„Erlösung durch Sünde“ oder der „Pfad zur linken Hand“

Die Gnosis der Sabbatianer, Frankisten und Freimaurer


Jacob Joseph Frank, vor seiner Taufe Jacob Leibowicz, der scheinkatholische Begründer des gnostischen Frankismus.
Jacob Joseph Frank, vor seiner Taufe Jacob Leibowicz, der scheinkatholische Begründer des gnostischen Frankismus.

von Pater Pao­lo M. Siano*

Anzei­ge

In sei­nem kürz­lich erschie­ne­nen Buch „Die Wege des Bösen. Ver­schwö­run­gen, Kom­plot­te, Kon­spi­ra­tio­nen“ (Sug­ar­co, Mai­land 2022) wid­met Prof. Rober­to de Mat­tei einen Abschnitt Moses Dobrusch­ka (1753–1794), einem Juden, Schein­ka­tho­li­ken, Frei­mau­rer und jako­bi­ni­schen Revo­lu­tio­när, der mit der mes­sia­ni­schen Bewe­gung des Kab­ba­li­sten Schab­ba­tai Zwi (1626–1676) und sei­nes Anhän­gers Jacob Frank (1726–1791) ver­bun­den war. Es ist inter­es­sant, sich mit der sab­ba­tia­ni­schen und der fran­ki­sti­schen Bewe­gung zu befas­sen, da bei­de auf dem gno­sti­schen Kon­zept der „Erlö­sung durch die Sün­de“ beru­hen, einem Kon­zept, das mei­nes Erach­tens Ähn­lich­kei­ten mit dem Initia­ti­ons-Tod zum drit­ten Grad des Frei­mau­rer­mei­sters in der moder­nen oder spe­ku­la­ti­ven Frei­mau­re­rei auf­weist. Dar­über hin­aus weist die dop­pel­te Mit­glied­schaft oder der dop­pel­te Glau­be (ein­schließ­lich der Simu­la­ti­on einer Kon­ver­si­on) der Sab­ba­tia­ner und Fran­ki­sten auf eine gewis­se Ähn­lich­keit mit der reli­giö­sen Hal­tung der Frei­mau­rer hin, die durch die (für die Frei­mau­rer not­wen­di­ge) Dia­lek­tik der exo­te­ri­schen + eso­te­ri­schen Gegen­sät­ze gekenn­zeich­net ist (z. B.: prak­ti­zie­ren­der Katho­lik + Frei­mau­rer; Kir­che + Loge…).

Eine wei­te­re inter­es­san­te Ana­lo­gie ist die zwi­schen dem sabbatianischen/​frankistischen „Weg“ und dem „Pfad zur lin­ken Hand“ (typisch für den hinduistischen/​buddhistischen Tan­tris­mus), der von ver­schie­de­nen Eso­te­ri­kern und sata­ni­sti­schen und/​oder schwarz­ma­gi­schen Grup­pen ver­tre­ten wird.

1. Aus den Studien von Gerschom Scholem

Der Sab­ba­tia­nis­mus (oder Sab­ba­tais­mus), der Fran­kis­mus und das Leben von Moses Dobrusch­ka waren Gegen­stand ein­ge­hen­der Stu­di­en von Prof. Ger­schom (Ger­hard) Scholem (1897–1982), einem renom­mier­ten jüdi­schen Gelehr­ten, den Prof. de Mat­tei als „den Mei­ster der Kab­ba­la der Hebräi­schen Uni­ver­si­tät Jeru­sa­lem“ bezeich­net (vgl. Die Wege des Bösen, S. 65).

Schau­en wir uns eini­ge der Tex­te von Prof. Scholem an.

1.1 Grundlegende Konzepte

In sei­nem Buch „Von der mysti­schen Gestalt der Gott­heit. Stu­di­en zu Grund­be­grif­fen der Kab­ba­la“ (Rhein-Ver­lag, Zürich 1962) macht Scholem deut­lich, daß schon laut der „ortho­do­xen“ Kab­ba­la das Böse (Satan) in Gott ist. Gott hat das Böse geschaf­fen (vgl. S. 47f, 54, 62)1. Mit der Wie­der­ein­glie­de­rung in die ursprüng­li­che Ein­heit wird dann das Böse erlöst (vgl. S. 60). Fun­ken des gött­li­chen Lichts befin­den sich auch in der Dun­kel­heit, im Bösen, und es ist mög­lich, sie wie­der­zu­fin­den (vgl. S. 65). Nach der Kab­ba­la von Isaak Luria (1534–1572) ist das Böse der Schöp­fung inhä­rent, es ist in Gott (vgl. S. 70–72).

