(Rom) Msgr. Victor Manuel Fernández, der neuernannte Glaubenspräfekt der katholischen Kirche, kokettiert gegenüber den Medien und diskreditiert dabei sein neues Amt und seine Amtsvorgänger. Das Glaubensdikasterium sei die alte Glaubenskongregation, das Heilige Offizium, sprich, die Inquisition gewesen, eine Institution, die gegen alle möglichen Leute ermittelt habe, auch gegen ihn, den neuen Glaubenspräfekten, selbst. Nun aber wolle Papst Franziskus sie grundlegend umbauen. Aus ihr wurde bereits im vergangenen Jahr das Dikasterium für die Glaubenslehre und er, Fernández, werde nun den Umbau vollenden. Der neuen Glaubenspräfekt sprach mit argentinischen Medien über seine neue Aufgabe.
Seine Ernennung zum neuen Glaubenspräfekten erklärte Tucho Fernández damit, daß die neue Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium, die von Franziskus für die Neuorganisation der Römischen Kurie erlassen wurde, „nicht ausgereicht“ habe. Franziskus habe gesehen, daß die von ihm erhoffte Wirkung nicht in dem Ausmaß eingetreten sei, das er sich erhofft hatte. Aus diesem Grund habe er nun ihn, Victor Manuel Fernández, seinen argentinischen Landsmann, Vertrauten und Freund, nach Rom zurückgerufen, um personell neue Weichen zu stellen und ein neues Kapitel aufzuschlagen.
Franziskus habe in jüngster Zeit „seine Meinung geändert“ und die Zuständigkeiten der Glaubenskongregation noch einmal neu geordnet, so Tucho Fernández gegenüber Radio Perfil und Net TV.
Den Abbau der Glaubenskongregation vollenden
Fernández erklärte damit, daß Franziskus ihn nach Rom berufen habe, um den Umbau der Glaubenskongregation zu vollenden, weil die bisherigen Bemühungen unzureichend waren. Er begnügte sich aber nicht mit dieser offensichtlichen Kritik am bisherigen Glaubenspräfekten Kardinal Luis Ladaria Ferrer SJ, sondern führte einen noch größeren Seitenhieb gegen die künftig von ihm geleitete Behörde selbst und seine bedeutenden Amtsvorgänger, insbesondere gegen Benedikt XVI., der mehr als 20 Jahre lang Präfekt der Glaubenskongregation war, ehe er zum Papst gewählt wurde. Dieser Seitenhieb erfolgte, indem Fernández die genannte Negativchronologie anführte und die Kurienbehörde als Inquisition bezeichnete, wohl wissend, welche negativen Konnotationen durch schwarze Legenden im kollektiven Gedächtnis damit verbunden sind. 481 Jahre nach ihrer Gründung werde nun aber mit Fernández an der Spitze die Inquisition, „die sogar gegen mich ermittelt hat“, endlich abgewickelt werden. So scheint es der argentinische Papstvertraute sagen zu wollen.
Warum aber wurde gegen Tucho Fernández von der Glaubenskongregation ermittelt? Dem Papstvertrauten war vorgeworfen worden, die kirchliche Lehre zur Homosexualität nicht zu teilen. Das verwundert allerdings nicht wirklich, bestehen in dieser Frage doch sogar Zweifel bezüglich der Position von Santa Marta. Papst Franziskus sagte im Sommer 2013 in seinem wohl berühmtesten und auch berüchtigsten Satz zur Homosexualität: „Wer bin ich, um zu urteilen?“, daß die Lehre der Kirche in diesem Punkt bekannt und klar sei. Nur: Franziskus sprach diese Lehre in seinem Pontifikat nie laut und öffentlich wahrnehmbar aus. Wie sollen die Menschen sie aber kennen, wenn sie nicht gelehrt wird, jedenfalls nicht vom Papst, und das in einer Zeit, in der die Homo-Häresie die Kirche intensiver denn je herausfordert?
Die Ernennung eines Mannes zum Glaubenspräfekten, gegen den die Glaubenskongregation selbst ermittelt hatte, gehört zu jener Art von „Humor“, die Papst Franziskus besonders gefällt. In der Kirche finden erhebliche Kreise das aber nicht mehr lustig.
