Papst Franziskus, Giorgio Napolitano und Matteo Messina Denaro

Die Revolution in der Kirche ist keine Doktrin, sondern eine "Methode"


Papst Franziskus war genau warum am Sarg von Giorgio Napolitano, dem ehemaligen italienischen Staatspräsidenten?
Papst Franziskus war genau warum am Sarg von Giorgio Napolitano, dem ehemaligen italienischen Staatspräsidenten?

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Der gro­ße Juan Dono­so Cor­tés (1809–1853) sag­te, daß hin­ter jedem poli­ti­schen Pro­blem ein theo­lo­gi­sches und meta­phy­si­sches Pro­blem steht. Manch­mal jedoch steht hin­ter einem theo­lo­gi­schen Pro­blem ein poli­ti­sches Pro­blem, das es erklärt. Dar­an müs­sen wir den­ken, wenn wir vor­her­sa­gen wol­len, was auf der näch­sten Syn­ode gesche­hen wird: eine reli­giö­se Ver­samm­lung, die von einem Papst gewünscht und orga­ni­siert wird, für den die Poli­tik Vor­rang vor der theo­lo­gi­schen und mora­li­schen Leh­re hat. Eini­ge Vor­komm­nis­se der ver­gan­ge­nen Tage hel­fen uns, das zu verstehen.

Am 22. Sep­tem­ber 2023 starb im Alter von 98 Jah­ren Gior­gio Napo­li­ta­no, der jahr­zehn­te­lang eine füh­ren­de Rol­le im poli­ti­schen Leben Ita­li­ens spiel­te. In sei­nem lan­gen Leben ver­band Napo­li­ta­no eine eiser­ne kom­mu­ni­sti­sche Mili­tanz, die ihn 1956 dazu ver­an­laß­te, die sowje­ti­sche Inva­si­on in Ungarn zu bil­li­gen, mit einer eben­so eiser­nen Loya­li­tät gegen­über der Frei­mau­re­rei, der er ange­hör­te. Er trat damit in die Fuß­stap­fen sei­nes Vaters Gio­van­ni (1883–1895), einer füh­ren­den Per­sön­lich­keit des Groß­ori­ents von Ita­li­en. Am 10. Mai 2006, nach der Wahl Napo­li­ta­nos zum Prä­si­den­ten der Repu­blik, bezeich­ne­te Gustavo Raf­fi, der Groß­mei­ster des Groß­ori­ents, die­se Wahl als „einen der höch­sten Momen­te im demo­kra­ti­schen Leben des Lan­des“, und am Todes­tag des Ex-Prä­si­den­ten setz­te der Groß­ori­ent an sei­nem Haupt­sitz auf dem römi­schen Gia­ni­co­lo zum Zei­chen der Anteil­nah­me die Flag­ge auf Halbmast.

Wäh­rend Enri­co Ber­lin­guer (1922–1984) inner­halb der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Ita­li­ens den Flü­gel der „Katho-Kom­mu­ni­sten“ [der „katho­li­schen Kom­mu­ni­sten“] anführ­te, die ver­such­ten, die Mon­stranz mit Ham­mer und Sichel zu ver­söh­nen, war Napo­li­ta­no nach Gior­gio Amen­do­la (1907–1980) der bekann­te­ste Ver­tre­ter der „Atheo-Kom­mu­ni­sten“ [der „athe­isti­schen Kom­mu­ni­sten“], die für ein Zusam­men­ge­hen zwi­schen Kom­mu­nis­mus und Super­ka­pi­ta­lis­mus auf der Grund­la­ge der gemein­sa­men Ableh­nung der tran­szen­den­ten Dimen­si­on des Lebens ein­tra­ten. Fer­ruc­cio Pinot­ti und Ste­fa­no San­ta­chia­ra behaup­ten in ihrem Buch „Die Schmutz­wä­sche der Lin­ken. Napo­li­ta­nos Geheim­nis­se und die Geschäf­te der Demo­kra­ti­schen Par­tei“ („I pan­ni spor­chi del­la sini­stra. I segre­ti di Napo­li­ta­no e gli affa­ri del PD“, Chia­re­let­te­re 2013), daß Napo­li­ta­no angeb­lich vor lan­ger Zeit in die angel­säch­si­sche Frei­mau­re­rei ein­ge­weiht wur­de, und erin­nern an ver­schie­de­ne bedeu­ten­de Momen­te in sei­nem Leben, die in die­sem Licht ver­stan­den wer­den kön­nen: von der „geheim­nis­vol­len Rei­se“ in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten im Jahr 1978, in den Tagen der Moro-Ent­füh­rung, bis zum Tref­fen mit Hen­ry Kis­sin­ger im Jahr 2001 in Cern­ob­bio, der ihn mit den Wor­ten „Mein Lieb­lings­kom­mu­nist“ begrüß­te.

