Inquisition – das hartnäckige Propagandamärchen

Was Historiker längst wissen, wird von den Meinungsmachern nicht rezipiert. Warum nicht?


"Szenen der Inquisition" von Alessandro Magnasco (1720). Das Gemälde spiegelt nicht die Wirklichkeit wider, sondern ist ein kirchenfeindliches Propagandakonstrukt der Aufklärung.
"Szenen der Inquisition" von Alessandro Magnasco (1720). Das Gemälde spiegelt nicht die Wirklichkeit wider, sondern ist ein kirchenfeindliches Propagandakonstrukt der Aufklärung.

„Das Bild der Römi­schen Inqui­si­ti­on als Reich der Fol­ter und des Bösen führt heu­te ein Eigen­le­ben und ähnelt den Fake News, über die heu­te viel gespro­chen wird.“ Die­se Aus­sa­ge der jüdi­schen Histo­ri­ke­rin Anna Foa, Pro­fes­so­rin für Geschich­te der Neu­zeit an der Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za in Rom, stammt aus dem Jahr 2018. Sie ver­dient in Erin­ne­rung geru­fen zu wer­den, ange­sichts der ziem­lich unglaub­li­chen Situa­ti­on, daß der neu­ernann­te Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on Víc­tor Manu­el Fernán­dez, Kar­di­nal in spe, für sei­ne bevor­ste­hen­de Amts­über­nah­me aus­ge­rech­net mit einem Wie­der­auf­wär­men die­ser Fake News koket­tiertunter­stützt von Papst Franziskus.

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Zur Ein­ord­nung: Fran­zis­kus und Erz­bi­schof Fernán­dez schla­gen die Hei­li­ge Inqui­si­ti­on ver­gan­ge­ner Jahr­hun­der­te, mei­nen jedoch die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, die sich auch nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil bemüh­te, die Glau­bens­wahr­heit gegen hete­ro­do­xe Mei­nun­gen zu ver­tei­di­gen. Moder­ni­sti­schen Krei­sen ist die blo­ße Exi­stenz einer sol­chen Insti­tu­ti­on uner­träg­lich. Zu berück­sich­ti­gen ist auch der PR-Effekt mit­tels einer alt­be­kann­ten Metho­de, sich selbst in ein ange­neh­me­res Licht zu stel­len, indem man sich von ande­ren distan­ziert und dafür ein Feind­bild wählt, von dem man genau weiß, daß Medi­en und Öffent­lich­keit in fest­ge­füg­ten Kli­schees gefan­gen sind und reflex­ar­tig „anbei­ßen“. Las­sen wir die Fra­ge jedoch bei­sei­te, daß es sol­che Metho­den in der Kir­che eigent­lich nicht geben sollte.

Keh­ren wir zurück zur Histo­ri­ke­rin Anna Foa und der geschol­te­nen Hei­li­gen Inqui­si­ti­on, kon­kret der Römi­schen Inqui­si­ti­on, die für den Kir­chen­staat und die dama­li­gen ita­lie­ni­schen Staa­ten zustän­dig war. Foa trat 2018 als aus­ge­wie­se­ne Ken­ne­rin der Mate­rie gegen die Schwar­ze  Legen­de auf, die seit Jahr­hun­der­ten die Hei­li­ge Inqui­si­ti­on umrankt, und zer­trüm­mer­te eine unge­rech­te, da fal­sche anti­ka­tho­li­sche Vul­ga­ta, die in ihrer heu­ti­gen Form im 18. Jahr­hun­dert von den Pro­te­stan­ten, beson­ders der Gene­ral­staa­ten und Eng­lands über­nom­men und von der Auf­klä­rung aus­ge­schmückt und ver­brei­tet wur­de. (Die Gene­ral­staa­ten waren jene nörd­li­chen Pro­vin­zen der habs­bur­gi­schen Nie­der­lan­de, die von einer refor­mier­ten Ober­schicht regiert waren.)

Die heu­ti­gen Main­stream-Medi­en, so Foa 2018, gin­gen fälsch­li­cher­wei­se davon aus, daß die katho­li­sche Kir­che mit der Öff­nung des Zen­tral­ar­chivs des ehe­ma­li­gen Hei­li­gen Offi­zi­ums im Jahr 1998 den angeb­lich abscheu­li­chen und blu­ti­gen Cha­rak­ter der Inqui­si­ti­on end­lich aner­ken­nen und ein­ge­ste­hen wür­de, die in der kol­lek­ti­ven Vor­stel­lung immer noch als „bewaff­ne­ter Arm der Kir­che gegen Ket­ze­rei, frei­es Den­ken und Gewis­sens­frei­heit“ gilt. „In den Augen der Medi­en und der soge­nann­ten histo­rio­gra­phi­schen Ver­nunft war die Inqui­si­ti­on der Feind des moder­nen Den­kens schlecht­hin“, so Foa.

Nichts von alle­dem trifft jedoch zu, so die Histo­ri­ke­rin. Das ist natür­lich eine gro­ße Ent­täu­schung für Jour­na­li­sten und Anti­kle­ri­ka­le, aber sicher nicht für Fach­leu­te. Nicht zuletzt des­halb, so die jüdi­sche Histo­ri­ke­rin, „weil es in den vor­an­ge­gan­ge­nen zwei Jahr­zehn­ten bereits eine umfas­sen­de histo­rio­gra­phi­sche Auf­ar­bei­tung in die­sem Bereich gege­ben hat“. Öffent­lich ging die Ent­wick­lung aber mehr in Rich­tung einer Bit­te um Ver­ge­bung (man den­ke an Johan­nes Paul II. im Jahr 2000) als in Rich­tung einer ange­brach­ten Revi­si­on der Schwar­zen Legen­de. Die Opfer­zah­len und vor allem die Rol­le der Inqui­si­ti­on ins­ge­samt wur­den von der For­schung stark in Fra­ge gestellt und mas­siv nach unten revidiert.

In den ver­gan­ge­nen 25 Jah­ren wur­de von Histo­ri­kern eine Rei­he von Büchern ver­öf­fent­licht, die eine fak­ti­sche Ver­tei­di­gung der Inqui­si­ti­on sind, die von den gro­ßen Medi­en (mit weni­gen Aus­nah­men) aber völ­lig igno­riert wur­den. Bei­spiel­haft zu nen­nen wären „The Ita­li­an Inqui­si­ti­on“ (2015, ita­lie­ni­sche Aus­ga­be bereits 2013) von Chri­sto­pher F. Black, inzwi­schen eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor der Geschich­te an der Uni­ver­si­tät Glas­gow; „Tri­bu­na­li del­la cosci­en­za. Inqui­si­to­ri, con­fes­so­ri e mis­sio­na­ri „ (“Gewis­sens­tri­bu­nal. Inqui­si­to­ren, Beicht­vä­ter und Mis­sio­na­re”) von Adria­no Pro­spe­ri von der Scuo­la Nor­ma­le in Pisa; “Cac­cia alle streg­he” (“Hexen­jagd”) von Mari­na Mon­te­sa­no von der Uni­ver­si­tät Genua; “L’In­qui­si­zio­ne in Ita­lia” (“Die Inqui­si­ti­on in Ita­li­en”), von Andrea Del Col von der Uni­ver­si­tät Tri­est; “L’in­qui­si­zio­ne” (“Die Inqui­si­ti­on. Tagungs­band” jenes berühm­ten inter­na­tio­na­len Sym­po­si­ums, das nach der Öff­nung des Archivs des ehe­ma­li­gen Hei­li­gen Offi­zi­ums statt­fand), her­aus­ge­ge­ben von Ago­sti­no Graf Bor­ro­meo d‘Adda, Pro­fes­sor der Geschich­te der Neu­zeit an der Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za.

Lei­der, so bedau­er­te Anna Foa, hat weder die Öff­nung der Archi­ve noch der Bei­trag die­ser Histo­ri­ker dazu bei­getra­gen, die Wahr­heit ins „All­ge­mein­wis­sen“ zu brin­gen. Die Popu­la­ri­sie­rungs­ak­ti­vi­tä­ten der Medi­en ziel­ten mehr auf Sen­sa­ti­ons­lust als auf die „Wahr­heit“ ab, so die Histo­ri­ke­rin. Im salopp for­mu­lier­ten Klar­text: Man will sich von lieb­ge­won­ne­nen Kli­schees von der bösen Inqui­si­ti­on und über­haupt von der bösen Kir­che nicht tren­nen. Dazu tra­gen nega­tiv kon­no­tier­te Rede­wen­dun­gen bei, die Ein­gang in den all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch gefun­den haben.

Die Histo­ri­ke­rin der Sapi­en­za zeig­te daher schon 2018 wenig Hoff­nung, daß sich an die­sem kol­lek­ti­ven Irr­tum etwas ändern könn­te: Jeder glaubt zu wis­sen, was die Inqui­si­ti­on war. Gemeint sind damit Fol­ter, Grau­sam­kei­ten aller Art und eine Unzahl von Hexen­ver­bren­nun­gen. Lau­fend begeg­net man Men­schen, die die­ses Urteil, das eine Ver­ur­tei­lung ist, im Brust­ton innig­ster Über­zeu­gung und Empö­rung vor­tra­gen. Doch die­ses Urteil ist durch und durch falsch. Wen kümmert’s?

„Es wird noch immer geschrie­ben und behaup­tet, daß die Inqui­si­ti­on im Zuge der Hexen­ver­fol­gung Mil­lio­nen von Toten ver­ur­sacht hätte.“

Die Hoff­nun­gen, der Zugang zu den Archi­ven und die Zunah­me der wis­sen­schaft­li­chen For­schung wür­den durch die Fak­ten über­zeu­gen, erwies sich als voreilig.

War­um hät­te es auch so sein sol­len? Die ver­gan­ge­nen 25 Jah­re, die seit der Öff­nung der Archi­ve ver­gan­gen sind, sind Jah­re, in denen die Mythen­fa­brik in der Gesell­schaft ins­ge­samt nicht zurück­ge­gan­gen, son­dern gewach­sen ist, indem die Schran­ken zwi­schen wahr und falsch, zwi­schen Wis­sen und Nicht­wis­sen, zwi­schen Rea­li­tät und Fik­ti­on zuneh­mend abge­tra­gen wur­den und ver­schwim­men. Vor­ur­tei­le, Lei­den­schaf­ten und vor allem inter­es­sen­ge­lei­te­te Pro­pa­gan­da haben zuneh­mend Vor­rang vor Wis­sen und Erkennt­nis. Wer lau­ter schreit, hat recht, könn­te man sagen. Aller­dings ist das nicht wört­lich zu neh­men. Über­setzt in die heu­ti­ge Zeit bedeu­tet das: Wer die wich­ti­ge­ren Medi­en kon­trol­liert, bestimmt die Mei­nung. Die Doku­men­te der Ver­gan­gen­heit, noch so akri­bisch auf­ge­ar­bei­tet, sind nicht imstan­de, ein ein­ge­präg­tes Vor­ur­teil all­ge­mein zu über­win­den, wenn die heu­te maß­geb­li­chen Mei­nungs­ma­cher nicht mit­ma­chen. Im End­ef­fekt hat sich wenig geän­dert, denn auf die glei­che Wei­se – durch die Mei­nungs­ma­cher ver­gan­ge­ner Zei­ten – war die Schwar­ze Legen­de zur Hei­li­gen Inqui­si­ti­on erst entstanden.

Aller­dings haben jene, die es wirk­lich wis­sen wol­len und sich wirk­lich inter­es­sie­ren, heu­te viel mehr Mög­lich­kei­ten, sich Zugang zu Infor­ma­tio­nen zu ver­schaf­fen, um zu erfah­ren, was die Fach­welt schon lan­ge weiß. Das unter­schei­det unse­re Zeit dann doch von frü­he­ren und ist ein Ansporn für jene, die der Wahr­heit ver­pflich­tet sind, die­se allen ande­ren zur Ver­fü­gung zu stel­len. Das ist in jedem Fall ein Zei­chen der Hoffnung.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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