Fernández betreibt eine Abrechnung, wenn er von der Glaubenskongregation als Inquisition spricht, die „verfolgte“ und dabei auch „unmoralische Methoden“ angewandt habe. Die Keulen sind präzise plaziert und dienen zur Demontage der Behörde durch ihren neuen höchsten Amtsträger. Tucho Fernández läßt dabei absichtlich offen, ob er nun von einer Jahrhunderte fernen oder einer sehr nahen Vergangenheit spricht, jener seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Keine römische Behörde ist modernistischen Kirchenkreisen verhaßter als die Glaubenskongregation, keine sollte ihrer Ansicht nach schneller aufgelöst und demontiert werden als diese.
Die Ernennung von Tucho Fernández, dem „Kuß-Theologen“, zeigt, daß Franziskus genau das beabsichtigt. Zuerst ignorierte er nach seiner Wahl den von Benedikt XVI. übernommenen Glaubenspräfekten Gerhard Müller, dann zog er der Glaubenskongregation unter Glaubenspräfekt Ladaria die Zähne und nun folgt die Abwicklung jener altehrwürdigen Kurienstelle, die als Konsequenz wegen der Reformation mit dem Auftrag errichtet worden war, über das Depositum fidei zu wachen, damit sich keine Irrlehren einschleichen.
Unter den besten Kennern besteht kein Zweifel, daß Tucho Fernández weder in der Lage noch willens ist, diesen Auftrag zu erfüllen. Wenn Franziskus dennoch ihn ernannte, dann gerade deshalb. Die Glaubenskongregation erhielt mit 1. Juli 2022 den neuen Namen Glaubensdikasterium. Der Namenswechsel findet mit der Ernennung des neuen Glaubenspräfekten ihre Vollendung: Die alte Glaubenskongregation gibt es nicht mehr und soll es laut Franziskus auch gar nicht mehr geben.
Die Glaubenskongregation „hat sogar gegen mich ermittelt“
Fernández ging so weit, sich selbst gegenüber den genannten argentinischen Medien als „Opfer“ der Inquisition zu präsentieren:
„Sie können sich also vorstellen, daß es eine schmerzhafte Erfahrung ist, an diesem Ort genannt zu werden. Dieses Dikasterium, das ich leiten werde, war das Heilige Offizium, die Inquisition, die sogar gegen mich ermittelt hat. Die Leute hier schickten Artikel von mir ein, die sie für ketzerisch hielten, und ich verbrachte einige Monate damit, sie zu beantworten. Sie stellten mir Fragen und ich beantwortete sie wieder, das war wirklich sehr lästig.
Sie schickten dem Dikasterium sogar einen Artikel von mir in einer kleinen und wenig bekannten Zeitung in Rio Cuarto, denn damals gab es homosexuelle Paare (wir sprechen hier von vor 30 Jahren), die um eine Segnung baten, und der Bischof hatte gesagt, daß wir das nicht tun könnten, und mich gebeten, das zu erklären.
Ich habe in der Zeitung gesagt, daß wir das nicht getan haben, weil wir die Ehe als eine Verbindung von Mann und Frau verstehen, die offen ist für die Zeugung von Leben, so daß wir sie nicht identifizieren können. Aber das bedeute nicht, daß wir über Menschen urteilen, uns in ihr Intimleben einmischen oder jemanden verurteilen.“
Er habe „Monate mit dem Unsinn zugebracht“, sich gegenüber der Glaubenskongregation wegen „alter“ Artikel rechtfertigen zu müssen. Tucho Fernández spielte in seiner Selbstverteidigung auf einen Artikel von „vor 30 Jahren“ an, doch wie es heute mit seiner Haltung zur Homosexualität steht, sagte er nicht.