Napo­li­ta­no war ein kon­se­quen­ter Athe­ist und Kom­mu­nist, und sein „welt­li­ches“ Staats­be­gräb­nis, zum ersten Mal in der Geschich­te Ita­li­ens, fand am 26. Sep­tem­ber in der Abge­ord­ne­ten­kam­mer im Palaz­zo Mon­te­ci­to­rio statt. Das ist die Per­son, der Papst Fran­zis­kus zwei Tage zuvor die Ehre erwei­sen woll­te, indem er eini­ge Minu­ten schwei­gend, ohne Segen oder Kreuz­zei­chen, vor dem im Senat auf­ge­bahr­ten Sarg stand.

Die Ehr­erbie­tung erfolg­te nicht pri­vat, son­dern öffent­lich, mit einer kla­ren sym­bo­li­schen Bot­schaft. Gior­gio Napo­li­ta­no, so Papst Fran­zis­kus, war „ein gro­ßer Mann, ein Die­ner des Vater­lan­des“. Napo­li­ta­nos poli­ti­sche Bio­gra­fie doku­men­tiert, daß er in Wirk­lich­keit nicht „dem Vater­land“ dien­te, son­dern den Inter­es­sen der „star­ken Mäch­te“, als er im Novem­ber 2011 per­sön­lich inter­ve­nier­te, um Mini­ster­prä­si­dent Sil­vio Ber­lus­co­ni zum Rück­tritt zu bewe­gen und an sei­ner Stel­le den den inter­na­tio­na­len Finanz­lob­bys geneh­men Prof. Mario Mon­ti ein­zu­set­zen. Wir ver­ste­hen auch nicht, wel­che „Grö­ße“ der Stell­ver­tre­ter Chri­sti einem Mann zuschrei­ben kann, der sein gan­zes Leben lang eine tie­fe Abnei­gung gegen die katho­li­sche Kir­che gezeigt hat. Aber das hie­ße, in reli­giö­sen Begrif­fen zu den­ken, wäh­rend für Papst Fran­zis­kus zu gel­ten scheint, daß die Reli­gi­on von der Poli­tik absor­biert wer­den muß, die als irdi­sche Dimen­si­on des kirch­li­chen Lebens ange­se­hen wird.

Es fällt schwer, zu ver­ste­hen, wie die poli­ti­sche Ehr­erbie­tung, die Fran­zis­kus den „Mäch­ti­gen“ ent­ge­gen­bringt, mit dem Auf­ruf, „die Gering­sten anzu­neh­men“, einem der Eck­pfei­ler sei­nes Pon­ti­fi­kats, in Ein­klang gebracht wer­den kann. In den Tagen vor sei­ner Hul­di­gung an Napo­li­ta­no begab sich Fran­zis­kus nach Mar­seil­le mit der Beto­nung, daß er nicht die fran­zö­si­sche Nati­on, son­dern die mul­ti­kul­tu­rel­le Haupt­stadt der Ein­wan­de­rung besu­che. In Mar­seil­le sag­te der Papst in sei­ner Rede bei den Ren­con­tres médi­ter­ra­né­en­nes (Mit­tel­meer-Tref­fen) in Anwe­sen­heit des fran­zö­si­schen Staats­prä­si­den­ten Emma­nu­el Macron, daß es weder eine „Inva­si­on“ von Migran­ten noch einen „Not­stand“ gebe, denn „die­je­ni­gen, die ihr Leben auf dem Meer ris­kie­ren, drin­gen nicht ein, sie suchen Auf­nah­me“. Wir müs­sen daher die „alar­mi­sti­sche Pro­pa­gan­da“, um „die Angst der Men­schen zu schü­ren“, been­den. Das Phä­no­men der Migra­ti­on sei „eine Tat­sa­che unse­rer Zeit“ und müs­se „mit einer euro­päi­schen Ver­ant­wor­tung gere­gelt wer­den, die in der Lage ist, objek­ti­ve Schwie­rig­kei­ten zu bewäl­ti­gen“.

Am sel­ben Sonn­tag, dem 23. Sep­tem­ber, hielt Kar­di­nal Matteo Zup­pi, Vor­sit­zen­der der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, in Bolo­gna eine applau­dier­te Rede beim Fest der Par­tei Rif­on­da­zio­ne Comu­ni­sta („Kom­mu­ni­sti­sche Neu­grün­dung“), der ein­zi­gen poli­ti­schen Par­tei Ita­li­ens, die sich aus­drück­lich auf die Grund­sät­ze des Mar­xis­mus-Leni­nis­mus beruft. Zup­pi, der der eben­falls links­extre­men Gemein­schaft San­t’E­gi­dio ange­hört, war in den ver­gan­ge­nen Mona­ten für Papst Fran­zis­kus in Peking, Mos­kau und Kiew als per­sön­li­cher Über­brin­ger einer poli­ti­schen Bot­schaft des „Dia­logs“ unter­wegs, wobei Erz­bi­schof Richard Gal­lag­her, der Außen­mi­ni­ster des Hei­li­gen Stuhls, über­gan­gen wurde.

Die­ser poli­ti­sche Akti­vis­mus hat jedoch zu uner­war­te­ten Reak­tio­nen sei­tens der chi­ne­si­schen, ukrai­ni­schen und pol­ni­schen Bischö­fe geführt, die der Ost­po­li­tik von Papst Fran­zis­kus ent­ge­gen­tre­ten. Der Vor­sit­zen­de der Pol­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, Erz­bi­schof Sta­ni­sław Gądecki, kri­ti­sier­te in einem Inter­view mit der deut­schen katho­li­schen Wochen­zei­tung Die Tages­post (18. Sep­tem­ber 2023) die Hal­tung des Vati­kans zur rus­si­schen Aggres­si­on gegen die Ukrai­ne und erklär­te: „Es ist ein Feh­ler, den Aggres­sor und das Opfer auf die glei­che Wei­se zu behan­deln. Es sieht nach einer Wie­der­ho­lung der Feh­ler der soge­nann­ten vati­ka­ni­schen Ost­po­li­tik in kom­mu­ni­sti­schen Zei­ten aus. Soll­te Ruß­land den Krieg gewin­nen, wür­de es sein Bestre­ben, die Ein­fluß­sphä­re der Sowjet­uni­on wie­der­her­zu­stel­len, nicht auf­ge­ben. Wir wer­den also bald einen neu­en Krieg in Euro­pa haben.“

Vor die­sem stür­mi­schen Hin­ter­grund wird die „Syn­ode über die Syn­oda­li­tät“ statt­fin­den, ein poli­ti­sches Ereig­nis, von dem kei­ne theo­lo­gi­schen Neue­run­gen zu erwar­ten sind, son­dern eine pasto­ra­le Bot­schaft, die die Kir­che auf der Ebe­ne der Pra­xis „erneu­ern“ oder viel­mehr „revo­lu­tio­nie­ren“ wird. Die The­men Ein­wan­de­rung, Arbeit, Umwelt, Armut und sozia­le Inklu­si­on wer­den Teil der Syn­oden­de­bat­te sein. Das ist die Leh­re, die Johan­nes XXIII. in sei­ner Anspra­che Gau­det mater Eccle­sia zur Eröff­nung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils am 11. Okto­ber 1962 ver­kün­de­te. Wenn man davon aus­geht, daß sein Nach­fol­ger Johan­nes XXIV. hei­ßen könn­te, wie er am 4. Sep­tem­ber auf dem Rück­weg aus der Mon­go­lei sag­te, dann zeigt Papst Fran­zis­kus klar einen Weg auf. Die Revo­lu­ti­on in der Kir­che ist kei­ne Dok­trin, son­dern eine „Metho­de“, eine poli­ti­sche und pasto­ra­le Pra­xis, die die alte Dok­trin zer­bricht, ohne eine neue vorzuschlagen.

Dono­so Cor­tés hat­te jedoch nicht unrecht, als er sag­te, daß man, auch wenn man sich in poli­ti­sche Dis­kus­sio­nen ver­tieft, nie auf­hö­ren darf, den Blick auf die über­na­tür­li­che Dimen­si­on zu rich­ten, zu der letzt­lich alles zurück­führt, denn das letz­te Ziel des Men­schen liegt nicht auf die­ser Erde. Am 24. Sep­tem­ber, zwei Tage nach Gior­gio Napo­li­ta­no, starb Matteo Mes­si­na Den­a­ro, der histo­ri­sche Kopf der Cosa Nost­ra und Ver­ant­wort­li­che für abscheu­li­che Ver­bre­chen, in einem Gefäng­nis in L’A­qui­la. Mes­si­na Den­a­ro lehn­te wie Napo­li­ta­no ein kirch­li­ches Begräb­nis ab. „Kei­ne Toten­fei­er in der katho­li­schen Kir­che“, sag­te er: „Gott wird mein Rich­ter sein“. Der Mafio­so und der athe­isti­sche Kom­mu­nist erschie­nen fast zeit­gleich vor Gott, dem ober­sten Rich­ter über jedes Wort, jede Tat und jede Unter­las­sung. Ihr irdi­sches Leben war ganz unter­schied­lich. Wird aber ihr ewi­ges Schick­sal ver­schie­den sein?

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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