Der Vatikanist Sandro Magister veröffentlichte einen Aufsatz über die Widersprüche im Pontifikat von Papst Franziskus zwischen „Alle Macht dem Volk“ und einer absoluten Monarchie. Das veranlaßte den argentinischen Philosophen José Arturo Quarracino, Neffe von Kardinal Antonio Quarracino, der in den 90er Jahren Jorge Mario Bergoglios Aufstieg vom verbannten Jesuiten zum Weihbischof, dann Erzbischofkoadjutor und schließlich Erzbischof von Buenos Aires samt damals noch sicherem Zugang zur Kardinalswürde ermöglichte, zu einer pointierten Ergänzung. Im Kontext ist es nicht schlecht, sich an das Buch „Der Diktatorpapst: Aus dem Innersten seines Pontifikats“ von Marcantonio Colonna (Henry Sire) von 2017 zu erinnern.
Überlegungen zu Kardinals-Delirien
Von José Arturo Quarracino
Geschätzter Sandro Magister,
ich möchte Ihnen einige Überlegungen zu den von Ihnen in Settimo Cielo zitierten Äußerungen des Neokardinals Víctor Manuel Fernández, des neuen Präfekten der Glaubenskongregation, anbieten, die dem im National Catholic Register veröffentlichten Interview entnommen sind, wonach Don Jorge Mario Bergoglio mit einem einzigartigen und außergewöhnlichen Charisma ausgestattet sei – so wie alle Nachfolger Petri ebenfalls mit diesem einzigartigen Charisma ausgestattet gewesen wären.
Laut den Worten des argentinischen Prälaten handelt es sich um „ein besonderes Charisma zur Bewahrung des Glaubensgutes, ein einzigartiges Charisma, das der Herr nur Petrus und seinen Nachfolgern gegeben hat“, d. h. „eine lebendige und aktive Gabe, die in der Person des Heiligen Vaters wirkt“. Es ist ein „Charisma, das nur Papst Franziskus hat“ und niemand sonst, was ihn immun gegen jegliche Kritik von Seiten irgendwelcher Gläubigen macht.
Erstens ist diese Lehre des Neo-Präfekten, wie Sie in Ihrem Artikel richtig feststellen, originell und völlig beispiellos in der Geschichte der Kirche, das heißt, sie ist eine Erfindung, die keine lehrmäßige, biblische oder theologische Grundlage hat. In Wirklichkeit ist sie ein konzeptionelles Delirium, mit dem Don Víctor den Bischof von Rom als ein allen Gläubigen überlegenes Wesen vergöttert. In Wirklichkeit nährt Don Víctor mit dieser Erfindung Bergoglios Ego, der glaubt – als Selbstwahrnehmung, wie es für den Gender-Progressismus typisch ist –, daß er mit göttlicher Macht ausgestattet ist, nicht nur in Fragen der Lehre und der Moral, sondern auch in der administrativen Ausübung der päpstlichen Macht, das heißt, daß sein „munus petrinum“ (Petrus-Amt) nicht nur die geistliche Regierung der Kirche umfaßt, sondern auch die weltliche Regierung, als „Papst-König“, wie Sie in Ihrem Artikel vom 31. Mai hervorgehoben haben: „Franziskus, König mit göttlichem Auftrag. Was kein Papst vor ihm zu sagen gewagt hat“. Mehr als ein Papst-König ist er ein ägyptischer Pharao im wahrsten Sinne des Wortes, denn das ist es, wofür ihn das Volk hält.
In diesem Sinne hätten wir einen Papst, der sich für Gott hält, und einen Kardinal, der ihm unterwürfig und servil zustimmt.
