(Peking) Wie steht es um die Religionsfreiheit in der Volksrepublik China, dem kommunistischen Großreich, das sich anschickt, zur neuen Weltmacht aufzusteigen? Was hat das Geheimabkommen gebracht, das im September 2018 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung in Peking unterzeichnet wurde? Unternehmen wir eine kurze Reise in das „Land der Mitte“, um eine knappe Bestandsaufnahme zu machen.
Seit 1949 beherrschen die Kommunisten das Land mit einem totalitären System und massiver Repression. In einem ersten Schritt wurden alle nicht-chinesischen Bischöfe, Priester und Ordensleute des Landes verwiesen und der einheimische Klerus verhaftet und in Umerziehungslager gesteckt. Die Kirche sollte ausgelöscht werden.
Die vielversprechende Evangelisierung des Landes, wie sie im 19. Jahrhundert begonnen wurde, erlebte mit 1949 einen radikalen Abbruch. Es war nicht das erste Mal in der langen christlichen Geschichte in China, daß das Missionswerk zunichte gemacht wurde. Die ersten Evangelisierungsversuche erfolgten in der Tang-Dynastie ab 635 durch die syrische Ostkirche. Während der Yuan-Dynastie, der Zeit von Marco Polo, konnte erstmals die katholische Kirche in China Fuß fassen. Mit dem Ende dieser Dynastie 1368 wurde aber auch das Christentum wieder weitgehend beseitigt. Erst in der späten Ming-Dynastie, am Beginn der Neuzeit, kam es zur nächsten vielversprechenden Missionierung des Landes, die insbesondere von den Jesuiten getragen wurde und in der ersten Phase der Qing-Dynastie fortgesetzt werden konnte. Im Ritenstreit fand aber auch dieser Versuch sein Ende und mündete 1724 im Verbot des Christentums durch Kaiser Yongzheng.
Die jüngste Missionierungsphase begann 1842, als christlichen Missionaren der Zutritt nach China wieder erlaubt wurde. Ihre radikale Zäsur, wenn auch nicht ihr Ende, fand sie mit der kommunistischen Machtübernahme 1949.
Insgesamt ist Ostasien aufgrund lokaler philosophischer Systeme und Praktiken für den christlichen Ganzheitsanspruch nicht leicht zugänglich.
In China kommen weitere Erschwernisse hinzu, sodaß heute selbst die bloße Erfassung der Religionszugehörigkeiten auf Probleme stößt. Die letzte offizielle Erhebung fand 2004 statt, liegt also bereits zwei Jahrzehnte zurück. Das atheistische Regime erkennt fünf Religionen an: den Buddhismus, die katholische Kirche, den Protestantismus, den Islam und den Taoismus. Eine ganz andere Frage ist jedoch, wieviel Spielraum ihnen vom Regime eingeräumt werden.
Wer sich einen Überblick über die Religionsverhältnisse in China verschaffen möchte, wird gleich auf Hürden stoßen. Es fehlt nicht nur an aktuellen Zahlen, sondern die Erhebung selbst ist sehr erschwert, denn die Kommunistische Partei unterscheidet zwischen Religionen im eigentlichen Sinn des Wortes und Überzeugungen. Während das Christentum und der Islam als Religionen gelten, werden Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus als Überzeugungen gesehen, deren Konturen fließend sind und oft mit bestimmten Übungen und Praktiken verbunden sind, die eingehalten werden oder auch nicht und sich untereinander oft vermengen, da Menschen Elemente mehrerer Überzeugungen gleichzeitig praktizieren.
Die strengere Definition führte zu einer Zäsur: Zwischen 2010 und 2021 ging die Zahl der Chinesen mit Religionszugehörigkeit von zwölf auf 6,5 Prozent zurück. Die Verschärfung der religionsfeindlichen Politik spiegelt sich darin wider. Vor allem die fließende Zugehörigkeit zu „Überzeugungen“ wird gegenüber den Behörden verschwiegen.
Die Katholiken machen 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Der Gesamtanteil der Christen wird auf mindestens drei Prozent, nach anderen Angaben sogar auf bis zu sieben Prozent geschätzt. Jener der Moslems, insbesondere in der Provinz Xinjiang, auf anderthalb Prozent, von denen etwa eine Million in Umerziehungslagern interniert sind. Das Regime ist an der Veröffentlichung genauer Zahlen nicht interessiert, obwohl es intern möglichst lückenlose Informationen über religiöse Aktivitäten sammelt und erfaßt.
Woran glauben Chinesen? Offiziell und zwangsverordnet natürlich an den Sieg des Sozialismus. Während das direkte Religionsbekenntnis minimal und wegen des staatlichen Drucks wohl massiv verfälscht ist, geben fast zwei Drittel der Chinesen an, daß sie bestimmte Ereignisse nach glückverheißenden Tagen ausrichten. Insgesamt spielt der Glücksfaktor eine wichtige Rolle. 47 Prozent glauben an Fengshui, also die Notwendigkeit, daß die Dinge in einer bestimmten Harmonie zueinander stehen müssen. 33 Prozent glauben an Buddha oder einen Bodhisattva, also jemanden, der wie Buddha nach „höchster Erkenntnis“ strebt. 26 Prozent verbrennen Räucherstäbchen für Gottheiten populärer Kulte, eine ziemlich weit gefaßte Definition, und 18 Prozent geben an, an eine taoistische Gottheit zu glauben.
Die bisher jüngste offizielle Religionszählung von 2004 ließ die geographische Verteilung der christlichen Präsenz in der Volksrepublik China erkennen, konkret zwei Gruppen von Provinzen.
Besonders stark ist die christliche Präsenz in den südlichen Küstenprovinzen. In den Provinzen Zhejiang und Fujian, die zusammen ein Gebiet von 221.000 Quadratkilometern mit einer Bevölkerung von fast 100 Millionen umfassen, wurden zwölf Prozent der Einwohner als Christen erfaßt.
Der höchste christliche Anteil findet sich jedoch in der Provinz Hebei. Sie umgibt mit ihren 187.000 Quadratkilometern und 75 Millionen Einwohner das Territorium der Hauptstadt Peking. In der Provinz Hebei bekannten sich 2004 dreizehn Prozent der Bewohner als Christen. Zu nennen sind auch die angrenzenden Provinzen Shanxi und Shaanxi mit zusammen fast 363.000 Quadratkilometern und 75 Millionen Einwohnern. Dort wurden acht Prozent der Einwohner als Christen erfaßt. Schließlich ist noch Guangdong zu nennen, die bevölkerungsreichste chinesische Provinz. Von 126 Millionen Einwohnern, die auf einer Fläche von fast 180.000 Quadratkilometern leben, wurden mehr als fünf Prozent als Christen erfaßt. In allen anderen Provinzen, einschließlich dem Hauptstadtterritorium, wurden weniger als fünf Prozent Christen angegeben.
Seit 2004 wurden die Gesetze zur Zurückdrängung der Religion wieder verschärft. Jeder fünfte Chinese ist Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Ihnen ist die Religionszugehörigkeit verboten, da sich die Partei als strikt atheistisch versteht. In der Praxis wird es jedoch geduldet, wenn Parteimitglieder hie und da ihre „Überzeugungen“ praktizieren und in irgendeinem Tempel Räucherstäbchen verbrennen. Gegenüber Religionen im eigentlichen Wortsinn sind die Parteigliederungen weniger nachsichtig. Doch auch wer dem Buddhismus oder Taoismus nahesteht, riskiert als Parteimitglied bei zu häufigem Tempelbesuch drastische Konsequenzen.
Den radikalsten Eingriff brachte das generelle Religionsverbot für Minderjährige. Wer nicht volljährig ist, darf keinerlei Religion ausüben. Das erschwert außerhäuslich jede Weitergabe des Glaubens. Das macht sich nicht nur bei den Christen bemerkbar, sondern auch bei den Buddhisten und Taoisten. Während die Partei die Religion eindämmen will, konnte in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der buddhistischen Tempel von 20.000 auf 33.500 erhöht werden. Die Zahl der taoistischen Tempel wurde im selben Zeitraum von 3.000 auf 9.000 sogar verdreifacht. Die Signale der kommunistischen Machthaber sind widersprüchlich. Die Partei mußte spätestens in den 70er Jahren erkennen, daß sie die Religion nicht auslöschen kann. Seither versucht mit mehr oder weniger repressiven Methoden sie zu dulden, aber möglichst einzuhegen und zu kontrollieren. In den zurückliegenden Jahren wurde vor allem die Sinisierung der Religion zur Pflicht erklärt. Buddhismus und Taoismus entsprechen mehr diesem Kriterium. Allerdings bedeutet der starke Zuwachs an Tempelanlagen nicht auch eine Zunahme von Mönchen. Im Gegenteil. Grund dafür ist, daß durch das kategorische Religionsverbot für Minderjährige die Weitergabe des Mönchtums sehr erschwert ist. Gerade der Buddhismus kennt die Tradition, Jungen bereits im Kindesalter in das Mönchsleben einzubinden und in diesem heranzubilden.
Wie steht es aber um das Geheimabkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung in Peking? Dieses Abkommen, dessen Inhalt geheim ist, kann bereits auf mehr als fünf Jahre der Gültigkeit zurückblicken. Erkennbare Verbesserungen oder Fortschritte lassen sich jedoch nicht festmachen. 147 Diözesen zählt die Volksrepublik China. Allerdings wurden die Bistumsgrenzen vom kommunistischen Regime neu gezeichnet. Während es für Rom also 147 Bistümer gibt, sind es für die Kommunisten nur 99. Selbst von diesen ist aber ein gutes Drittel unbesetzt. Die katholische Kirche verfügt auch fünf Jahre nach Inkrafttreten des Geheimabkommens nicht einmal über einen halben Episkopat.
Die jüngsten Bischofsernennungen erfolgten einseitig durch das Regime, ohne den Heiligen Stuhl einzubeziehen, also unter völliger Umgehung des Geheimabkommens. Vor allem die beiden bedeutendsten Diözesen, jene von Peking und Schanghai, wurden mit regimehörige Personen besetzt. Sie sind zugleich Vorsitzende der beiden regimehörigen Institutionen der schismatischen Kirche, der Patriotischen Vereinigung und des Chinesischen Bischofsrats. Über diese beiden Organisationen kontrolliert die Kommunistische Partei die offizielle katholische Kirche in China. Diese beiden Bischöfe wurden auch als einzige Vertreter Chinas zur Synodalitätssynode nach Rom entsandt. Sie erhielten dafür vom Staat eine exakt auf zehn Tage befristete Ausreiseerlaubnis. Papst Franziskus nahm sie in die Liste der Synodalen auf, obwohl ihre Ernennung für den Heiligen Stuhl und die Kirche mehr als demütigend erfolgt war.
Die Verquickung der höchsten Vertreter der offiziellen Kirche in China mit den kommunistischen Machthabern ist sehr eng. Der seit 2022 amtierende Vorsitzender der regimehörigen Patriotischen Vereinigung, Bischof Joseph Li Shan, Erzbischof von Peking, war zuvor bereits stellvertretender Vorsitzender der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, einer zweitausendköpfigen Beratergremiums bzw. einer Art von Vorparlament zur Beratung des eigentlichen Parlaments, des Nationalen Volkskongresses.
Ein beträchtliches Problem für die Kirche in China sind die wenigen Priesterberufungen. Ihnen stehen familiäre, gesellschaftliche und staatliche Hindernisse im Weg. Das Regime reglementiert den Zugang und versucht ihn gering zu halten bzw. versucht Kandidaten als Staatsagenten anzuwerben. Jene, die sich verweigern oder als ungeeignet für den Staatsdienst gelten, werden ausgesondert. Gesellschaftlich fehlt das Ansehen und die Wertschätzung für das Priestertum, was in einer Bevölkerung, die großteils wenig bis keinen Kontakt zum Christentum hatte und die von einem totalitären Regime gesteuert wird, nicht verwundert. Schließlich gibt es aber auch familiäre Hürden, die vor allem mit der bis vor kurzem geltenden Ein-Kind-Politik zu tun hatte, daß Eltern ihr einziges Kind nicht der Kirche überlassen wollen.
Seit 1949 ist die Kirche nicht annähernd imstande den Personalbedarf zu decken, den sie zur Betreuung der Gläubigen und zur Mission an Bischöfen, Priestern und Ordensleuten brauchen würde. So gesehen stellt die geringe Zahl der Berufungen vor erhebliche Probleme, ist aber insgesamt nichts Neues. Die Kirche in China lebt seit 75 Jahren mit diesem Zustand.
Der Vatikan empfiehlt ein Heranziehen und die Ausbildung von Laien. Ob der Kirche in China allerdings mit einem westlichen Modell tatsächlich geholfen ist, ist bisher völlig offen.
Die zahlreichen staatlichen Einschränkungen machen es nur schwer möglich, Gläubigen Angebote zur Glaubensvertiefung und eines lebendigen Gemeindelebens zu machen, nicht zuletzt auch, weil die Kinder, die Minderjährigen insgesamt, kategorisch ausgeschlossen sind, auch von nicht-religiösen kirchlichen Angeboten. Der Staat hat die Kirche von der Jugendarbeit ausgeschlossen. Es ist also eine zentrale Frage, wie die katholische Kirche unter den gegebenen Bedingungen Angebote zur Glaubensbildung organisieren kann. In den sechs Provinzen mit einem höheren Christenanteil kann sich die Kirche leichter organisieren. In anderen Provinzen erweist sich das teils als ziemlich schwierig.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: AsiaNews