
(Rom) Der neu ernannte Glaubenspräfekt der katholischen Kirche Msgr. Victor Manuel Fernández und Papst Franziskus übten sich in den vergangenen Tagen in einer beispiellosen Diskreditierung der römischen Glaubenskongregation. Wie ist das möglich? Sie bezeichneten diese als „Inquisition“, die „unmoralische Methoden“ angewandt habe, darunter Folterungen und Hinrichtungen, Methoden, die nie wieder zur Anwendung kommen dürften, wofür der neue Glaubenspräfekt zu sorgen habe. Die Intensität dieses Angriffs gegen die bedeutendste Kongregation an der Römischen Kurie sorgt für Erstaunen und Irritation. Papst Franziskus und sein Protegé und Ghostwriter Fernández bedienen sich eines verzerrten Bildes, das im kollektiven Gedächtnis verankert ist, weil es in der Vergangenheit durch die Verbreitung antikirchlicher schwarzer Legenden gezielt und systematisch verankert wurde. Warum aber tut dies ein Papst und ausgerechnet der künftige Leiter eben dieser Kircheninstitution? Der Grund ist zweifellos, um die Glaubenskongregation zu demontieren, denn genau das ist der päpstliche Auftrag an „Tucho“ Fernández. Progressive Kirchenkreise, und die Welt ohnehin nicht, ertragen eine Institution zur Bewahrung und Verteidigung des Depositum fidei nicht mehr. Eine solche Stelle, die darüber wacht, daß die Glaubenslehre vollständig und unverändert bewahrt bleibt, ist modernistischen Kirchenkreisen seit gut hundert Jahren ein Dorn im Auge. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil besteht in diesen Kreisen die Hoffnung, die verhaßte Glaubenskongregation ausschalten zu können. Deshalb trompetet Msgr. Fernández es in alle Welt hinaus, daß von der Glaubenskongregation auch schon gegen ihn ermittelt worden sei, als wäre das eine Auszeichnung.
Die Glaubenskongregation, die die Nachfolge der heiligen Inquisition antrat, ist Ausdruck des kirchlichen Anspruchs, die wahre apostolische Kirche zu sein, die von Jesus Christus gestiftet wurde. Wie es nur in der katholischen Kirche eine zentrale Leitung wie jene des römischen Papstes gibt, existiert auch nur in ihr eine Institution wie die Glaubenskongregation. Weder in anderen christlichen Denominationen noch im Islam oder im Judentum existiert eine solche zentrale Autorität. Genau dieses Alleinstellungsmerkmal, das als Beweis für den Anspruch zu sehen ist, die wahre Kirche Jesu Christi zu sein, ist jedoch ein Reibungspunkt, weshalb die Liste jener, die es beseitigen möchten, lang ist. Es soll keine zentrale Autorität zur Glaubenswahrheit mehr geben. Der Protestantismus zeigt die Folgen, indem es dort im Zeichen des Subjektivismus weltweit mehr als 30.000 verschiedene „Kirchen“ gibt.
Die Inquisition dient seit langem als „Kinderschreck“. Sie wurde zum Inbegriff einer finsteren, „mittelalterlichen“, bösen Kircheninstitution gemacht. Doch wie sieht die historische Wirklichkeit aus? Der päpstliche Angriff ist Anlaß, einen 2009 veröffentlichte Beitrag zur Inquisition erneut vorzulegen:
Informationen und Zahlen über die Heilige Inquisition
Die Inquisition insgesamt, die Spanische Inquisition ganz besonders, läßt noch heute erschaudern. Sie gilt als abschreckendes Paradebeispiel einer gnadenlosen Verfolgungsbehörde, die Unschuldige hinrichten ließ. Friedrich Schiller im Don Carlos, Fjodor Dostojewski in Die Brüder Karamasow, Bert Brecht in seinem Leben des Galilei schufen in ihren literarischen Werken mit schriftstellerischer Freiheit das, was man heute Fake News nennen würde. Daraus entstand ein ebenso verbreitetes wie falsches Geschichtsbild. Die Wirklichkeit der Inquisition sieht nämlich deutlich anders aus.
Zunächst ist festzuhalten, daß die Inquisition kein einheitlicher Block war, sondern in jedem Staat, in dem sie zur Anwendung kam, als Behörde eigenständig existierte und handelte.
Die Spanische Inquisition hat in den Jahren 1540 bis 1700 insgesamt 44.674 Urteile gefällt. Das ist nicht viel für eine Gerichtsbehörde. Die Akten sind erhalten und die Archive untersucht worden. Es handelt sich um einen Zeitraum von immerhin 160 Jahren. Der Amtsbereich der Spanischen Inquisition umfaßte zudem nicht nur Spanien, sondern auch die Königreiche Sardinien, Sizilien, Neapel sowie die riesigen Vizekönigreiche in Amerika, die Philippinen und weitere Überseegebiete.
Von den Verurteilten wurden in den 160 Jahren insgesamt 826 Personen hingerichtet. Im Vergleich dazu haben die Kommunisten und die mit ihnen in der Volksfront verbündeten Anarchisten, Sozialisten und Linksradikalen im Spanischen Bürgerkrieg in nur sechs Jahren allein mehr als 7.000 Priester und Ordensleute ermordet.
Es war die antispanische und antikatholische Propaganda Englands und Hollands in der frühen Neuzeit, die in protestantischen Kreisen anderer Länder und dann vor allem von den Aufklärern übernommen und verbreitet wurde, die ein Klischee von der Inquisition schuf, die sie sprichwörtlich machte. Im Verhältnis zu diesem Klischee wirken die Opferzahlen „bescheiden“. Da sie mit dem kollektiven Negativbild von der „bösen“ Inquisition nicht übereinstimmen wollen, wird versucht, die Hauptaktivität der Spanischen Inquisition auf die Frühphase von 1480–1530 zu verlegen.
In dieser Frühphase befaßte sich die Inquisition fast ausschließlich mit Conversos und Moriscos, also Juden und Muslimen auf der iberischen Halbinsel, die zum Christentum konvertiert waren. Allerdings lassen sich für diese Phase kaum konkrete Belege für Hinrichtungen finden. Das Bild von der blutrünstigen und willkürlichen Hinrichtungsmaschinerie läßt sich auch damit nicht bestätigen. In der Tat hätten solche Hinrichtungen der Politik der zwei Optionen widersprochen, die von den spanischen Kronen in diesem Zeitraum betrieben wurde: Bekehrung oder Auswanderung. Der Großteil der beiden Gruppen hatte sich für die Auswanderung entschieden.
In der Literatur wird gerne auf ein königliches Dekret von 1527 verwiesen, laut dem sich „alle Muslime“ des Königreichs Aragon zum Christentum zu bekehren hatten. Die Rede ist deshalb von „Zwangsbekehrungen“ und Gewaltanwendung. In Wirklichkeit bezeichnet das Dekret lediglich den Anspruch der Glaubenseinheit. Die Reconquista war im Königreich Aragon bereits Anfang des 13. Jahrhunderts zu Ende gegangen, also 300 Jahre vor dem Dekret. 1527 gab es im Königreich schon lange keine Muslime mehr, gegen die Zwang oder Gewalt ausgeübt werden hätte können.
Im protestantischen Nürnberg gab es mehr Hinrichtungen als von der Inquisition in Spanien und Rom zusammen
Einem verzerrten Geschichtsbild entspricht auch eine dunkle Vorstellung von der Römischen Inquisition, also der Inquisition in den italienischen Staaten. Auch dazu konkrete Zahlen: Die Römische Inquisition ließ zwischen 1542 und 1761 exakt 97 Personen hinrichten, wobei die meisten sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht hatten, die auch nach heutigen Strafgesetzbüchern mit der Höchststrafe geahndet würden.
Zum besseren Vergleich: In etwa demselben Zeitraum wurden von weltlichen Strafgerichten allein in der protestantischen Stadt Nürnberg 939 Menschen hingerichtet, mehr als von der Spanischen und der Römischen Inquisition zusammen.
Vor allem war das Verfahren der Inquisition rechtstechnisch gesehen gerade nicht Willkür, sondern ein sehr großer Fortschritt. Vor Einführung der Inquisition hantierte man im deutschen Recht noch mit Gottesbeweisen. Beim Inquisitionsprozeß hingegen mußten dem Angeklagten der Vorwurf und die Zeugen gegen ihn mitgeteilt werden und er konnte sich gegenüber den bis dahin geltenden Rechtsstandards viel wirksamer verteidigen. Die meisten Urteile lauteten auf ein geistliches Bußwerk wie die Durchführung einer Wallfahrt oder das Tragen eines Kreuzes. In erster Linie war die Inquisition ein pastorales Anliegen. Prozesse wurden immer mit Predigten begonnen, eine Beichte führte meist zum Freispruch. Inhaftierte hatten spezielle Rechte einer guten Versorgung und durften, wenn sie es sich leisten konnten, sogar ihr Personal mitnehmen.
Und die Hexenverbrennungen?
Die Päpste haben diese strikt abgelehnt. Die Inquisition hat keine Hexenverbrennungen durchgeführt und im 17. Jahrhundert, wo besonders in den protestantischen Gebieten nördlich der Alpen eifrig die Scheiterhaufen brannten, nicht einen Hexenprozeß abgehalten. Die Schätzung der Opfer von Hexenverbrennungen beläuft sich für Deutschland auf etwa 25.000 Frauen. Im Vergleich dazu lassen sich im katholischen Spanien insgesamt rund 300 und im katholischen Irland nur zwei Hexenverbrennungen nachweisen.
Die oft kolportierte Zahl von neun Millionen Opfern stammt übrigens von SS-Chef Heinrich Himmler, der damit die antikatholischen Reflexe fördern wollte. Tatsächlich hat seine Recherche-Gruppe keine 30.000 Opfer auffinden können.
Anläßlich der Calvin-Huldigungen in der Presse darf daran erinnert werden, daß sich das protestantische Genf im Kampf gegen Hexen besonders hervortat, die dort als Pestverbreiter galten. Auch Martin Luther war ein Befürworter der Hexenprozesse. Hier ein Auszug aus seiner Predigt vom 6. Mai 1526:
„Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, daß die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird, sie können nämlich Milch, Butter und alles aus einem Haus stehlen… Sie können ein Kind verzaubern… Auch können sie geheimnisvolle Krankheiten im menschlichen Knie erzeugen, daß der Körper verzehrt wird… Schaden fügen sie nämlich an Körpern und Seelen zu, sie verabreichen Tränke und Beschwörungen, um Haß hervorzurufen, Liebe, Unwetter, alle Verwüstungen im Haus, auf dem Acker, über eine Entfernung von einer Meile und mehr machen sie mit ihren Zauberpfeilen Hinkende, daß niemand heilen kann … Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder … Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.“
Das Buch zum Artikel:
Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Erstausgabe, Aschendorff Verlag, Münster 2006, 2018 erfolgte der Nachdruck der 5., aktualisierten Edition, 800 Seiten. Derzeit ist das Buch nur mehr als E‑Book oder antiquarisch erhältlich.
Einleitung: Giuseppe Nardi
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