Zweitens widerspricht der Glaubenspräfekt sich selbst: Wenn diese „einzigartige und exklusive“ Gabe allen Päpsten, bis hin zum Höchsten Don Jorge Mario gegeben war, muß Don Víctor seine Kritik an Johannes Paul II. bezüglich seiner Enzyklika Veritatis Splendor zurücknehmen, indem er sagte, daß sie zwar lehrmäßig korrekt, aber im Ton zu hart sei, was viele dazu veranlaßt habe, sie abzulehnen. Er ging sogar so weit zu sagen, daß die Enzyklika neu geschrieben werden müßte, um die Sprache abzumildern, und daß Franziskus sie nicht in dem Ton geschrieben hätte, in dem sie verfaßt wurde. In diesem Sinne ist die Kritik des Präfekten an Johannes Paul II. schizophren: Nach seinen eigenen Worten darf er als Kardinal den polnischen Papst nicht kritisieren, ebenso wenig wie Kardinal Burke Franziskus kritisieren darf.
Es ist klar, daß Unterwürfigkeit und Servilität, wie in diesem Fall, immer zu Widersprüchen führen oder in ihnen enden, die unmöglich zu lösen sind.
Kurzum, wir haben es hier mit zwei Personen zu tun: Die eine hält sich selbst für „göttlich“, die andere liefert ihm die Handhabe dafür und macht mit, wie es bei Verrückten [„locos“] üblich ist, denen zu widersprechen sehr gefährlich sein kann.
Drittens besteht kein Zweifel daran, daß diese wahnwitzige Konfiguration des Papsttums und der Funktion des Neo-Kardinalpräfekten mit der „Mission“ zusammenhängt, die der Bischof von Rom Don Tucho in seinem Begleitschreiben zur Ernennung anvertraut hat. Am Ende des Briefes teilt Franziskus ihm mit, daß die Aufgabe, die den Ernannten erwartet, darin besteht, „zu überprüfen, daß die Dokumente des Dikasteriums selbst und der anderen eine angemessene theologische Unterstützung haben, daß sie mit dem reichen Humus der immerwährenden Lehre der Kirche kohärent sind und gleichzeitig das jüngste Lehramt einschließen“.
Wie man sieht, fordert er die Kohärenz mit dem „reichen Humus“ der immerwährenden Lehre der Kirche – nicht Kohärenz mit der immerwährenden Lehre, sondern mit dem „Humus“ (wer weiß, was das bedeutet) und das „jüngste Lehramt“ zu umarmen, womit er auf sehr subtile jesuitische Weise andeutet, daß das bergoglianische „Lehramt“ sich vom immerwährenden Lehramt der Kirche unterscheidet und letzteres nicht fortsetzt, oder mit anderen Worten, das bergoglianische „Lehramt“ nicht Teil der immerwährenden Lehre der Kirche ist. Mit aller Gewißheit werden wir sehen, daß sich die künftige Aufgabe von Kardinal Tucho rein und fast ausschließlich auf das Wort von Bergoglio stützen wird, in Übereinstimmung mit dem „Humus“, aber nicht mit dem Inhalt der Tradition.
Und es ist nicht weit hergeholt zu denken, daß wir in Zukunft erleben werden, daß in den Messen – wenn sie gefeiert werden – die Lesung der Heiligen Schrift durch die bergoglianischen Texte ersetzt wird, und daß am Ende nicht mehr die Formel „Wort des lebendigen Gottes“ rezitiert wird, sondern „Wort des lebendigen Franziskus“. Wir haben bereits einen Jesuiten, der gegen Jesus Christus gelästert hat – sektiererisch, arrogant, starrer Theologe, verschlossener Nationalist usw., der am Ende von der kanaanäischen Frau „bekehrt“ wurde (Don Antonio Spadaro SJ). Jetzt gibt es als „Glaubenswächter“ den Prälaten, der einmal sagte: „Es gibt Dinge, die wir manchmal für unveränderlich halten und die es in Wirklichkeit nicht sind. Das Sonntagsgebot zum Beispiel ist nicht unverzichtbar und kann wegfallen“ (Interview von José Manuel Vidal für Religión Digital, 27. April 2020). Für den Hüter des Glaubens ist die Sonntagsmesse „nicht unverzichtbar“. Jeden Moment wird Bergoglio unseren Herrn Jesus Christus als „einzigen Vermittler zwischen Gott und den Menschen“ ablösen.
Buenos Aires, 25. September 2023
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshot)