Vatikan schickt Untersuchungskommission nach Bolivien

Mißbrauchsskandal um Jesuiteninternat weitet sich aus


Francesc Peris, 2005 aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen, ist einer von mindestens acht Jesuiten, die im Zusammenhang mit dem Reforminternat Juan XXIII des sexuellen Mißbrauchs bezichtigt werden.
Francesc Peris, 2005 aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen, ist einer von mindestens acht Jesuiten, die im Zusammenhang mit dem Reforminternat Juan XXIII des sexuellen Mißbrauchs bezichtigt werden.

(Rom) Am 30. April ver­öf­fent­lich­te die spa­ni­sche Tages­zei­tung El País das Tage­buch des ver­stor­be­nen Jesui­ten Alfon­so Ped­ra­jas, der dar­in den homo­se­xu­el­len Miß­brauch von Dut­zen­den von boli­via­ni­schen Jun­gen doku­men­tiert hat­te. Die Empö­rung ist sehr groß, zumal in Boli­vi­en das sozia­li­sti­sche Regime in einem Span­nungs­ver­hält­nis zu Tei­len der Kir­che steht. Seit­her ver­geht kaum ein Tag, an dem nicht neue Anklä­ger auf­tre­ten. Auch der Kreis der Jesui­ten, gegen die der Päd­era­sten-Vor­wurf erho­ben wird, wei­tet sich aus. Aktiv waren sie aller­dings alle an ein und der­sel­ben Inter­nats­schu­le in Chochabamba. 

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Kirch­li­che und welt­li­che Stel­len gaben schon zahl­rei­che Erklä­run­gen ab. In eini­gen Orten kam es sogar zu Pro­te­sten. Nun reagiert der Vati­kan dar­auf. Der Hei­li­ge Stuhl ent­sen­det eine Unter­su­chungs­kom­mis­si­on nach Boli­vi­en, um den Päd­era­sten-Fall Ped­ra­jas‘ und ande­rer Mit­brü­der von Papst Fran­zis­kus im Jesui­ten­or­den auf­zu­klä­ren. Die boli­via­ni­sche Gene­ral­staats­an­walt­schaft ließ bei den boli­via­ni­schen Jesui­ten bereits eine Haus­durch­su­chung durch­füh­ren, um mög­li­che Doku­men­te sicher­zu­stel­len, die zur Auf­klä­rung der Vor­wür­fe bei­tra­gen könnten. 

Wie es im Umfeld der Boli­via­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz heißt, wird die Kom­mis­si­on wahr­schein­lich bereits heu­te im süd­ame­ri­ka­ni­schen Land ein­tref­fen. Eine erste Zusam­men­kunft mit den Bischö­fen ist in Coch­abam­ba für mor­gen geplant.

Bis­lang sind bei der Gene­ral­staats­an­walt­schaft min­de­stens acht Anzei­gen wegen Päd­era­stie ein­ge­gan­gen – nicht nur gegen P. Ped­ra­jas. Wei­te­re Prie­ster ste­hen in der Kri­tik, so die Jesui­ten Luis Maria Roma, Car­los Vil­la­mil und Fran­cesc Peris. Peris scheint im Kreis der homo­se­xu­el­len Miß­brauchs­tä­ter eine Aus­nah­me gewe­sen zu sein. Er soll sich auch an jun­gen Mäd­chen ver­gan­gen haben.

Gemein­sam ist allen mut­maß­li­chen Tätern, daß sie Jesui­ten und Spa­ni­er sind. Und noch eine Gemein­sam­keit gibt es: Alle Ankla­gen bezie­hen sich auf die von Jesui­ten geführ­te Reform­in­ter­nats­schu­le Juan XXIII in Coch­abam­ba. Die­se Schu­le war Anfang der 70er Jah­re von befrei­ungs­theo­lo­gisch ange­hauch­ten Jesui­ten von einer Eli­te­schu­le in eine „Schu­le für alle“ umge­baut wor­den. Mit der Öff­nung für sozi­al schwä­che­re Schich­ten explo­dier­te aber offen­bar auch der sexu­el­le Miß­brauch. Die bis­her erstat­te­ten Anzei­gen bezie­hen sich auf die spä­ten 70er und vor allem auf die 80er Jah­re. Ins­ge­samt wer­den Vor­wür­fe gegen elf Jesui­ten erho­ben. Einer der öffent­li­chen Haupt­an­klä­ger ist der ehe­ma­li­ge Jesu­it Pedro Lima aus Para­gu­ay. Er erklär­te gegen­über den Medi­en, „star­ke Bewei­se“ gegen die beschul­dig­ten Jesui­ten zu haben. Der Jesui­ten­or­den for­der­te ihn auf, Namen zu nennen.