Vielmehr bestärkte er bei den Hörern die verzerrte Vorstellung von einer Glaubenskongregation, die ein finsterer Repressionsapparat gewesen sein müsse, deren Hauptaufgabe darin bestand, unbescholtene Theologen willkürlich zu „verfolgen“:
„Es gab große Theologen zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, die von dieser Institution verfolgt wurden. Und es gibt einen berühmten Fall eines großen Theologen, der eines Nachts an die Tür des Heiligen Offiziums urinierte, als Geste der Verachtung gegenüber dieser Verfolgungsmethodik.“
Papst Franziskus „will der Glaubenskongregation eine andere Bedeutung geben“
Als ihn Franziskus ein erstes Mal gefragt habe, ob er an die Spitze der römischen Behörde treten wolle, habe er, Fernández, abgelehnt. Ein zweites Mal sei dies aber nicht mehr möglich gewesen:
„Später, als er im Krankenhaus lag, fragte er mich erneut, und ich konnte nicht nein sagen. Er sagte mir: ‚Ich möchte es neu gestalten, darüber nachdenken‘. Daraufhin sagte er mir: ‚Mach dir keine Sorgen, ich werde dir einen Brief schicken, in dem ich erklären werde, daß ich diesem Dikasterium eine andere Bedeutung geben möchte, nämlich das Denken und die theologische Reflexion im Dialog mit der Welt und der Wissenschaft zu fördern, das heißt, statt Verfolgungen und Verurteilungen Räume für den Dialog zu schaffen‘. Das hat mich also beruhigt.“
Selbst der längst in neuem Licht betrachtete Fall Galileo Galilei wurde von Fernández im antikirchlichen Sinn bemüht.
Und weiter:
„Wir haben gesagt, daß Wissenschaft, Kunst und Politik die drei Möglichkeiten sind, die Welt zu verändern, und daß die Religion alle drei Bereiche berührt, daher verstehe ich diese Verantwortung.“
„Die Realität sieht so aus, daß der Papst Menschen braucht, denen er vertraut, und ich muß im Vatikan leben. Er hat sich sogar selbst darum bemüht, ein kleines Haus für mich zu finden, weil er wußte, daß er mich kannte und daß es einige Eigenschaften hatte, in denen ich leben konnte.“
Zu seiner neuen Aufgabe sagte Fernández vor allem, was er verhindern bzw. wem er entgegentreten möchte, und daß er von der Geschichte der heiligen Inquisition offensichtlich wenig Ahnung hat:
„Allen Formen des Autoritarismus, der ein ideologisches Register durchzusetzen versucht, Formen des Populismus, die ebenfalls autoritär sind, und dem Einheitsdenken. Es liegt auf der Hand, daß die Geschichte der Inquisition beschämend ist, da sie hart ist, und daß sie dem Evangelium und der christlichen Lehre selbst zutiefst widerspricht. Deshalb ist sie auch so entsetzlich.
Aber in anderen Farben, vielleicht in verdeckterer Form und mit allen möglichen Vorwänden, gab und gibt es ähnliche Dinge in der Politik und in verschiedenen Institutionen.
Wir sagen immer, daß die Ereignisse der Vergangenheit nicht mit den Kategorien von heute beurteilt werden dürfen. Und daß sie sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben, was uns vielleicht nicht erlaubt, sie zu rechtfertigen, aber teilweise zu verstehen.
Aber aktuelle Phänomene müssen mit den Kriterien von heute beurteilt werden, und heute gibt es überall noch Formen von Autoritarismus und die Auferlegung einer einzigen Denkweise. Vielleicht sollten wir uns manchmal, anstatt uns mit der Kritik an der Vergangenheit aufzuhalten, mehr mit den Dingen beschäftigen, die sich in der heutigen Welt bereits geändert haben sollten.“
Tucho Fernández behandelte die Glaubenskongregation in der Radiosendung als Auslaufmodell, als etwas Überholtes. Er sieht sich als ihr Nachlaßverwalter, der die Abwicklung zu vollziehen hat. Die Aufgabe, welche diese Institution seit 481 Jahren innehat, die Glaubensbewahrung und ‑verteidigung, wurde von ihm nicht einmal gestreift.
„Franziskus ist ein ganz nachkonziliarer Papst“
Fernández wird in zwei Wochen, am 18. Juli, 61 Jahre alt. Entsprechend lang kann er im Amt bleiben. Vor allem wird er, folgt man den vatikanischen Auguren, bald zum Kardinal kreiert werden und als solcher bis 2042 Einfluß als Papstwähler ausüben.
Zum Zweiten Vatikanischen Konzil sagte „Tucho“:
„Ja, natürlich war das Konzil eine Explosion, und für diejenigen, die damals studiert haben, war es sicherlich ein Zeichen für das Leben. In diesem Sinne ist es richtig, was Sie sagen, daß dies der erste Papst ist, der als rein nachkonziliar angesehen werden kann.“
Fernández legte damit für Franziskus ein Bekenntnis ab, indem er diesen mit der Nachkonzilszeit identifiziert. Dabei geht es nicht um eine bloße Zeitangabe, sondern um die Identifikation mit einer ganzen Richtung in der Kirche.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL