Von Pater Paolo M. Siano*
Im ersten Teil habe ich drei Bücher und eine Broschüre untersucht, die zwischen 2006 und 2020 erschienen sind und aus denen man auf die Anwesenheit von Menschen und Milieus in Osimo und seiner Umgebung schließen kann, die von der Esoterik fasziniert sind und der Symbolik und/oder der Struktur von heiligen Orten, Kirchen und lokalen Heiligtümern esoterische und gnostische Bedeutungen zuschreiben. Diejenigen, die mit einem esoterischen und gnostischen Geist solche Orte besuchen, haben daher möglicherweise nicht in erster Linie kulturelle Neugier oder das Gebet im Sinne des katholischen Glaubens zum Ziel, sondern die Erfahrung angeblicher kosmischer und tellurischer Energien. In diesem Fall hätten wir es mit einer Art von Magie zu tun, die durch scheinbare christliche „Religiosität“ verschleiert wird.
Ich möchte darauf hinweisen, daß ich, wenn ich von Templern und Esoterik spreche, nicht behaupten möchte, daß die alten Templer Esoteriker und Gnostiker waren, sondern lediglich zeigen, daß bestimmte moderne Neo-Templer, die in kultureller Übereinstimmung oder Zugehörigkeit zum freimaurerischen Umfeld stehen, solche sind.
5. „Das steinerne Tarot des Palazzo Campana in Osimo“ (1997)
In der Bibliographie des Buches von Roberto Mosca und Angelo Renna, „Le Grotte, i Cavalieri, le Logge“ („Die Grotten, die Ritter, die Logen“, Osimo Edizioni, 2006), findet sich auf S. 189 auch das Buch von Franco Copparo und Fabio Filippetti, „I Tarocchi di pietra del Palazzo Campana di Osimo. Guida ai misteri delle grotte“ („Das steinerne Tarot des Palazzo Campana in Osimo. Ein Führer zu den Geheimnissen der Höhlen“, herausgegeben 1997 vom Istituto Campana per l’Istruzione Permanente – Osimo.
Auf der Rückseite ist zu lesen, daß der 1952 in Osimo geborene Franco Copparo Verwaltungsdirektor des Öffentlichen Gesundheitsdienstes von Ancona, Esoterik- und Alchemieforscher und Dozent des Kurses „Im Zeichen des Geheimnisses“ an der Volkshochschule von Ancona im Studienjahr 1995/96 ist. Fabio Filippetti, 1958 in Ancona geboren, ist Arzt und Wissenschaftler für Parapsychologie und Esoterik.
Copparo-Filippetti sehen die Grotten, „die Eingeweide der Erde“, in einem „esoterischen“ Schlüssel, als einen Ort des „regressus ad uterum“, des initiatorischen Todes und der Wiedergeburt (vgl. S. 8), als „Tor zur Welt der Unterwelt“, und auf den Abstieg nach unten folgt der Aufstieg nach oben (vgl. S. 9)
„In der Tradition ist die Unterwelt ein Sammelbecken für heilbringende materielle Energie, für tellurische Energie, die mit chthonischen Mächten, den Gottheiten der Erde, des Todes und der Keimung verbunden ist“ (S. 9).
Die Höhlen von Osimo sind ein „Einweihungsweg“ (S. 21), der Teil der „langen Einweihungskette“ (S. 22) ist und „die geheime Lehre weitergibt, die dem Profanen bei Todesstrafe nicht offenbart werden durfte“ (S. 22).
Es folgt eine Erläuterung der Skulpturen oder „Tarot-Steine“ im Lichte der Mythologie und der esoterischen Alchemie. Ich werde nur auf die Skulptur „des Erleuchteten“ hinweisen, d. h. desjenigen, der das Licht, die spirituelle Erleuchtung erhalten hat. Er ist der Führer der Eingeweihten (der Myste des Altertums), der die ganzheitliche Weisheit erlangt hat und dessen Weisheit auf dem verdorrten Baum ruht, und er ist auch die Verkörperung der mystischen und geheimnisvollen Wissenschaft der Söhne des Hermes“ (S. 81). Hermes oder Merkur ist „ein Bote der Götter der Unterwelt“ (vgl. S. 85).
Am Ende des Buches steht das Nachwort von Renucio Boscolo (S. 96–101), der sich ebenfalls für die Esoterik begeistert. Boscolo interpretiert den „Abstieg in die Unterwelt“ (S. 96) als den „V.I.T.R.I.O.L.“ (S. 96) der Alchemisten, d. h. den „Besuch“ „im Inneren der Erde“, um das „ReBis, den verborgenen Stein“ zu entdecken (vgl. S. 97). Deshalb muß man, „bevor man zum Himmel aufsteigt, in die Unterwelt hinabsteigen, durch die Ianua Inferi gehen und dann als Befreier und von den Ängsten des Unbewußten und der Dunkelheit befreit wieder auftauchen. Nur wer dieses Tor der Panik und der höllischen Finsternis durchschritten hat, kann wiedergeboren werden […]“ (S. 99). Kurz gesagt, es handelt sich um einen gnostischen Gedanken, also weit entfernt von unserem katholischen Glauben.
6. Fabrizio Bartoli: Physiker, Esoteriker, OSMTH-Templer, Freimaurer des Großorients von Italien
Im ersten Teil habe ich einen Blick auf eine sehr wichtige Persönlichkeit geworfen, die in gewisser Weise die ersten drei Texte, die ich untersucht habe, in dem Sinne vereint, daß die jeweiligen Autoren (Roberto Mosca und Angelo Renna, R. Mosca und Alfonso Rubino, R. Mosca und Alberto Mazzocchi) ihn erwähnen und ihm danken. Er schrieb die Einleitung zum neuesten Buch von Roberto Mosca (1958–2014), das gemeinsam mit Alberto Mazzocchi verfaßt wurde, „Alla luce nell’ombra“ („Zum Licht im Schatten“, SpringColor, Castelfidardo 2014). Fabrizio Bartoli ist Diplom-Physiker, ehemaliger Lehrer an höheren technischen Schulen, von 1998 bis 2005 war er Direktor des Naturwissenschaftlichen Museums der Provinz Ancona „L. Paolucci“, Esoterik-Forscher und Autor mehrerer Bücher. Er ist Großoffizier des Templerordens O.S.M.T.H.
Im Sommer 2020 nahm Bartoli, damals stellvertretender Bürgermeister von Offagna in der Provinz Ancona, an einer BBC-Reel-Dokumentation in London teil, die die Templerhöhlen in Osimo zeigte. In dem fünfeinhalb Minuten langen Video weist Bartoli auf die Figur in den Höhlen hin, die „Hermes Trismegistus“ darstelle, und fügt hinzu: „Hermes Trismegistus war also Teil der sogenannten gnostischen Kultur, die die Templer natürlich schätzten“ (Min. 3:36–3:49).
Schauen wir uns einige Bücher von Prof. Fabrizio Bartoli an.
6.1. Mysteriöse Skulpturen: Templer, Hermetik, Alchemie, Gnosis (2012)
Im Jahr 2012 veröffentlichte die Accademia degli Alethofili von Osimo ein Buch ihres Vorsitzenden Fabrizio Bartoli mit dem Titel „Le sculture misteriose delle grotte del Palazzo Campana di Osimo simboli della cultura illuminista ed esoterica“ („Die geheimnisvollen Skulpturen in den Grotten des Palazzo Campana in Osimo, Symbole der Aufklärung und der esoterischen Kultur“). Das Buch enthält die Einleitung eines Gemeinderatsmitglieds, das hofft, daß „dieses unterirdische Erbe, das wir in unserem Osimo haben, bald von allen besucht werden kann“ (S. 3).
Bartoli illustriert esoterische Orte, Symbole und Konzepte sowie historische und kulturelle Phänomene, die im wesentlichen bereits in den Texten, die ich in den vorangegangenen Abschnitten untersucht habe, angedeutet werden: Höhlen, Alchemie, Hermetik, Hermes Trismegistus, Templer und Neo-Templer, Rosenkreuzer, Carboneria des 19. Jahrhunderts, Freimaurerei vom 18. Jahrhundert bis heute.
Ich werde nur einige Neuerungen oder gnostische und hermetische Erkenntnisse erwähnen:
a) Die Initiationsreise (alchemistisch-hermetisch) in die Visceræ (das Innere) der Erde (VITRIOL) und in unsere Innerlichkeit ist notwendig, um den göttlichen Funken in uns zu entdecken, der uns gottgleich macht (vgl. S. 71f).
b) Mysteriöse und freimaurerische „Initiation“ ist „INITIATISCHER TOD“ (S. 75), der profane Mensch „muß sein Ego sterben lassen“ (S. 75).
c) Bezüglich der „initiatischen Traditionen“ und der „Mysterien- und Initiationsbruderschaften“: „Einen ‚Bruder‘ zu verraten oder die Geheimnisse, Riten und Zeremonien, die mit der ‚vorbehaltenen‘ Lehre verbunden sind, zu enthüllen wurde immer als ein großer Verrat angesehen, der mit Ausschluss und früher auch mit dem Tod bestraft wurde“ (S. 78).
d) „Hermes – Merkur“, oder „der Gott Thot“, oder „Hermes Trismegistus“ mit seinem Caduceus-Stab, Meister der „Weisheit“ und des „Lichts“ (vgl. S. 89–101).
e) Die Prinzipien der „Hermetischen Tradition“, des „Corpus Hermeticum“ (S. 102–104) und ihr Ziel: den eigenen „göttlichen Funken“ oder die „innere Essenz“ wiederzuentdecken und „sich mit der kosmischen Harmonie wieder zu verbinden“ (S. 104).
f) Die „Einheit aller Dinge“ kennen/erleben/„erobern“ („holistische Vision“, „UNIVERSALES NETZ“, „Energiehintergrund“); in jedem Molekül steckt die Allwissenheit und Allgegenwart des Unendlichen (vgl. S. 111).
g) Neben dem Hermetismus, der „gnostischen Tradition“, dem „gnostisch-johanneischen“ Christentum, ist der „gnostische Weg“ wichtig (vgl. S. 121–136). Es ist nicht schwer zu verstehen, daß Bartoli auf der Seite der Gnostiker und des Hermetismus steht und nicht auf der Seite des katholischen, römischen und rechtgläubigen Christentums. Jesus wird auf einen spirituellen, gnostischen Meister reduziert, der uns lehrt, unsere innere Göttlichkeit zu erkennen, uns selbst als Ihm gleich zu erfahren (vgl. S. 124–129). Der erleuchtete Schüler des Hermes und der Gnosis erfährt den „Demiurgen“, den „Gott“, den „Nous“ in sich selbst (vgl. S. 103f).
h) Das Tarot oder die Großen Arkana, als Initiationskarten-Figuren der Alchemie, der Sufis und der Templer (vgl. S. 140–144).
In den „Schlußfolgerungen“ erklärt Bartoli, daß der Neo-Templerorden, dem er angehört, der OSMTH, Konferenzen und Vorträge über die Bedeutung der esoterischen und templerischen Symbole in den Osimo-Höhlen organisiert hat (vgl. S. 147). Bartoli begleitete einige „wichtige Personen“ zu den Grotten, darunter den damaligen Großmeister der Freimaurerei des Großorients von Italien (GOI), Gustavo Raffi, sowie Sir Ian Sinclair, Großprior der schottischen (Neo-)Tempelritter (vgl. S. 147).
Auf der Titelseite dankt Bartoli „Meister Raphael“, weil er von ihm „die wahre traditionelle Lehre, die auch zu Liebe und Weisheit führt“, gelernt habe (S. 1). Raphael ist eine Art neo-hinduistischer Meister.
6.2. Gnostische Templer
Im Jahr 2014 veröffentlichte der Verlag Tipheret der Mediengruppe Bonanno (Acireale – Rom) eine Sammlung von Studien über die Templerakademie des Großpriorats Italien des OSMTH (Ordo Supremus Militaris Templi Hierosolymitani): „Templer und ihr Umfeld. Studien der Templerakademie“. In dem Beitrag „Secretum Templi“ (S. 159–168) stellt Fabrizio Bartoli die Templer als Träger der alten Gnosis vor. Bartoli erklärt, daß die alten Gnostiker, die von Basilides, „Abraxas“ verehrten, „einen Gott, der Gegensätze integriert, die sich ergänzen, eine Gottheit also, die über die Dualität von Gut und Böse hinausgeht. Einigen Gelehrten zufolge bezieht sich die Bedeutung der beiden Schlangen anstelle der Beine, ähnlich den beiden Schlangen des Hermesstabs, auf die Komplementarität der Gegensätze“ (S. 161).
Bartoli zufolge haben die Templer die jüdische, die essenische, die neuplatonische und die sufische Gnosis in sich aufgenommen (vgl. S. 166). Bartoli erklärt, daß „der Gott der Gnostiker Abraxas“ „die Erde und den Himmel, das Heilige und das Profane, den Menschen und das Göttliche, das Positive und das Negative, das Männliche und das Weibliche, die Materie und den Geist, die Evolution und die Involution, den Beobachter und das Phänomen in sich versammelt“ (S. 167).
Bartoli ist Gnostiker: „Der unendliche Geist ‚von derselben Substanz wie der Vater‘ ist auch in uns gegenwärtig, so daß sich selbst zu kennen, auf der tiefsten Ebene, gleichzeitig bedeutet, Gott zu kennen. Dies ist das Geheimnis der Gnosis: die Vereinigung zwischen dem Inneren und dem Äußeren, zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos. Nur die Vorstellung eines nicht-dualistischen, unpersönlichen Gottes wird in der Lage sein, „zu vereinen, was verstreut ist“, die großen Philosophien und Religionen der Geschichte zusammenzubringen (Ägypter, Hindus, Pythagoräer-Platoniker, Buddhisten, Juden, Christen, Moslems usw.); sie werden mit dieser ganzheitlichen Vision in der Lage sein, sich zu vereinen, um sich zum Himmel zu erheben, indem sie miteinander verschmelzen und sich in einer einzigen, vereinheitlichten Philosophie-Religion vereinen, einem einzigen und einzigartigen universellen Bewußtsein, einer globalen, von allen geteilten Vision von Gott. Wahre Ökumene. Das ist die große Hoffnung in unseren Herzen als Neu-Templer“ (S. 168).
Im Jahr 2018 veröffentlichte der Verlag Nisroch aus Macerata (AN) das Buch „La Dea Eterna“ („Die Ewige Göttin“) von Michele La Rocca mit einem Essay von Fabrizio Bartoli im Anhang. Das Buch enthält eine Einleitung von Dom Salvatore Frigerio (vgl. S. 5f), einem Kamaldulensermönch aus Fonte Avellana. La Rocca ist der Ansicht, daß zur Elite der Templer auch die Verehrer der ägyptischen Göttin Isis gehörten (vgl. S. 87) und scheint selbst Isis der Gottesmutter der Christen vorzuziehen (vgl. S. 86–89). Laut La Rocca hat sich Jesus nie als Gott bezeichnet; erst die Kirche von Rom habe ihn als solchen definiert (vgl. S. 115)… Bartoli spricht auch von der Göttin Isis, Cybele, der Großen Mutter, die auch in den Marken, in Sirolo, Osimo usw. verehrt werde (vgl. S. 158–238).
Im Jahr 2021 veröffentlichte der Verlag Nisroch ein weiteres Buch von Michele La Rocca und Fabrizio Bartoli, „L’Ordine del Tempio oltre il velo. I Templari e la Gnosi“ („Der Tempelorden entschleiert. Die Templer und die Gnosis“). Die Autoren loben die gnostischen Lehren und das gnostische Templertum. Im Vorwort (S. 5–9) lobt Claudio Bonvecchio ebenfalls den Gnostizismus und schreibt ihn den alten Templern zu (vgl. S. 8f). La Rocca und Bartoli glauben, daß die Templerelite gnostisch war (vgl. S. 18f). Die beiden Autoren fassen die von Paolo Galiano, Claudio Bonvecchio und Marco Rocchi durchgeführten Studien zum Gnostizismus zusammen (vgl. S. 21–28). La Rocca und Bartoli glauben, daß das Siegel der Templer „Abraxas“ war, der gnostische Gott, der jenseits von Gut und Böse, jenseits von Gott und Teufel ist, Abraxas der „metaphysische Gott“, der alle Gegensätze vereint (vgl. S. 113–133).
6.3. Templer und Freimaurer (GOI)
Im Dezember 2019 veröffentlichte Nisroch das Buch „La Loggia Mother Kilwinning No. 0. La Madre Loggia di Scozia“ („Die Mutterloge Kilwinning Nr. 0. Die Mutterloge von Schottland“) von Fabrizio Bartoli und Michele La Rocca. Das Buch enthält ein Vorwort (S. 3) von Paolo Nicola Corallini Garampi [OSMTH] und ein Vorwort von Claudio Bonvecchio, der seinen Titel Beigeordneter Großmeister des Großorients von Italien beifügt (S. 6). Auf S. 55 schreiben Bartoli und La Rocca: „Während einer Reise nach Schottland im Jahr 2002 besuchten wir zusammen mit anderen Brüdern die Mutterloge von Kilwinning“, und darunter sieht man ein Foto mit vier Männern in dieser Freimaurerloge, die auf dem schwarz-weiß karierten Logenboden stehen und die rechte Hand auf ihr Herz legen. Unter diesen vier sind Paolo Corallini und Fabrizio Bartoli.
Im März 2019 veröffentlichte Nisroch das Buch „Templari e Liberi Muratori Antichi Confratelli“ („Templer und Freimaurer – Alte Brüder“) von Paolo Nicola Corallini Garampi und Fabrizio Bartoli, die sich offen als Würdenträger des Ordo Supremus Militaris Templi Hierosolymitani (OSMTH) präsentieren und den alten Templern gnostische Überzeugungen, ein „gnostisches Christentum“ (S. 95) und die Verehrung des „Baphomet“ (S. 96) zuschreiben. Offensichtlich zeigen Bartoli und Corallini keine Abneigung gegen den Gnostizismus.
Die Autoren unterstellen, daß John Dees „henochisches Alphabet“ [d. h. „angelische“ Magie] in das Rosenkreuzertum und die Freimaurerei des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (AASR) einfloß (vgl. S. 149f). Die letzten Grade des AASR, vom 30. bis zum 33. Grad, haben Templercharakter (vgl. S. 168).
Im August 2015 veranstaltete das Zirkumskriptionskollegium der Meister des Großorients von Italien der Marken eine Tagung über die Templer. Bartoli und Corallini nahmen daran teil und berichten in ihrem Buch über die Reden des damaligen Vorsitzenden des Zirkumskriptionskollegiums der Meister des GOI Marken, Fabrizio Illuminati, des damaligen Großredners des GOI Claudio Bonvecchio und des Großmeisters des GOI Stefano Bisi (vgl. S. 172–198).
Auf der Rückseite des Buches ist zu lesen, daß Corallini Großprior des OSMTH ist, außerdem Ritter des Souveränen Malteser Ritterordens – des vom Heiligen Stuhl anerkannten – und auch des Ordens der heiligen Mauritius und Lazarus.
Bartoli ist seit 2002 Mitglied des OSMTH, dessen Großoffizier und emeritierter Großmeister des Großpriorats von Italien er ist.
In Osimo hat der OSMTH eine Kommende namens San Filippo de‘ Plano, mit dem Namen der Templerkirche, die ich im ersten Teil erwähnt habe.
Am 28. Mai 2022 hielt diese Kommende ihr Kapitel in Filottrano (Ancona) ab. Auf dem während des Kapitels aufgenommenen Foto sind offensichtliche freimaurerische Symbole zu sehen (handelt es sich um den Innenraum einer Loge?): An der Wand hinter dem OSMTH-Komtur von Osimo befindet sich ein Dreieck mit einem offenen Auge im Inneren, und man kann die Inschriften A.-.G.-.D.-.G.-.A.-.D.-.U. sehen. [Zur Ehre des großen Architekten des Universums] und „Freiheit, Gleichheit […]“. Das dritte Wort, „Brüderlichkeit“, ist durch den Komtur verdeckt. Es handelt sich um Schriften, die typisch für die Logen des Großorients von Italien sind.
Im Heft Nr. 10/2014 der OSMTH-Templer-Akademie lesen wir auf Seite 32, daß Paolo Corallini Garampi auch Mitglied des Royal Order of Scotland ist.
Bartoli und La Rocca schreiben, daß es früher ausreichte, mindestens fünf Jahre Freimaurermeister zu sein, um dem Royal Order of Scotland anzugehören, während es heute notwendig ist, 32. Grad des Alten und Angenommen Schottischen Ritus oder Tempelritter des Yorker Ritus zu sein (vgl. Bartoli – La Rocca: La Loggia Mother Kilwinning No. 0, op. cit., S. 74). Der Yorker Ritus und der AASR werden von Freimaurermeistern des Großorients von Italien praktiziert.
In Erasmus News (Mitteilungsblatt des Großorients von Italien), in den Nr. 15–17, vom 15. und 30. September sowie dem 15. Oktober 2010, ist zu lesen, daß die Loge De Hominis Dignitate Nr. 1314 von Senigallia (Ancona) im Gehorsam gegenüber dem Großorient von Italien am 22. Mai 2010 im Ratssaal der Gemeinde Corinaldo (Ancona) eine Konferenz mit dem Titel „Das männliche und das weibliche Prinzip: Liebe und Wissen“ abgehalten hat. Der Artikel nennt einige Freimaurer des Großorients, die an der Konferenz teilnahmen:
„Unter den Brüdern im Ratssaal waren der Ordensrat Paolo Nicola Corallini Garampi, der Zirkumskriptionsrichter Fabrizio Bartoli, die ehrwürdigen Meister Mario Massacesi von der Loge Misa (1313) in Senigallia und Alessandro Martire von der Loge Michelangelo (112) in Florenz […]“ (S. 27, Hervorhebung von mir).
In diesem Zusammenhang werden Corallini und Bartoli nicht als OSMTH-Templer, sondern als „Brüder“ des Großorients genannt.
Ich fand heraus, daß Michele La Rocca (siehe oben und Absatz 6.2) ebenfalls ein „Bruder“ des Großorients ist. Auf der Internetseite des GOI ist nämlich zu lesen, daß anläßlich der dritten Ausgabe der Segnalazioni Editoriali Victor Hugo 2017, einer Initiative der Loge Victor Hugo 1893 von Urbino (GOI), am 1. Dezember 2017 in Pesaro in Anwesenheit des Vorsitzenden des Meisterkollegiums des GOI Marken, Fabrizio Illuminati, „Bruder Michele La Rocca“ und „Bruder Luca Guazzati u. a. für die Publikation „La Massoneria nella provincia di Ancona“ („Die Freimaurerei in der Provinz Ancona“, Verlag Pixel, Ancona 2015, ausgezeichnet wurden.
Nun, in dem Buch des Freimaurers Luca Guazzati gibt es ein Vorwort des Großmeisters des Großorients, Stefano Bisi (S. 5f) und auch einen wichtigen Aufsatz von Fabrizio Bartoli, „OSIMO, il clima culturale alla fine del 1700 e agli inizi del 1800“ („OSIMO, das kulturelle Klima am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts“, S. 107–136), der die Freimaurerei und Carboneria in Osimo zu dieser Zeit beschreibt.