Pedro Lima war aus dem Jesui­ten­or­den aus­ge­schlos­sen wor­den. Laut sei­nen Anga­ben, weil er die Unta­ten sei­ner Mit­brü­der gemel­det hat­te. Die regie­ren­de Bewe­gung zum Sozia­lis­mus (MAS) des Coca­le­ro Evo Mora­les ist erwar­tungs­ge­mäß auf den Zug der Ankla­ge gegen die Kir­che auf­ge­sprun­gen. Eine dem MAS nahe­ste­hen­de Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on traf sich mit Lima. Staats­prä­si­dent Luis Acre (MAS) sprach von der Not­wen­dig­keit, zur Auf­ar­bei­tung der Anschul­di­gun­gen eine „Wahr­heits­kom­mis­si­on“ einzuberufen.

Meh­re­re der ange­zeig­ten Jesui­ten sind bereits ver­stor­ben: Ped­ra­jas starb 2009, Luis Maria Roma 2019, Car­los Vil­la­mil im Janu­ar 2023. Ein kir­chen­recht­li­ches Ver­fah­ren gegen Tote ist aus­ge­schlos­sen. Eine Auf­ar­bei­tung aber ist möglich. 

Gra­phik der mut­maß­li­chen Täter rund um das Inter­nat Juan XXIII in Coch­abam­ba (© Los Tiem­pos Digital)

Der Jesu­it Anto­nio G. C. habe sich, so Pedro Lima, gegen Ende sei­nes Lebens kaum mehr fort­be­we­gen kön­nen. Sei­ne Freun­de schick­ten ihm aber Kin­der zur Betreu­ung, die er scham­los miß­braucht habe. Er habe sich „sicher“ gefühlt, da er beste Kon­tak­te zu den höch­sten Rich­tern und Staats­an­wäl­ten des Lan­des hatte.

Der Kata­la­ne Fran­cesc Peris, der jahr­zehn­te­lang an einer Inter­nats­schu­le in Bar­ce­lo­na unter­rich­te­te, wo er unter dem Spitz­na­men „Sexpe­nis“ unrühm­li­che Berühmt­heit erlang­te, war 2005 aus dem Amt ent­fernt wor­den. Er war in den 80er Jah­ren nur für ein Jahr in Boli­vi­en, aber laut Anzei­ge auch dort sexu­ell aktiv. Auch er wirk­te an der Reform­schu­le Juan XXIII, was den Ver­dacht nährt, das Inter­nat sei in bestimm­ten Jesui­ten­krei­sen als „geeig­ne­ter“ Ort bekannt gewe­sen, sexu­el­le Per­ver­sio­nen aus­le­ben zu kön­nen. Ob Peris noch lebt, ist ungeklärt.

Der Katho­li­sche Leh­rer­ver­band Boli­vi­ens ver­ab­schie­de­te am Sams­tag eine Erklä­rung, mit der eine unpar­tei­ische, unab­hän­gi­ge und lücken­lo­se Auf­klä­rung der Vor­wür­fe gefor­dert wird. Zugleich warn­te er davor, nun katho­li­sche Bil­dungs­ein­rich­tun­gen unter einen Gene­ral­ver­dacht zu stel­len, denn das schaf­fe neue Opfer, näm­lich die Kin­der, die die­se Ein­rich­tun­gen besu­chen und mög­li­cher­wei­se ihrer Bil­dung beraubt werden.

In ähn­li­chen Fäl­len wur­den in der Ver­gan­gen­heit Msgr. Charles Sci­clu­na, Erz­bi­schof von Mal­ta und bei­geord­ne­ter Sekre­tär des Dik­aste­ri­ums für die Glau­bens­leh­re (vor­mals Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on), und sein Schü­ler und eng­ster Mit­ar­bei­ter Msgr. Jor­di Ber­tom­eu ent­sandt. Sci­clu­na mach­te sich bereits unter Bene­dikt XVI. einen Namen als Pädo­phi­len­jä­ger. Über die Beset­zung der Kom­mis­si­on, die in Boli­vi­en tätig sein wird, wur­de aller­dings noch nichts bekannt.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​Los Tiem­pos Digi­tal (Screen­shot)

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1 Kommentar

  1. Ich bezweif­le dass bei die­ser Unter­su­chung viel raus kommt getreu dem Spruch „eine Krä­he hackt der ande­ren kein Auge aus“
    Die Jesui­ten hal­ten zusam­men wie Pech und Schwe­fel und haben in Berg­o­glio einen Macht­ha­ber der schüt­zend sei­ne Hand über sie hält.
    Ver­bes­sern Sie mich ger­ne aber ich bin der Über­zeu­gung dass es genau so kommt.
    Der homo­se­xu­el­le Sumpf gip­felt in der Zen­tra­le in Rom.

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