Scholem erwähnt die „häre­ti­sche Kab­ba­la“ des Nathan von Gaza (1643–1680), Pro­phet und Theo­lo­ge des abtrün­ni­gen Mes­si­as Schab­ba­tai Zwi. 1671 schrieb Nathan das „Buch der Schöp­fung“ (Sefer-ha-beriah), in dem er argu­men­tiert: Zwei Lich­ter bren­nen in Gott, das Licht, in dem es Gedan­ken gibt, und das Licht, in dem es kei­nen Gedan­ken gibt; das zwei­te Licht steht im Gegen­satz zum ersten; in Gott gibt es das Böse; die See­le des Mes­si­as kommt aus dem Licht ohne Gedan­ken, aus dem Abgrund des Bösen; das Böse ist im Mes­si­as; die See­le des Mes­si­as mani­fe­stiert „ein­zig­ar­ti­ge Explo­sio­nen des Anti­no­mis­mus“ (vgl. S. 72–75).

Nach den Sab­ba­tia­nern muß der Gerech­te ins Böse hin­ab­stei­gen, der Mes­si­as muß in die Apo­sta­sie fal­len (vgl. S. 111); durch den Fall ins Böse erlöst es der Gerech­te von innen (vgl. S. 121).

1.2 „Erlösung durch die Sünde“

In sei­nem Buch „The Mes­sia­nic Idea in Juda­ism and Other Essays on Jewish Spi­ri­tua­li­ty“. (Schocken Books, New York 1971) erklärt Scholem im Kapi­tel „Redemp­ti­on through Sin“ (Erlö­sung durch Sün­de) (S. 87–141)2: Obwohl der Sab­ba­tia­nis­mus eine Bedro­hung für das rab­bi­ni­sche Juden­tum dar­stell­te, waren bedeu­ten­de Rab­bi­ner in Jeru­sa­lem, Kon­stan­ti­no­pel, Smyr­na, Prag, Ham­burg und Ber­lin Sab­ba­tia­ner. Die Zahl der sab­ba­tia­ni­schen Rab­bi­ner über­stieg sogar die Schät­zun­gen von Rab­bi Jakob Emden, dem eif­rig­sten Geg­ner der Sab­ba­tia­ner, der oft der Über­trei­bung bezich­tigt wur­de (vgl. S. 88–91).

Scholem stellt fest, daß die Sab­ba­tia­ner ihre Leh­re bis zum Äußer­sten trie­ben, bis hin zum Abgrund der soge­nann­ten 49 Tore der Unrein­heit, „sha’a­re tum’ah“ (vgl. S. 98).

Nach Nathan von Gaza und Schab­ba­tai Zwi [oder Sab­ba­tai Zevi] muß­te der Erlö­ser in das Reich der Qelip­pot (des Bösen) hin­ab­stei­gen, um die gött­li­chen Licht­fun­ken frei­zu­set­zen, die dort hin­ge­fal­len waren; nur so kön­ne das Reich des Bösen zer­stört und die Erlö­sung voll­endet wer­den. Nach Nathan von Gaza und Zwi hät­te der Mes­si­as selt­sa­me Taten zu voll­brin­gen, ein­schließ­lich des Glau­bens­ab­falls (vgl. S. 101, 104f). Schab­ba­tai wur­de 1666 abtrün­nig und trat zum Islam über.

Scholem erklärt, daß die Sab­ba­tia­ner davon über­zeugt waren, den wah­ren Glau­ben zu besit­zen. Sie woll­ten ihn nicht öffent­lich beken­nen, son­dern hiel­ten ihn im Ver­bor­ge­nen, wäh­rend sie ihn nach außen hin sogar ver­leug­ne­ten. Sie waren davon über­zeugt, daß sie ihren Glau­ben ver­ber­gen muß­ten, so wie die Erde den Samen ver­birgt. Ihrer Mei­nung nach muß­te jeder Jude ein „Mar­ra­ne“ wer­den. Die Sab­ba­tia­ner recht­fer­ti­gen die Umkeh­rung der Wer­te: Das Hei­li­ge muß pro­fan wer­den und umge­kehrt (vgl. S. 113f).

Was die gewöhn­li­chen Juden belei­dig­te, war, daß die Sab­ba­tia­ner, beson­ders die radi­ka­len, für die Hei­lig­keit der Sün­de ein­tra­ten, für die Pflicht, die gewöhn­li­che Moral im Namen eines höhe­ren Geset­zes zu ver­let­zen… Scholem stellt fest, daß die­se Ten­denz bereits bei den Kab­ba­li­sten vor­han­den war, aber bis zur Zeit der Sab­ba­tia­ner nur auf der Ebe­ne der Theo­rie geblie­ben war (vgl. S. 114).

Die sab­ba­tia­ni­sche The­se von der Hei­lig­keit der Sün­de und der Erlö­sung durch die Sün­de führ­te zu sexu­el­len Riten, dem soge­nann­ten „Ritus des Aus­lö­schens der Lich­ter“ (vgl. S. 116f).

Wie Scholem erklärt, gab es unter den Sabbatianern:

  1. jene, die wie Schab­ba­tai Zwi zum Islam übertraten;
  2. jene, die äußer­lich im Juden­tum blieben;
  3. jene, die zur katho­li­schen Kir­che über­tra­ten, wie Jacob Frank und sei­ne Anhän­ger (vgl. S. 118).

Alle die­se Grup­pen bil­de­ten jedoch „eine Ein­heit“, da „sie davon über­zeugt waren, daß das äuße­re Erschei­nungs­bild nicht den wah­ren Glau­ben aus­drück­te“, und so setz­ten sie alle die sab­ba­tia­ni­schen Leh­ren und Ritua­le im gehei­men fort (vgl. S. 118f). Für sie war Schab­ba­tai Zwi die Inkar­na­ti­on des Hei­li­gen von Isra­el. Jacob Frank, der für die Inkar­na­ti­on von Zwi gehal­ten wur­de, pre­dig­te die erlö­sen­de Kraft der Zer­stö­rung und schlug sei­nen Anhän­gern vor, in den Abgrund vor­zu­drin­gen, in dem alle Geset­ze, Dok­tri­nen und Reli­gio­nen auf­ge­ho­ben sei­en (vgl. S. 126–132).

1.3 Ein echter Frankist: Moses Dobruschka

Zu Beginn sei­nes Buches „Sab­ba­tai Zwi. Der mysti­sche Mes­si­as“, Jüdi­scher Ver­lag, Frank­furt am Main 1992, schreibt Scholem über den Fran­kis­mus, der vor allem in Polen und Öster­reich in der zwei­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts aktiv war.

„Schon zu Beginn mei­ner For­schun­gen über die Geschich­te der fran­ki­sti­schen Bewe­gung fiel mir die beson­de­re Kom­bi­na­ti­on der bei­den Ele­men­te auf, die ihr Wesen kurz vor und unmit­tel­bar nach der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on bestim­men: die Nei­gung zu eso­te­ri­schen und kab­ba­li­sti­schen Leh­ren einer­seits und die Anzie­hungs­kraft des Gei­stes der Auf­klä­rungs­phi­lo­so­phie ande­rer­seits. Die Mischung die­ser bei­den Ten­den­zen ver­leiht der fran­ki­sti­schen Bewe­gung eine selt­sa­me und über­ra­schen­de Zwei­deu­tig­keit“ (S. 13)3.

Moses Levi Dobrusch­ka wur­de am 12. Juli 1753 in Brünn in Mäh­ren als Sohn einer jüdi­schen Kauf­manns­fa­mi­lie gebo­ren, die das Mono­pol für den Ver­kauf von Tabak, einer der wich­tig­sten Ein­nah­me­quel­len im öster­rei­chi­schen Kai­ser­reich, besaß. Moses‘ Mut­ter ist eine Cou­si­ne von Jacob Frank, der eigent­lich Jacob Lei­bo­vicz heißt und sich nach der Tau­fe und sei­ner Nobi­li­tie­rung durch König August III. von Polen-Litau­en, weil er zur katho­li­schen Kir­che kon­ver­tier­te, Jakob Joseph Frank-Dobrucki nennt. Die Fami­lie Dobrusch­ka ist mit den mäh­ri­schen Sab­ba­tia­nern ver­bun­den, sodaß auch Moses eine dop­pel­te Aus­bil­dung erhielt: eine jüdisch-rab­bi­ni­sche und eine sab­ba­tia­ni­sche. Auf der einen Sei­te die schein­ba­re Loya­li­tät zum Juden­tum, auf der ande­ren Sei­te ins­ge­heim die Gno­sis von Schab­ba­tai Zwi (vgl. S. 16–19).

1775 „kon­ver­tier­te“ auch Moses Dobrusch­ka zum katho­li­schen Glau­ben und nann­te sich Franz Tho­mas Schön­feld, blieb aber der Sek­te von Jacob Frank ver­bun­den (vgl. S. 25–27).

Die öffent­li­che Tätig­keit von Dobruschka/​Schönfeld ist die eines Dich­ters und Schrift­stel­lers. In Wien ist er Mit­glied des baye­ri­schen Illu­mi­na­ten­or­dens (vgl. S. 28). Noch vor 1780 tritt er der regu­lä­ren Wie­ner Frei­mau­re­rei bei, eben­so wie eini­ge sei­ner Ver­wand­ten und ver­schie­de­ne Fran­ki­sten aus hoch­ran­gi­gen jüdi­schen Fami­li­en Öster­reichs. Er schließt sich auch den „Brü­dern des hei­li­gen Johan­nes des Evan­ge­li­sten von Asi­en in Euro­pa“ an, die ein­fach „Asia­ti­sche Brü­der“ genannt wur­den, einem Frei­mau­rern vor­be­hal­te­nen Initia­ti­ons­or­den, der christ­li­che und rein jüdi­sche Ele­men­te der Kab­ba­la ver­band. (vgl. S. 38f).

Moses Dobrusch­ka hat den Ruf eines Wüst­lings, der sich fleisch­li­chen Genüs­sen hin­gibt (vgl. S. 48). Dann nimmt er eine neue Iden­ti­tät an und nennt sich Juni­us Frey, und wird in Frank­reich zum jako­bi­ni­schen Revo­lu­tio­när, bleibt aber mit den „Asia­ti­schen Brü­dern“ und der Kab­ba­la ver­bun­den (vgl. S. 53, 62f). So ist Dobruschka/​Schönfeld/​Frey gleich­zei­tig Jude, Kab­ba­list, Illu­mi­nat, Frei­mau­rer, Asia­ti­scher Bru­der, Christ und Jako­bi­ner. Scholem schreibt dazu:

„Wir sehen vor uns die Per­sön­lich­keit eines Man­nes, der meh­re­re Mas­ken gleich­zei­tig trägt, um sie dann je nach den Umstän­den alle zu ver­leug­nen. Es ist unmög­lich, sei­ne wirk­li­che Posi­ti­on zu bestim­men: Das ist die des wah­ren Fran­ki­sten, gemäß der von Jacob Frank vor­ge­präg­ten Auf­fas­sung“ (S. 74).

Der neue Nach­na­me „Frey“, den Dobrusch­ka ange­nom­men hat, meint, so Scholem, „frei“, sodaß er eine Hom­mage sowohl an die revo­lu­tio­nä­re „Frei­heit“ als auch an sei­nen „Onkel“ Jakob sein könn­te, des­sen Nach­na­me Frank „frank“, „frei“ bedeu­tet (vgl. S. 85).

Spä­ter wie­der­holt Scholem, daß Jacob Lei­bo­wicz Frank und sei­ne Anhän­ger vor­ga­ben, zum Katho­li­zis­mus zu kon­ver­tie­ren, wäh­rend sie ihre Leh­ren und ihren trans­gres­si­ven Kult wei­ter pfleg­ten. Frank galt als die Ver­kör­pe­rung des ver­bor­ge­nen Got­tes und hielt sich selbst für eine sol­che (vgl. S. 142–144). Franks Vor­stel­lung von „Leben“ ist nicht die har­mo­ni­sche Ord­nung der Natur, son­dern die Befrei­ung von allen Zwän­gen, also die anar­chi­sche Frei­heit. Frank nimmt den Vater des Anar­chis­mus, Baku­nin, um etwa ein Jahr­hun­dert vor­weg, dem­zu­fol­ge die Kraft der Zer­stö­rung eine krea­ti­ve Kraft ist. Jacob Frank pre­digt und prak­ti­ziert die Zer­stö­rung, den Abstieg, den Weg in den Abgrund, den mora­li­schen Nie­der­gang als not­wen­di­gen Weg nach oben… Frank und sei­ne Jün­ger prak­ti­zie­ren „anti­no­mi­sti­sche Ritua­le“. Sol­che mit kab­ba­li­sti­schen Sym­bo­len ver­se­he­nen Ideen waren bereits bei den Sab­ba­tia­nern von Thes­sa­lo­ni­ki und Podo­li­en (einer Regi­on, die der heu­ti­gen zen­tra­len West­ukrai­ne und dem Nord­osten Mol­da­wi­ens ent­spricht) in Mode. Nach Frank und den Fran­ki­sten muß man sich von allen Gebo­ten, der Keusch­heit und der Hei­lig­keit befrei­en und in sich selbst hin­ab­stei­gen wie in ein Grab (vgl. S. 147–154).

2. Der „Pfad zur linken Hand“ zwischen Satanismus und schwarzer Magie

Ste­phen Edred Flowers (geb. 1953), ein ame­ri­ka­ni­scher Uni­ver­si­täts­do­zent, war ab 1972 Mit­glied der „Church of Satan“ (ratio­na­li­sti­scher Sata­nis­mus) von Anton Szan­dor LaVey und wech­sel­te dann zum „Temp­le of Set“ (okkul­ti­sti­scher Sata­nis­mus) von Micha­el Aqui­no, wo er Groß­mei­ster des Order of the Tra­pe­zo­id war, eines der fünf Orden, aus denen der Temp­le of Set besteht.

In dem Buch „Lords of the Left-Hand Path“ (1997) beschreibt und preist Flowers den „Pfad“ oder „Weg zur lin­ken Hand“, d. h. den Weg der Selbst­ver­göt­te­rung, der Sün­de, der Über­tre­tung und der Umkeh­rung der Wer­te, wobei das Böse als gut gilt und umge­kehrt (vgl. S. 14–17). Die­ser „Weg“ wird im Tan­tris­mus theo­re­ti­siert und prak­ti­ziert und wird auch von Leu­ten wie Juli­us Evo­la (vgl. S. 29–39), dem Mar­quis de Sade (vgl. S. 151–155), Alei­ster Crow­ley (vgl. S. 229–231), Anton Szan­dor LaVey und Micha­el Aqui­no (vgl. S. 340–355) verfolgt.

Im Jahr 2008 ver­öf­fent­lich­te der Ver­lag Ata­nòr in Rom (spe­zia­li­siert auf frei­mau­re­ri­sche und eso­te­ri­sche Publi­ka­tio­nen) das Buch „La via oscu­ra“ („Der dunk­le Weg. Ein­füh­rung in den Pfad zur lin­ken Hand“) von Alber­to Bran­di. Der der­zei­ti­ge Redak­ti­ons­lei­ter (seit 1994) von Ata­nòr Editri­ce ist Maria­no Bian­ca, ein Frei­mau­rer­mei­ster des Groß­ori­ents von Ita­li­en und des Ita­lie­ni­schen Sym­bo­li­schen Ritus.

Als das Buch erschien, war Bran­di Lei­ter der Loge Sothis in Nea­pel, die dem Dra­gon Rouge ange­hört, einem schwe­di­schen Orden der schwar­zen Magie. Das Vor­wort des Buches stammt von Tho­mas Karls­son, Pro­fes­sor für Geschich­te der west­li­chen Eso­te­rik an der Uni­ver­si­tät Stock­holm (Schwe­den) und Grün­der von Dra­gon Rouge. Das Buch preist die Schlan­ge der Gene­sis (Luzi­fer, Teu­fel), die schwar­ze Magie und den Pfad zur lin­ken Hand.

3. Unter den Freimaurermeistern…

Bereits das erste Ritu­al des drit­ten Frei­mau­rer­gra­des, das 1730 in Lon­don ver­öf­fent­licht wur­de, macht deut­lich, daß die Frei­mau­rer­lo­ge (für die Frei­mau­rer der hei­li­ge Ort, der den Tem­pel Salo­mons dar­stellt) der Ort eines sym­bo­li­schen Mor­des, eines sym­bo­li­schen oder initia­ti­schen Todes ist: Die Loge „tötet“ den Kan­di­da­ten sym­bo­lisch, indem sie ihn mit Hiram Abi­ff, dem angeb­li­chen Archi­tek­ten des Tem­pels Salo­mons, iden­ti­fi­ziert. Die nach­fol­gen­den eng­li­schen Frei­mau­rer­ri­tua­le des 18. und 19. Jahr­hun­derts bis zur Gegen­wart ver­an­schau­li­chen die Rol­le des Mei­sters und der bei­den Logen­auf­se­her als sym­bo­li­sche Atten­tä­ter des Hiram/​Kandidaten. Nach der ritu­el­len Legen­de wird Hirams Leich­nam, nach­dem er im Zustand der Ver­we­sung gefun­den wur­de, in den Tem­pel gebracht und im Aller­hei­lig­sten bei­gesetzt. Mord und sym­bo­li­sche Unrein­heit (Fäul­nis) im hei­li­gen Tem­pel, d. h. der Loge, sind im drit­ten Grad not­wen­dig (vgl. hier). In die­sen ritu­el­len Ele­men­ten erken­ne ich eine Logik, die mit jener der „hete­ro­do­xen“ Kab­ba­li­sten wie Schab­ba­tai Zwi und Jacob Frank über­ein­stimmt, nach der eine Über­tre­tung not­wen­dig ist…

Neben struk­tu­rel­len Ele­men­ten des Drit­ten Gra­des und der Hoch­gra­de gibt es auch Frei­mau­rer, die von der Figur des Schab­ba­tai Zwi fas­zi­niert sind oder zumin­dest die Not­wen­dig­keit des Bösen bejahen.

Auch die Viel­falt der ritu­el­len, phi­lo­so­phi­schen und reli­giö­sen Rol­len, die die Frei­mau­rer spie­len, ist des sabbatianischen/​frankistischen Gei­stes wür­dig. In der Basis­frei­mau­re­rei oder Craft Mason­ry inter­pre­tiert der Mei­ster das Gute und das Böse… In den Gra­den des Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus (AASR) ist der Frei­mau­rer dann: Levit und jüdi­scher Prie­ster, dann christ­li­cher Rosen­kreu­zer-Rit­ter, Prie­ster der alten (heid­ni­schen) Myste­ri­en, Her­me­ti­ker-Alche­mist, gno­sti­scher Temp­ler und schließ­lich Sou­ve­rän (33° Grad), der alles über­trifft und alles umfaßt…

3.1 Die Initiation: Abstieg in die Unterwelt

In ver­schie­de­nen Frei­mau­rer­gra­den (die ich in Klam­mern anfüh­re) gibt es das The­ma des Abstiegs: in die Unter­welt (1. Grad), in die Gruft (3°; 30° AASR), in den Unter­grund oder die Kryp­ta des Tem­pels (eng­li­scher Roy­al Arch; 13° AASR, mit kab­ba­li­sti­schen Ele­men­ten), in die Dun­kel­heit und in die Höl­le (18° AASR). Der Abstieg in die Unter­welt oder das Grab wird auch im 32° und 33° des AASR ange­deu­tet, wo der Tem­pel mit Figu­ren von Schä­deln, Kno­chen, Ske­let­ten tape­ziert ist… Bereits im Ersten Grad, dem Lehr­lings­grad, wird gelehrt, daß die Loge vom höch­sten Him­mel bis zum Mit­tel­punkt der Erde reicht…

Der Frei­mau­rer Clau­dio Bon­vec­chio (Groß­ora­tor, spä­ter stell­ver­tre­ten­der Groß­mei­ster des Groß­ori­ent von Ita­li­en) erklärt, daß die initia­to­ri­sche und eso­te­ri­sche Erfah­rung „die Erfah­rung des initia­to­ri­schen Todes, des sym­bo­li­schen Todes“ ist. Der Ein­ge­weih­te muß „in jeder initia­to­ri­schen und eso­te­ri­schen Dimen­si­on“ in die Infe­ri, die Unter­welt, hin­ab­stei­gen, „in die Dun­kel­heit des Unbe­wuß­ten“, um „die arche­ty­pi­schen Bil­der der Müt­ter“ zu ent­decken, d. h. die „Trieb- oder Instinkt­kräf­te“, die „lebens­spen­dend“ sind („Leben ist in der Tat Trieb, unbe­wuß­tes und unkon­trol­lier­ba­res Ver­lan­gen nach Bewe­gung, Zeu­gung und Rege­ne­ra­ti­on“), aber sie kön­nen auch „Tod“, „Auf­lö­sung“ oder „unbe­stimm­te Ver­ei­ni­gung mit dem Gan­zen“ geben. Bon­vec­chio erklärt, daß sol­che Initia­ti­ons­kon­zep­te durch „Mephi­sto“ (den Dämon) in Goe­thes berühm­tem Dra­ma „Faust“ ver­an­schau­licht wer­den. Der Ein­ge­weih­te muß sol­che „Müt­ter“ in sein eige­nes höhe­res Bewußt­sein reinte­grie­ren, vgl. C. Bon­vec­chio, Eso­te­ris­mo e Ini­zia­zio­ne (Eso­te­rik und Initia­ti­on), in: Gran­de Ori­en­te d’I­ta­lia – Palaz­zo Giu­sti­nia­ni (Hg.): Sul­la soglia del Sacro: Eso­te­ris­mo ed Ini­zia­zio­ne nel­le gran­di reli­gio­ni e nella tra­di­zio­ne masso­ni­ca (An der Schwel­le des Hei­li­gen. Eso­te­rik und Initia­ti­on in den gro­ßen Reli­gio­nen und in der frei­mau­re­ri­schen Tra­di­ti­on), Mime­sis, Mai­land 2002, S. 174ff).