Ich konzentriere mich stattdessen auf das Kapitel von Luca Guazzati über die Freimaurerei in Ancona (S. 15–44). Seit 1870 „hat die Freimaurerei von Ancona Leben, Stimme und Raum (…) in der republikanischen Zeitung ‚Lucifero‘“ („Luzifer“, S. 22). Im Lucifero und anderen sozialistischen Zeitungen war „der revolutionäre und subversive Geist“ sehr präsent (S. 24). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stärkte die Zeitung Lucifero, Sprachrohr einer „demokratischen Stadtkultur“, die Provinzredaktionen, darunter die von Osimo (vgl. S. 26). Es herrschte „eine großartige Symbiose“ zwischen „dem freimaurerischen Kern und der Lucifero-Redaktion“ (vgl. S. 26).
Guazzati weist auf das Antifreimaurertum von Msgr. Rodolfo Ragnini (1865–1958) hin, der die Freimaurerei beschuldigte, eine „satanische Sekte“ zu sein und „Satanismus“ zu betreiben (vgl. S. 29f). Doch welche Überraschung, wenn Guazzati wenige Zeilen später selbst den Freimaurermeistern luziferische Sympathien zuschreibt:
„Der Teufel, d. h. Luzifer oder wie immer man ihn nennen will, ist für die in der Esoterik bewanderten Freimaurer-Meister nicht nur das Symbol des freimaurerischen Lichts, sondern auch der Rebellion gegen die katholischen Dogmen in der Art von Dantes Inferno. Aber Luzifer – und darin liegt die ganze revolutionäre Bedeutung der berühmten republikanischen Zeitschrift von Ancona, die 1870 von einer Redaktion voller Freimaurer gegründet wurde – ist auch eine Interpretation des magischen Prinzips, das notwendig ist, um Gott, das Licht, zu erkennen und zu erreichen“ (S. 30, Hervorhebung von mir).
Ich muß anmerken, daß die oben zitierte Passage des Freimaurers Guazzati (2015) eindeutig einige Sätze einer Studie von mir wiedergibt, die 2007 in der Zeitschrift Fides Catholica Nr. 1/2007 mit dem Titel „Initiation, Esoterik und Luziferismus in der Freimaurerei des G.O.I. (Teil 1)“ (S. 15–82) veröffentlicht wurde und dann (zwischen 2011 und 2012) von einigen Internetseiten aufgegriffen wurde, die zumindest den Autor des Textes nannten. Ich frage mich: Hat Guazzati meine Studie aus Fides Catholica oder von einer Website übernommen, oder hat sie ihm jemand ohne Angabe von Quelle und Autor weitergeleitet?
Im Jahr 2007 schrieb ich (die von mir unterstrichenen Worte finden sich im obigen Auszug von Guazzati wieder):
„Für Freimaurermeister, die in den esoterischen initiatischen Wissenschaften bewandert sind (und hohe Grade erhalten haben, z. B.: AASR), kann (ist) Luzifer nicht nur das Symbol des freimaurerischen Lichts, der Rebellion gegen die katholischen Dogmen, sondern auch der Geist des Lichts sein, […]. ‚Luzifer‘ (oder der ‚Teufel‘) wird von den Freimaurermeistern auch als magisches Prinzip interpretiert, das notwendig ist, um Gott, das Licht, zu erkennen und zu erreichen“ (S. 45f). Nun, unabhängig davon, ob „Bruder“ Luca Guazzati mich absichtlich nicht zitiert hat, bleibt die Tatsache wichtig, daß er durch die Übernahme meiner Passagen diese gebilligt und geteilt hat und auf diese Weise bestätigt hat, was ich seit Jahren über die „Sympathie“ der Freimaurermeister, auch des Großorients von Italien, für Luzifer geschrieben habe.
*Pater Paolo Maria Siano gehört dem Orden der Franziskaner der Immakulata (FFI) an; der promovierte Kirchenhistoriker gilt als einer der besten katholischen Kenner der Freimaurerei, der er mehrere Standardwerke und zahlreiche Aufsätze gewidmet hat. In seiner jüngsten Veröffentlichung geht es ihm darum, den Nachweis zu erbringen, daß die Freimaurerei von Anfang an esoterische und gnostische Elemente enthielt, die bis heute ihre Unvereinbarkeit mit der kirchlichen Glaubenslehre begründen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana