(Rom) Eugenio Scalfari hat es wieder getan. Nachdem er am 20. November erklärt, warum man Papst Franziskus verteidigen soll, und Franziskus darauf zum Telefonhörer gegriffen hatte, um sich beim Doyen des italienischen Linksjournalismus zu bedanken, legte Scalfari nun eine völlig neue Lesart der päpstlichen Diarchie zwischen Franziskus und Benedikt XVI. vor.
Die Überschrift ist provokant, aber nicht falsch. Da der Heilige Stuhl in den vergangenen sieben Jahren nicht auf ernstzunehmende Weise die Behauptungen Scalfaris dementierte, müssen dessen Darstellungen nolens volens für wahr genommen werden.
Daß Franziskus sich am 21. November telefonisch bei ihm bedankt hatte, berichtete Scalfari selbst am 22. November erfreut. Allerdings berichtete er weiter nichts über den Inhalt des Telefonats. Am 5. Dezember holte es der Gründer von La Repubblica aus freimaurerischem Haus nach:
„In diesen Stunden bestätigt sich ein intellektuelles Einvernehmen von großem Interesse in der katholischen Kirche – und nicht nur. Es handelt sich um das Einvernehmen zwischen den beiden Päpsten: Papst Franziskus und Papst Ratzinger, der von seinen einstigen Funktionen zurückgetreten ist, aber theoretisch immer noch Inhaber derselben ist, die so lange fortdauern, wie es ihm sein Leben erlauben wird. Bergoglio und Ratzinger stehen seit langem in Beziehung, in einer Gemeinschaft der Absichten, auch in den kompliziertesten Phasen des Pontifikats, das wegen des Reformkurses von Franziskus von Giften und Gegensätzen geprägt war. Es mag schwierig erscheinen, daß ein Übereinkommen von solcher Bedeutung noch immer in voller Anwendung ist. Doch der Austausch geht weiter unter Respektierung der Rollen. Alle Entscheidungen von größter Wichtigkeit, die die Päpste treffen können, können und müssen von beiden gemeinsam vereinbart und angewandt werden. Eine solche Situation gab es noch nie, außer zu den Zeiten von Bonifatius, Innozenz und Gregor: Zeiten, die Jahrhunderte zurückliegen.“
Die Darstellung klingt zu absurd, um wahr zu sein. Die Frage scheint daher vielmehr, was Scalfari, das inoffizielle Sprachrohr von Papst Franziskus, die Welt damit wissen lassen oder glauben machen will. Scalfari, soviel gilt nach sieben Jahren der Kooperation mit Franziskus als gesichert, gibt die von ihm dem Papst zugeschriebenen Aussagen zwar auf eigenwillige Weise wieder, doch es kann ihm, solange der Heilige Stuhl nicht anderes verlautbart, nicht der Vorwurf gemacht werden, diese Aussagen erfunden zu haben. Auch die nun gebotene ungewöhnliche Lesart der ebenso ungewöhnlichen Situation zweier Päpste gibt in den Worten Scalfaris die Meinung von Franziskus wieder.
Warum aber präsentiert Franziskus nach sieben Jahren, acht Monaten und 22 Tagen seines Pontifikats eine völlig neue Darstellung, mit der er ein Doppelpontifikat behauptet?
Kommt Benedikt XVI. in die Quarantäne?
Dafür scheint es vorerst vor allem eine plausible Erklärung zu geben: Franziskus weiß, daß eine wachsende Schar von Katholiken seinem Pontifikat kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Es gibt einen nicht geringen Teil der Kirche, der ihn faktisch nicht mehr wirklich als Papst anerkennt. Dieser Teil sieht vielmehr in Benedikt XVI. den nach wie vor rechtmäßigen Papst. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um eine persönliche Entscheidung, die einzeln für sich getroffen wird, allerdings auch Ansätze von organisierten Gruppen.
Santa Marta blieb nicht verborgen, daß aus dem kleinen Rinnsal des Jahres 2013 bis zum Jahr 2020 ein beachtlicher Strom geworden ist, wenngleich er sich aus naheliegenden Gründen nach außen kaum erkennbar artikuliert. Die von Franziskus über Scalfari in die Welt gesetzte These eines Bergoglio-Ratzinger-Pontifikats scheint den Zweck zu haben, dieser heterogenen Gegenbewegung den formal zentralen Bezugspunkt, nämlich Benedikt XVI., zu entziehen. Im besten Fall könnte ein weiterer Versuch einer Vereinnahmung angenommen werden, im schlimmeren Fall der Versuch einer Diskreditierung Benedikts XVI. Davon hatte sich Franziskus bisher ferngehalten. Die Angriffe gegen Benedikt XVI. und gegen dessen Umfeld kamen allerdings wiederholt aus dem engeren und weiteren Hofstaat des Papstes. Gleich nach dem Konklave wurde die Parole ausgegeben, zwischen Franziskus und Benedikt XVI. passe kein Blatt.
Daß nicht nur ein Blatt, sondern ganze Bücher zwischen die beiden Päpste passen, zeigte der Paukenschlag zu Jahresbeginn, als Benedikt XVI. zusammen mit Kardinal Robert Sarah, dem Präfekten der Gottesdienstkongregation, mit dem Plädoyer „Aus der Tiefe des Herzens“ für das sakramentale Priestertum und den priesterlichen Zölibat einer möglichen und nach der Amazonassynode allgemein als sicher angenommenen Aufweichung des Zölibats entgegentrat.
Wollen die Königsmacher Franziskus stürzen?
Gehen Papst Franziskus die verlässlichen Freunde aus? Die progressiven Kräfte, die ihn auf den Schild hoben und feierten, haben irgendwann begonnen, sich irritiert abzuwenden, weil er ihren Hunger nach radikalen Veränderungen, den er selbst immer wieder anfachte, nicht stillen konnte oder wollte. Da diese Entwicklung fließend ist, läßt sich schwerlich ein genaues Datum benennen. Dafür lassen sich anhand der Ereignisse aber Etappen erkennen und dabei spielt die Kirche in Deutschland eine zentrale Rolle.
Diese, konkret die progressive Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz, begann 2018 nicht länger auf Franziskus zu warten, sondern selbst die Initiative zu ergreifen. Die Zulassung protestantischer Ehegatten zur Kommunion war ihr erster Schritt. Als die Glaubenskongregation dagegen einschreiten wollte, wurde sie von Papst Franziskus zurückgepfiffen. Die deutschen Rebellen setzten sich durch.
Es scheint aber wie mit der Macht: Wer welche besitzt, will immer mehr davon. So wächst auch der progressive Appetit nach Zerschlagung des Bestehenden und Durchsetzung von Neuerungen. In diesem Sinne folgte der „synodale Weg“ von Deutscher Bischofskonferenz und der progressiven Trutzburg namens Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Und plötzlich ging wieder ein Gespenst um, das Gespenst von einem neuen deutschen Schisma. Dabei hatte Franziskus persönlich an den 500-Jahrfeiern von Luthers „Reformation“ teilgenommen.
Eine erste Anspielung auf das Schisma machte Franziskus bereits 2017, doch 2020 erhielt diese Befürchtung eine neue Qualität. Nur wegen der Corona-Lähmung des öffentlichen Lebens wurde sie etwas gedämpft. Es gibt Stimmen, die davon sprechen, daß wichtige progressive Kräfte, die Franziskus zum Papstthron verhalfen, die Geduld mit ihm verloren hätten und ihn sogar loswerden wollten.
Ist Franziskus etwa auf der Suche nach neuen Verbündeten?
Die über Eugenio Scalfari verbreitete Darstellung, daß Franziskus und Benedikt XVI. ein Herz und eine Seele sind und in allen wichtigen Fragen das Gleiche wollen, und das nicht erst seit heute, sondern schon immer, klingt zwar nett, geradezu idyllisch, aber doch etwas zu kitschig. Die Wirklichkeit ist eine andere, weshalb dem seltsamen Versuch, so wie er von Scalfari dargeboten wird, kaum Erfolg beschieden sein könnte, nicht auf der einen und nicht auf der anderen Seite. Das weiß auch Santa Marta. Warum also der Vorstoß, wo doch seit geraumer Zeit selbst die „Kein-Blatt“-These kaum mehr vertreten wird?
Die päpstlichen Schattensprecher
In den vergangenen Jahren tauchte in den Analysen zur Beschreibung des derzeitigen Pontifikats wiederholt ein wenig schmeichelhafter Begriff auf. Die Rede ist von der „jesuitischen List“. Was Scalfari im Namen von Franziskus präsentiert, ist zu durchsichtig und plump.
Folgt man also dem von Franziskus selbst ausgetretenen Pfad, scheint sich hinter dem jüngsten Scalfari-Lehramt etwas weit Nüchterneres, vielleicht sogar Erschreckendes zu verbergen. Will Franziskus durch seinen freimaurerischen Freund mitteilen, daß Benedikt XVI. unter Aufsicht gestellt wurde und er ab nun keine eigene Position mehr vertreten werde können? Es also eine Zwangsharmonie zwischen den beiden Päpsten geben wird, weil der Mächtigere, Franziskus, den Schwächeren seiner Kontrolle unterwirft?
Im August 2019 ließ ein anderer „Schattensprecher“ von Papst Franziskus, der britische Journalist Austen Ivereigh, mit der Aussage aufhorchen:
„Wir müssen das Umfeld von Benedikt XVI. unter Kontrolle bringen.“
Ivereigh war der Pressesprecher von Kardinal Cormac Murphy‑O’Connor, einem führenden Mitglied des Geheimzirkels von Sankt Gallen und seines Exekutivorgans, des Teams Bergoglio. Von dem britischen Kardinal, der 2017 verstorben ist, wechselte der Journalist direkt in die inoffizielle „Presseabteilung“ von Franziskus. Am 1. Dezember, vier Tage vor Scalfaris Ausführungen, kam das neue Ivereigh-Buch auf den Markt, das offiziell ein Buch von Papst Franziskus ist. Für den Vertrieb wurde eine Kooperation mit Scalfaris La Repubblica eingegangen.
Mit der „Kontrolle“ Benedikts klappte es aber nicht so gut, wie das Buch von Kardinal Sarah zeigte. Kurienerzbischof Georg Gänswein verlor deswegen sein Amt als Präfekt des Päpstlichen Hauses, denn er sollte dafür sorgen, daß Benedikt sich von dem Buchprojekt distanziert, wozu es aber nicht kam. Doch vor wenigen Tagen ließ der soeben zum Kardinal kreierte Mario Grech die Öffentlichkeit wissen, daß Benedikt XVI. beim Sprechen Schwierigkeiten habe. Gänswein dementierte.
Nimmt man einige Aussagen zusammen, jene von Ivereigh, von Kardinal Grech und von Eugenio Scalfari (im Namen von Papst Franziskus) und betrachtet die Entwicklung der vergangenen 18 Monate, kann man verstehen, warum manche den Schluß ziehen, daß Benedikt XVI. der wenige Spielraum, den er sich selbst erlaubte und der ihm belassen wurde, entzogen wird. Ist es das Ziel, daß die Stimme von Benedikt XVI. nicht mehr als eigenständige Stimme gehört werden soll?
Es scheint abwegig, annehmen zu wollen, Franziskus will ernsthaft ein Doppelpontifikat behaupten. Allerdings ist er es selbst, der mit diesem jüngsten Scalfari-Schachzug jene bestärkt, die schon bisher sagten, daß Benedikt XVI. weiterhin Papst sei. Wenn Franziskus selbst das sagt, wenn auch nur in Allianz mit sich selbst, warum sollten dann Franziskus-Kritiker im Umkehrschluß nicht eine von Franziskus unabhängige päpstliche Autorität Benedikts behaupten können, wenn Benedikt „theoretisch immer noch Inhaber der päpstlichen Funktionen ist, die so lange fortdauern, wie es ihm sein Leben erlauben wird“, also so lange er lebt.
Ob Franziskus das bedachte, als er Scalfari seine diesbezüglichen Vorstellungen anvertraute?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: La Repubblica/Wikicommons/Vatican.va (Screenshots)
Papst emeritus ist Papst außer Dienst, also nicht regierend.
Ich sehe den Rüchtritt von Benedikt XVI. als notwendig, um die Kirche vor größten Schäden zu bewahren.
Er ist der Fels.
Wie viele Stellvertreter Christi sie Erden kann es zeitgleich geben?
Für mich ist dieser Vorfall einmal mehr Zeichen dafür, dass Bergoglio das Papstamt nicht wirklich angetreten hat. Zumindest füllt er es nicht aus, zumal er die Bezeichnung Stellverteter Christi für sich selbst gestrichen hat. Er ist ein Papst, der sein Amt nicht angetreten hat, bzw. es nicht ausübt.
Da stimme ich mit Jorge M.Bergoglio und Eugenio Scalfari ausnahmsweise einmal voll überein. Wenn auch aus vermutlich anderen Gründen.
Benedikt XVI. ist für mich bis zu seinem irdischen Tod der wahre Papst.
Unter diesen Umständen kann es nur eine Erklärung geben für diese Situation. Wir haben es mit einem faktischen Schisma zu tun, wo ein Gegenpapst Stück für Stück sich selbst demontiert, um das Gesicht zu wahren oder um die Zustimmung der Welt nicht zu verlieren. 2019 hat Bergoglio den Titel „Vicrius Christi“ als „historischen Titulus bezeichnet und dieses in seinen Akten niedergelegt. Was ist das nichts anderes als der Rücktritt selbst oder formelle Häresie gegen das Evangelium? So gesehen steht entweder der Stuhl Petri leer (Sedisvakanz) oder der Stuhl Petri ist okkupiert (Sedisprivatio). Um es mit einem Bild darzustellen. Bergoglio hat sich des rettende Seil abgeschnitten und ist gerade im freien Fall. Wir wissen nicht wie tief er fallen wird, wir wissen nur eines: Alle, die sich an dem Irrtum festmachen, daß Bergoglio Papst Franziskus ist mit der vollen, unmittelbaren und höchsten Autorität, fallen mit und werden mitgerissen. Der Fall kann nur gestoppt werden, wenn Bergoglio und Ratzinger als Büßer aus dem Vatikan ein für allemal ausziehen und einem gültig gewählten Papst Platz machen. Beide müßten dementsprechend auf den Titel Papa und auf die Ausübung jeglichen Pontifizierens verzichten, Firmung und Priesterweihe nur noch in articulo mortis spenden als außerordentliche Spender. Das Priestertum dagegen steht ihnen immer zu, die Heilige Messe zelebrieren, Beichte hören, Krankensalbung spenden, das schon aber mehr auch nicht. Sonst ein Leben in Buße und Schweigen und Gebet für die Bekehrung der Kirche zu Gott.
Ich fürchte, daß Bergoglio mit seiner Zustimmung zur Papstwahl ein formelles Schisma vollendet hat, das Papst Benedikt XVI mit seinem Rücktritt materiell vorbereitet hat. Und die Gründe für deren Handeln liegen im Konzil. Damit wären wir bei Vigano und der Priesterbruderschaft St. Pius X. Auch wenn es der Generalobere Pagliarani anders sieht, in der FSSPX ist tatsächlich nur noch die Kirche sichtbar!
Der Papst heisst Benedikt. Die neuen Kardinäle durften ihm letzte Woche die Huldigung erweisen. Einigen davon hat Benedikt die Huldigung verweigert. Kraft seines Amtes.