3.2 Der Ritter Kadosch und die Übertretung 

Rit­ter Kado­sch, der 30° Hoch­grad im AASR

Der berühm­te Frei­mau­rer Albert Pike 33°, Sou­ve­rä­ner Groß­kom­tur des Supre­me Coun­cil 33° (des Ober­sten Rates der Hoch­g­rad­frei­mau­rer des 33°) von Washing­ton D.C., von 1859 bis 1891, macht in sei­nem frei­mau­re­ri­schen Opus „Morals and Dog­ma“ (The Supre­me Coun­cil 33°, Washing­ton D.C., 1871), der den 30° im Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus (AASR) des Rit­ters Kado­sch oder des Rit­ters des Schwar­zen und Wei­ßen Adlers kom­men­tiert, sehr deut­lich, daß der Ein­ge­weih­te in die Höl­le hin­ab­stei­gen, das katho­li­sche Dog­ma umstür­zen und den Teu­fel als Lei­ter benut­zen muß, um zum Licht auf­zu­stei­gen (vgl. S. 822).

In sei­nem Buch „Du Temp­le de Salo­mon à l’E­chel­le Mystique“ („Vom Tem­pel Salo­mons zur Mysti­schen Lei­ter“, Edi­ti­ons Dét­rad, Paris 2013) kom­men­tiert der 33°-Freimaurer Dani­el Beres­ni­ak vom Grand Ori­ent de France die Gra­de 27°–30° des AASR. Nach Beres­ni­ak (1933–2005) ist der schön­ste an Gott gerich­te­te Segen der­je­ni­ge von Schab­ba­tai Zwi, der Gott dafür preist, daß er alles Ver­bo­te­ne zuläßt, und dies – so Beres­ni­ak – ist das reli­giö­se Nec plus ultra der Kado­sch-Mau­rer (vgl. S. 67).

3.3 Kabbalistische und/​oder sabbatianische Elemente im 33° AASR?

Im Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus ist das kab­ba­li­sti­sche The­ma im 4°, 13° und 14° am deutlichsten.

Beim 33. und höch­sten Grad des Sou­ve­rä­nen Groß­in­spek­tors des AASR wird der Tem­pel mit sil­ber­be­deck­ten Toten­köp­fen, gekreuz­ten Schien­bei­nen und Ske­let­ten aus­ge­legt, als Sym­bol dafür, daß die Frei­mau­re­rei die Gesell­schaft erneu­ert, so wie der Tod die Natur rege­ne­riert (vgl. Supre­mo Con­siglio dei XXXIII per la Giuris­di­zio­ne Ita­lia­na, Ritua­le del Supre­mo Con­siglio dei XXXIII, Rom XXI Aprile MMDCLVIII A.U.C. [1905], S. 3f)4. Über dem Thron des Sou­ve­rä­nen Groß­be­fehls­ha­bers, im Ori­ent, befin­den sich die hebräi­schen Buch­sta­ben des Wor­tes „Jeho­va“, „die Cau­sa Pri­ma“, „Erste Ursa­che“ (vgl. S. 4). Das Gute und das Böse wer­den als „die bei­den Lich­ter defi­niert, die die Syn­the­se der imma­te­ri­el­len uni­ver­sel­len Schöp­fung sym­bo­li­sie­ren“, und durch einen zwei­ar­mi­gen Leuch­ter im Süden des Tem­pels dar­ge­stellt (vgl. S. 22). Im Nor­den hält ein ste­hen­des Ske­lett einen Dolch in der rech­ten Hand, in der lin­ken Hand die Flag­ge des Alten und Ange­nom­me­nen Schot­ti­schen Ritus (AASR) (vgl. S. 5, 24).

3.4 Ein voodooistischer Gelehrter des „Sabbatianismus“

Danie­le Man­sui­no ist ein Frei­mau­rer­mei­ster, wahr­schein­lich des Groß­ori­ent von Ita­li­en (s. hier), und zugleich ein „Mei­ster der domi­ni­ka­ni­schen Voo­doo-Tra­di­ti­on“ (hier). Voo­doo ist schwar­ze Magie.

