Von Don Michael Gurtner*
Wenn der Herrgott eines Menschen Namen ausruft und über dessen gottgegebenes Leben sein großes Amen spricht, so steht es dem gläubigen Katholiken an, in einer Haltung von Ehrfurcht und Dankbarkeit innezuhalten, die abgeleibte Seele mit Gebeten zu ihrer letzten großen Prüfung, dem Gerichte Gottes, zu begleiten und ihr die Heilsfrüchte des heiligen Meßopfers zukommen zu lassen, damit auf den Karfreitag der Seele auch ihr Ostern erfolge. Die Kirche singt der Seele dazu ein Requiem und bettet die von der Seele getrennte Leibeshülle zu ihrer letzten Ruhestätte in die Erde ein, von wo sie einst auch entnommen: Staube sind wir in unserer materiellen Wirklichkeit, und zu diesem kehrt unser Leib schlußendlich auch zurück.
Im Requiem der klassischen Liturgie, so wie bis vor der letzten Liturgiereform allgemein üblich, wendet die Kirche also all ihr Beten, all ihr Flehen, all ihr Bittgesuch mit ganzer Kraft und vorbehaltslos der Seele des Verstorbenen zu, um die es ja letztlich geht: Kein Gebet wird ihr vorenthalten, alles wird allein ihr zugewendet, jeder Segen, alles Flehen, jedes Gebetsgedächtnis gilt allein ihr. Die Hinterbliebenen, die Freunde und auch die Feinde stehen hinten an, um sie geht es nicht vornehmlich in dieser großen, erhabenen und heiligen Stunde des Gegenübertretens einer Seele mit ihrem Schöpfer: Es geht allein um diese, um ihren Bestand, um ihren Verfall.
Die neue Liturgie hingegen setzt den Akzent deutlich anders, viel horizontaler: In ihr drängen sich die menschliche Trauer der Hinterbliebenen und das Bangen um die Lebenden in den Vordergrund, was ein wenig heilsegoistisch erscheinen mag in Anbetracht dessen, worum es doch im Eigentlichen geht: um das ewige Seelenheil eines Verblichenen.
So darf es uns nicht wundernehmen, daß Seine bischöfliche Gnaden, Exzellenz Vitus Huonder, auch in seiner letzten Willensverfügung für den alten Ritus optiert hat. Diese Entscheidung drückt aus, wie sehr Realist er doch war: Sie weist darauf hin, daß er in dem inwendigen Bewußtsein lebte, der Kirche und ihrer Gebete zu bedürfen, der noch Lebenden und deren frommer Opfer. Das, was manche, die weniger vom Geistlichen her denken, als Exzellenz es zu tun pflegte, als „politisch unkorrekt“ und „kirchlich skandalös“ abtun, ist letztlich das sichere Anzeichen einer reifen Seele, eines demütigen Geistes, dem die Bedürftigkeit der eigenen Seele gewahr ist: Sie selbst bedarf im schauderhaften Gerichtsexamen des Gebetes, des Opfers und aller nur verfügbaren Gnadenmittel der heiligen Mutter Kirche, um jenes letzte große Examen mit Erfolg bestehen zu können.
Wer unbedingt Fehler oder gelegentliche Fehlentscheidungen suchen will im Leben des verschiedenen Bischofs, wird sie ganz gewiß finden: Diese können in keines Menschen Lebenswerk fehlen, da wir alle, wirklich alle, durch Adams Ursünde der Konkupiszenz unterliegen, unsere Seele dadurch korrupt und unser Blick auf die Dinge getrübt ist. Mund und Hände, Denken und Erkennen sind unweigerlich von einer Schwachheit gezeichnet, die auch Auswirkungen auf jene hat, welche die Heilige Schrift unsere „Nächsten“ zu nennen pflegt. Dies ist keine Entschuldigung – aber doch eine Erklärung für unser aller Fehlen, für unsere Unzulänglichkeit und unsere Gebrochenheit, der wir alle unterliegen. Niemand, außer der Allerseligsten, ist hiervon ausgenommen. Gott, der um des Menschen Los weiß, sehe auch Seiner Exzellenz alles Mangelhafte gnädig nach und sei dessen armer Seele ein gerechter Richter und ein findiger Anwalt!
Doch eines ist ebenso gewiß: Das, was böse Zungen und angriffslustige, auf „Klicks“ und Verkaufszahlen versierte Medien als des Bischofs unverzeihliche Fehler auflisteten, waren oftmals in Wirklichkeit nicht dessen Fehler, sondern genau dessen Stärken. Nicht selten sagte man „Huonder“, wenn man eigentlich „Kirche“ meinte, und drosch blindlings und wildlings auf Exzellenz ein, um sich an der katholischen Lehre selbst abzureagieren, da es genau diese war, welche er einforderte.
All das viele Gute in ihm wurde als negativ verkauft, er wurde zur Lieblingszielscheibe, immer gut für unbegabte Journalisten und unkundige Kommentatoren, um doch einmal eine stimmungsmachende Überschrift landen zu können. Unter seinen aller- und allerallerengsten Mit- oder besser Gegenarbeitern fanden sich auch solche, die man mit Fug und Recht als des Bischofs Feinde bezeichnen kann.
Seine Exzellenz war sich dessen voll und ganz bewußt. Doch seine Reaktion darauf? Er liebte sie und tat jenen Gutes, die ihn haßten. Was er kritisierte, waren allenfalls Entscheidungen, Verhalten und Positionen. Niemals jedoch habe ich ihn ein böses oder auch nur abfälliges Wort über jene sagen hören, welche ihm Amt und Leben wirklich schwer zu machen versuchten, welche sich teils auch öffentlich und halböffentlich spöttisch, gehässig und abwertend, ja teils gar verleumderisch über Seine Exzellenz äußerten. Im Gegenteil: Er beließ sie trotzdem in ihren teils hohen Ämtern, was vielleicht nicht immer nachvollziehbar, aber ohne Zweifel großherzig und gutmütig war. Vielleicht manchmal auch gar zu sehr.
Wem die Gnade zuteil wurde, Seine Exzellenz etwas mehr aus der Nähe zu kennen, der wußte genau, daß das Bild, welches die Medien – ganz besonders auch die „kirchlichen“ Medien – von ihm zeichneten, genau das Gegenteil der Realität war. Schrieb man bisweilen, der Bischof schlösse sich im Schlosse ein, so genügte ein flüchtiger Blick auf seine (Auswärts-)Termine, welche auf der Bistumsseite monatlich aufgelistet waren – und es war stets nur ein teilweiser Auszug seiner tatsächlichen Agenda – um klar zu erkennen, daß auch dies nur einmal mehr billige Stimmungsmache gegen einen Unbequemen war, gegen einen Gottesmann, dessen man nicht Herr zu werden vermochte, da er bereits treu in eines anderen Herren Dienste stand.
Was man ihm vorwarf, war letztlich, daß er seine Arbeit im Steinbruch des Herrn ausübte und nicht sich ihrer entzog. Er war des Herren Knecht – und eben nicht Knecht der Herren, wie viele es sich von ihm erwartet hätten. Das distinguierte ihn von den meisten seiner Bischofskollegen, und man verübelte es ihm gar bitter.
Daß er ganz vom lieben Heiland her lebte und ebenso ganz auf ihn hin, zeigte auch unsere vorletzte Begegnung in Wangs, Ende September letzten Jahres, als er eine tiefe Wahrheit und persönliche, innere Sehnsucht in den für ihn so typischen verschmitzten, feinen Humor verpackte, begleitet von seinem charakteristischen, freundlichen Lachen.
Wie es das gesellschaftliche Protokoll erheischt, erkundigte ich mich am Beginn unserer Begegnung nach des Bischofs Wohlbefinden. Seine Antwort war nicht die übliche Standardantwort „Danke, gut und Ihnen?“ die ich mir erwartet hatte, sondern er überraschte mich mit einer sehr unerwarteten, etwas verschmitzten Entgegnung: „Jaaa schlecht geht es mir“ sagte er, lächelte bübisch und hob dabei seine Augenbrauen. Darauf erwiderte ich, etwas verwirrt: „Aber Exzellenz, Ihr habt doch nichts Ernstes, oder!?“ woraufhin er mit einem Lächeln meinte: „Nein, das ist es ja gerade, warum es mir schlecht geht, mir fehlt eben nichts, ich bin viel zu gesund für mein Alter. Mit 81 möchte man doch schon das Ende nahen sehen dürfen, oder nicht?“, wobei er in der für ihn typisch feinen Art und Weise lachte – aber es zugleich wohl doch auch irgendwie ernst meinte. Das ist nur ein Beispiel von vielen, das erkennen läßt: Die Seele von Exzellenz war durch und durch reif, sie war bereit, sie war – vermutlich nicht zuletzt durch die beständige Zelebration des traditionellen römischen Ritus – wie von Gott durchtränkt und durchdrungen, sich nach ihm hin ausstreckend, von ihm genährt. Der schweizerische Distrikt der Piusbruderschaft hat diese Reife mit vollem Recht als eine „schöne Seele“ bezeichnet: Tatsächlich sind das Wahre, das Gute und das Schöne jene göttlichen Grundeigenschaften, nach welchen auch Seine Exzellenz deutlich wahrnehmbar strebte. Kein Wunder, daß eine Seele dadurch auch selbst schön wird!
In diesem Sinne wartete er gewissermaßen nicht darauf abzuleben, aber doch darauf, seine Seele abzuleiben, wie ein alter, viel zu selten gebrauchter Ausdruck so trefflich sagt. So sehr er auch einerseits bis zum Schluß des Lebens froh war und noch Pläne hatte, so sehr wünschte er sich auch abzuleiben: ein wirklich frommer Wunsch, den eine schöne, reife Seele ausmacht.
Auch wenn er noch viel vorhatte und frohen Mutes und Tatendranges für Glaube und Kirche war, so kam er in vielen unserer Gespräche immer wieder auch darauf zu sprechen, wie sehr er an der gegenwärtigen Situation der Kirche litt, am Unglauben in der Kirche, wie schmerzhaft es für ihn sei, deren offensichtlichen Verfall miterleben zu müssen, auch an der Tatsache, daß er keinen Zugang zum Papst mehr hatte, um mit ihm noch einige Dinge, welche ihn bedrängten, zu bereden, er litt an den oft übertriebenen Parteiungen innerhalb der Tradition, die deren Wachstum behindern, und auch darunter, daß die Piusbruderschaft oftmals so arg verleumdet wurde und wird.
In der Priesterbruderschaft St. Pius X. und für sie hat er noch eine Aufgabe gesehen, die ihn davor bewahrte, gänzlich in die „Pension“ abzugleiten, die seinem traditionellen Weiheverständnis widersprach: Das Priestertum war für ihn nicht Beruf, sondern eine Lebensaufgabe. Usque ad mortem. Er verstand sich als ein für die Piusbruderschaft aktiver Bischof: ein Bischof, dessen Aufgabe sich gegenüber jener eines Diözesanbischofs zwar geändert hat, vielleicht auch nicht immer ganz gewollt, jedoch sprach er trotzdem oft dankbar darüber, daß er in der FSSPX noch die Möglichkeit hat, aktiv priesterlich und auch bischöflich zu wirken. Die Fronleichnamsprozession im österreichischen Jaidhof war die schönste Prozession seines Lebens, sagte er einmal, und nach der Kirchweihe in Oberriet vor ein paar Monaten meinte er ein wenig traurig:
„Was hat man uns nicht alles genommen!“
Oft sagte er, daß er sich für sein Bistum ein Seminar wie jenes in Zaitzkofen oder eine Schule wie in Wangs gewünscht hätte. Und wie oft unterstrich er zu Recht, daß die FSSPX einfach ganz normal katholisch ist – römisch-katholisch!
Dabei ging es ihm nicht darum, daß alle Priester nun in die Piusbruderschaft eintreten müssen: Es ging ihm aber sehr wohl darum, daß sich ein Priester – jeder Priester! – deren Sichtweise von Liturgie und Lehre aneignen sollte, einfach weil es die Sicht des Katholischen ist und zwar die Fülle des Katholischen, nicht bloß ein beschnittener katholischer Restbestand. Überhaupt hat er sich gegenüber der Piusbruderschaft in unseren Gesprächen immer wieder dankbar und befürwortend geäußert und wollte durch seine Residenz in Wangs besonders eines für alle sichtbar machen: die Piusbruderschaft ist kein seltsamer Club der Unberührbaren, die Piusbrüder sind keine Sekte und keine Schismatiker, die man meiden muß, auch wenn dies manche behaupten, sondern die FSSPX ist einfach nur gut-traditionell katholisch, ein Ort, wo man beruhigt hingehen kann, ohne seine Seele zu schwärzen oder zu verlieren.
„Die Piusbruderschaft ist einfach nur so geblieben, wie die Kirche immer war“, sagte er einmal.
Warum diese Zeilen? Um zweierlei zu sagen: Gönnen wir Seiner bischöflichen Gnaden, Exzellenz Vitus Huonder, die Gnade der Ewigkeit. Seine schöne Seele hat „abgeleibt“, wie er es sich irgendwie auch ersehnte. Und erhalten wir jene Flamme am Leben, die er für und in uns entzündete, vergessen wir niemals seiner im Gebete, tragen wir des Bischofs Erbe frohgemut weiter und machen wir seine Anliegen zu den unsren, je nach Stand und Gnadengaben:
Instaurare omnia in Christo!
Bild: Youtube/Certamen (Screenshot)
Gut gemeint, aber so schwülstig geschrieben, dass es Bischof Huonder nachträglich noch dem Hohn und Spott der linken Medien preisgibt. Nach dem Motto: „Solche Typen, deren Schreibstil das 19. Jahrhundert schlecht kopiert, hat der Huonder geweiht!“ Da ist der Nachruf von Weihbischof Eleganti ungleich besser: https://katholisches.info/2024/04/04/ein-verlaesslicher-diener-der-wahrheit/
Ein wunderschöner Nachruf!
Dass Sie das finden, wundert einen nicht, Hochwürden Dr. Heimerl. Ihr hochw. Confrater Paolo D’Angona wird Ihnen zweifelsohne auch noch beipflichten und sicher noch einige andere.
Vielen Dank an Bischof Eleganti und Hochw. Gurtner für die beiden Nachrufe. Da habe ich sogar Unerwartestes dazugelernt: Das Verb „ableiben“ lässt sich in den geläufigen Wörterbüchern nicht finden, erst im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wurde ich fündig: Ableiben, obire, aus dem Leben gehen, sterben, siehe auch Ableibung, obitus, Ableben, Tod, nach seiner Ableibung.
Ich gebe zu, dass mir diese Wiedergabe, die wohl in der Kirche einmal üblich war, sehr gut gefällt, denn sie ist präziser als ableben/Ableben, denn das Leben geht über den Tod hinaus, während sich im Tod die Seele vom Leib trennt. Vielen Dank.
Er war einer der aufrichtigsten, ehrlichsten Menschen, die ihre Richtung gen Himmel niemals verlassen haben. Er war das perfekte Ebenbild Jesu, der für die Sünder leidete, Spott und Ungerechtigkeit ausharrte und souverän den Tod erlitt.
Ich werde unseren Bischof Vitus Huonder nie vergessen und bete, dass er in der Ewigkeit auch meiner gedenke.
Er war vielen ein Vorbild im Glauben, in der Frömmigkeit und in der Treue zur katholischen Tradition.
R.I.P
Möge Seine hochwürdigste Exzellenz in Frieden ruhen.
S.E. Bischof Huonder war für alle traditionsverbundene Katholiken im deutschsprachigen Raum ein Leuchtturm und glänzendes Vorbild.
Fest im Glauben, treu zur apostolischen Kirche, mit feinem Humor und äusserst couragiert und mutig.
Das Giften und Unterminieren seiner modernistischen Gegner wird als Kontrast zu dieser großen Persönlichkeit noch schäbiger.
Sehr dankbar bin ich und sehr erfreut, daß die Priesterbruderschaft Pius X ihn beherbergen und sehr viel Gutes und Weises empfangen durfte.
Und schmunzeln mußte ich, wenn ich in einem schönen Interview vor kurzem seine Antwort las: Auf die Frage, wie es ihm in Wangs mit der großen Schule gefiel: „Ganz gut… Hin und wieder ist es auch etwas laut (SE Bischof V. Huonder schmunzelt)“ 😉
Stimmt: eine Schule , gerade für Buben, ist immer wieder etwas lauter.
Mein altes College war es immer wieder auch.
Mein Rhetoriklehrer, ein sehr spiritueller Mann, der dort lange in nur 2 kleinen Zimmerchen wohnte, hat viel später trotzdem stolz seine Erinnerung beschrieben:
„Schola: forma mentis aeterna “
Danke, Eure Eminenz!