinweisen, die im Roman nicht vorkommen. In dem Film erteilt ein „Professor“ verschiedenen Schachschülern anhand des Schachspiels Lektionen in Esoterik. Er lehrt die Notwendigkeit von Schwarz und Weiß… und daß Schwarz notwendiger ist als Weiß… Weiß steht für das Gute, Schwarz für das Böse… Weiß gewinnt nicht unbedingt immer (vgl. Min. 10:50–11:05)… Der Professor erklärt, daß es:
„zwei ewige Prinzipien gibt, die sich seit Anbeginn der Welt gegenüberstehen. Das Weiße, d. h. das Gute, und das Schwarze, d. h. das Böse. Aber gäbe es das Gute, wenn es das Böse nicht gäbe? Natürlich sind wir auf der Seite des Guten. […] Weiß gewinnt nicht unbedingt immer… wenn Schwarz weiß, wie man kämpft“ (vgl. min. 11:07–11:55).
Nachdem er dies gesagt hat, setzt der Professor den weißen König „schachmatt“, „also das Gute“ (vgl. Min. 11:59–12:00). Dann fährt er fort:
„Die beiden Prinzipien Gut und Böse, Schwarz und Weiß bekämpfen sich seit Anbeginn der Welt, seit der Zeit, als die Menschen an den weißen Zarathustra, den guten Gott, und den schwarzen Zarathustra, den bösen Gott, glaubten. Aber wer sagt uns, daß Weiß gut und Schwarz schlecht ist? Der Weiße Gott will den Gehorsam des Menschen und zwingt ihm deshalb Unwissenheit auf. Der Schwarze Gott will dem Menschen Wissen geben, und dafür wird er vom Weißen Gott verdammt wie Prometheus, der dem Menschen das Geheimnis des Feuers verriet“ (Min. 12:07–12:35).
Nach einer Pause, in der er die Schachspieler kontrollieren will, setzt der Professor fort:
„Luzifer heißt der Lichtbringer und hat in Gestalt der Schlange Eva dazu verführt, von der Frucht des Baumes der Erkenntnis zu essen“ (Min. 12:39–12:47).
Der Film endet mit Daria, die sich nach dem Mord an ihrer Mutter in einem Taxi vor dem Petersplatz (Rom) absetzen läßt und bedrohlich in dessen Richtung blickt. Eine Herausforderung für die Kirche und den Papst? Der Film wurde 1979 veröffentlicht. Etwa zwei Jahre später, am 13. Mai 1981, erleidet Johannes Paul II. auf dem Petersplatz das Attentat.
11.3 „Der Teufel“ (1988)
1988 veröffentlichte der Mailänder Verlag Albero das Buch von Pier Carpi „Il Diavolo. I riti. I sabba. Gli esorcismi. Tutti i segreti e i patti satanici“ („Der Teufel. Die Riten. Die Sabbate. Die Exorzismen. Alle Geheimnisse und satanischen Pakte“).
Carpi argumentiert, daß Dämonen nichts anderes sind als leuchtende Gottheiten der vorchristlichen heidnischen Welt, die von den Juden und Christen besiegt wurden, die diese Götter in böse Wesen verwandelten (vgl. S. 12–14)… Nach Carpi war Beelzebul („Herr der Fliegen“) eine wohltätige Gottheit, ebenso wie Belfegor, dessen Name sich von Baal, „Herr des Lebens“, ableiten soll… Und natürlich fehlt nicht der Hinweis, daß „Luzifer“ „Lichtträger“ bedeutet (vgl. S. 13f)…
Ich zitiere verschiedene Passagen von Pier Carpi, in denen wir esoterische Konzepte finden, die bereits in einigen Schriften von Licio Gelli auftauchen: „Wie wir sehen, leiten sich in der jüdisch-christlichen Tradition die Dämonen von den Göttern des Lichts ab. Und selbst das Gleichnis von Luzifer, dem Fürsten der rebellischen Engel, der vom Himmel in die ewigen Flammen der Hölle gestürzt wurde, spricht zu uns von einem Dualismus zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Macht und Revolution, zwischen männlich und weiblich, zwischen schwarz und weiß. Da er der Gott von allem ist, das „Eine“, wie Hermes Trismegistos es definierte, das absolut Gute, ist er sowohl das Gute als auch das Böse. Ohne die Verkörperung des Bösen in dem, was die monotheistischen Religionen Satan, den Widersacher, nennen, gäbe es das Gute nicht. Wie können wir das Licht verstehen, wenn wir die Dunkelheit nicht kennen? Und ohne Gott hätte Satan keinen Grund zu existieren“ (S. 14).
Weiter schreibt Carpi: „Nach dem esoterischen Konzept des Faust-Mythos, das auf der subtilen Ebene authentisch ist, wenn der Engel den Mann und die Frau, Adam und Eva, aus dem irdischen Paradies vertrieben hat, wird es der Teufel sein, der es uns zurückbringt, weil der Mensch durch die Durchdringung und die Erkenntnis des Bösen das Gute und nach dem Sturz in die Dunkelheit das Licht finden wird. Das ist es, was sich in allen großen religiösen Traditionen, in den großen Kunstwerken, in den Werken der Eingeweihten und Adepten des geheimen Wissens wiederholt: […]“ (S. 16).
„Ursprünglich gehörten in den antiken Kulten Gut und Böse, Gott und Teufel, die guten und die bösen Götter zu ein und derselben identischen Gottheit, dem Gott mit den zwei Gesichtern, dem des Guten und dem des Bösen, in einer Art doppelgesichtigem Janus“ (S. 16).
Weiter bekräftigt Carpi, daß das Gute und das Böse in derselben Gottheit sind, daß der Dualismus von Gut und Böse für die Existenz des Universums notwendig ist, daß die Gegensätze das Eine bilden… Pier Carpi berichtet, daß nach Zarathustra Ormuzd (Gott des Guten) und Ahriman (Gott des Bösen) am Ende der Zeit als Verbündete und Brüder zurückkehren und sich versöhnen würden (vgl. S. 22)…
Weiter schreibt Carpi:
„[…] In Wirklichkeit ist, wie wir bereits gesagt haben, Satan das Unbewußte Gottes und Gott das Unbewußte Satans. Und unser Unbewußtes ist nicht Satan, wie es von einer gewissen abenteuerlichen Psychoanalyse gepredigt wurde, sondern es ist Gott und als solcher auch Satan“ (S. 202).
Schlußfolgerungen
Abschließend läßt sich sagen, daß die Figur und das Werk von Licio Gelli in keiner Weise eine Abweichung innerhalb der Freimaurerei darstellt. Im Gegenteil, Licio Gelli war ein echter Freimaurer, der esoterisch geschult war und sich in der „profanen“ Welt engagierte, um den Einfluß seiner regulären Loge P2 und ganz allgemein den der freimaurerischen Kultur zu verbreiten.
Gelli, ein etablierter und kultivierter Schriftsteller, erweist sich auch nach dem Ende der P2 als Liebhaber der Esoterik. Aus seinen Schriften spricht die Leidenschaft und die Zustimmung zu verschiedenen Themen, die für die neognostische und esoterische Kultur typisch sind: das Lob der alten Eingeweihten, der Magier und der Freimaurer; das esoterische Lob der Templer oder vielmehr die Zuschreibung gnostischer und magischer Ideen und Praktiken an die alten Templer; die Notwendigkeit des Bösen, um das Gute zu finden; die Notwendigkeit des Satans für Gott…
In der Loge P2 war Gelli (der als einziger praktisch alles repräsentierte und zusammenfaßte) nicht der einzige Esoterik-Enthusiast. Es gab mindestens einen weiteren Esoteriker und großen Freund von Gelli: Pier Carpi. Sein Roman und sein Film „Un’ombra nell’ombra“ sind von einer Faszination für Magie und Luzifer durchdrungen. In der Monographie „Der Teufel“ macht Pier Carpi seine gnostischen Überzeugungen dann noch deutlicher. Es überrascht mich nicht, daß Carpi, auch in der Zeit nach P2, mit Gelli eine Leidenschaft für die Freimaurerei und die Esoterik teilte und sogar so weit ging, die Figur des Teufels ausdrücklich zu loben. Die Kontakte, Beziehungen oder Doppelmitgliedschaften zwischen Männern der Freimaurerei und Männern der Geheimdienste hörten nicht mit der Zeit von Licio Gelli auf.
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. Durch seine Veröffentlichungen bringt er den Nachweis, daß die Freimaurerei von Anfang an bis heute esoterische und gnostische Elemente enthielt, die ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Wikicommons/Amazon/X (Screenshots)
1 Ferruccio Pinotti: Fratelli d’Italia, BUR, Milano 2007, S. 100, 115.
2 In Wirklichkeit gilt es seit dem Hochmittelalter sowohl aus arabischen wie europäischen Quellen als gesichert, daß sich die Bezeichnung „Assassinen“ vom Haschischkonsum herleitet.
** Mit demselben Titel wurde in Italien das Buch von Walter Gericke über die Waffengattung der Fallschirmjäger veröffentlicht. Gericke war Oberst der Wehrmacht, dann Generalmajor der Bundeswehr (Anm. GN).
3 vgl. Abgeordnetenkammer – Senat der Republik – Neunte Legislaturperiode – Parlamentarischer Untersuchungsausschuß zur Freimaurerloge P2 – Anhänge zum Bericht – Serie II: Von der Kommission gesammelte Dokumente. Band VI. P2 Loge und Freimaurerei, Band XIII, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/6/XIII, Rom 1987, S. 312. Ich zitiere das Werk als CPIP2.
4 CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/6/XIII, Rom 1987, S. 314.
5 vgl. Beweisstück 4/C der am 17. März 1981 in Castiglion Fibocchi durchgeführten Beschlagnahme, Liste von 962 Mitgliedern der Loge P2, veröffentlicht von der „Kommission Sindona“, in CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/7/X, S. 777.
6 vgl. Liste der Mitglieder der Loge P2 vom Dezember 1974, übergeben von Großmeister Lino Salvini im Oktober 1976 an die Staatsanwaltschaft Florenz, in CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/7/X, S. 683, 697.
7 vgl. Gruppe N. 13 = Lipari Gen. Vittorio, in CPIP2, Doc. XXIII Nr. 2‑quater/1/II, Rom 1984, S. 515.
8 vgl. Bericht der Carabinieri-Gruppe von Reggio Emilia vom 10. November 1983, mit beigefügten Abschriften von Telefongesprächen, in CPIP2, Dok. XXIII Nr. 2‑quater/6/XII, Rom 1987, S. 387, 419–422).
9 vgl. S. 387 + Anlage Nr. 11, S. 428.
10 vgl. Anlage Nr. 11, S. 430.