In dem Arti­kel „Der Weg der Sün­de“ (Dezem­ber 2018) geht Man­sui­no auf die Leh­re von Schab­ba­tai Zwi (1626–1676) ein, der das Bild des Abstiegs in die Ein­ge­wei­de des Ber­ges ver­wen­det, um die mes­sia­ni­sche Not­wen­dig­keit des Abstiegs in die Unter­welt, in die Abgrün­de der Sün­de, der Sün­de als Weg zur Erlö­sung aus­zu­drücken… Den Sab­ba­tia­nern zufol­ge kom­men Gut und Böse von Gott und sind in Gott. Man­sui­no sagt, daß es in der tal­mu­di­schen Tra­di­ti­on „mit­zah ha’­bah ba’ah­ve­r­ah“ gibt, d. h., „die Mög­lich­keit, ein Gebot zu erfül­len, indem man es über­tritt“. Ein wich­ti­ges kab­ba­li­sti­sches Trak­tat über den Weg der Sün­de ist das „Trak­tat der lin­ken Emana­ti­on“ von Isaac Ben Jacob ha-Kohen (1013–1103, auch Isaak Alfa­si oder Rif), das „die tra­di­tio­nel­le Legi­ti­mi­tät des Weges der Sün­de“ ver­tei­digt (hier).

Man­sui­no zufol­ge hat sich „infol­ge der Tätig­keit der sab­ba­tia­ni­schen Mis­sio­na­re des 18. Jahr­hun­derts“ in der eng­li­schen Frei­mau­re­rei, die als „of the Mark“ bekannt ist, eine „inter­es­san­te Fami­lie von Ritua­len her­aus­ge­bil­det, die das soge­nann­te Zei­chen des Kain ausstellten“.

Man­sui­no been­det sei­nen Arti­kel mit einem Zitat von Jacob Frank, dem­zu­fol­ge „der Weg von Edom“ (der Weg der Sün­de) zum Glück füh­ren wird (s. hier).

In vier Arti­keln erläu­tert Man­sui­no eine sab­ba­tia­ni­sche Abhand­lung über Sexu­al­ma­gie, das 1725 in Prag ver­öf­fent­lich­te „Va-avo ha-Yom el ha-Ayin“ (über­setzt: „Ich bin heu­te zur Quel­le gekom­men“) (hier die Arti­kel 1, 2, 3 und 4).

In dem Buch „666“ (Ver­lag Ameno­thes, 2015), das der Figur des Schab­ba­tai Zwi gewid­met ist, stellt Danie­le Man­sui­no schließ­lich fest: „Nicht weni­ge Sab­ba­tia­ner sind heu­te in der Welt der Por­no­gra­phie tätig“ (S. 33, Fuß­no­te 24).

Ich kom­me zu dem Schluß: Juden und Rab­bi­ner des 17. und 18. Jahr­hun­derts taten gut dar­an, den Sab­ba­tia­nis­mus zu ver­ur­tei­len, der für Juden und Katho­li­ken glei­cher­ma­ßen sehr gefähr­lich ist.

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. In sei­ner jüng­sten Ver­öf­fent­li­chung geht es ihm dar­um, den Nach­weis zu erbrin­gen, daß die Frei­mau­re­rei von Anfang an eso­te­ri­sche und gno­sti­sche Ele­men­te ent­hielt, die bis heu­te ihre Unver­ein­bar­keit mit der kirch­li­chen Glau­bens­leh­re begründen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


1 Die Sei­ten­an­ga­ben bezie­hen sich auf die ita­lie­ni­sche Aus­ga­be: Ger­schom Scholem: La figu­ra misti­ca del­la divi­ni­tà. Stu­di sui con­cet­ti fon­da­men­ta­li del­la Qab­ba­lah, Adel­phi, Mai­land 2010.

2 Die Sei­ten­an­ga­ben bezie­hen sich auf die ita­lie­ni­sche Aus­ga­be: Ger­schom Scholem: L’idea mes­sia­ni­ca nell’ebraismo e altri sag­gi sul­la spi­ri­tua­li­tà ebraica, Adel­phi, Mai­land 2008.

3 Die Sei­ten­an­ga­ben bezie­hen sich auf die ita­lie­ni­sche Aus­ga­be: Ger­schom Scholem: Le tre vite di Moses Dobrush­ka, Adel­phi, Mai­land 2014.

4 Das Ritua­le des Ober­sten Rates der 33°-Freimaurer der ita­lie­ni­schen Juris­dik­ti­on. Die Jah­res­an­ga­be erfolg­te nicht nach der christ­li­chen Zeit­rech­nung, son­dern nach der alt­rö­mi­schen ab urbe con­di­ta, ab der legen­den­haf­ten Grün­dung Roms im Jahr 753 v. Chr.


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