Kardinal Parolin kritisiert Israels Vorgehen in Gaza als Gemetzel und „unverhältnismäßig“

Israels Botschafter protestiert: Militäreinsätze der NATO und westlicher Allianzen haben viel mehr zivile Opfer gefordert


Am Dienstag beklagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin das "Gemetzel" Israels im Gaza-Streifen, das er als "unverhältnismäßig" kritisierte. Italiens Regierung pflichtete ihm bei. (Im Bild v. l. Kardinal Parolin, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Außenminister Antonio Tajani)
Am Dienstag beklagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin das "Gemetzel" Israels im Gaza-Streifen, das er als "unverhältnismäßig" kritisierte. Italiens Regierung pflichtete ihm bei. (Im Bild v. l. Kardinal Parolin, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Außenminister Antonio Tajani)

(Rom) Die Äuße­run­gen des vati­ka­ni­schen Kar­di­nal­staats­se­kre­tärs erfolg­ten nach dem Tref­fen mit Ita­li­ens Staats­füh­rung am 13. Febru­ar anläß­lich der Unter­zeich­nung der Late­ran­ver­trä­ge vor 95 Jah­ren und der gel­ten­den Ände­rung des Kon­kor­dats vor 40 Jahren.

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Am Ende des Tref­fens im Palaz­zo Bor­ro­meo in Rom, an dem Staats­prä­si­dent Ser­gio Mat­tar­el­la, Mini­ster­prä­si­den­tin Gior­gia Melo­ni, Außen­mi­ni­ster Anto­nio Taja­ni und wei­te­re Staats­ver­tre­ter teil­nah­men, beant­wor­te­te der Kar­di­nal die Fra­gen der Jour­na­li­sten und zähl­te die The­men auf, die wäh­rend des lan­gen Gesprächs hin­ter ver­schlos­se­nen Türen bespro­chen wur­den, ins­be­son­de­re die The­men, die mit den aktu­el­len ita­lie­ni­schen Ange­le­gen­hei­ten zu tun haben, wie das Lebens­en­de, die Fami­li­en­po­li­tik, das Hei­li­ge Jahr 2025, aber auch die Kon­flik­te, die die Welt heim­su­chen. Der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär sagte:

Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin mit Ita­li­ens Staats­prä­si­dent Mat­tar­el­la am Diens­tag im Palaz­zo Borromeo

„Mit dem Prä­si­den­ten der Repu­blik und auch mit dem Außen­mi­ni­ster haben wir alle Kri­sen­sze­na­ri­en ana­ly­siert, die der­zeit die Welt erschüt­tern, und es gibt eine Über­ein­stim­mung in den Sor­gen Ita­li­ens und des Hei­li­gen Stuhls. Es ist viel schwie­ri­ger, Lösun­gen für die­se Pro­ble­me zu fin­den, aber wir ver­su­chen, einen Bei­trag zu lei­sten, der posi­tiv sein und Wege zum Frie­den öff­nen kann.“

Ita­li­ens Außen­mi­ni­ster Taja­ni sprach von einer unver­hält­nis­mä­ßi­gen israe­li­schen Reak­ti­on im Gaza-Strei­fen. Ita­li­en schloß sich also der Ein­schät­zung des Kar­di­nal­staats­se­kre­tärs an, der bereits von einer „gene­rel­len Stim­me“ gespro­chen hatte:

„Wir kön­nen so nicht wei­ter­ma­chen. Wir müs­sen ande­re Wege fin­den, um das Gaza-Pro­blem, die Palä­sti­nen­ser-Fra­ge, zu lösen“, so der vati­ka­ni­sche Staatssekretär.

„Der Hei­li­ge Stuhl hat von Anfang an deut­lich gemacht: einer­seits eine kla­re und vor­be­halt­lo­se Ver­ur­tei­lung der Ereig­nis­se vom 7. Okto­ber und, ich wie­der­ho­le es hier, eine kla­re und vor­be­halt­lo­se Ver­ur­tei­lung aller Arten von Anti­se­mi­tis­mus. Gleich­zei­tig for­de­re ich jedoch, daß das Ver­tei­di­gungs­recht Isra­els, auf das man sich zur Recht­fer­ti­gung die­ser Ope­ra­ti­on beruft, ver­hält­nis­mä­ßig sein muß, was bei mehr als 30 000 Toten sicher­lich nicht der Fall ist.“

Laut UNOCHA (United Nati­ons Office for the Coor­di­na­ti­on of Huma­ni­ta­ri­an Affairs) hat Isra­el durch den Hamas-Angriff vom 7. Okto­ber 2023 1.200 Tote und 5.431 Ver­letz­te zu bekla­gen. Durch die israe­li­sche Mili­tär­ope­ra­ti­on Iron Swords haben die Palä­sti­nen­ser inzwi­schen fast 30.000 Tote und mehr als 70.000 Ver­letz­te zu bekla­gen. Die Ver­lu­ste der israe­li­schen Streit­kräf­te belau­fen sich aktu­ell auf 225 Tote und 1.312 Ver­wun­de­te (Stand 12.02.2024).

Eine Lösung des Kon­flikts schei­ne vor­erst in wei­ter Fer­ne zu lie­gen, so Paro­lin, aber „wir dür­fen die Hoff­nung nicht ver­lie­ren. Der hei­li­ge Augu­sti­nus sag­te, daß die Hoff­nung in der Empö­rung und im Mut liegt.“

„Ich glau­be, wir sind alle empört über das, was geschieht, über die­ses Gemet­zel, aber wir müs­sen den Mut haben, wei­ter­zu­ma­chen und nicht die Hoff­nung zu ver­lie­ren, denn wenn wir die Hoff­nung ver­lie­ren, las­sen wir die Arme hän­gen. Im Gegen­teil, wir müs­sen bis zum Ende kämp­fen und ver­su­chen, unse­ren Bei­trag zu lei­sten, unse­ren Bei­trag, wann immer es mög­lich ist.“

Die Reak­ti­on des israe­li­schen Botschafters

Die israe­li­sche Bot­schaf­ter beim Hei­li­gen Stuhl leg­te gestern Pro­test ein und bezeich­ne­te die Äuße­rung von Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin als „bekla­gens­wert“.

„Die Recht­mä­ßig­keit eines Krie­ges zu beur­tei­len, ohne allen Umstän­den und rele­van­ten Daten Rech­nung zu tra­gen, führt unver­meid­lich zu fal­schen Schlußfolgerungen.“

Der israe­li­sche Bot­schaf­ter wirft dem Kar­di­nal­staats­se­kre­tär indi­rekt vor, kein „objek­ti­ver Beob­ach­ter“ zu sein, da er nicht zum Schluß gelangt, daß „die Ver­ant­wor­tung für Tod und Zer­stö­rung in Gaza Hamas und nur Hamas trägt“, wie es in der Erklä­rung der israe­li­schen Bot­schaft heißt.

Wäh­rend der Bot­schaf­ter den Hamas-Angriff auf Isra­el mit 1.200 Toten ein „Geno­zid-Mas­sa­ker“ nennt, bezeich­net er die Tötung von 30.000 Palä­sti­nen­sern als „Recht auf Selbst­ver­tei­di­gung“. Das Alte Testa­ment kennt das vom Chri­sten­tum abge­lehn­te Prin­zip: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Das Ver­hält­nis der Toten liegt jedoch bereits bei 1:20.

In sei­ner Pro­test­er­klä­rung ent­hüll­te Isra­els Bot­schaf­ter inter­es­san­te Details. Er recht­fer­tig­te das israe­li­sche Vor­ge­hen mit dem Hin­weis, daß laut Isra­el vor­lie­gen­den Zah­len auf jeden getö­te­ten Hamas-Kämp­fer „nur“ drei getö­te­te palä­sti­nen­si­sche Zivi­li­sten kämen.

„Alle zivi­len Opfer sind zu bekla­gen, aber in den ver­gan­ge­nen Krie­gen und Ope­ra­tio­nen der NATO oder der west­li­chen Streit­kräf­te in Syri­en, im Irak oder in Afgha­ni­stan, war das Ver­hält­nis 9 oder 10 Zivi­li­sten für jeden Terroristen.“

Ein sol­ches Mas­sa­ker von NATO-Trup­pen und west­li­chen Alli­an­zen wird der west­li­chen Öffent­lich­keit ver­schwie­gen. Zudem gibt Isra­el selbst zu, bis­her min­de­stens 22.500 Zivi­li­sten getö­tet und 45.000 Zivi­li­sten ver­letzt zu haben. Das sei, so der Bot­schaf­ter, „im vol­len Respekt des inter­na­tio­na­len Rechts“ geschehen.

Zugleich beton­te der israe­li­sche Bot­schaf­ter, daß berück­sich­tigt wer­den müs­se, daß Hamas den Gaza-Strei­fen „in die größ­te jemals gese­he­ne Ter­ror­ba­sis ver­wan­delt“ habe. „Es gibt fast kei­ne zivi­le Infra­struk­tur, die nicht von Hamas für ihre kri­mi­nel­len Plä­ne ver­wen­det wur­de, ein­schließ­lich Kran­ken­häu­ser, Schu­len, Gebets­stät­ten und vie­le ande­re mehr.“

Damit erklär­te der israe­li­sche Bot­schaf­ter im Namen sei­nes Lan­des, ohne dies aus­drück­lich zu sagen, aber fak­tisch, daß der Gaza­strei­fen aus­ge­löscht wer­den müs­se, da er eine ein­zi­ge „gro­ße Ter­ror­ba­sis“ ist. Die Rede ist von einem Gebiet mit zwei Mil­lio­nen Men­schen. Dabei scheint im Ver­hält­nis zwi­schen Hamas und israe­li­schen Geheim­dien­sten noch eini­ges einer Klä­rung zu bedür­fen. Das Aus­lö­schen des Gaza­strei­fens käme jeden­falls tat­säch­lich einem Geno­zid gleich.

Vor die­sem Hin­ter­grund bezeich­ne­te Kar­di­nals­staats­se­kre­tär Paro­lin das israe­li­sche Vor­ge­hen als „Gemet­zel“, das „unver­hält­nis­mä­ßig“ sei.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​/​X (Twit­ter) (Screen­shots)

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